31. Irrungen und Wirrungen
31. Irrungen und Wirrungen
Schon lange nicht mehr hatten die Gryffindorschüler des 6. Jahrgangs das Frühstück so voller Spannung erwartet. Besonders Harry, Ron und Neville brannten darauf, einen erneuten Blick auf Draco Malfoy zu werfen. Sie konnten es sich nicht recht erklären, aber die drei Jungen waren sich sicher, dass heute etwas anders sein würde. Sie würden Draco Malfoy zum ersten Mal in einem anderen Licht sehen. Außer Harry waren sie schon seit Kindestagen mit Vorurteilen bestückt gewesen. Besonders Ron war mit Horrorgeschichten über Malfoy-Clan aufgewachsen und erzogen worden. Arthur Weasley hatte bei seiner Arbeit im Ministerium immer wieder mit dem einflussreichen Lucius Malfoy zu kämpfen. Dieser erfreute sich besonders daran, über die Weasleys schlecht zu reden, schließlich waren sie in seinen Augen „Blutsverräter", nur, weil sie Nicht – Reinblüter nicht wie Dreck behandelten. Dass die Familie dazu, zu ihren vielen Kindern (immerhin waren es 7 an der Zahl), auch noch immerzu knapp bei Kasse war, machte es nicht gerade besser.
Heute könnte ein ganz besonderer Tag werden. Der Tag an dem sich Rivalen die Hand geben und Streitigkeiten endlich ad acta gelegt werden könnten.
Hermine erwachte diesen morgen früh, weit vor dem Klingeln des altmodischen Weckers, der neben ihrem Bett stand. Noch während sie sich die Müdigkeit aus den Augen rieb, begann ihr Herz vor Nervosität schneller zu schlagen. Hibbelig wie sie daraufhin war, konnte sie einfach nicht mehr einschlafen. Früh, noch bevor irgendein anderer aus dem Hause Gryffindor an den Morgen dachte, stand Hermine unter der Dusche und versuchte ihren Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Ruhig atmete sie ein und aus, während die heiße Brause ihre Muskeln entspannte. Es würde alles gut werden, so redete sie es sich zumindest ein. Harry, Ron und Neville hatten so gut auf ihre Beichte reagiert! Wenn Draco nicht gerade auf Idee kam, sie vor all ihren Freunden zu küssen, dann... sollte doch alles gut laufen. Hermine riss erschrocken die Augen auf, wobei große Schwalle Wasser erbarmungslos auf sie einprasselten. Hastig stellte sie das Wasser ab und wischte sich Seife und Wasser aus den Augen. Bitte, würde er sie nicht vor den Augen aller küssen! Dann konnte sie für nichts mehr garantieren...
Hermine seufzte auf ihren Gedanken schwer, wieso musste sie auch so pessimistisch sein? In aller Ruhe, schließlich hatte sie genug Zeit bis der große Ansturm zu erwarten war, machte Hermine sich fertig. Zog sich an und setzte sich schließlich mit einem Buch über Heilkräuter in einen Sessel nahe des Kamins. Der Gemeinschaftsraum war gegen ihre Erwartungen nicht lange unbesetzt. Hermine hatte sich gerade erst dem zweiten Kapitel gewidmet, da sah sie aus dem Augenwinkel, jemanden sich ihr gegenübersetzten.
„Hey, Hermine...", kam es von der Person.
„Neville!", Hermine war sichtlich überrascht; Neville zählte nicht gerade zu den Menschen, die man als Morgenmenschen bezeichnen würde.
„Was machst du denn schon hier?", fragte sie.
„Das gleiche könnte ich dich auch fragten.", grinste Neville, sah aber bald darauf in die Flammen des Kamins. „Ich konnte einfach nicht mehr schlafen, ehrlich gesagt. Mir ist das, was du uns gestern erzählt hast, nicht mehr aus dem Kopf gegangen..."
Hermine sah Neville erwartungsvoll entgegen. Zu welchem Schluss war er wohl gekommen?
„Ich frage mich einfach, wie sehr man sich in einer Person täuschen kann. Das Lucius Malfoy ein egoistischer Rassist ist, das wusste ich immer, aber ich habe mir immer gesagt: Er ist bestimmt ein toller Vater und liebt seine Familie. Draco hat immer so von ihm geschwärmt; uns allen regelmäßig unter die Nase gerieben, dass wir keinen so tollen Vater haben. Nachdem Draco von Seidenschnabel ‚angegriffen'-", Neville malte Anführungszeichen in die Luft „wurde, hat er keine Kosten und Mühen gescheut, seinen Sohn zu rächen. Wie kann es sein, dass dieser Mann seinen Sohn plötzlich rausschmeißt? Nur weil er sich seiner Vereinigung nicht anschließen will?", Neville brachte seinem Unglauben deutlich zum Ausdruck; Hermine konnte nicht anders, als zu schmunzeln, wurde aber schnell wieder ernst.
