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Am nächsten Morgen konnten wir unseren Erfolg immer noch nicht in Worte fassen. Der Herbst hatte nun begonnen. Gestern war der letzte Sommertag gewesen. Normalerweise hatten Costa und ich immer schlechte Laune, wenn der Wetterbericht Kälte ankündigte und das Wort Herbst innerhalb von fünf Minuten zehnmal erwähnte. Aber dieses Jahr konnten wir uns nur auf den Zeitungsartikel konzentrieren und mit Aufregung abwarten, bis er veröffentlicht werden würde. Wir hofften auf viel Verständnis und ein Umdenken in der Schulgemeinschaft. 

Als schließlich eine Woche später am Morgen des Freitags die Zeitung im Foyer auslag, als wir die Schule betraten, konnten wir nicht anders, als die ersten zehn Minuten von Frau Gewitters Philosophieunterricht zu verpassen, um den Zeitungsartikel gedruckt zu lesen. 

Dementsprechend hielt die Laune den ganzen Tag an. Sogar dann noch, als ich einen schlechten Mathetest mit einer fünf wiederbekam, den wir letzten Dienstag geschrieben hatten. Das kam eigentlich nicht unerwartet, Costas Hoffnungen hatten sich dennoch in Kürze aufgelöst.

Am Montag gingen Costa und ich mit einem guten Gefühl ins Schulgebäude. Zwei Tage waren vergangen, in denen die Schüler Zeit gehabt hatten, sich den Artikel durchzulesen. Unsere Erwartungen ragten hoch hinaus.

Plötzlich begegneten wir Henrik, der gerade als Klassensprechervertreter das Klassenbuch aus dem Lehrerzimmer holen wollte - Costa und er hatten den Deal ausgehandelt, dass Henrik für das Klassenbuch die Verantwortung übernahm und Costa sich um das Wesentliche kümmerte. 

„Morgen Leute. Euer Zeitungsartikel hat sich ja schnell herumgesprochen."

Ich strahlte, als er das sagte. Also hatten unsere Worte doch etwas bewirkt. Henrik musste das schließlich wissen. Er schnappte so viel Smalltalkthemen in der Schule auf, dass er selbst Social Media immer einen Schritt voraus war. Bevor jemand einen Skandal posten konnte, wusste Henrik längst Bescheid.

„Ihr dürftet einen langen Tag vor euch haben. Sogar der Debattierclub hat für heute ein öffentliches Treffen eingerichtet, um über die Frage zu dabattieren, ob Mädchen und Jungs nur befreundet sein können."

Costa und ich sahen uns amüsiert an. Das war ja klasse. Genau so etwas hatte die Schule gebraucht. Im Debattierclub wurden normalerweise nur langweilige Themen aus der Politik angeschnitten, da die meisten Mitglieder dem WiPo-Profil angehörten. 

„Bis gleich", verabschiedete sich Costa und gab Henrik einen freundschaftlichen Handschlag. 

„Lasst euch nicht zu sehr ärgern. Yolo." Damit ging Henrik seiner Aufgabe nach. Wir blieben verwirrt zurück. 

„Was meinte er denn damit?" Costa zuckte als Antwort mit den Schultern. Wir wussten beide, dass er manchmal geheimnisvoll tat, um als seriös zu gelten, damit ihm jeder seine Geschichten glaubte, wenn er seine seriösen Quellen präsentierte. Dennoch kam uns seine Warnung komisch vor. Er hatte sie mit so fester und ernster Stimme gegeben, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Es war glasklar. Irgendwas raschelte gewaltig im Busch.

Ich nahm meinen Rucksack von den Schultern ab und hielt ihn in der Hand, als wir uns dem Klassenraum näherten. Verdächtig lagen alle Blicke auf uns, als wir hereinkamen und zu unseren hinteren Plätzen gingen.

„Na ihr Turteltäubchen?", erhob Max das Wort: „Ich glaube, ich spreche im Namen der Klasse, wenn ich sage, dass wir alle schon von Anfang an wussten, dass da was zwischen euch läuft. Aber schön, dass ihr es durch den Zeitungsartikel noch einmal bestätigt habt."

