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Cola. Check. Gummibärchen. Check. Twix. Check. Es stand alles für eine perfekte Nacht bereit. Die wichtigsten Snacks hatte ich noch extra nach der Schule kaufen müssen, als Costa mit Josh, Henrik und Niels zum Zocken verabredet gewesen war. Jetzt war jedoch alles an seinem Platz und wir würden uns genug Zeit nehmen, um unsere Meinung aufs Papier zu bringen.
Pünktlich um zwanzig Uhr klingelte es unten an der Haustür. Ich sprang vom Bett und flitzte wie ein Blitz nach unten, um Costa hereinzulassen.
„Hey", begrüßte er mich.
„Hi. Bereit für eine kreative Nacht?"
„Worauf du dich verlassen kannst."
Nachdem wir kurz im Wohnzimmer vorbeigeschaut hatten, wo meine Eltern gerade mit Emi Miraculous schauten, und alle sich ausgesprochen hatten, von wegen wie es Back ginge, machten wir uns auf in mein Zimmer. Auf dem Weg dorthin begegneten wir noch Zoe, die für uns allerdings nicht viel Zeit opfern konnte, da Spencer nebenan auf sie wartete. Ich unterdrückte mein Kopfkino von dem verliebten Paar, das es sich auf Zoes Bett bequem machte, um sich einen Film auf Netflix reinzuziehen.
Stattdessen schloss ich die Tür hinter Costa und mir und fuhr den iMac hoch. Da er schon etwas älter war, - er hatte mal meinem Vater gehört - brauchte er mindestens fünf Minuten zum eigentlichen Hochfahren und fünf weitere, um ein neues Dokument zu öffnen.
Während ich gebannt vor dem Monitor saß und nicht genug Geduld aufbringen konnte, bediente sich mein bester Freund an den Snacks, die ich säuberlich auf dem kleinen Tisch positioniert hatte. Wahllos schob er sich alles mit einmal in den Mund. Ich schmunzelte leicht, war aber froh, im Laden nach den richtigen Packungen gegriffen zu haben.
„Okay, der iMac ist jetzt bereit." Ich schnappte ihn mir vom Schreibtisch und ging zu Costa aufs Bett zu. „Dann hau mal raus. Was sollen wir schreiben?"
„Ähm, wie wäre es mit-?" Costa blickte, ohne etwas genaues zu fokussieren, in die Gegend, dann Richtung Fenster. Draußen ging gerade die Sonne unter und ein rauer Wind kehrte ein. Ein Schwarm Vögel flog in die Abenddämmerung.
„Ja, ich höre."
„Warte. Lass mich einen Moment darüber nachdenken."
Nach einem Moment war Costa dennoch sprachlos. Zwar wussten wir, was wir zu dem Thema dachten, aber es auf Papier zu bringen und das auch noch so, dass man niemanden direkt ansprach und ihn somit nicht verärgerte, war schwieriger als es sich anhörte.
„Vielleicht schreiben wir erst einmal darüber, was im Gehirn passiert, wenn man verliebt ist. Dann könnten wir später die Unterschiede zu einer Freundschaft verdeutlichen, also was dabei im Kopf vor sich geht."
„Alles klar", erwiderte ich, schob mir einen der Twix in den Rachen und ließ die Finger über der Tastatur kreisen: „Wie schreibe ich das?"
Ohne zu zögern, zog er mir den iMac vom Schoss und stellte ihn auf seinen. „Ich übernehme das. Un momento." Ich lachte innerlich kurz über seine Wortwahl. Einige Sekunden später war das weiße Blatt mit zwei Sätzen gefüllt.
Liebe ist keine Herzensangelegenheit, viel mehr sind vom Gehirn ausgeschüttete Hormone für ein chemisches Feuerwerk aus Gefühlen in uns verantwortlich. Viele kennen das ausgeschüttete Dopamin unter dem Namen Glückshormon.
„Klingt richtig professionell. Sehr gut. Dann fehlen uns jetzt nur noch so an die dreißig weitere Sätze."
„Mh", nuschelten wir zeitgleich und schauten uns im Zimmer um, als würde auf einem meiner Schränke ein weiterer Satz herumliegen, der gefunden werden wollte.