„Wenn es nur irgendeine Vereinigung wäre, wäre das sicher auch nicht so schlimmer... Neville, Lucius Malfoy ist ein Todesser! Entweder du bist für oder gegen sie. Du – weißt – schon- wer wird keine halben Sachen machen."
„Verteidigst du ihn gerade etwa?!", Neville stand Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben.
„Nein!", beeilte Hermine sich zu sagen. „Nein, natürlich nicht. Er hat Draco verdammt weh getan und ich bin mir nicht sicher, ob Draco das jemals wirklich verkraften wird. Es ist so, wie du es gesagt hast – Draco hat seinen Vater verehrt! Es war wohl mehr als offensichtlich, dass er sich nichts mehr als den Respekt seines Vaters gewünscht hat.", das und das wünscht er sich, wenn er ehrlich ist, noch immer mehr als alles andere, fügte sie im Stillen hinzu. Neville musste schließlich nicht alles wissen, es würde Draco schon unangenehm genug sein, dass seine ehemaligen Schulfeinde ihn so am Boden sahen.
„Ich frage mich, ob Malfoy Senior es bereut, oder froh ist, die Last eines Kindes endlich von sich zu haben...", sprach Neville seinen Gedanken laut aus. Hermine schüttelte nur den Kopf. Sie wusste es nicht und wusste auch nicht, ob sie das wirklich interessieren sollte. Hermine ging es um Draco, was Lucius – dieser Idiot – mit seinem Leben anfing, war ihr relativ egal. Narcissa Malfoy war die einzige, für die sie etwas, wie Mitleid aufbringen konnte. Sie hatte ihr Kind verloren, ohne die Hoffnung es jemals wieder bei sich haben zu können. Hermine konnte sich auch nicht wirklich vorstellen, dass Lucius seine Frau wirklich tröstete.
Hermine bekam das Bild einer trauernden Narcissa Malfoy, die von ihrem Mann einfach ignoriert wurde, einfach nicht mehr aus dem Kopf. Selbst nachdem Harry, Ron, Ginny und sogar Seamus Finnigan und Dean Thomas sich zu ihr und Neville gesellt hatten, schlich sich der Gedanke immer wieder in den Vordergrund ihres Denkens. Hermine wollte gar kein Mitleid mit dieser - ihr eigentlich vollkommen unbekannten - Frau empfinden, aber sie konnte nicht anders. Spätestens seit dem Brief, den Draco an Weihnachten von ihr erhalten hatte, wussten sie beide, dass sie die Trennung von ihrem Kind nicht so leicht nahm, wie gedacht. Narcissa Malfoy litt sehr unter den herrschenden Umständen, das wusste Hermine, aber sie konnte nichts daran ändern. Was sollte sie auch tun? Eine Eule schicken, in der stand, dass ihr sehr Leid tat, was in der Familie Malfoy passiert war? Das wäre nun wirklich bescheuert. Es hatte sie eigentlich überhaupt nichts anzugehen, was in dem Leben der Familie Malfoy von statten ging.
Etwas verspätete stellte Hermine fest, dass sich der Gemeinschaftsraum schon längst wieder geleert hatte und auch ihre Freunde auch schon vor dem Portraitloch standen und nur noch auf sie warteten. Es war soweit. Noch einmal tief durchgeatmet und schon ging es los.
In der großen Halle saß noch jemand, wie auf heißen Kohlen. Draco Malfoy blickte immer wieder nervös zur Tür. Es schien, dass das ganze Haus Gryffindor schon anwesend war, doch Hermine ließ sich noch immer nicht blicken. Blase warf ihm immer wieder eindeutige Blicke zu, doch er ignorierte sie. Er war Blase wirklich sehr dankbar, für alles, was er für ihn getan hatte. Für all das Verständnis, dass er nicht von jedem erwarten konnte. Sie hatten gestern Abend noch ein langes Gespräch geführt, indem Blase Draco immer wieder versprochen und beteuert hatte, zu ihm und seiner Entscheidung zu stehen. Es hatte den sonst, wenn es um persönliche Empfinden ging, stillen Jungen viel Überwindung gekostet, über seine Sorgen zu sprechen, aber Draco musste sich eingestehen, dass er große Angst vor der Reaktion der Gryffindors hatte. Blase hatte ihm versprochen, den erwähnten Gryffindors ordentlich was zu erzählen, würden sie ihn nicht akzeptieren. Und Draco wusste natürlich genau, dass es, wenn es denn so weit kam, nicht nur bei Worten bleiben würde. Umso mehr, hoffte er, dass sich seine Befürchtungen nicht als wahr herausstellen würden. Wenn Blase aber nicht bald aufhören würde, ihn anzustarren, dann würde er mal ein paar „Worte" mit ihm wechseln müssen.