Ich platzte fast vor Wut, besonders als der Rest der Klasse loslachte. Sogar die Hühner gackerten in der Ecke. Selbst Costas Hand, die auf meinem Bauch ruhte, um mich zurückzuhalten, nützte nichts. Ich ließ den Rucksack zu Boden fallen und ging auf Max los, um ihn daraufhin eine zu verpassen. Die Klasse verstummte. Meine Faust hatte so eine große Wucht gehabt, dass sie Max auf den Boden befördert hatte. Volltreffer. 

„Wenn du noch einmal irgendetwas in die Richtung andeutest, dass Costa und ich zusammen seien, dann wirst du mehr Schmerzen haben, als nur die von einem Faustschlag."

Ich drehte mich um, holte meinen Rucksack, als wäre nichts passiert und ging zu meinem Platz. Costa folgte mir verdutzt und hielt sich die Hand an die Stirn. Leider hatte ich nicht mit Herrn Palski gerechnet, der gerade genug mitbekommen hatte, um mich ins Büro des Direktors zu schicken. Nach einer Überzeugungskunst durfte Costa mich als Klassensprecher begleiten. 

„Ich könnte ihn umbringen", knurrte ich, als wir auf dem Flur auf den Einlass warteten. Die Schüler, die an uns vorbeigingen, musterten uns von oben bis unten und konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wahrscheinlich hat jeder hier jetzt ein größeres Klischee über uns, als zuvor. Wir hätten diesen Artikel niemals schreiben sollen. Das war ein Fehler."

„Nein, war es nicht. Sag das nicht. Max zu schlagen, war ein Fehler, bei dem du die Verantwortung tragen musst."

„Es ist nicht fair. Er hat angefangen. Er hätte einfach seine verfluchte Klappe halten sollen."

„Es bringt nichts, auf ihn loszugehen. Ich teile deine Wut, aber das bringt nichts. Warten wir ein paar Tage ab, bis sich der Sturm gelegt hat. Die Leute werden es vergessen oder vielleicht sogar ihre Meinung ändern."

„Werden sie nicht. Jedes Mal, wenn sie uns sehen, werden sie diesen blöden Artikel vor Augen haben. Das haben Klischees an sich. Sie kommen einfach, wenn man dran erinnert wird. Jeder wird uns sehen und denken: 'Ah, da läuft ja das verliebte Paar herum. Irgendeiner von denen steckt bestimmt in der Friendzone fest und will eigentlich mehr. Vielleicht verheimlichen sie ihre Beziehung auch.'"

„Und wenn schon. Wir wissen, was wir sind. Freunde. Nicht mehr. Es war doch von Anfang an klar, dass der Start holprig werden würde, aber wir müssen für unsere Meinung kämpfen. Wie die Geschwister Scholl oder Mahatma Gandi. Das ist ein Marathon, kein Sprint. Es braucht seine Zeit."

„Du hast recht. Tschuldigung, dass ich so ausgetickt bin. Ich kann und will es nur nicht mehr hören. Es sollte egal sein, welches Geschlecht man hat. Jeder kann mit jedem befreundet sein. Das sollte doch das natürlichste der Welt sein. Ich habe es satt, mich immer dafür rechtfertigen zu müssen."

„Ich auch. Aber so lösen wir das Problem nicht."

In dem Moment wurden wir vom Direktor hereingerufen. In der nächsten halben Stunde durfte ich mich für mein Verhalten rechtfertigen, während Costa hier und dort meine Position als Zeuge verteidigte. Es endete mit einer Missbilligung und einem Schreiben an meine Eltern, mit mir bitte ein Gespräch Zuhause zu führen, bezüglich angemessenem Benehmen in der Schule. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, noch nie in meinem Leben diese Situation durchlebt zu haben. Das erste Mal hatte ich in der achten Klasse eine Missbilligung bekommen, weil ich meine alte Mathelehrerin als anstrengende Hetzerin betitelt hatte. 

Die Missbilligung und das Schreiben blieben auch weiterhin in meiner Tasche. Spätestens auf dem Zeugnis würden meine Eltern davon Wind bekommen. Aber das war mir immer noch lieber, als wenn sie mir jetzt in dieser wichtigen Zeit alles streichen würden.

