25 ~ 6473 Follower

Am Montag, drei Wochen nach unserem ersten Mal, war es dann so weit. Die große Show stand vor der Tür und bis jetzt hatten Costa und ich es geschafft, unsere Beziehung geheim zu halten. Jedenfalls war noch kein Skandal im Internet aufgekommen, stattdessen fluteten die Werbespots über unseren heutigen Auftritt alle Plattformen, als wären wir das EM-Finale, das man auf keinen Fall verpassen durfte.

Back und Costa holten mich von zu Hause ab und so fuhren wir zu dem Studio in der Stadt, wo die Übertragung stattfinden sollte. Costa hatte sich in Schale geschmissen und trug einen schicken Smoking mit einer angesteckten roten Rose an der rechten Brust. Ich musste es mir vor Back verkneifen, Costa zu sagen, wie sexy er darin aussah.

Ich selbst trug ein blaues Kleid, das ich genauso gut hätte zu Zoes Hochzeit anziehen können. Sie wiederholte zwar immer wieder, wie sehr sie über die Tragödie mittlerweile hinweg wäre, doch ab und an hörte ich sie trotzdem noch, wie sie sich in den Schlaf weinte. Es tat mir in der Seele weh, doch was konnte ich schon groß ausrichten, neben Trösten und Hilfe anbieten? Selbst meine Eltern waren mittlerweile der Meinung, ich müsste ihr einfach nur noch mehr Zeit und Freiraum geben und es wäre ganz normal und verständlich, sie so leiden zu sehen. Ich hoffte, mir würde es niemals so ergehen wie ihr jetzt. Es tröstete mich, dass ich Costa gut genug kannte, um zu wissen, dass er mir niemals wie Spencer fremd gehen würde.

Wir kamen vor dem Studio an und stiegen auf einem riesigen Parkplatz aus, auf dem ich mich schrecklich klein fühlte. Die Luft war schwülwarm, sodass mir der Schweiß auf der Stirn stand. Oje, hoffentlich würde man meine Schweißflecken nicht im Fernsehen bemerken.

Costa schien meine Anspannung zu merken und legte eine Hand auf meine Schulter. "Alles wird gut." Ich nickte leicht und blickte das riesige Gebäude empor. An der Wand wehten große Flaggen, die mindestens dreimal so groß sein mussten wie ich selbst.

„Also gut. Bereit?", fragte Back uns beide und schob uns in Richtung Eingang. Egal, was man darauf antwortete, für einen Rückzieher wäre es nun zu spät gewesen.

„Ja", sagten wir beide knapp. 

Im Gebäude selbst befand sich die Anmeldung in Form eines runden Pults auf der linken Seite, gleich hinter der gläsernen Drehtür. Die Wände schimmerten in Marmor und das Highlight der gigantischen Halle war mit Abstand ein funkelnder Kronleuchter an der Decke.

„Wow", staunte Costa und ging mit offenem Mund zur Anmeldung vor.

„Nicht schlecht", kommentierte Back hinter ihm und strich sich die Haare aus dem Gesicht.

Die Frau hinter der Anmeldung wirkte auf den ersten Blick eher kühl und menschenfern, entpuppte sich allerdings als sympathische Quasselstrippe, als Costa mit ihr ein Gespräch anfing. Ihre blonden langen Haare waren glatt zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihr Mascara betonte ihre blauen Augen perfekt. Mit ihrer rosafarbenen Bluse und der weißen Hose passte sie perfekt in diese wundervolle Halle.

„Hallo", fing mein Freund an, woraufhin sie unbeeindruckt hochblickte: „Wir sind hier wegen der Sendung, die über uns und unsere Freundschaft gehen soll."

„Wie ist der Name?" Sie betonte es so kühl, dass mir augenblicklich kalt wurde. Eine Gänsehaut legte sich auf mich.

„Ähm, Valeria Newton und Konstantin Griffin."