Konnte Hermine nicht endlich kommen? Draco wurde noch wahnsinnig. „Jetzt zappel doch nicht so rum! Davon wird deine Traumprinzessin auch nicht schneller kommen.", Blaise stieß Draco leicht in die Seite. „Nenn sie nicht Traumprinzessin.", murrte Draco und stützte den Kopf auf seinen Händen ab. Dann würde er eben in Ruhe warten. Warten, warten, warten, warten – wieso kam sie denn nicht?!
Es kam ihm schon fast vor, wie eine Erscheinung. Die Tür zur großen Halle öffnete sich, die Morgensonne durchflutete ihr braunes Haar; erleuchtete ihr Haupt, wie ein Heiligenschein. Und da stand sie endlich – Hermine! Dracos Blich hob sich, sein Herzschlag verdoppelte sich. Hinter Hermine standen ihre Freunde, wie eine Leibgarde. Harry Potter, Ron Weasley und selbst die kleine Weasley - wie hieß sie noch gleich? - Ginerva Weasley, tauchten kurz nach ihr auf. Ebenso Neville Longbottom sah er hinter der kleinen Weasley die Halle betreten. Was hatte das zu bedeuten? Hatten sie etwa Angst, dass Draco Hermine schnappen und entführen würde? Oder am besten, gleich zu du–weißt-schon-wem persönlich bringen. Wie gerne würde er jetzt einfach zu Hermine gehen und einfach verschwinden. Weg von all den Problemen und Sorgen. Wenn es doch nur so einfach wäre.
Hermine fühlte sich beobachtet, als sie gemeinsam mit den anderen die große Halle betrat. Sie konnte nicht sagen, welche Blicke stechender waren, die von ihren Freunden oder Dracos. Als sie sich ihm zuwandte, starrte er sie mit solch einer Intensität an, dass es schon unangenehm war. Sie lächelte und nickte ihm leicht zu. Hermine hoffte, dass es ihn beruhigen würde.
Draco fühlte sich tatsächlich besser, nachdem er das Zeichen von Hermine erhalten hatte. Wenn Blase nur aufhören würde, ihn so anzustarren! Was erwartete er denn? Das er aufsprang und Hermine einen Heiratsantrag machte? Draco schüttelte den Kopf. An heiraten an zu denken war wohl doch etwas übertrieben. Was sein Vater wohl sagen würde, wenn...? Draco unterbrach sich selbst. Wieso musste er auch immer an seinen Vater denken?! Schnell hatte sich sein Hochgefühl nach Hermines Ankunft getrübt. Er wollte die Zeit Hermine niemals missen und hoffte, dass er noch viele schöne Moment mit ihr erleben durfte, doch... er wünschte sich einfach so sehr, dass alles wieder wie früher werden würde...
„Draco, ist alles in Ordnung mit dir?", Blaise tippte seinem besten Freund auf die Schulter.
„Klar, wieso nicht... Was soll denn sein?", fragte Draco matt zurück. Er sah Blaise nicht an, seinen Kopf hatte er wieder auf seine Hand gestützt, den Blick auf die Tischplatte gerichtet.
„Jetzt sag schon, was ist los? Sie hat dir doch eben zu genickt, ist das... ist das etwa kein gutes Zeichen?", Blaise hab nicht auf. Irgendetwas stimmt nicht mit seinem Freund und er wollte gefälligst wissen, was es war. „Doch, doch... ich denke schon."
„Draco... jetzt sag schon! Ich bin doch nicht blöd. Mit dir ist doch irgendetwas."
„Nein, es ist nichts."
„Natürlich ist etwas! Und ich will jetzt gefälligst wissen was. Vielleicht kann ich dir ja helfen!"