Die nächsten Tage vergingen relativ ruhig. Costa und ich hatten uns am Montagnachmittag verdeckt ins Publikum des Debattierwettbewerbs gesetzt, um uns die Argumente anzuhören. Zu unserem Erstaunen gewann die Seite gegen eine Freundschaft zwischen Jungen und Mädchen, aber nur, weil die Pro-Seite schlecht aufgestellt war und schlechte Argumente lieferte, die genauso gut von einem Erstklässler hätten kommen können. 

Am Donnerstagabend trafen wir uns abends wieder, um mit Stella spazieren zu gehen. Sie war die Woche über bei Costa geblieben. Somit musste ich nicht wieder sein trauriges Wesen mitansehen müssen. Der Himmel war heute eher bedeckt. Die Sonne hatte sich nur einmal um dreizehn Uhr gezeigt. Es war, als könnte das Wetter sich nicht zwischen Regen und Sonne entscheiden. Es passte zu unserer melancholischen Laune. Trostlosigkeit, Gleichgültigkeit, Deprimiert. Unser Gespräch fiel nicht gerade abwechslungsreich aus, wie es sonst der Fall war. Ich dachte, mittlerweile hätte Costa auch erkannt, dass der Artikel ein Fehler gewesen war. 

„Es läuft nicht so gut, wie wir es uns erhofft haben", vertraute ich nach dem Abendessen Zoe an. Emi hatte sich dazu gesellt und zupfte gerade an den Fransen von Zoes Tasche, die am Schreibtisch stand. Ihre Füße berührten kaum den Boden. Lediglich die Zehenspitzen wippten hoch und runter.

Zoe, die neben mir auf dem Bett an die Wand angelehnt saß, sagte: „Das wird schon. Erfolge dauern nun mal. Die kommen nicht von heute auf morgen."

„Ich weiß, aber es regt auf, dass keiner in der Schule so denkt wie Costa und ich. Jedenfalls ist noch niemand auf die Idee gekommen, uns das mitzuteilen."

„Oh doch, die gibt es. Du siehst sie nicht, aber diese Menschen verstecken sich irgendwo in der Bücherei und warten darauf, dass irgendeiner kommt und ihre Meinung in die Welt trägt, weil sie sich selbst nicht trauen. Ihr seid so etwas wie Vertreter für eine Position und ihr kämpft dafür, euch durchzusetzen. Dass man da auf Widerstand trifft, ist ganz natürlich. Aber du wirst sehen; solange darüber gesprochen wird, denken die Menschen mehr darüber nach und ändern ihre Meinung."

„Danke", erwiderte ich. Die Beine angewinkelt, beobachteten wir Emi, die so vertieft die Fransen flocht, dass sie unsere Blicke gar nicht mehr wahrnahm. Normalerweise wollte sie immer alles sofort wissen und nutze jedes Mittel, um an Informationen zu kommen. Hätte ich gewusst, sie mit einer Tasche bändigen zu können, hätte ich mir den Ärger meiner Mutter erspart.

„Genug davon. Wie geht es Spencer?" Eigentlich sprach ich ihren festen Freund nur an, um höflich zu sein, nicht etwa um Zeuge von Kitsch zu werden.

Zoes braune Augen, die von der Farbe her perfekt zu ihren Haaren passten, wanderten in meine Richtung und blickten mich strahlend an. Es war nicht einmal ein Lächeln erforderlich, um ihr Lieblingsthema ablesen zu können.

„Ich glaube, wir sind nun einen Schritt weiter in unserer Beziehung. Gestern meinte er zu mir, er müsse noch einmal schnell einkaufen gehen. Also habe ich in seiner Wohnung auf ihn gewartet. Als er aber ohne Einkauf zurückkam, behauptete er, der Laden wäre schon geschlossen gewesen, als er angekommen wäre. Dabei hat Wenkes Stübchen am Mittwoch immer eine Stunde länger geöffnet."

„Und was heißt das nun?", fragte ich naiv.

„Ist das nicht offensichtlich?", sie strahlte bei dieser Kundgebung: „Er hat mir ganz sicher einen Ring gekauft. Oder er hat einen Ersatzschlüssel anfertigen lassen, damit ich bald bei ihm einziehen kann. Das dauert eben länger, als nur Einkaufen zu gehen."