Es wurde zweiundzwanzig Uhr. Ich beschloss, Energy-Drinks aus dem Keller zu holen, um uns wach zu halten. Leise waren die Schritte durchs Haus. Emi musste schon schlafen und meine Eltern waren sicherlich gerade dabei, die perfekte Schlafposition zu finden. Schließlich mussten beide morgen wieder früh raus. Bei Zoe und Spencer brannte noch Licht, aber da ich ungern stören wollte, verkniff ich mir ein Anklopfen, um nach dem Rechten zu sehen, wie ich es sonst tat, wenn Zoe alleine in ihrem Zimmer Kontrabass spielte.
Als ich wieder zurückkehrte, fand ich einen halb schlafenden Costa vor. Den iMac hatte er auf dem Boden vor sich abgestellt und zugeklappt. Nur die kleine rote Lampe an der Seite blinkte, um anzudeuten, dass der Akku fast leer war. Mit Wucht warf ich eine der Dosen auf seinen Schoss, um ihn wieder zu wecken. Mit Erfolg.
„Danke", nuschelte er verschlafen, ohne sich über die Schmerzen zu beschweren. Die Dosen machten fast im selben Moment klack und sofort setzen wir die Lippen an, um einen großen Schluck zu nehmen. „Das tut gut", sagte Costa mit fester Stimme. Ein Beweis dafür, dass der Drink uns helfen würde. Vielleicht nicht beim kreativen Part, aber definitiv beim Wachbleiben.
Nachdem ich den Laptop an den Strom gestöpselt hatte, schwang ich mich auf und reichte Costa eine Hand. „Um eine Idee zu finden, müssen wir uns vielleicht austanzen."
„Ein Dancebattle?"
„Ja, so ungefähr."
Costa ergriff meine Hand und zog sich hoch. Dabei stürzte ich beinah auf ihn, so viel Kraft steckte er hinein. In letzter Sekunde hielt ich jedoch die Balance und wich zurück. Costa drückte wild auf seinem Handy herum und startete eine Playlist namens POV: Du tanzt nachts im Regen mit einer geliebten Person.
Einer der Sachen, die ich an meinem besten Freund schätzte, war die Tatsache, dass man mit ihm zu One Direction tanzen konnte und das nicht gerade zurückhaltend. Genauso wie ich, fuchtelte er wie eine Fünftklässlerin mit den Armen in der Luft umher und genoss den Augenblick in vollen Zügen, als wären wir auf einem Konzert.
Nach dem Song folgten zwei weitere - Worth it und You should be dancing -, bevor wir erschöpft auf den Boden sanken und zur Decke schauten. Es fühlte sich an, als wären wir zwei Kinder, die sich nur einmal austoben mussten, um zur Ruhe zu kommen.
„Weitergeht's?"
„Sowas von."
Wir rappelten uns wieder auf und arbeiteten auf dem Boden weiter. Als Motivation aktivierte Costa einen Shufflemodus von einer 90er-Playlist, die uns mehr tanzen ließ, als Konzentration zu schaffen.
Es ging auf Mitternacht zu und so langsam hatte es sich ausgetanzt. Die Schüsseln waren nur noch knapp gefüllt und auf dem iMac, der mittlerweile wieder hundert Prozent erreicht hatte, standen immer noch nur diese zwei Sätze, die in meinem Kopf schon gar keinen Sinn mehr ergeben wollten.
„Vielleicht hilft ja Alkohol", warf ich ein, nachdem wir eine halbe Stunde lang schweigend auf den Bildschirm geblickt hatten.
„Kein Alkohol." Obwohl er es ernst meinte, schwang ein Hauch Wunschdenken mit. Normalerweise hätte ich jetzt mit ihm darüber diskutiert, aber ich beließ es dabei. Ich war einfach zu erschöpft, um Costas Argumente gegen Alkohol mit meinen Argumenten für Alkohol zu schlagen.
Es wurde ein Uhr. Nur noch dreiundzwanzig Stunden, bis wir den Artikel aushändigen mussten.
„Vielleicht sollten wir es sein lassen", schlug ich vor, doch Costa schüttelte müde mit dem Kopf. „Nein, wir ziehen es durch. Was auch immer dafür nötig ist."
„Du willst nur nicht, dass Hannah dich für einen Verlierer hält." Keine Antwort. Costas Kopf lag auf meiner Schulter, vergraben in meinen Haaren. Er zog die Luft schwer ein und hinterließ schwache Geräusche.