„Kannst du nicht okay? Außer du kannst mir mein altes Leben zurückgeben und das wirst du nicht können, oder?!", rief Draco plötzlich und fixierte Blase mit einem finsteren Blick. Dieser hoch beschwichtigend die Hände, ob den lauten Worten seines besten Freundes. „Wow, Draco, nein... ich, ich wollte doch nicht-", Draco schnitt ihm das Wort ab. „Blase, lass es einfach, ja?" Der gereizte Ton Dracos machte seinen besten Freund nur umso stutziger. Manchmal wünschte er sich, dass sein Freund einfach ein bisschen offener wäre. Wieso musste er seine Probleme immer in sich hineinfressen? Hatte er denn nicht gemerkt, wie gut es tun konnte, wenn man seine Sorgen mit jemandem teilte? Wenn er ihn sich so ansah, dann wohl nicht. Trotzig starrte er auf die Tischpatte, die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass es schmerzen musste. Blase wollte gerade etwas sagen, da sprang Draco plötzlich auf und stürmte aus der Halle. Nicht nur Blaise sah ihm verdutzt hinterher.
Schon eine ganze Weile hörte Hermine nicht, was ihre Freunde um sie herum besprachen. Bereits einige Minuten schnellte ihr Blick zwischen Draco und Blase Zabini hin und her. Draco hatte traurig gewirkt und plötzlich hatte er seinem Zimmergenossen nur noch böse Blicke zugeworfen und hinaus gelaufen. Sie wollte ihm so gerne hinter, aber was sollte sie den anderen sagen? Auch wenn sie es so gerne wollte, sie glaubte nicht, dass sie sie verstehen würden. Keiner wusste, was sie in den letzten Wochen zusammen durchgestanden hatten. Keiner von ihnen hatte seine tiefsten Momente miterlebt, die Verzweiflung, die Angst. Genauso wenig wusste sie von dem Herzklopfen, den Berührungen, den Küssen.
„Geh ihm hinterher, na mach schon!", wisperte Ginny plötzlich Hermine, in dem Vorwand nach dem Krug mit Kürbissaft zu greifen, ins Ohr. Hermine zögerte noch einen kurzen Moment, dann stand sie auf. „Ich muss noch wo hin, wartet nicht auf mich, ich komme dann in den Gemeinschaftsraum.", mit diesen Worten verabschiedete sie sich von den anderen und ließ ihnen gar keine Zeit mehr Fragen zu stellen, die sie jetzt einfach nicht beantworten wollte. Es gab für alles richtigen Moment und der, in dem sie erklären konnte, was zwischen Draco Malfoy und ihr vorging, war noch nicht gekommen.
Kurz nachdem Hermine das Frühstück verlassen hatte, tat Blase Zabini es ihr gleich. Er machte sich erst gar nicht die Mühe, jemandem zu sagen, wo er hinging. Ein, die meiste Zeit sehr grimmiger, Mann mit schulterlangem schwarzem Haar, legte die Stirn angestrengt in Falten. Zu gerne wüsste er, was da vor sich ging. Sein nachdenklicher Blick blieb natürlich nicht unbemerkt, Minerva McGonagall, die Lehrerin für Verwandlung und Hauslehrerin für das Haus Gryffindor, versuchte seinem Blick zu folgen, konnte sich aber keinen Reim auf das Verhalten ihres Kollegen machen. Sie dachte noch daran, ihn danach zu fragen, doch Severus Snape ließ seine Kollegin gar keine Zeit dafür. In einer geschmeidigen Bewegung hatte er sich von seinem Stuhl erhoben und verließ als vierter den Saal.
„Minerva, meine Liebe, weißt du was die Leute veranlasst, die Halle nach und nach fluchtartig zu verlassen? Ich hoffe, dass sich dies nicht fortsetzt, sonst sitze ich womöglich am Ende noch ganz alleine hier.", Minerva McGonagall schaute Albus Dumbledore mit fragendem Blick entgegen. Sie wüsste auch zu gerne, wieso Severus Snape so plötzlich verschwunden war, aber das würde sie natürlich nie zeigen. „Ich weiß es nicht, Albus.", war also alles, was sie dazu sagte, dabei sprachen ihre Gedanken so viel mehr. Das musste das mussten die anderen ja nicht unbedingt wissen.
„Draco, bleibt doch mal stehen!", Hermine hatte Mühe ihren Freund einzuholen. „Lass mich!", kam es unfreundlich von ihm zurück. „Draco! Was soll das?", noch immer versuchte sie verzweifelt ihn einzuholen, aber Draco hatte ein ordentliches Tempo drauf. Musste er auch immer vor allen Problemen gleich davonlaufen? So langsam reichte es Hermine aber, vom Ehrgeiz gepackt, sammelte sie alle Kräfte, die sie aufbringen konnte und schaffte es tatsächlich dem Slytherin den Weg zu versperren. „Bleib endlich stehen!", schrie sie ihm schon fast entgegen. Wenn es genug war, war es genug. Sie war doch nicht sein Kindermädchen, das ihm andauernd hinterher zu laufen hatte!