Ich hielt meinen Mund, denn ich wusste, egal was ich sagen würde, es wäre falsch und würde sie verletzen. Es wunderte mich, dass Zoe und ich Schwestern waren. Sie war so eine Romantikerin und schwebte meistens über der Realität hinweg. Aber ich ließ sie. Nicht jede erwachsene Person schaffte es, die Gabe, der Realität so zu entkommen, aus der Jugend mitzunehmen.

„Spencer ist einfach immer für mich da. Ich könnte gar nicht mehr ohne ihn leben. Ich weiß, das sagen viele, wenn sie in einer Beziehung stecken, aber das hier ist wirklich so. Spencer und ich sind wie Seelenverwandte, die sich endlich gefunden haben. Ich kann ihm vertrauen."

In den Punkten hatte sie recht. Spencer und sie waren wirklich wie ein Herz und eine Seele. Es war schwer vorstellbar, dass sie sich eines Tages nicht mehr lieben, geschweige denn zusammen sein, würden.

„Apropos, Spencer wird gleich hier sein. Wir fahren heute noch zum Dom nach Hamburg und übernachten bei Oma in der Stadt."

„Und das sagst du mir jetzt erst?" Verspielt schlug ich die Hand auf ihren Oberarm. Sie stieg in mein Lachen mit ein. Nun wurde auch Emi hellhörig.

„Spencer kommt?" Sie sprang auf und lief ans Fenster: „Wann denn?" Ihre Augen folgten den Autos auf der Hauptstraße, als würde sie auf den Weihnachtsmann warten. Spencer mochte sie zwar nicht so sehr wie Costa, aber dafür brachte er ihr immer ein kleines Geschenk mit. Meistens nutzlose Plüschtiere von McDonalds, wo er minijobte.

„Er ist gleich da. Gib ihm fünf Minuten", antwortete Zoe und blickte dann wieder in meine Augen: „Das ist doch okay für dich, oder? Ich verspreche, dass wir dafür in den nächsten Tagen eine halbe Stunde länger reden werden."

„Natürlich, alles okay. Grüß Oma von mir und bring mir eine Tüte Pflaumen mit." Meine Oma, die ihren Mann vor zwei Jahren verloren hatte, lebte in einer Wohnung im neunten Stock eines Hochhauses direkt an der Elbe Hamburgs. Vor einigen Jahren hatte ich immer noch gerne meine Ferien bei ihr verbracht und war mit der Regionalbahn hingefahren. Nun war ich dafür zu alt. Lediglich Zoe kam bei ihr unter, wenn sie gerade in der Nähe war. In ihrem kleinen Garten hatte sie einen prächtigen Pflaumenbaum stehen. Selbst wenn man die Pflaumen aß und einfror, waren es immer noch zu viele, weshalb Oma jedem einen Beutel in die Hand drückte, der zu Besuch kam.

„Klar, ich bring gleich drei mit."

Fünf Minuten später klingelte es tatsächlich an der Tür und Spencer kam herein. Er nahm jeden von uns herzlich in den Arm und schenkte Emi einen kleinen Plüschhund mit unnormal großen Kulleraugen. Sie war so begeistert von ihm, dass sie Spencer noch einen Kuss auf die Wange drückte und ihre neue Eroberung gleich in ihr Zimmer brachte.

Spencers schulterlange schwarze Haare wippten, als er meine Mutter in der Küche begrüßte.

„Spencer, schön dich zu sehen."

„Schön, auch dich wiederzusehen", antwortete er freundlich und nahm auch sie in den Arm: „Was macht das Geschäft?"

„Wie immer. Kein Personal und jede Menge zu tun." Seit meine Mutter den Blumenladen von ihrer ehemaligen Chefin übernommen hatte, ärgerte sie sich täglich über alles Mögliche und jeden Kunden, der ohne etwas zu kaufen, den Laden wieder verließ. Damals hatte auch mein Vater ihr den Rat gegeben, es bräuchte Zeit, damit das Geschäft sich erholen würde. Seitdem waren zwei Jahre vergangen und alles war beim Alten geblieben. Was, wenn es mit dem Zeitungsartikel genau dasselbe sein würde und wir für alle auf ewig Witzfiguren bleiben würden? Ich schüttelte den Gedanken von mir, als Spencer mich ansprach.