Sie tippte kurz unsere Namen ein und schaute sich vermutlich die Notiz über unsere Show an. Plötzlich sprang sie freudestrahlend vom Stuhl auf.

„Vasta! Wow, was für eine Ehre, euch beide kennenzulernen. Ich muss ehrlich gestehen, ich hatte bis vor kurzem keine Ahnung von euch und eurer Aktion, aber meine Tochter-. Smilla, sie liebt euch. Und als ich gesehen habe, dass ihr in diesem Studio auftretet, da ist sie ausgerastet und hat mich gebeten, ihr ein kleines Andenken mitzubringen."

Sie hielt eine Karte und einen Stift hin. Darauf waren Bilder von uns abgebildet, die wir in der letzten Woche veröffentlicht hatten, und in der Mitte ein fettes Herz, vermutlich um ihre Zuneigung uns gegenüber mitzuteilen. Das war beinah ein Grund, nein zu sagen. Ich hasste es, wenn Menschen Costa und mich mit einem Herzen in Verbindung brachten. Doch ehe ich es mir recht überlegen konnte, hatte mein Freund schon den Stift ergriffen und unterschrieb schnell.

„Klar, sehr gerne. Richten Sie ihr schöne Grüße von uns beiden aus." Dann drückte er mir den Stift unbemerkt in die Hand und schob die Karte etwas dichter. Wow, selbst seine Unterschrift war unglaublich perfekt. Dagegen bestand meine nur aus meinem Anfangsbuchstaben und meinem Nachnamen, voneinander getrennt mit einem einfachen Punkt.

„Oh, vielen Dank! Tut mir leid, wenn das aufdringlich war, ich ähm-, wo war ich?" Sie blickte gestresst auf das Display des PCs, klickte sich durch und nahm dann wieder Haltung an. „Ihr könnt euch in das Wartezimmer vier setzen, hier geradeaus, dann links und dann den langen Gang entlang, nicht zu übersehen." Während der Wegbeschreibung wedelte sie aufgeregt mit dem Stift herum und setzte dann ein nervöses, aber ehrliches Lächeln auf. Ich fand sie ja etwas albern, aber Costa bedankte sich freundlich bei ihr und legte dann die Hand auf meinen Rücken, um mich in Richtung des Wartezimmers zu drücken.

Zu schade, dass überall Überwachungskameras hingen. So konnte ich ihm nicht einmal einen schnellen Kuss geben oder zumindest mit ihm Händchen halten, als Back kurz zur Toilette flitzte. Und irgendwie machte es mich wütend. Der ganze öffentliche Raum war ein einziger Käfig, in dem jede Bewegung unter Beobachtung stand. Eine falsche Handlung und man war raus.

Nach einigen Minuten des Wartens, es war mittlerweile halb acht, wurden wir von einer Mitarbeiterin in einem schicken blauen Anzug und blondem Bubikopf abgeholt. Noch während wir ihr zum eigentlichen Drehort folgten, gab sie uns eine detaillierte Beschreibung der Räume links und rechts, an denen wir vorbeizogen. Natürlich behielt ich in der Eile nicht einmal die Hälfte von dem, was sie uns da gerade sagte. Wichtig waren nur die Wegbeschreibungen zur Toilette, dem Ausgang und der eigentlichen Bühne.

„Noch irgendwelche Fragen?", fragte sie uns am Ende des Ganges und wirbelte zu uns herum.

„Nein, Ma'am", antwortete Costa für uns beide.

„Na dann. Willkommen in der Show. Ihr habt noch genau fünfzehn Minuten bis ihr wieder hier sein müsst. Dann kümmern wir uns um eure Verkabelung, Ton, etc. etc. Klar so weit?"

Kaum hatten wir mit dem Kopf genickt, drehte sie sich auf ihren Hackenschuhen um und flitzte wieder zurück in Richtung Wartezimmer.