Hermine konnte deutlich sehen, dass Draco zusammenzuckte, ob ihrer lauten Worte, aber sie hatte wirklich keine Lust mehr auf das lästige Versteckspiel.
‚Jetzt bloß keine Schuldgefühle bekommen!', sagte sie sich und sah ihrem Gegenüber fest in die Augen.
„Sag mir, was los ist. Ich bin für dich da, aber hör endlich auf, vor deinen Problemen davon zu rennen! Hast du es denn immer noch nicht gelernt? Das löst sie nicht!", Hermine spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten. Es machte sie einfach alles so unglaublich wütend. Es machte sie wütend, dass dieser dämliche „dunkle Lord" sich einbildete alle Menschen auf dieser versklaven und töten zu dürfen, wie er ihm gerade passte. Es machte sie wütend, dass er sich gerade Lucius Malfoy als Opfer ausgesucht hatte, dass dieser es sich wiederum zum Ziel gemacht hatte, Voldemorts treuester Anhänger zu werden. Besonders wütend machte es sie natürlich, dass er die Entscheidungen seines Sohnes nicht akzeptierte, ihn für seine Entscheidungen bestrafte und seine Frau dazu brachte, sich gegen ihr Kind zu stellen. Und trotz ihres ganzen Verständnisses für seine Lage, war sie auch wütend auf Draco! Konnte dieser nicht endlich aufhören sich wie ein kleines Kind vor der Welt zu verschließen? Merkte er denn nicht, dass es nichts half, die beleidigte Leberwurst zu spielen? Draco musste endlich lernen, seine Situation, die er nun einmal nicht ändern konnte, zu akzeptieren, statt sich einfach aufzugeben und in Selbstmitleid zu versinken.
„Merkst du denn nicht, dass es deine Lage nur verschlimmert? Rede mit mir! Wir finden eine Lösung-" „Die finden wir nicht! Oder kannst du meinen gestörten Eltern dazu bringen ihre verbohrte Meinung zu ändern?!", Draco fiel Hermine grob ins Wort und funkelte sie nun gerade zu herausfordernd an. „Ihr Gryffindors macht es euch wirklich leicht! ‚Komm wir reden darüber, finden wir eine Lösung, alles wird gut, so lange wir zusammenhalten. Ja, wir sind ein Team, Freunde! Wir wollen Frieden!', zum kotzen ist das! Ihr und euer scheiß Helfersyndrom!"
„Jetzt halt aber mal die Luft an! Erstens denken wir so nicht und zweitens haben wir dieses Gespräch bereits am Anfang der Ferien geführt, wenn du dich erinnerst. Sind wir wirklich kein Stück vorangekommen? Wenn dem so ist, dann tut es mir leid, dann sollten sich unsere Wege genau hier wieder trennen! Auf so einen Quatsch habe ich wirklich keine Lust und meine Zeit ist mir dafür wirklich zu schade.", Hermine war so sauer, wie vermutlich noch nie in ihrem Leben. Aufgebracht drehte sie sich auf dem Absatz um und war schon daran, davon zu stürmen, also es nur noch Dracos kalte Hand war, die sie davon abhielt. Hermine schnaubte. Was wollte er denn jetzt noch?
„Trennen?", mehr als einen Flüsterton brachte Draco in seiner Verzweiflung nicht zustande. Wieso wollte sie sich denn nun so plötzlich von ihm trennen? Er hatte ihr doch nichts getan, er... er wusste einfach nicht mehr weiter. Er hatte doch schon alles verloren, wenn er Hermine nun auch noch verlor, was blieb ihm denn dann noch? Wenn Hermine ihn verließ, dann gab es keinen Grund mehr... nichts mehr, dass ihn halten konnte. Sie durfte ihn nicht alleine lassen. Sie durfte nicht gehen! „Hermine, bitte! Ich tue alles, was du willst. Bitte, verlasse mich nicht. Bitte!", die letzten Worte hatte er schon nur noch mit Mühe halbwegs deutlich hervorbringen können, so sehr war er schon nach den ersten Worten von Schluchzern durchschüttelt worden. Mit der letzten Bitte war Draco auf seine Knie gefallen und hatte sich verzweifelt an Hermines Hände geklammert. „Bitte..."