„Wie geht's deinem Freund Costa?"

„Alles wie immer. Er zockt wahrscheinlich gerade wieder mit seinen Jungs. Morgen mache ich sie aber alle wieder platt."

Er lachte und wandte sich an Zoe. „Wenn du noch spielen würdest, wärst du bestimmt noch besser als deine Schwester."

„Das bezweifle ich", warf Zoe ein: „Videospiele sind nichts mehr für mich. Dann hätte ich ja gar keine Zeit mehr für dich."

Bei diesem Kommentar schlang Spencer einen Arm um ihre Taille und küsste sie liebevoll vor unser aller Augen. Ja, das war wohl Liebe. Kotz.

Wir aßen noch alle zusammen zu Abend - mein Vater war nun auch aus dem Arbeitszimmer dazugestoßen -, bevor Spencer und Zoe sich auf den Weg machten.

„Pass auf meine Tochter auf", warnte mein Vater Spencer, als dieser den Motor seines Autos anschmiss, in dem Zoe bereits Platz genommen hatte.

„Klar doch. Morgen früh sind wir wieder zurück." Zoe strahlte von einem Ohr zum anderen, als sie die Auffahrt hinunterbretterten. Wäre Spencer nicht längst ein Teil der Familie, hätte ich mir nun ernsthafte Sorgen um meine große Schwester gemacht und wäre ihr auf der Stelle hinterhergefahren.

Als sie aus der Sichtweite waren, fühlte sich ein Teil von mir leer an. Zwar war ich es gewohnt, dass Zoe wegfuhr, aber jedes Mal fühlte es sich so an, als würde sie jahrelang nicht mehr zurückkehren.
Auch Emi schien jetzt schon nervös zu werden. „Wann kommt sie morgen wieder?"

„Dann, wenn sie wieder zurückwollen."

„Ja, aber wann wird das sein?"

„Wenn es so weit ist. Lass sie und frag nicht immer unnötige Dinge, wenn keiner die Antwort weiß." Genervt drehte ich mich um und ging zum Haus zurück, wo der Blick meiner Mutter mich fast umbrachte. „Sorry", sagte ich zu ihr und drängte mich vorbei. Wenn sie die Missbilligung finden würde, würde sie noch mehr ausrasten.

Den Abend über hatte ich einen Haufen Hausarbeit aufgedrückt bekommen - eine Strafe für mein Verhalten. Ich hasste es wirklich, dass Emi mich immer herausforderte, obwohl sie genau wusste, wie schnell ich auf sowas ansprang und die Worte schneller über meine Lippen kamen, als ich sie hätte zurückschieben können.

Als endlich das letzte Glas im Schrank verstaut war, wollte ich mich auf den Weg in mein Zimmer machen, als eine Stimme mich zurückhielt.

„Machst du dich dann im Bad fertig? Es ist schon halb elf und du hast morgen wieder Schule."

„Ja, Mama." Ich versteckte geschickt meine Wut. Nie hatte man abends seine Freizeit und täglich bekam man den Spruch ab, man solle früh schlafen gehen, um für den nächsten Tag fit zu sein. Dabei hatte ich das Gefühl, wenn ich früher schlafen ging als sonst, noch müder am Morgen zu sein. Deshalb blieb ich noch bis Mitternacht wach und las den Zeitungsartikel erneut durch. Diesmal aus der Sicht von Max. Hatten wir damit wirklich unsere angebliche heimliche Beziehung bestätigt? Offene Kommunikation war nicht nur ein Freundschaftsding, sondern auch ein wichtiger Bestandteil einer Liebesbeziehung. Costa und ich hatten eine lange Geschichte, wie wir uns kennengelernt hatten. War Freundschaft vielleicht wirklich nur eine Vorstufe von was Ernstem?

