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Mir fiel erst ein, dass an diesem Abend über unser Interview bei Backs Presseagentur im TV berichtet werden sollte, als Costa längst zu seinem Date auf und davon war. Aus diesem Grund sah ich es mir alleine an.
Während ich auf unseren Beitrag wartete und den Ton auf zwei heruntergeschaltet hatte, klickte ich auf der Instagram-Seite auf Registrieren. Ich hatte niemals zuvor einen Account gehabt, da ich es nie für nötig gehalten hatte. Wieso auch? Um für den Candy-Shop Werbung zu machen? Das hätte höchstens fünf neue Kunden eingebracht.
Aber nun war es anders. Die Menschen wollten mehr von uns. Von Vasta. So nannte ich den Account schließlich auch. In die Infobox schrieb ich in fett gedruckter Schrift: Mädchen und Jungen können nur Freunde sein! Zuletzt grübelte ich noch über ein passendes Profilbild nach, was unsere Gesichter nicht zeigen würde.
Ich wurde abrupt unterbrochen, als der Moderator der Sendung im blauen Anzug die Rede eröffnete. „Seit einigen Tagen gehen zwei Teenager aus Rostock durch ganz Social Media aus der Region: Valeria Newton und Konstantin Griffin. Doch wer sind diese jungen Menschen, die für Freundschaft zwischen Jungen und Mädchen werben? Wir sind dank der Presseagentur Rostocker Blatt an Infos gekommen." Sofort sprang ein neues Fenster auf und Rebekka, die rechte Hand von Christian Grebner, die uns interviewt hatte, erschien auf dem Bildschirm. Zusammen mit dem Moderator hielt sie einen knackigen Monolog über alle Aussagen, die Costa und ich bei ihr getätigt hatten und ließ dabei nichts aus.
Der Artikel, wie ich erfuhr, war auf den Namen Vasta geht durch die Decke getauft worden und gab es nun auch im Internet zum Nachlesen. Mit einem Ohr am TV klickte ich mich durch das Internet und begutachtete die Aufrufzahlen des Artikels: schon fast 1.100. Gar nicht schlecht für den Anfang.
Zum Schluss der Sendung kamen Rebekka und der Moderator auf das Thema Social Media und welche Pläne wir uns vorstellen könnten. Als Abschluss verkündete der Mann in Blau: „Es wird also bald einen Account von Vasta geben. Wir können gespannt sein, wann er auftauchen wird."
„Bin schon dabei", sprach ich in Richtung meines iMacs, als könnte er mich hören. Mit einem letzten Klick bestätigte ich, dass ich den Account wirklich öffentlich machen wollte. Und zack: schon war er da. Ein einfacher Instagram-Account.
Schon in den ersten fünf Minuten bekam mein Handy sich vor lauter Vibrationen nicht mehr ein. Ich unterließ es aber, den Ton ganz auszustellen. Dafür war das Gefühl des Erfolgs bei jedem Geräusch zu gut. Leider konnte ich dieses Gefühl nicht mit meinem besten Freund teilen, der es genauso verdient hatte. Ich schluckte, als Costa mir in den Sinn kam. Was er wohl gerade tat? Nein, darüber würde ich jetzt nicht nachgrübeln. Schlimm genug, dass ich den Weg zu mehr Aufmerksamkeit an diesem Abend alleine gehen musste.
Ich steckte mir also die In-Ear-Hörer in die Ohren und klickte wahllos auf eine Playlist, die YouTube mir vorschlug. Sofort erklang der Song Self Control von Laura Branigan, den ich mitsummte, als ich den Fernseher ausschaltete. Das Wetter interessierte mich kein bisschen, das nach dem Interview mit Rebekka aufgetaucht war.
Langsam stand ich auf und stellte den iMac auf dem Schreibtisch ab. Im Dunkeln schlich ich durchs Haus ins Badezimmer. Es war still und sowohl meine Eltern als auch Emi mussten schon schlafen. In Zoes Zimmer brannte noch Licht und ich nahm mir vor, auf dem Rückweg eine gute Nacht zu wünschen, doch als ich nach zehn Minuten wiederkam, war es dunkel.