Ich ließ ihn bis kurz vor zwei schlafen - ehrlich gesagt war ich auch für eine halbe Stunde weggenickt. Der iMac hatte sich selbst schon in den Schlaf gewogen und wollte für die nächsten Stunden nichts mehr von uns hören. Ich zog meine Schulter unter seinem Kopf weg, sodass er beinah auf den Boden aufprallte. Ein Lachen entkam mir. Es sah zu lustig aus.
„Hast du etwas?", fragte er nur langsam.
„Nein, aber es ist gleich zwei."
„Was sollen wir bloß schreiben?" Genervt und gereizt fuhr Costa sich mit den Händen übers Gesicht. Für einen Moment dachte ich, er wäre erneut eingeschlafen. Ich war mir selbst nicht so sicher, ob ich schon eingedöst war oder noch wach neben ihm lag.
„Sag du es mir. Du bist der Schreiber von uns beiden."
„Offensichtlich. Aber mein Gehirn ist leer wie ein Buch ohne Wörter." Costa rappelte sich auf und hielt sich nur wackelig auf beiden Beinen.
„Ich glaube, die Nacht macht dich poetisch."
„Und dich macht die Nacht verrückt. Vielleicht sollten wir es verschieben. Morgen fällt uns bestimmt was ein."
„Gut." Ich erhob mich mit letzter Kraft.
„Dann werde ich mal los." Costa griff ins Leere auf der Suche nach Snacks. Da waren keine mehr. Wir hatten alle Schalen aufgegessen. Ich fragte mich, wie um Himmels willen wir das geschafft hatten. Ich grübelte ernsthaft darüber, ob nicht doch jemand heimlich in meinem Zimmer gewesen war und sich etwas mitgenommen hatte.
„Ich komm noch mit."
Costa versuchte es mir gar nicht erst auszureden, stattdessen schlichen wir beide durch den Flur zur Haustür. Er wusste genau, dass ich nicht locker lassen würde.
Irgendwie schafften wir es zu Costas Zuhause. Mich hätte es nicht gewundert, wären wir im Dunkeln auf dem Sandweg in eine Grube gestürzt, zumal die Laternen schwacher nicht hätten scheinen können. Leise stolperten wir in sein Zimmer. Back schlief wie erwartet an dem Platz, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte - auf seinem Schreibtischstuhl. Wir ließen ihn aber und nahmen das Risiko in Kauf, dass er morgen schmerzliche Rückenschmerzen davon tragen würde. Obwohl er mittlerweile gegen diese abgehärtet sein sollte, so oft wie er vor dem Laptop schon eingeschlafen war.
Meine letzten Schritte brachten mich zu Costas Couch. Ich ließ mich darauf fallen und konnte die Augen kaum aufhalten. Wäre es draußen kalt gewesen, wäre ich jetzt mit Sicherheit wieder hellwach, aber es war noch Sommer und damit warm, wie unter einer schönen kuscheligen Bettdecke.
„Ich bleib heute Nacht hier", nuschelte ich mit dem Gesicht aufs Kissen gedrückt, bevor mein bester Freund fragen konnte.
„Okay", sagte er bloß. Es war nichts Seltenes, dass ich hier über Nacht blieb und mittlerweile wusste Costa genau, dass er mich weder nach einer Bettdecke fragen noch sein Bett zum Schlafen anbieten musste.
Ich wurde schneller ins Traumland befördert, als er sich in sein Bett legen konnte. Ich wettete, dass ich genauso schnarchte, wie er vorhin auf meiner Schulter, wenn nicht sogar stärker.
„Morgen", wurde mir am nächsten Morgen zugehaucht, als meine Augen aufflatterten: „Schule beginnt in einer halben Stunde."
„Und da weckst du mich jetzt schon?"
Ich wusste, dass wir uns eigentlich beeilen sollten. Schließlich war jeder Unterrichtsstart tagtäglich auf Kante genäht. Gerade weil es die letzte Nacht noch stark geregnet hatte, würde es noch schwerer werden als sonst, den Sandweg unbeschadet zu passieren. Vielleicht mussten wir sogar einen Umweg fahren.
„Mach schon mal Frühstück. Ich komme gleich", gab ich Costa mit auf den Weg, als er schon die Treppe hinuntergehen wollte.
Einige Minuten später, nachdem ich meine Haare vor dem Spiegel halbwegs gerichtet hatte, folgte ich ihm in die Küche. Zwei Müslischalen mit einer Milchpackung daneben standen schon bereit. Wie ich es am liebsten hatte.