„Okay, na dann. Ihr habt die Frau gehört. Ich hol mir einen Kaffee to go aus der Cafeteria. Kann ich euch was mitbringen?", fragte Back und schaute uns dabei erwartungsvoll an. Er war uns die ganze Zeit wie ein Hund unbemerkt hinterhergedackelt. Wir schüttelten nochmal mit dem Kopf. Das Adrenalin rauschte nur so durch meinen Kopf, dass meine Ohren die Geräusche von außen ausblendeten.

„Alles klar, dann bis gleich", verabschiedete er sich und folgte den Spuren der Bubikopf-Mitarbeiterin. Costa und ich blieben alleine zurück. Endlich mal.

„Wow, das ist es also", stellte ich fest und sah ihm in die Augen. Er hob leicht die Mundwinkel.

„Ja, sieht ganz danach aus. Idee, was wir so lange noch tun sollen? Hier herumstehen, etwas posten, sowas in die Richtung?"

„Ich hab da eine bessere Idee", konterte ich und zog ihn am Ärmel mit mir. Einen weiteren Raum hatte ich mir auf der Rundtour noch gemerkt: der Erholungsraum. Frei von Überwachungskameras oder Menschen, die uns sehen könnten. Perfekt für die Zweisamkeit, auch wenn es nur kurz wäre, da Back jeden Augenblick wieder auftauchen würde.

„Bist du aufgeregt?", fragte er mich, als ich hinter uns die Tür schloss und mich mit einem Seufzen auf einem Stuhl niederließ.

„Ja, kann man so sagen. Was ist mit dir?"

Er presste kurz die Lippen aufeinander und nickte unbemerkt. Das schien mir zu helfen, mich zu entspannen. Ich musste die Sache nicht alleine durchstehen. Erstaunlicherweise hatte auch dieser Raum eine beruhigende Wirkung auf mich. Die Wände waren in einem Violettton bemalt, wie mir jetzt erst bewusst wurde, und die Stühle waren in einem Sitzkreis positioniert. In der Ecke stand ein Wasserspender mit einigen aufgestapelten Plastikbechern. Und die Fenster waren dunkel verspiegelt, sodass das Sonnenlicht nur gebrochen hereinscheinen konnte. Wir befanden uns im zweiten Stock, sodass man uns vermutlich gut sehen könnte, wäre das Glas nicht verspiegelt. Ein beruhigender Gedanke, dass wir ein bisschen Privatsphäre durch so ein einzigartiges Fenster hatten.

„Ich bin so froh, wenn wir den heutigen Abend hinter uns haben."

„Geht mir auch so", sagte Costa und blätterte dabei durch seine Karteikarten, die er sich extra geschrieben hatte. Ich hatte darauf verzichtet, da ich meine Präsentationsweise aus der Schule gut kannte: egal, ob mit oder ohne Karten, im Endeffekt redete ich sowieso frei und das, was hängen geblieben war, sodass die Vorbereitung die reine Zeitverschwendung war.

„Wir werden nach der Show aus dem Rampenlicht verschwinden", fügte er noch hinzu.

„Das macht nichts. Und mir ist es auch ehrlich gesagt lieber so, als uns dauernd präsentieren zu müssen. Mir ist es wirklich ein Rätsel, wie Hollywood-Stars wie Brad Pitt oder Leonardo DiCaprio ein Privatleben haben können."

„Haben sie nicht. Leo wird immer wieder mit jungen Models auf seiner Privatjacht erwischt", konterte Costa und grinste frech.

„Du weißt, was ich meine. Wir hätten endlich wieder ein Leben."

„Ja, ich kann dann endlich die Fahrschule beenden und vielleicht bekommen wir unsere Jobs wieder, wer weiß."

„Ja, vielleicht. Das wäre schön." Ich musste lächeln und für einen Moment starten wir uns so an, drei Meter auseinander. Mein Freund stieß sich mit den Händen vom Schreibtisch ab, an den er sich zuvor angelehnt hatte, und kam langsam zu mir herübergeschlichen, um sich vor mir niederzuknien, fast so, als wolle er mir einen Antrag machen.