Die Dunkelheit hatte mir eigentlich noch nie wehgetan. Im Gegenteil: sie hatte auf mich immer beruhigend gewirkt und befreite mich von dem täglichen Lärm um mich herum. Aber heute kam sie mir wie eine Qual vor. Zu wissen, dass Costa gerade irgendwo mit Hannah war und ich nicht wusste, wie es ihnen ging. Ob Hannah ihm schon das Herz gebrochen hatte, indem sie ihm offenbart hätte, dass sie kein Hundefreund wäre. Oder ob Costa sich vor ihr so sehr blamiert hatte, dass sie nie wieder etwas von ihm wissen wollte.
Die Gedanken ließen leider auch nicht nach, als ich ins Bett stieg und mir die Decke bis ans Kinn hochzog. Vielleicht saßen sie auch gerade auf einem Dach und schauten in die Sterne. Wie kitschig. Wenn ich irgendwann mal einen Freund haben sollte, würde ich ihm klar und deutlich mitteilen, dass ich nichts für Romantik übrig hatte. Selbst wenn es ihn verletzen würde.
Mein Finger stellte das Handy auf stumm und ein Blick auf die Benachrichtigungen verriet mir, dass uns schon über zweihundert Menschen folgten. Ich hätte niemals erwartet, dass sich nur ansatzweise so viele Menschen für unsere Message interessieren würden. Mit diesem Gedanken sank ich in die Traumwelt ein.
Am nächsten Morgen wäre ich beinahe zu spät zur Schule gekommen, da ich vergessen hatte, den Wecker zu stellen. Glücklicherweise wusste mein Kopf, wann er mich zu wecken hatte. Das war das einzig gute an der täglichen Schulroutine.
Hastig zog ich mir Kleidung an und putzte mir die Zähne. Alle aus meiner Familie waren schon aufgebrochen und mussten denken, ich wäre bereits mit Costa losgefahren. Erst als ich gerade die Garage aufschließen wollte, um mein Fahrrad rauszuholen, nahm ich Costas Nachricht zur Kenntnis.
Hey, ich werde später zur Schule kommen. Muss noch etwas erledigen.
Mein Magen zog sich zusammen, als ich das las. Costa kam nie zu spät zur Schule. Und überhaupt: wann hatten wir aufgehört, uns die komplette Geschichte zu erzählen. Was musste er noch so dringendes erledigen, dass er deshalb ein Teil des Unterrichtes verpassen würde? Hatte es mit Hannah zu tun? Ich wettete es. Was auch immer gestern Abend vorgefallen war, getrennt hatten sie sich bestimmt nicht. Vielleicht war das Gegenteil der Fall. Egal, was es zu erledigen gab, solange ich denken konnte, waren Costa und ich immer zusammen zur Schule gefahren. Höchstens eine Krankheit hatte das verhindert. Aber dann wusste der andere immer darüber Bescheid, was Sache war. Diese Ungewissheit konnte er mir echt nicht antun.
In mir kochte die Wut hoch, sodass ich unbewusst extra fest in die Pedalen trat. Das war der Dank für unsere Freundschaft? Alles war gut zwischen uns gewesen, bis Hannah hereingeschneit gekommen war. Was, wenn es noch schlimmer werden würde? Irgendwann würden wir beide vielleicht gar keine gemeinsame Zeit mehr haben und- Atmen, Val, atmen. Das tat ich dann auch, was damit endete, dass ich durch eine verschluckte Fliege einen Hustenanfall bekam.
Als wäre das nicht alles schon ein toller Start in den Morgen, kam mir auch noch ein fremder Typ entgegen, als ich das Rad abstellte. Ich kannte ich vom Sehen her, hatte ihn aber noch nie sprechen gehört, geschweige denn seinen Namen. Er musste in meinem Jahrgang sein.
„Hey, Valeria, Schätzchen. Was hältst du von mir?" Er machte eine Geste und zeigte auf seinen Körper. Seine Kumpels hinter ihm kicherten wie kleine Fünftklässler. Hätte er es nicht anders verdient, würde es mir spätestens in fünf Stunden leid tun, dass er mein ganzes hitziges Temperament, abbekommen hätte.
