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Ich will schreien. Ich will toben. Ich will alles kurz und klein schlagen.

Aber ich bin komplett gelähmt und starre wie vollkommen verblödet auf mein eigenes, verschwommenes Abbild auf meinem Display.

In meinem Kopf rasen die Gedanken und ich versuche, zu überschlagen, wie groß der Schaden sein könnte, was alles passiert sein könnte und wie sehr - auf einer Skala von komplett bis vollkommen - ich jetzt am Arsch bin und wie sehr - auf einer Skala von komplett bis vollkommen - ich es verkackt habe. Und für einen Moment bin ich mir nicht mehr sicher, ob es wirklich an den paar Sekunden Warten gelegen hatte.

Für einige Augenblicke lang zweifle ich an meiner ganzen beschissenen Existenz und warum dieser Fall überhaupt hatte eintreten können. Aber wenn ich eins über diese verfluchte Welt weiß, dann dass Selbstzweifel dich zerfressen und dir alles nehmen, was du jemals warst. Darum denke ich nicht weiter darüber nach, dass ich ein Versager sein könnte, sondern beginne, meine grauen Zellen nach irgendeiner Erinnerung abzusuchen, wann mir der Name DIZZORDER schon einmal über den Weg gelaufen ist.

Nichts. Ich finde nichts. DIZZORDER ist mir fremd. Ein unbeschriebenes Blatt. Ein verschissen unschuldiger Name, der mir nichts sagt, der keinerlei Reputation in der Szene hat und gegen den ich nichts in der Hand habe. Ich weiß nur, dass DIZZORDER ein beschissener Name ist. Dass ich den Typen hasse, dass ich ihn umlegen werde, wenn ich ihn jemals in die Finger bekommen werde. Denn scheißegal, wer DIZZORDER auch sein mag - er hat mich gehackt.

Niemand hackt mich.

Davon abgesehen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass eine virtuelle Intelligenz das schaffen könnte, ist die Wahrscheinlichkeit noch geringer, dass ein menschliches Wesen die nötigen Skills haben könnte, um mir überhaupt auch nur nahe zu kommen. Davon abgesehen:

Niemand hackt mich!

Abgesehen von DIZZORDER, aber für's Protokoll: Niemand hackt mich.

Zumindest nicht ungestraft. Ehe ich aber noch weiter meinem Groll verfallen kann und meinen Rachefeldzug auch nur in seinen Grundzügen planen könnte, höre ich ein leises klickendes Geräusch und mit einem sanften Aufsummen des Lüfters blitzt es auf meinem Display, ehe es schwarzes Licht ausstrahlt und mein Netbook beginnt, sich wieder hochzufahren.

Entgeistert starre ich in die Richtung meines eben noch dagewesenen verkniffenen Gesichts, dann wische ich mir den Schweiß von der Stirn und schiebe meine Brille zurück in eine ordentliche Position auf meiner Nase. Und während ich prüfend meine Systeme hochzufahren versuche, werde ich immer ungläubiger. Das kann nicht sein. Das kann doch wirklich nichts sein.

Alles in Ordnung. Nichts fehlt meiner Hardware, sämtliche Scripts laufen noch und jeder Code ist noch an Ort und Stelle. Ich schnappe keuchend nach Luft und sinke erschöpft gegen die Lehne des Stuhls. Einen großen Schluck Coca Cola später atme ich wieder tief und ruhig und bin mir sicher:

DIZZORDER ist ein beknackter Hurensohn!

Ich weiß nicht, was er getan hat. Ich weiß nicht, wie er es getan hat. Ich weiß nur, dass dieses kleine Spielchen nicht unbeantwortet bleiben wird.

Wenn es eine Herausforderung gewesen sein soll: Sehr gern! Wenn es eine Warnung war: Von mir aus auch das!

Eins steht jedoch fest: Das bedeutet Krieg!

Neben mir schnauft Karl geräuschvoll und trommelt unruhig mit den Fingern auf den Tisch. Ich habe ganz vergessen, dass ich nicht alleine bin. Patty wirft mir einen fragenden Blick zu, aber ich weiche aus. Auf Karls Stirn stehen Schweißtropfen. Ein unwahrscheinlicher, aber wirklich gnadenloser Gedanke durchzuckt meinen Kopf, und ich schiebe ihn absichtlich weit weit weg. Ich mag Karl ganz gern. Ich sollte nicht solche Sachen denken. Wahrscheinlich schaut er sich gerade einfach nur Pornografie an. Ich stocke kurz und schließe die Augen, zähle innerlich bis zehn.

Dann beiße ich die Zähne aufeinander und hacke gnadenlos auf meine Tastatur ein, um sämtliche Spuren, die DIZZORDER möglicherweise hinterlassen haben könnte, ausfindig zu machen. Und tatsächlich gibt es winzige Hinweise auf seinen Angriff, bei dem nichts in meinem System zu Schaden gekommen ist, bis auf den Kurzschluss, der mir scheinbar zu denken geben sollte.

Meine Augen rasen hoch und runter, von einer Seite zur anderen, als mein Blick den Inhalt des Protokolls scannt und mir wieder die Luft wegbleibt. Nicht nur von DIZZORDER sind eindeutige und offiziell mit eben jenem Namen unterzeichnete Spuren zu sehen. Eine zweite Person war an diesem Hackerangriff beteiligt.