„Lass uns das Versprechen geben, dass wir nie wieder eine Kampagne starten und uns vornehmen, die Welt zu verändern. Unser kleiner Umweltgedanke reicht mir vollkommen aus."

„Mir auch." Ich legte den Kopf schräg und lächelte ihn schief an. „Versprochen. Keine Kampagnen mehr." Mein kleiner Finger streckte sich in seine Richtung und er harkte mit seinem ein. Dann kam er näher und küsste mich. Ich hatte diese zarten Lippen vermisst, die gleichzeitig so gierig agierten wie meine. Ich dankte dem Studio dafür, dass es einen Raum für solche intimen Angelegenheiten ins Leben gerufen hatte und ich so die Chance bekam, seine Lippen noch einmal auf meinen spüren zu können. Es ging so weit, dass wir uns gemeinsam erhoben und ich meine Arme um seinen Hals schlang.

Seine Finger suchten nach dem Saum meines Kleides und zogen es etwas hoch, doch da klopfte es auf einmal und die Tür ging auf. Hastig lösten wir uns wieder voneinander und drehten uns in Richtung Fenster. Das musste so aussehen, als würden wir versuchen, aus dem verspiegelten Fenster zu schauen.

„Frau Newton, Herr Griffin, die Technik wäre dann bereit. Oh, versucht ihr herauszuschauen. Ich muss euch leider enttäuschen, die Fenster sind einseitig vertont."

Einseitig?

Costa drehte sich als Erstes zu dem Mann, der uns abholen sollte. „Heißt das, man kann nicht rausschauen, aber rein?"

„Ja, ganz recht." Er hob die Hand in Richtung Bühne, der wir folgten, als er plötzlich noch anmerkte: „Ach ja, da ist noch was. Ich denke, vor dem Gebäude haben sich ein paar Fans versammelt, die immer wieder versuchen, ins Studio zu kommen. Aber keine Sorge. Das Gebäude ist gut abgesichert. Keiner von den Fans wird euch etwas anhaben können."

Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Fans, vor dem Fenster, in das man von außen hereinsehen konnte. Gott. Bitte lass niemanden den Kuss gesehen haben. Bitte, bitte, bitte.

Costa schien die gleiche Sorge zu teilen und schaute schockiert in meine Augen. Doch es blieb keine Zeit, jetzt darüber nachzudenken. Wir konnten einfach nur hoffen, dass es niemand gesehen hatte. Ich meine, das Gebäude war riesig und hunderte von Glasfronten säumten die Fassade. Wie sollten sie in den paar Sekunden ins richtige Fenster gesehen haben?

Nun hörte ich es auch endlich. Menschen, die von unten Vasta, Vasta, Vasta im Chor brüllten.

„Wird schon alles gut werden", versuchte Costa mich zu beruhigen, aber ich glaubte nicht einmal daran, dass er daran glaubte. Aber was blieb mir anders übrig?

Unbewusst bekamen wir ein Mikrofon um die Ohren gewickelt, das an unserem Rücken verkabelt war. Es wurde nicht geredet. Die drei Techniker turnten nur um uns herum, während wir wie Puppen an einem Fleck standen und uns nicht bewegten. Ich fühlte mich wie eine Marionette.

„Okay, bereit?", fragte der Mann, dessen Namen ich immer noch nicht erfahren hatte, und gab den Moderatoren auf der Bühne einen Daumen hoch. Wir brauchten gar nicht zu antworten, da wurde schon heruntergezählt.

„Und wir sind auf Sendung in drei, zwei, eins..." Das Bühnenlicht wurde unglaublich hell, sodass ich mir die Augen zuhalten musste. Auf einem kleinen Monitor im Vorraum konnten wir die Show verfolgen. Eine Moderatorin mit langen roten Haaren in einem grünen Jumpsuit und ein Moderator mit einer farbenfrohen Krawatte saßen auf einem roten Sofa und begannen mit etwas Smalltalk.