„Was ich von dir halte? Abstand. Ganz klar." Ich schnappte mir die Tasche und ließ ihn stehen. Er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Ich hätte noch etwas nachwerfen sollen, um ihm diesen Geschmack zu vermiesen, aber ich hielt mich zurück. Es musste nicht noch schlimmer werden. Letztes Mal war ich schließlich im Büro des Direktors gelandet.
Im Klassenraum war Costas Platz leer. Wieso auch nicht? Ich sollte mir keine unnötigen Hoffnungen machen.
Ich dachte einen Moment darüber nach, ob ich auf seine Nachricht antworten sollte, entschied mich aber dann dagegen. Offene Konfrontation ließ keinen Platz für schlechte Ausreden. Gott, was war nur in mich gefahren? Costa würde mir niemals eine Ausrede auftischen. Ich strich mir über die Stirn.
„Wo hast du Costa gelassen?", fragte Henrik mich, als ich mich auf den Stuhl sinken ließ.
„Ich habe keine Ahnung", antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Was soll das heißen?"
„Das ich es nicht weiß. Er drückt Hannah vermutlich gerade einen Kuss auf die Lippen."
„Du meinst Hannah? Die Hannah, Chefredakteurin der Schulzeitung?"
„Ja, genau die. Hat Costa dir noch nicht erzählt, dass er sie seit kurzem datet?"
Er schüttelte mit dem Kopf und wusste nicht so recht, ob er vor Freude lächeln oder sich vor Wut darüber beschweren sollte, dass er der letzte war, der etwas davon erfuhr.
„Und er hat dir nichts weiter gesagt?"
„Nur dass er noch etwas Wichtiges zu erledigen hätte und er später käme." Ich platzierte meinen Collegeblock auf dem Tisch, als wäre alles wie immer. Innerlich brannte weiterhin das Feuer.
Als die Stunde begann, konnte ich mich kein bisschen auf den Unterricht konzentrieren. Es war schlimmer als an normalen Tagen, an denen ich zumindest die Hälfte mitbekam. Mein Blick verweilte ohne Pause auf der Tür und hoffte, dass sie sich in der nächsten Sekunde öffnen würde.
Selbst, als ich ohne Vorwarnung drangenommen wurde und irgendwas über die DNA-Stränge sagen sollte, waren meine Gedanken ganz woanders, sodass dem Lehrer nichts anderes übrig blieb, als jemand anderen zu fragen.
Die Zeit verging. Fünf Minuten, zehn, zwanzig. Und keine einzige Spur von Costa. Ich schmiedete bereits Pläne, mit der Ausrede aufs Klo zu müssen, zum Computerraum zu verschwinden und nachzusehen, ob jemand dort war, der etwas von Hannah gehört oder gesehen hatte. Ich brauchte Klarheit, ob er mit ihr irgendwo irgendwas trieb, was mein bester Freund später bereuen könnte.
Kaum hatte es geklingelt, stieß ich die Tür auf und verschwand im Flur. Am Raum angekommen, ballerte ich gegen die Tür, da sie verschlossen war. Nichts zu hören, keine Reaktion. Da war ganz sicher niemand drinne. Ich ging zurück.
Und auf dem Weg ins Klassenzimmer, lief ich beinah in Costa hinein, der Hände haltend mit Hannah durch die Eingangstür kam. „Hey", sagte er, als würde alles okay sein. „Hallo Costa, hallo Hannah." Ich schaute erst in ihre, dann in seine Augen. „Könnte ich dich einen Moment sprechen? Unter vier Augen?"
Costa löste sich und konnte seine Augen nicht von Hannah abwenden. Erst als wir um die Ecke gelaufen waren, konnte er mich wieder ansehen.
„Hallo?", sang ich im genervten Tonfall: „Seit wann sagen wir uns nicht die ganze Wahrheit?"
„Was meinst du? Ich hab dir doch geschrieben, dass-", begann er, doch ich schnitt ihm das Wort ab.