Eine zweite bis dato unbekannte Person, deren Spuren in meinem System lediglich darin bestehen, dass der Namenlose verhindern konnte, dass DIZZORDER weiteren Schaden angerichtet hat. Ich lese mir das Protokoll mehrere Male durch.

Karls Fuß wippt auf und ab und er ballt seine Hände zu Fäusten, öffnet sie wieder, schließt sie wieder und macht einen ganz und gar verdächtigen Eindruck. Sein Atem geht unregelmäßig und ich versuche noch einmal die Fakten mit meinen Vermutungen zu vergleichen. Person XY, die wohl mein Schutzengel in diesem Moment gewesen ist, hat schlimmeres verhindert und auch keinerlei Änderungen an meinem System vorgenommen.

Weitere Nachprüfungen ergeben, dass Person XY nicht einmal in die Innereien meiner Arbeit vorgedrungen ist, sondern von relativer Entfernung dieser Kackbratze namens DIZZORDER die Leviten gelesen hat. Warum auch immer die beiden ihren Streit in meinem System austragen müssen, ich bin mir nicht ganz sicher, dass ich nur zufällig die Plattform habe spielen dürfen.

Dafür - und das sage ich nicht, um mich besonders zu profilieren - bin ich eindeutig zu bekannt. Und dafür stand auch mein Name viel zu deutlich in der kleinen Message, die mir DIZZORDER hinterlassen hat. Wer auch immer DIZZORDER ist, das scheint mir gerade eher unwichtig. Ich habe nicht nur einen neuen Erzfeind. Ich habe auch einen unbekannten Schutzengel, der mir nichts als seine momentane IP hinterlassen hat.

Und mit den augenscheinlichen Fähigkeiten, die der Engel haben muss, um überhaupt dieses Werk hat vollbringen zu können, bin ich mir zu neunundneunzig Komma Periode neun Prozent sicher, dass das kein Versehen war.

Verärgert knalle ich die Hand auf den Tisch und Patty ruft mir ein hysterisches "Jetzt reicht's, Mann!" zu, aber ich ignoriere sie.

Ich packe meine Sachen zusammen, in den Rucksack, kippe mir beim Aufstehen fast die Coca Cola samt der Unmengen von enthaltenem Zucker über die Hose und baue mich mit vor der Brust verschränkten Armen vor Karl auf.

"Du- Ich- Raus. Jetzt!", ist alles, was ich schnaufend herausbringe und Karls Mimik zuckt sogar kurz, ehe das Pokerface wieder in Kraft tritt. Er nickt knapp und wischt sich den Schweiß von der Stirn, ehe er langsam und akribisch seine Sachen packt. Ich schnaube.

"Jetzt!", wiederhole ich, aber Karl lässt sich nicht beirren.

Kurze Zeit - gefühlt aber eine halbe Ewigkeit - später, stehen wir im Hinterhof des Rabbit Hole und rauchen jeder eine von Karls selbstgedrehten Zigaretten. Ich huste und halte mir die Brust. Ich hasse Zigaretten.

"Das war knapp", sagt Karl.

Ich nicke nur.

Wir schweigen und rauchen und ich huste. Dann gebe ich auf und trete den Rest der Kippe auf sem Boden aus.

Karl nippt an seiner Red Bull Dose. Er schaut mich nicht an. Ab und zu huschen seine Augen zu meinem Haaransatz, ansonsten starrt er Löcher in die Luft und wippt von einem Bein auf das andere. Er scheint doppelt so verstört zu sein wie ich und ich empfinde für einen Moment Mitleid.

Noch immer ist mir schleierhaft, was eben passiert ist. Seine Motive sind mir unbekannt, ich kann nicht einmal anfangen darüber nachzudenken, was das alles zu bedeuten hat. Aber Tatsache ist, dass es hätte schlimmer kommen können.

"Hätte schlimmer kommen können", sage ich lächelnd und zucke mit den Schultern, "Ich muss dir danken, Mann! Echt knorke, die Aktion. Danke, echt."

"Nichts zu danken", murmelt Karl tonlos.

Ich muss schmunzeln und klopfe ihm kumpelhaft auf die Schulter. Das heißt, ich versuche es, greife aber ins Leere, weil er auf halbem Weg meiner Hand zusammenzuckt und geistesgegenwärtig einen halben Schritt zur Seite macht, sodass ich mit meiner Hand nur seinen Pullover streife. Blinzeldn schüttele ich den Kopf und versuche, mich nicht beirren zu lassen.

"Nun komm schon, natürlich danke ich dir! Du hast mir echt den Arsch gerettet! Das hätte echt schief gehen können, aber dank deiner Hilfe ist nichts passiert", versuche ich, irgendwie ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern.

Jetzt wo wir schon irgendwie Partner sind, soll er sich ja auch über seinen Triumph freuen können.

"Ich meine es ernst. Du sollst mir nicht danken", sagt Karl und fast fühle ich mich versucht, einen Vortrag über falsche Bescheidenheit zu halten.

Zumindest solange, bis er weiterspricht und mir das Blut in den Adern gefriert:

"Es tut mir leid. Ich konnte ihn nicht davon abhalten, eine Backdoor zu installieren."

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