Erschrocken starrte Hermine zu Boden, wo Draco mit gesenktem Haupte saß und ihre Hände so fest hielt, dass es wehtat. Augenblicklich taten ihr ihre harten Worte leid. Wie hatte sie auch nur für einen Moment glauben könnten, dass sie ihm solche Worte an den Kopf schmeißen könnte? Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihm so etwas zu sagen? War sie denn von allen guten Geistern verlassen? Diesen Schock würde Draco schlimmsten Falls noch für die nächsten Wochen und Monate mit sich tragen. Sie wollte ihn doch gar nicht verlassen. Merlin, sie liebte ihn doch! Natürlich Dracos Worte hatten sie verletzt; er hatte sich gemein verhalten und sie bewusst verletzen wollen, aber sie war daran natürlich nicht ganz unschuldig. Sie wusste, dass er Probleme hatte, wusste durch sein Fortlaufen, dass es ihm etwas in diesem Moment besonders zu setzte und trotzdem hatte sie versuchen müssen, ein klärendes Gespräch mit ihm zu führen. Manchmal konnte sie selbst nicht glauben, wie sie nur wenige Moment zuvor so blöd hatte sein können. „Draco, bitte steh auf.", sagte sie leise und versuchte angestrengt ihre Haltung zurück zu erhalten. Es reichte, wenn einer von ihnen weinte. Innerlich seufzend hatte sie schon vor längerem verstanden und akzeptiert, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis sie die Schwache sein konnte. Jetzt war sie die Starke und wie es aussah, würde sie die auch noch einige Zeit sein müssen. Draco hatte sie nicht bewegt und saß immer noch, Hermines Hände fest umklammernd, auf seinen Knien. Sein Griff tat so weh, dass Hermine versucht war ihm ihre Hände zu entziehen, aber das würde die Situation wohl nur noch verschlimmern. Jetzt hieß es taktisch vorzugehen und bloß nicht unüberlegt zu handeln. Hermine wusste nicht viel über die Psyche des Menschen, aber ihr war klar, dass in solch einem Moment jedes falsche Wort zu einem Problem werden konnte. Vorsicht war geboten, wie bei einem wilden Tier.
„Draco, bitte steh auf." Hermine versuchte noch einmal Dracos Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dieses Mal sah er tatsächlich auf, machte aber noch immer keinerlei Anstalten seine Position zu lösen, um mit ihr von Angesicht zu Angesicht zu reden. Hermine wollte aber auf keinen Fall von oben auf ihn herunter reden. Kurzerhand ging sie ebenfalls in die Knie. „Hör mir mal zu. Es tut mir Leid, okay? Ich habe überreagiert. Verstehst du? Ich meinte das nicht so. Ich bin einfach nur ausgeflippt.", langsam löste sie ihre Hände aus Dracos eisernem Griff. Dabei strich sie aber immer wieder über seinen Handrücken. Nie löste sie sich vollkommen von ihm, ein Kontaktpunkt blieb immer. Sie wusste nicht, wie sie ihm anders zeigen sollte, dass er keine Angst haben musste. Sanft hauchte sie einen Kuss auf die Handfläche seiner rechten Hand. „Alles ist gut.", sagte sie leise und ruhig. „Ist es in Ordnung, wenn wir wieder aufstehen?", fragte sie schließlich und hoffte, dass Draco sich fürs erste wieder beruhigt hatte. Er nickte und Hermine atmete sie erleichtert aus.
Blaise musste sich erst einmal setzen und wusste dabei nicht, dass es einem gewissen Tränkemeister ähnlich ging. Was war da gerade geschehen? Hatte er gedacht am gestrigen Abend seinen tiefsten Moment miterlebt zu heben, so hatte er sich gewaltig geirrt. So etwas hatte er noch erlebt oder gesehen. So viel Verzweiflung und Schmerz. Blaise hatte schon mit mehr als einem Mädchen Schluss gemacht und keines von ihnen hatte so reagiert, und dafür war er, nachdem er so einen Zusammenbruch gesehen hatte, mehr als dankbar. Blaise erkannte seinen besten Freund gar nicht mehr wieder. Von dem starken, arroganten Jungen mit der steinernen Maske, die seine Emotionen verbarg, war kaum etwas übrig geblieben. In seinem Streit mit Hermine hatte er ihn für einen kurzen Moment wiedererkannt, aber wenn er sich an die letzten Minuten erinnerte, so hatte er das Gefühl, dass es den Jungen, den er zu Beginn der Ferien am Gleis 9 ¾ verabschiedet hatte nicht mehr gab. Ob es besser so war, wusste er noch nicht.