„Ich hab noch was zu erledigen? Ernsthaft? Das hätte jeder schreiben können, okay? Ich will Details erfahren. Das sieht dir nämlich nicht ähnlich. Woher soll ich wissen, dass das nicht dein Mörder geschrieben hat, der deinen leblosen Körper in seinem Keller aufbewahrt?"
Er brauchte einen Moment, um sich zu fassen. Er wusste offensichtlich nicht, was er dazu sagen sollte.
„Es tut mir leid, okay?"
Ich ignorierte seine Entschuldigung und fuhr stattdessen fort: „Ihr habt es hoffentlich nicht zu schnell angehen lassen. Ich bin noch nicht dazu gekommen, dich über die Risiken aufzuklären, die man leider unter der rosaroten Brille schnell vergisst." Ich schaute an Costa vorbei zu Hannah, die irgendwas auf ihrem Handy tippte. Womöglich notierte sie sich neue Ideen für ihren nächsten Artikel oder sie erzählte ihrer besten Freundin gerade von dem schönsten Date ihres Lebens.
„Es ist nichts passiert", widersprach Costa und schaute mich mit unverständlichem Gesicht an: „Wir haben gestern Abend nur noch im Park gesessen und haben lange geredet. Danach war ich so platt, dass ich heute Morgen noch ein wenig liegen geblieben bin und mit Hannah geschrieben habe. Tut mir leid, aber gerade du solltest das verstehen."
„Ja, ja, ich freue mich ja für dich, Costanova", der Name war mir zufällig in den Sinn gekommen: "Aber geh's bitte nicht zu schnell an. Hannah wird womöglich deine erste feste Freundin sein. Da neigt man schnell dazu, zu schnell zu handeln und das wird sie eher abschrecken. Glaub mir. Ich will dich nur unterstützen."
„Ja und ich weiß das auch zu schätzen. Aber im Ernst. Ich weiß, was ich tue."
„Okay."
„Okay?"
„Habt ihr euch schon geküsst?", hakte ich nach. Nicht aus Eifersucht, keines Falls, viel mehr um zu wissen, ob wir uns darüber freuen sollten.
„Nein, noch nicht. Aber wir haben uns vorne am Eingang getroffen und sie hat meine Hand ergriffen."
„Das ist schön. Schön für euch beide. Dann geh mal lieber wieder zu ihr. Du solltest sie nicht zu lange warten lassen."
Als ich unkontrolliert meine Hand auf seinen Oberarm legte, nickte er mir zu und ging zu ihr zurück. Was war das denn gerade gewesen?
Ich folgte ihm und wandte mich dann direkt an Hannah, die ihren Blick vom Bildschirm löste.
„Danke nochmal für den Vorschlag mit dem Bloggen. Ich habe es gestern in die Tat umgesetzt."
„Habe ich gesehen", sagte sie und hielt dabei ihr Handy in die Luft: „Glückwunsch. Euch beiden. Das Instagram-Profil scheint gut anzukommen."
„Ja, stimmt." Hannah schaute mir auf eine gewisse gruselige Weise in die Augen. Ich hätte schwören können, dass sie mich angefunkelt hatte.
„Wartet. Welches Profil?"
„Deine beste Freundin hat gestern Instagram für euch entdeckt", beantwortete Hannah für mich die Frage.
„Oh nein. Die Nachrichtensendung! Ich habe sie gestern verpasst. V, das tut mir echt leid." Er legte die Hände an seinen Mund und kniff die Augen zusammen, als würde er einen Schlag ins Gesicht abbekommen haben.
„Macht nichts. Alles im grünen Bereich. Du hast nicht wirklich viel davon verpasst. Es ging nur um das, was wir Rebekka an Informationen gegeben haben."
„Ja, wir sollten dann mal in den Unterricht gehen", unterbrach Hannah plötzlich und zerrte Costa mit sich. Ich wusste nicht, was nicht stimmte, aber irgendetwas machte mich kirre an ihr. Vielleicht war es auch nur die Angst, dass sie Costa von mir fortreißen könnte. Egal, was es war. Ich musste es unter Kontrolle bekommen. Da durfte nichts zwischen uns stehen.