„Sag mal, Samantha. Bist du eigentlich viel auf Social Media unterwegs?"

„Naja, es geht so. Meistens schaue ich mir Kochvideos an, den Rest mit den ganzen Influencern und so überlasse ich lieber meinen Kids. Die fahren gerade voll auf diese zwei Stars namens Val und Costa ab."

„Ja, von denen habe ich auch schon viel gehört. Erstaunlich, was die beiden innerhalb von nicht einmal drei Monaten erreicht haben."

„Ja, unglaublich. Wie sind sie denn nochmal zu so viel Aufmerksamkeit gelangt, Mark?" Die Moderatorin blickte ahnungslos zu ihrem Kollegen, als hätte sie sich nicht stundenlang zuvor auf ihre Gäste vorbereitet. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass Moderatoren eigentlich auch nur Schauspieler waren.

„Vasta, wie ihre Fans sie nennen, haben an ihrer Schule in Rostock damit angefangen, einen Artikel in der Schülerzeitung zu schreiben. Darin ging es um die Freundschaften zwischen Mädchen und Jungen und um die Stereotypen, mit denen diese zu kämpfen haben. Das Ganze hat sich dann rasant in den Sozialen Medien verbreitet, sodass sie aktuell 6473 Follower auf Instagram zählen." Mir fiel erst jetzt auf, dass wir durch die große Show heute Abend so viele neue Follower dazugewonnen hatten.

„Unglaublich, wirklich. Ich frag mich ja, wie sie damit umgehen. Aber davon können sie sicherlich gleich mehr erzählen. Hier sind sie nun, für das erste öffentliche Interview im Fernsehen. Hier sind Vasta!"

Mein Herz beschleunigte auf hundertachtzig, als uns jemand von hinten anschob, sodass wir auf die Bühne stolperten und im Flutlicht versanken. Meine Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an das helle Licht gewöhnt hatten.

„Setzt euch, setzt euch, hier", wies die Frau mit den roten Haaren uns an und rückte auf dem Sofa etwas weiter zu dem Moderator herüber. Als wir uns niedergelassen hatten, bemerkte ich die Kameras auf uns gerichtet. Sie machten mich nervös, sodass ich an meinem blauen Kleid herumzupfte, so als würde es nicht perfekt sitzen.

„Costa und Val", sagte die Moderatorin in einem entzückten Ton.

„Val und Costa", wiederholte der Moderator genauso entzückt und wirbelte mit den Händen herum, als wären wir das Ergebnis einer Zaubershow. Mir wurde schlecht. Mit denen sollte ich mich eine Stunde lang abgeben? Ich konnte sie nicht einmal ernst nehmen.

In meiner Vorstellung lehnte ich mich vor und griff unauffällig nach der Schokolade, die auf dem Tisch hübsch auslag, nur um sie dann lässig zwischen die Zähne zu schieben. Aber das blieb nur Vorstellung, denn mir wurde nicht die Zeit gegeben, zu kauen.

„Val, viele Fans haben vor dem heutigen Abend haufenweise Mails hier ins Studio geschickt, die meisten davon sind Fragen an dich. Würdest du die beantworten wollen, gleich hier?" Sie grinste mich erwartungsvoll an und hielt dabei ihre Moderationskarten fest in den Händen. Konnte ich hier vor den Augen tausender Zuschauer ablehnen? Wohl kaum.

„Klar. Ich beantworte gerne die Fragen unserer Fans."

Sie begann damit, die erste Mail vorzulesen, die ebenfalls über uns auf eine Leinwand projiziert wurde: „Hallo Val, ich bin ein riesiger Fan von dir und Costa. Aber was mir nicht aus dem Kopf geht, ist, wie du zu Costas fester Freundin Hannah stehst?"