Severus Snape saß er der Schreck noch in den Knochen. Wenn er auch mit vielem gerechnet hatte, so etwas hatte er nicht erwartet. Severus sah tagtäglich Menschen verzweifeln - bevorzugt seine Schüler im Zaubertränkeunterricht -, Paare sich trennen – ebenfalls sehr häufig Schüler deren Beziehung ohnehin nie einen Sinn gehabt hatte -, aber solch eine Reaktion auf eine mögliches Beziehungsaus hatte er noch nie erlebt. Und am wenigsten erwartet, hätte er es von seinem sonst so kontrollierten Patensohn. Er musste dringend noch einmal mit ihm sprechen, so ging das nicht weiter.
Das war doch einfach lächerlich. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Hatte er sich in den letzten Wochen zu solch einem emotionalen Frack entwickelt, dass er wegen jeder Kleinigkeit und jeder Unsicherheit sofort in Tränen ausbrechen musste? Draco fand sich selbst einfach nur noch peinlich. Wie konnte so etwas passieren? In so wenigen Wochen konnte ein Mensch sich doch nicht so sehr verändern... oder doch? Draco biss sich auf die Unterlippe. Er war es leid, das Opfer zu spielen; er musste endlich wieder lernen, ein normaler Mensch zu sein. Früher hatte er jeden verachtet, der seine Gefühle offen zeigte. Wenn er ehrlich war, dann verachtete er es immer noch. Er mochte es nicht, dass der Mensch seine Gefühle immer nach draußen tragen musste und umso mehr schätzte er dessen Fähigkeit, dies zu verhindern. Draco konnte sich schon fast vorstellen, wieso er so empfindlich geworden war. Nach all den Jahren des Versteckens und des Überspielens nutzte seine Psyche, sein Körper, sein Geist – er wusste es doch auch nicht – jede sich bietende Gelegenheit, den aufgestauten Emotionen freien Lauf zu lassen. Vielleicht war es richtig gewesen, dies für eine Weile zu zulassen. Draco hatte schon von Menschen gehört, die durchgedreht waren, weil sie sich ihren Mitmenschen einfach nicht mitteilen wollten. Er hatte dies meistens damit abgetan, dass es sich vermutlich um Muggel handelte und die waren doch sowieso ein schwacher Abklatsch ihres gleichen. Draco hätte sich ohrfeigen können, wie hatte er nur jemals solch dumme Gedanken haben können? Er musste nicht lange überlegen, um zu dem Schluss zu kommen, dass er genau wusste, woher sein rassistisches Denken kam. Sein Vater. Natürlich.
Draco hätte es, hätte man ihn vor all den Ereignissen der vergangenen Wochen gefragt, niemals für möglich gehalten, dass Auswirkungen so weitläufig sein könnten. Natürlich hatte er gewusst, dass es nicht leicht sein würde, ein guter Mensch zu werden. Diese Vorstellungen und Gedanken waren nun einmal da, und ließen sich nicht einfach so verbannen und aus dem Gedächtnis löschen. Viel mehr musste er sie korrigieren, um endgültig zu verstehen, wie falsch seine Annahmen doch waren. Draco wusste, dass es nie mehr so ein würde, wie früher. Dass er nie mehr so sein würde, wie früher, aber das wollte er auch gar nicht. Mittlerweile hatte er eingesehen, dass er viel zu leichtgläubig gewesen war, wenn es um seinen Vater ging. Hätte er alles doch schon viel früher hinterfragt, dann hätte er sich viele seelische Qualen sparen können. Nun war dem aber so, Draco musste es irgendwie schaffen, aus seinen Fehlern zu lernen und sein vergangenes Ich hinter sich zu lassen. Hermine würde ihm eine Hilfe sein, aber er durfte sie auch nicht überbeanspruchen, sie nicht überfordern. Er durfte es nicht zulassen, dass sie sich mit seinen Problemen auseinandersetzte. Sie sollte nicht leiden müssen, nur weil er erst nach vielen Jahren, kurz vor dem aus, verstanden hatte, was es hieß, auf der bösen Seite zu stehen. Und genau deshalb, weil er Hermine nicht überfordern wollte, sie nicht ausnutzen und quälen wollte, fasste er einen Entschluss. Es musste aufhören! Das Weinen, das Schreien, die Verzweiflung – all das musste augenblicklich ein Ende finden; hier und jetzt. Hermine war lang genug die Starke von ihnen beiden gewesen, nun war es genug, jetzt war es an ihm, der Starke zu sein. Hermine hatte bestimmt Ängste und Sorgen, die sie aber nicht mit ihm teilte, weil sie immer zu fürchten musste, dass er es nicht verkraften würde. Dumme Gefühle, dumme Schwächen, dummer Draco! Arrg – es war zum Haare raufen, es musste einen Weg aus dem Elend geben – es musste!