Dennoch war ich beruhigt, als Costa und ich in unsere Klasse gingen und Hannah in ihre. Dass wir in Parallelklassen waren, gefährdete nicht Costas Aufmerksamkeit im Unterricht und damit meine Nachhilfe in Mathe.
Die Pause dauerte noch fünf Minuten an, nachdem Henrik, Josh und Niels ihn auch begrüßt hatten. Er wandte sich schließlich an mich und zwinkerte mir zu.
„Was?", fragte ich etwas amüsiert: „Hat Hannah deine ganze Welt verdreht?"
„Darum geht's nicht. Ich will dich etwas Wichtiges fragen."
Mein Herz setzte für einen Moment aus. Was war so wichtig? Wieso rückte er nicht einfach mit der Sprache raus?
„Na, sag schon".
„Willst du mein Auto haben, wenn ich die Motorradprüfung absolviert habe? Ich brauche die Schrottkiste dann nicht mehr. Ich dachte nur für unsere Rituale und für-"
„Ist das dein Ernst? Natürlich! Das klingt perfekt. Danke, danke, danke!" Ich umklammerte ihn so sehr, dass ich ihn beinah vom Stuhl schubste. Ich wusste zwar schon längst, dass er sein Auto verkaufen wollte, aber an mich? Das war besser als Weihnachten. Künftig würde ich ihn öfter zum Ritual abholen kommen, als er mich. Ich konnte mein Glück nicht in Worte fassen.
Dann begann die nächste Stunde und der Tag zog sich hin. Aber ich hatte immer nur Costas Auto im Kopf. Lustig, wie sich die Stimmung von Wut in Freude bei ein- und derselben Person innerhalb von Minuten wandeln konnte.
Am Abend bestand Costa darauf, mich zu besuchen, um meine Arbeit bei Instagram zu begutachten.
„Danke V, für die Arbeit. Ich hätte dir wirklich geholfen."
„Kein Problem. Du hattest wichtigeres zu erledigen. Um ehrlich zu sein, wärst du dabei keine große Hilfe gewesen. Es war schon schwer genug für mich, der unendlichen Suche nach einem passenden Profilbild zu widerstehen."
Er lachte und schüttelte mit dem Kopf.
„Ich hatte mit Hannah zwar gestern viel Spaß, aber das hat mich dennoch nicht davon abgehalten, an dich zu denken. Ich meine, an unsere Abende, wie jetzt."
„Ja, um ehrlich zu sein: ich auch. Aber wir haben es überlebt, nicht wahr? Und du bereust es nicht. Das ist ein guter Grund sich zu freuen."
Er nickte. Für einen Moment war Ruhe. Dann ergriff er nochmal das Wort und fuhr sich durch das kurze Haar: „Ich finde, wir sollten diese leere Seite mit einem Beitrag füllen. Das wirkt so traurig mit zweihundertdrei Followern und keiner einzigen Spur von uns."
„Du hast recht. Was wollen wir posten?" Da wir beide nie zuvor mit Social Media gearbeitet hatten, entschieden wir uns für einen schlichten weißen Hintergrund mit der Schrift Wir sind zurück - und diesmal mit regelmäßigen Updates. Darunter informierten wir über unsere Motivation und unsere Hoffnungen, möglichst viele Menschen damit zu erreichen. Praktisch war es der gleiche Text wie in dem Zeitungsartikel, nur eingekürzt.
Als ich auf Posten klickte, jubelten wir leise. „Jetzt heißt es abwarten", sagte Costa und holte sein Handy aus der Tasche, um den Song Final Countdown von Europe anzumachen. Ich lachte und lehnte mich an seine Schulter. Genau so hätte es gestern Abend sein sollen, als ich den ersten Schritt auf den Planeten Instagram gesetzt hatte.
Schon in den ersten zehn Minuten nach dem Post kündigten sich lauter Herzen und Kommentare an. Die meisten sendeten uns Luftschlangen- und Raketenemojis und schienen den Start genauso zu feiern wie wir. Einige Kommentare jedoch waren auch noch von Forderungen gefüllt, dass wir doch bitte ein Paar werden sollten. Diese ignorierten wir gekonnt. Ich klappte den iMac zu.
„Gut gemacht." Costa hielt mir ein High Five hin, das ich erwiderte. „Danke."