„Oh, das ist einfach." Ich stoppte mich schnell, bevor ich die Wahrheit sagte. Schließlich würde ein schlechtes Wort über Hannah ihr ganzes Leben zerstören. Und auch wenn sich diese Macht über sie gut anfühlte, konnte ich es nicht über mich bringen. Also log ich halbwegs. „Naja, wir hatten am Anfang unsere Differenzen, aber je mehr Zeit wir miteinander verbracht haben, desto näher sind wir uns gekommen."

Der Moderator, der gegenüber von mir saß, legte die Hand ans Kinn und strich es sich, so als würde er an einer Matheaufgabe knobeln. „Sag mal, Costa. Wie läuft es eigentlich mit dir und Hannah. Es sind lange keine gemeinsamen Bilder aufgetaucht von euch."

„Nun", begann Costa. Ich sah ihm genau an, dass er eigentlich nicht darüber reden wollte. Und ich hasste die Menschen um uns herum dafür, dass sie wieder das Thema anschnitten, auf dass ich mit Absicht nicht mehr einging. „Das ist Geschichte. Wir haben uns getrennt."

„Wieso das?", fragte die Moderatorin. Okay, das ging wirklich zu weit.

„Hören Sie, soll das ein Interview über unsere gescheiterten Beziehungen in unserem Privatleben werden oder über die Kampagne, weshalb wir eigentlich hier auftreten wollten?", griff ich an. Mir war es egal, wie schräg ich jetzt angeschaut wurde.

„Natürlich, tut uns leid. Das habe ich ganz vergessen zu erwähnen. Wenn euch irgendwas unangenehm ist oder ihr etwas nicht beantworten wollt, ist das selbstverständlich in Ordnung."

Ich nickte, was man als ein Dankeschön auffassen konnte.

„Also, dann weiter im Programm. Wir haben noch mehr Fanpost erhalten. Hier schreibt KittyxEmi23: Ich liebe das, wofür ihr steht. Ihr seid eine echte Inspiration und seit es euch gibt, kann ich den Menschen mit den Vorurteilen die Stirn bieten. Mein bester Freund und ich haben schon viel damit zu kämpfen gehabt. So viele wollten uns zusammen sehen. Aber dank euch kann ich jetzt immer damit kontern, dass ihr eine so große Kampagne starten konntet, ohne ein Liebespaar zu werden. Unglaublich! Macht weiter so und lasst euch nicht unterkriegen!" Der Moderator blickte von seinen Karten auf und sah Costa direkt an. "Scheint eine sehr inspirierende Kampagne zu sein. Könnt ihr uns nochmal die Geschichte schildern, wie ihr sie so groß machen konntet?"

„Gerne", sagte Costa. Mir wurde heiß unter den Lampen. Sah man meinen Schweiß auf der Stirn schon, wie er sich seinen Weg entlang meiner Augenbrauen hinunter bis zum Kinn bahnte? Mir geisterten die unmöglichsten Fragen durch den Kopf, weshalb ich Costas Nacherzählung nur nebensächlich mitbekam. Wie um alles in der Welt sollten wir gleich die Katze aus dem Sack lassen und alle damit enttäuschen, dass unser Freundschaftsmotto doch nicht so geklappt hatte, wie alle dachten? Gab es doch noch einen Ausweg? Konnte ich noch einmal mit meinem Freund darüber beraten, bevor es zur Sache ging?

„Val", wurde ich aus meiner Trance gerissen. Ich musste bis zu diesem Moment ganz klar in die Kamera geschielt haben. „Wie ergeht's dir mit dem öffentlichen Leben? Genauso wie Costa?"

Ich hatte keine Ahnung davon, was Costa vor laufender Kamera gesagt hatte. „Ähm, ähnlich. Es kann schon sehr anstrengend sein, macht aber auch immer noch Spaß, die Menschen mit Posts zu erreichen und wirklich was bewirken zu können. Wir bekommen ein Haufen Nachrichten am Tag, die wir uns auch alle durchlesen. Wenn wir sie nicht beantworten, tut uns das wahnsinnig leid, aber es sind mittlerweile so viele, dass wir mehr als vierundzwanzig Stunden am Tag bräuchten, um wirklich alle ausführlich zu beantworten." Dabei blickte ich in die schwarze dunkle Kamera. Nicht vorstellbar, dass dahinter so viele Augen saßen.