„Ist dir schon etwas Neues eingefallen bezüglich des Artikels?", fragte ich Costa und pflanzte mich gegenüber von ihm auf einen Stuhl.
„Nö. Nichts Neues seit gestern. Bei dir?"
„Nichts." Ich nahm den ersten Löffel in den Mund und nuschelte, während ich kaute: „Es ist zum Haare ausreißen. Wieso will uns nichts einfallen? Wir sind so ein gutes Team. Du bist der Schreiber, ich die Aktivistin oder so."
„Das wird schon. Eine Stunde Englischunterricht und uns fällt bestimmt etwas in unseren Tagträumen ein."
Leider behielt Costa damit nicht recht. Sowohl zur Mittagszeit, als auch nach Schulschluss standen keine weiteren Sätze auf dem iMac. Frustriert verabschiedeten wir uns an der Kreuzung voneinander. Costa gab die Hoffnung nicht auf, aber ich zweifelte bereits, ob es so eine gute Idee gewesen war, sich für einen Artikel in der Schülerzeitung bereitzuerklären, um es allen recht machen zu wollen.
Am Mittagstisch zu Hause sagte ich kaum ein Wort und stocherte im Kartoffelbrei herum, den Kopf auf der Hand aufgestützt.
„Alles gut, Schätzchen?", fragte meine Mutter mit einem Mal: „Du bist so stumm heute. Ist was passiert?"
„Costa und ich wollten einen Artikel für die Schülerzeitung verfassen, aber uns will nichts einfallen."
„Worum soll's denn gehen?", schaltete sich Zoe ein, die gerade eine Serviette aus dem Wandschrank zog, um sie Emi zu reichen. Diese hatte sich den Brei ins ganze Gesicht geschmiert.
„Darüber, dass Mädchen und Jungs auch nur befreundet sein können und nicht immer gleich als Paar abgestempelt werden sollten." Meine Finger glitten durch die Strähnen, die mir lose im Gesicht hingen. Seit Costa und ich vorhin durch den Regen gerast waren - ich hatte natürlich keine Regenjacke gestern Abend mitgenommen - waren meine Haare klitschnass und zerzaust und ich hatte meinen Zopf nicht erneuert. Von der Benutzung einer Haarbürste mal ganz zu schweigen.
Meine Familie starrte eine Weile nachdenklich durch die Küche, bevor Emi sagte: „Costa und du liebt euch aber heimlich. Ihr müsst zusammen sein. Ihr seid nicht nur beste Freunde. Ich erkenne sowas. Das ist nicht das gleiche, was Sofia und ich haben." Für diesen Vergleich mit ihrer Freundschaft zu ihrer besten Freundin Sofia hätte ich am liebsten wieder einen Streit angefangen, aber ich war zu niedergeschlagen, um mich darauf einzulassen.
„Ist auch egal. Wir werden es bis Mitternacht nicht mehr schaffen", erwiderte ich und schob mir eine Gabel Erbsen in den Mund.
„Sag nicht sowas. Bis dahin sind es noch neun Stunden. Euch wird schon was einfallen." Den Optimismus meines Vaters wünschte ich mir oft. Leider hatte er mir das nicht vererbt. Zu schade auch.
Meine Mutter schaute fast genauso verzweifelt wie ich. „Mir fällt da jetzt auch nichts ein. Könnt ihr nicht einfach schreiben, was ihr dazu denkt?"
„Wenn das so einfach wäre", sagte ich daraufhin, obwohl sie den Nagel auf dem Kopf getroffen hatte. Eigentlich mussten wir nichts weiter tun, als zu schreiben, was wir dachten. Aber was dachten wir schon darüber, außer dass man die Vorurteile lieber für sich behalten sollte? Das würde nicht als Massage reichen. Das könnte eine einfache Phrase in einer Abendgesellschaft sein. Es musste tiefer als das gehen, um möglichst viele Leute damit aufzurütteln.
„Ich werde mal eine Weile darüber nachdenken", warf Zoe noch mit ein.