Ich schüttelte abrupt den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Max war ja verrückt, genauso wie der Rest der Klasse. Costa und ich waren alles, aber sicherlich kein Paar. Das konnte ich mir nicht einmal im Traum vorstellen. Und dass er Gefühle für mich hatte, war ja wohl mal komplett ausgeschlossen. Der Artikel war nur eine Mischung aus Buchstaben, weiter nichts. Wer uns genauer kannte, wusste sofort, dass da nie mehr sein würde. Aber wie sollten die anderen das sehen?

Ich schlief rasch ein. Das Grübeln hatte mich müde gemacht. Selbst der Mond, der direkt in mein Gesicht schien, störte mich nicht sonderlich.

Knappe zwanzig Stunden später saß ich mit Costa, Josh, Henrik und Niels wieder mit dem Kontroller in der Hand vor dem Spiel. Ich machte einen nach dem anderen platt, bis Henrik das Topthema der letzten Woche ansprach. Ich schluckte schwer, als das Wort Zeitungsartikel fiel.

„Was ist jetzt euer Plan?", fragte Henrik, als gäbe es eine Entscheidung, die wir fällen müssten.

„Was wohl? Abwarten", sprach Costa meinen Gedanken laut aus und fokussierte sich weiterhin auf das Match. Die Candys, die wir aus Beños Laden hatten, lagen unberührt neben ihm.

„Ihr müsst euch wehren", kam es aus Henrik wie aus der Pistole geschossen: „Macht etwas gegen die Vorurteile, sonst seit ihr bald das Top-Paar in ganz Rostock."

„Das sind wir auch jetzt schon für die", erwiderte ich und verfehlte den Tritt, sodass Niels die Chance hatte, meinen Avatar auf den Boden zu schicken.

„Haha, was ist los, Zockergirl?", fragte er belustigt und verpasste mir noch einige Schläge, bevor ich mich wieder aufrappeln konnte. Meine Energieleiste sank rapide von 95% auf 46%.

So unkonzentriert wie ich war, verlor ich das nächste Spiel und das nächste, bis Niels sich an die Spitze gekämpft hatte und jedem von uns mit seinem Sieg auf die Nerven ging. Costa schaltete die Konsole aus und legte sich auf dem Sofa zurück. Die Dunkelheit lullte uns ein, um Gespräche geheimnisvoll zu machen. Wenn man Worte in die Stille verlor, wusste man nicht genau, ob sie wirklich die Kehle verlassen hatten.

„Wir wissen wirklich nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Fällt euch was ein?" Ich versuchte die Umrisse der Personen vor mir auszumachen. In meiner Verzweiflung fragte ich jetzt also auch schon Costas Freunde nach Rat. Die Jungs, die auf die Idee kamen, die Treppe als Piste für den alten Schlitten zu benutzen. Das war nichts Ausgedachtes. Sie hatten es in den Winterferien ausprobiert und waren kläglich daran gescheitert. Es blieb nichts anderes übrig als Joshs verstauchter Arm.

„Habt ihr was oder nicht?", hakte Costa noch einmal nach, als die drei sich ratlos anschauten.

„Macht eine Durchsage", gab Josh von sich.

„Oder schreibt noch einen Artikel über das, was ihr euch erhofft habt." Henrik knipste das Licht neben dem Sofa an, als er die Dunkelheit nicht mehr länger ertragen konnte. Alles, was anonym über die Lippen gerutscht war, wurde nun sichtbar und unheimlich real.

„Das geht nicht. Und selbst wenn, die nächste Ausgabe wird erst in einem halben Jahr veröffentlicht. Es bringt sowieso nichts." Costa sah mich deprimiert an. Der gleiche Blick lag seit Tagen auf seinem Gesicht. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie seine glücklichen Züge aussahen.

„Dann sagt einfach, dass ihr ein Paar wart und euch jetzt getrennt habt und Freunde bleibt. Problem gelöst." Jeder im Raum schaute nun Niels unverständlich an. Er zuckte nur mit einer Schulter und nahm eine Nachricht von seinem Handy aus entgegen.

„Das ist die dümmste Idee, die ich je gehört habe", sprach ich das aus, was alle dachten. Das würde uns niemand abkaufen. Höchstens würden Schlagzeilen herumgehen, wann wir nach unserem vermeintlichen Aus wieder zusammenkommen würden. Nie im Leben. Es musste eine andere Lösung für unser Problem geben.

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