„Lust auf eine kleine Runde?", fragte er schließlich aus dem Nichts.
„Jetzt noch? Es wird gleich dunkel." Ich schaute aufs Display meines Handys. Halb acht.
„Klar. Was macht es schon, wenn es etwas dunkel ist?" Costa zwinkerte mir verstohlen zu.
„Okay, dann los." So ganz überzeugt klang ich noch nicht, da ich genau wusste, wo er lang wollte. Als dann auch noch Emi aus ihrem Zimmer gesprungen kam und nach unserem Plan fragte, war es dann endgültig aus mit meiner positiven Energie.
„Hey Kleines. Wir wollen spazieren gehen." Costa bückte sich zu ihr herunter, um mit ihr auf einer Augenhöhe zu sein. Sie quietschte auf. Komisch, dass er keinen Zentimeter bei dem Lärm zurückwich, geschweige denn das Gesicht verzog.
„Darf ich mitkommen? Bitte, bitte, bitte." Quengelnd klammerte sie sich an sein Bein, wie eine lästige Klette.
„Nein, du musst gleich ins Bett. Außerdem wollen wir alleine sein", erklärte ich mit genervter Stimme.
Bevor Costa einhaken konnte, brüllte Emi nach unserer Mutter. Ich verdrehte die Augen und hörte ihre Rede schon in meinen inneren Ohren.
Als sie bei uns ankam mit einem „Was ist denn hier los?" und einem Stirnrunzeln, jammerte Emi ihr die ganze Situation vor. Danach schaute sie erst Costa, dann mich an.
„Costa, Val, könnt ihr sie nicht mitnehmen? Sie hat sich heute noch nicht ausgepowert."
„Klar", antwortete Costa, wie aus der Pistole geschossen. Heimlich stieß ich den Fuß an sein Schienbein, doch das schien ihn wenig zu kümmern.
„Schön. Dann komm eben mit", nörgelte ich, als alle Blicke auf mir ruhten.
Fünf Minuten später standen Costa und ich draußen und warteten auf meine kleine Schwester, die Ewigkeiten brauchte, um sich Jacke und Schuhe anzuziehen. Ich hätte dauerhaft ihretwegen die Augen verdrehen können.
„Wieso hast du eingewilligt, sie mitzunehmen? Nur weil meine Mutter das will, musst du es noch lange nicht tun."
„Ich hab's nicht wegen deiner Mutter gemacht, sondern weil ich deine kleine Schwester mag." Er vergrub die Hände in den Jackentaschen. Dafür, dass der Herbst gerade erst angefangen hatte, war es unnormal kalt, besonders wenn die Sonne hinter den Hausdächern verschwunden war.
Als Emi aus der Haustür geschlossen kam, bot Costa an, sie auf den Schultern zu tragen. Natürlich willigte sie sofort ein. Spätestens jetzt konnte ich ihm nicht mehr wütend sein.
„Also, erzähl mal. Wie war es im Kino gestern?", griff ich das Thema auf. Hannah war nicht gerade einfallsreich dafür, dass sie Redakteurin war. So hatte sie wieder vorgeschlagen, mit Costa ins Kino zu gehen, wie es schon beim ersten Date der Fall gewesen war.
„Großartig. Es gab zwar kein Happy End, weil der Erfinder der Atombombe im Nachhinein unglücklich über seine Erfindung war, aber ansonsten war der Film echt spannend."
Ich runzelte die Augenbrauen. „Ich meine, wie war es mit Hannah dort."
„Ich weiß, was du meintest, aber wir haben ein Kind hier. Das ist nicht für dessen Ohren bestimmt."
„Hey", beschwerte Emi sich: „Ich bin alt genug dafür. Max und Paula aus meiner Klasse sind gestern auch ein Paar geworden. Sie sind schon kurz davor Händchen zuhalten."
Costa und ich lachten im selben Moment. Emis Unschuld war gerade zu erdrückend vor Niedlichkeit. Der Gedanke an zwei Grundschulkinder, die behaupteten sich zu lieben, erfüllte mich mit Heiterkeit. Sie kannten mit Sicherheit noch nicht die Probleme, die eine Beziehung mit sich brachte.