Das Thema war auch das Gesprächsthema Nummer eins auf Zoes und meiner Abendkonferenz, wie wir unsere Gesprächsrunde nannten. Als ich Zoe gerade erzählen wollte, wie weit Costa und ich den Abend zuvor gekommen waren, hämmerte plötzlich jemand wild gegen die Tür. Ich blieb stumm, schaute augenrollend zu Zoe und stand von ihrem Bett auf, um Emi die Tür zu öffnen. Ich würde wieder auf sie einreden, dass diese Zeit des Abends nur für Zoe und mich in ihrem Zimmer reserviert war, was sie meistens nicht verstehen wollte. Immer musste sie dabei sein, über alles Bescheid wissen. Ich hasste ihre Neugierde.
Doch als ich die Tür aufriss, schon bereit sie anzuschreien, verflüchtigte sich der Ärger, als Costa dort stand und mich zurückdrängte, um mir seine Neuigkeiten mitzuteilen.
„Ich hab's!", rief er durch die Luft und ignorierte Zoe komplett, obwohl er sie immer als Erstes im Haus begrüßte.
„Was hast du?"
„Die Antwort auf unser Problem. Ich weiß, worüber wir schreiben sollten. Wieso erzählen wir nicht die Geschichte darüber, was wir schon alles als Freunde erlebt haben und wie gut es lief, ohne dass wir uns ineinander verknallt haben?"
„Das ist-", ich suchte nach dem richtigen Wort: "Großartig! Genau das wird die Leser aufrütteln. Sie brauchen ein konkretes Beispiel, um es begreifen zu können. Wir schreiben über die Vorurteile, die uns an den Kopf geworfen werden und wie wir damit umgehen. Dann empfinden diese verfluchten Romantiker endlich mal Mitleid und sehen nicht alles durch rosanes Glas."
„Und wir sollten den Teil mit den wissenschaftlichen Studien noch einmal aufführen, was passiert, wenn man verliebt ist, um den Unterschied zur Freundschaft zu verdeutlichen."
„Perfekt. Los geht's!"
Beinah wäre ich schon zur Tür hinausgerast, da stoppte mich der Gedanke an Zoe, die unsere Konversation stumm wie ein Zuschauer von der Bank aus verfolgt hatte.
„Zoe, ist es in Ordnung, wenn wir-?" „Geht schon", unterbrach sie mich: „Da musst du gar nicht fragen. Ich werde mich um Emis Fragen kümmern."
Ich lächelte sie glücklich an und nickte ihr zu. Sie sah müde aus und eigentlich ließ ich sie nur ungern alleine zurück, aber das hier war äußerst wichtig für Costa und mich. Wir hatten endlich eine Idee, wie es weitergehen könnte. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. In wenigen Stunden endete unsere Frist.
Kaum waren die letzten Worte zwischen uns ausgetauscht, kam meine kleine Schwester keuchend hereingestürmt und rief: „Costa ist da! Er hat sich vorbeigeschlichen." Jetzt deutete die kleine auf meinen besten Freund, der amüsiert einen Mundwinkel hob.
„Sorry, Kleines", entschuldigte er sich und wuschelte ihr durch das braune Haar. Mit ihrer Größe reichte sie ihm bis zur Hüfte. Ein süßer Anblick. Ich schmolz oft dahin, wenn er sie auf dem Arm hielt.
„Wir müssen", unterbrach ich die Versammlung und tippte auf meine imaginäre Uhr am Handgelenk. Costa nickte und verabschiedete sich von Emi und Zoe.
Ich schnappte mir den iMac und packte ihn in eine Tasche, um ihn vor dem Regen zu schützen. Tagsüber war es sicherer bei Costa zu arbeiten, als hier bei mir, wo das Chaos tobte. Zoe würde gleich bei der Videokonferenz ihrer Kontrabassgruppe zugeschaltet sein und selbstverständlich auch auf ihrem üben. Da wollte man ungern in der Nähe sein und versuchen, Sätze zu verfassen, während Zoe auf den Nerven tanzte. Auch Emi musste noch lange nicht ins Bett und würde fast jede halbe Stunde gegen meine Zimmertür klopfen, um nach dem Rechten zu sehen. Und meine Eltern würden sich danach erkundigen, ob jemand Hunger oder Durst hätte. Kein guter Ort zum Schreiben also.
Bei Costa angekommen, fiel es uns erstaunlich leicht, die ersten Worte zu finden. Ich überließ ihm die Führung und fügte nur hier und da etwas ein. Am liebsten war mir der Rückblick in unsere gemeinsame Vergangenheit.