Sie wüsste zu gerne, was er dachte. Hermine sah nun schon seit einigen Minuten immer wieder zu Draco hinüber, aber er schien so in seinen Gedanken versunken, da wollte sie ihn nicht stören. Nach dem Schock hatten sie beide wohl eine Pause gebrauch, um das alles erst einmal zu verarbeiten. Hermine glaubte aber, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, dass es nichts helfen würde, darüber nachzudenken. Was würde passieren? Sie würde sich in ihren Gedanken verstricken, bis sie schließlich selbst nicht mehr wusste, wo sie begonnen hatte. Wieso war das alles auch so kompliziert? Damit hatte sie nicht gerechnet, als sie Draco ihre Hilfe anbot. Wer weiß, was wäre, wenn sie es gewusst hätte, vielleicht hätte sie es doch nicht getan. Vielleicht hätte sie es genau deshalb getan, weil sie wusste, dass er es ohne ihre Hilfe nicht schaffen würde. Es half aber nichts, jetzt hatte sie es nun einmal getan, Hermine steckte mitten drin und bekam es so langsam mit dem Gedanken zu tun, dass sie versagen könnte.
Schwach war Hermine noch nie gewesen, das lag nicht in ihrer Natur, dazu war sie zu stur und eigensinnig. Aber die letzten Jahre waren nicht leicht gewesen. Seit dem Beginn ihres ersten Schuljahres in der Zauberschule Hogwarts, hatten sich Steine in ihren Weg gelegt, als wolle eine höhere Macht sie unbedingt dazu bringen, in die Knie zu gehen und aufzugeben. Ans Aufgeben hatte Hermine dabei aber niemals gedacht, sie hatte immer gekämpft und es mit viel Mut und Kraft auch immer geschafft, dass Hindernis zu überwinden. Nun stand sie aber vor einem Rätsel. Hermine kannte Draco einfach noch nicht lang genug, um sich einzubilden, sie würde ihn wirklich verstehen. Bildete sie sich doch, wenn auch nur für einen kleinen Augenblick, ein, sie wüsste, was er als nächstes tun würde, würde sein Denken wirklich verstehen, dann zeigte ihr Draco sofort wieder das Gegenteil, als wolle er ihr sagen: Nichts hast du verstanden, rein gar nichts! Der Schrei in Hermines Kopf wurde immer lauter. Sie brauchte einen Fortschritt, ein Zeichen dafür, dass es richtig war, was sie da tat. So langsam kam ihr der Verdacht, dass es nicht richtig war, Draco so in seiner Verzweiflung aufgehen zu lassen. Sie hatte geglaubt, dass es eine Etappe war, die sie erreicht hatte. Eine Etappe, die ihr half auf ihrem Weg zum Ziel. Doch der Traum eines sich öffnenden Dracos verwandelte sich immer mehr in den Albtraum eines am Boden zerstörten Dracos, der seine Würde von sich stieß und tatenlos dabei zu sah, wie sie in seiner Verzweiflung versickerte, bis er jegliche Selbstachtung verlor. Glaubte er wirklich, dass es das war, was er werden sollte? Dass es das Ziel war, keine Eigenständigkeit mehr zu besitzen? Hermine hoffte, dass es so weit noch nicht gekommen war.
An diesem Tag sprachen Draco und Hermine nicht mehr miteinander. Während Hermine sich ins Badezimmer verzog, um wenigstens irgendetwas zu tun zu haben, schlüpfte Draco aus dem Zimmer, sodass Hermine, als sie wiederkam, alleine im Zimmer war. Sie verzog sich in die Bibliothek, erschien nicht zu den Mahlzeiten und legte sich früh in ihr Bett, zog die roten Vorhänge zu und fand zu ihrer Erleichterung schnell in den Schlaf.
Draco hatte es nicht ganz so einfach. Auf seinem Weg in die Slytherinräume wurde er zunächst von seinem Patenonkel und Hauslehrer Severus Snape aufgehalten und später, als er endlich im Schlafsaal seines Jahrgangs ankam, auch noch von Blaise, zwar nicht, wie er befürchtet hatte, mit Fragen gelöchert, aber sehr wohl nicht mehr aus den Augen gelassen. Unter Blaise' wachsamen Augen ging aber auch er früh zu Bett; schlafen konnte er allerdings nicht.
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