Ich wollte nochmal auf meine Frage eingehen, doch Costa machte mir einen Strich durch die Rechnung, als er auf einen Busch Springkraut am Wegesrand aufmerksam wurde.
„Kennst du Springkraut?", fragte er meine kleine Schwester schnell und ließ sie von seinen Schultern heruntergleiten. Sie schüttelte aufgeregt mit dem Kopf und konnte die Augen nicht von dem grünen Zeug lassen.
„Komm, ich zeig's dir. Sieh hin. Du suchst dir eine dicke Kapselfrucht aus und drückst leicht rauf." Er folgte seinen eigenen Anweisungen und sofort sprangen die Samen heraus. Emi kicherte und musste es sofort selbst ausprobieren. Ich verschränkte vor Kälte die Arme vor der Brust und beobachtete die beiden beim Lachen. Es erinnerte mich daran, wie Costa mir eines Tages das Springkrautspringen beigebracht hatte, als ich genauso verwirrt ausgesehen hatte wie Emi jetzt. Es war an einem Nachmittag auf dem Schulweg nach Hause gewesen. Damals hatten wir uns so lange damit aufgehalten, bis meine besorgte Mutter uns bei Dämmerungsanbruch gefunden hatte. Ich hatte mein Handy noch auf stumm geschaltet gehabt und so hatte sie mich nicht erreichen können. Lustig, wie schnell die Zeit verging, wenn man Spaß hatte.
„Was stehst du noch da rum?" Costa blickte sich zu mir um.
„Mach mit", forderte mich Emi auf.
„Können wir bitte weiter? Es wird kalt."
„Sei nicht so eine Frostbeule", bekam ich von meinem besten Freund an den Kopf geworfen: „Der Sommer hat gerade erst geendet."
Ich schaute ihn skeptisch an und ignorierte die Tatsache, dass er immer noch im T-Shirt unterwegs war und erst in dieser Jahreszeit seine Jacke ausgezogen hatte. Ich hingegen trug schon meine dicke Winterjacke. Was soll ich sagen? Ich war sehr kälteempfindlich.
„Ist mir egal. Mir ist trotzdem kalt." Meine Beschwerde hielt die beiden nicht davon ab, zu mir zurückzukehren oder einen Schritt weiter Richtung Haus zu machen.
Schließlich fragte Emi mich: „Darf ich auch meine Jacke ausziehen?" Sie sah dabei gezielt Costas nackte Arme an, die sich mit einer Gänsehaut überzogen hatten. Jetzt bekam auch ich einen eiskalten Schauer über den Rücken ab, als hätte ich sowas wie Phantomschmerzen, nur mit Kälte.
„Nein, lass sie an. Costa ist ein schlechtes Vorbild." Ich rührte mich keinen Meter.
„Ach, bin ich das? Bist du das nicht eher, Spaßbremse? Komm, probier es auch. Wie damals, weißt du noch? Macht wirklich Spaß und wir helfen den Pflanzen beim Überleben." Ich musste automatisch bei seiner Argumentation grinsen. Damit hatte er mich überredet. Ich streckte die Hand aus und drückte zu. Ein Lachen entwich meinen Lippen.
„Ich habe die größte." Costa und ich schauten zeitgleich zu Emi, die überglücklich mehrere Kapselfrüchte gleichzeitig aufploppen ließ. Irgendwann, als nichts mehr zu drücken war, schaute ich auf und realisierte, dass es wie damals war, nur dass keine panische Mutter nach uns suchte. Es war dunkel und bitterkalt, was mir erst jetzt wieder in den Sinn kam.
„Komm Emi. Wir müssen jetzt wirklich los", sagte Costa, bevor ich es tun konnte.
„Das hat Spaß gemacht!", rief sie laut durch die Nacht und folgte uns schließlich mit großen Sprüngen. „Morgen kommen wir wieder her, ja?"
Ich schaute Costa an, der schulterzuckend einwilligte. Mich beschlich irgendwie das leise Gefühl, dass dieser Ort gerade eben zu einem festen Haltestopp auf unseren Spaziergängen geworden war.
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