„Weißt du noch den Tag, an dem wir uns kennengelernt haben?", fragte ich ihn. Er grinste breit bei dem Gedanken und brauchte nicht lange in seinen Erinnerungen zu wühlen.
„Klar, wie könnte ich das denn vergessen? Manchmal bedauere ich, dass du durch den Unfall Sport hasst."
„Ich hab ihn schon davor abgrundtief gehasst. Wieso Menschen ohne ihr schweißtreibendes Workout nicht leben könnten, verstehe ich bis heute nicht."
Für eine Sekunde schwelgte ich in alten Erinnerungen. Damals war ich zehn gewesen, als ich durch den Umzug auf Costas Schule kam. Er war Klassensprecher gewesen. Ein Amt, das er heute noch mit Freude wahrnahm. Ich nannte das oft das Einschleimamt, weil man in den Augen der Lehrer augenblicklich an Beliebtheit gewann.
Die erste Stunde an der neuen Schule musste ausgerechnet Sport gewesen sein und dann hatten wir auch noch Fußball gespielt, was ich noch mehr hasste als Mathe. Natürlich hatte es so kommen müssen. Ich war beim Spielen umgeknickt, Costa hatte mich als Vertreter der Klasse ins Sanitätszimmer gebracht und mir Hilfe angeboten, wann immer ich sie bräuchte.
Ich hatte noch keine Freunde in der neuen Klasse gehabt und alles, was ich von den Mädchen mitbekommen hatte, ekelte mich an. Ihr Denglisch war mir bis heute zuwider und ihre Gesprächsthemen über Make-up, Kleidung und Haare interessierten mich nicht im Geringsten. Eine Woche lang hatte ich darüber nachgedacht, eventuell transsexuell zu sein.
Aus diesen Gründen hatte ich mich in den nächsten Tagen immer neben die Person gesetzt, die ich am nettesten fand und die mir die Tür offen hielt. Costa. Zusammen mit Josh, Henrik und Niels hatten wir an einem Gruppentisch gesessen, der ursprünglich für vier gedacht war. Costa hatte aber einen weiteren Tisch daran geschoben, als er mich orientierungslos auf der Suche nach einem Sitzplatz gesehen hatte. Bis heute war ich dankbar für seine Hilfsbereitschaft.
Als ich zur Realität zurückkehrte, hatte Costa bereits eine DIN-A4-Seite vollgeschrieben. Ich überflog die Worte und war sofort begeistert.
„Klasse."
„Danke, ich weiß." Wir grinsten breit, als der letzte Punkt gesetzt war. So aufgeregt war ich lange nicht mehr gewesen. Die Zeit deutete eine halbe Stunde vor Mitternacht an. Wir lagen also perfekt in der Zeit.
„Ich jage es noch einmal durch die Autokorrektur und dann können wir es abschicken", erklärte Costa siegessicher.
Ich nickte und wandte mich ab. Meine Augen fühlten sich ganz dick an. Ich konnte nicht garantieren, solange noch wach zu bleiben und zu warten. Das Licht des Laptops war das einzige, das den Raum erhellte. Draußen war alles pechschwarz und im Haus war nur einmal zur halben Stunde der Gong der Standuhr zu hören, die in Costas Wohnzimmer stand.
Ich gähnte einmal auffällig und legte den Kopf in den Nacken.
„Fertig." Ich wurde hellwach bei diesem Wort, als wäre es der Ersatz für ein Weckerklingeln.
„Ich schicke es gleich ab", sagte ich und übernahm den iMac. Meinen Augen gefiel das helle Licht gar nicht und so brannten sie die ganze Zeit. Ich konnte es aber ignorieren.
Die Mailadresse der Redaktion war schnell eingegeben. Ich blickte Costa noch einmal an, um sicherzugehen, dass wir das Richtige taten. Als er nickte, schickte ich die fertige Datei ab.
„Yes", flüsterten wir fast gleichzeitig. Dann folgte ein gemeinsames Gähnen. Schicht im Schacht für heute. Ich entschied mich, erneut bei Costa zu übernachten. Das Sofa fühlte sich beinahe so gut an wie das Gefühl des Sieges, das intensiver wurde, als ich die Augen schloss.
„Nacht", flüsterte die Stimme vom Bett aus.
„Nacht und danke."
„Wofür?"
„Für unsere Freundschaft seit sieben Jahren."
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