„Sehr spannend. Aber das kann ich mir gut vorstellen." Die Frau strich sich die roten Haare mit einer Hand über die Schulter und blickte auf ihre Karten. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass wir von Robotern ausgefragt wurden. Keine Emotionen, kein wirkliches Interesse. Alles nur vorgespielt, wie dieses Fake-Lächeln.

Ein Blick huschte schnell in Costas Richtung, um ihm doch davon abzuraten, unsere Message hinauszutragen. Besser wäre es, es doch leise in einem Post zu erproben und dann in die Welt abzugeben. Da hatten wir schließlich die Kontrolle über das Gesagte und konnten noch Änderungen vornehmen.

Doch Costa war mit anderen Dingen beschäftigt und würdigte mich keines Blickes. Wieso auch? Und wenn ich einfach schwieg? Nein, dann würde es Costa ganz sicher aussprechen. Und-

„Was habt ihr zu diesem Bild zu sagen, das ein Fan kurz vor der Show gepostet hat?"

Unsere Augen gingen zeitgleich in Richtung Leinwand und gleichzeitig erstarrten wir beim Anblick.

Uns hatte jemand gesehen.

Beim Küssen.

Hinter dem einseitig verspiegelten Glas.

Und darauf erkannte man ganz klar, wie wir aneinander geschmiegt waren und uns innigst küssten.

„Ich- Ähm..."

„Ja...also..."

„Das ist so..."

„Das sollte eigentlich niemand-"

„Ja, da war dieses einseitig verspiegelte Glas und-"

Wow, das lief ja großartig. Man könnte meinen, unser Stottern sollte alle mehr verwirren als das eigentliche Bild, als wäre es eine Ablenkungsmethode. Doch in Wahrheit waren wir beide selbst so überrascht vom Anblick wie auch die Moderatoren, die das Bild scheinbar auch zum ersten Mal sahen, dass die richtigen Worte fehlten. Einen Moment später fand ich aber meine Sprache wieder. „Wir wollten es eigentlich in dieser Show bekannt geben."

Costa ergänzte für mich: „Ja, das ist jetzt eine echt miese Situation, aber wir scheinen doch nicht so gefühlskalt füreinander zu sein, wie gedacht. Es tut uns wirklich leid."

„Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass wir nicht dafür stehen, was wir in den letzten Monaten vertreten haben", verkündete ich: „Mädchen und Jungen können immer noch Freunde und keine Liebenden sein. Und wenn es sich trotzdem ergeben sollte, dann ist das toll und großartig, aber wenn nicht, sollte man auf die Freundschaft anstoßen."

„Was Val damit sagen will, ist, dass wir beide keine Ausnahme sind, wie alle dachten, auch wir selbst am Anfang. Unsere Freundschaft ist nicht bedeutsamer und außergewöhnlicher als jede andere", er legte eine kurze Pause ein: „Die Forschung geht davon aus, dass Liebe viele Facetten hat und nicht nur auf neurobiologischer Ebene erklärbar ist. Und auch unsere Gefühle verändern sich immer mal wieder. In den letzten Wochen haben wir sehr viel durchmachen müssen, was uns einander nähergebracht hat. Und wir haben uns nun mal während der ganzen Aktion widerwillig verliebt."

Nun war es ausgesprochen. Verliebt. Ich fasste es nicht. Wie sahen die Menschen uns wohl jetzt? Waren wir noch glaubwürdig? Ich würde jetzt am liebsten das Handy zücken und die Followerzahlen checken, doch der Drang danach wurde erschlagen, als Costa seine Hand demonstrativ auf meine legte. Ein warmes Kribbeln durchfuhr meinen Körper und gab mir die Glücksgefühle zurück, die mich selbst auf dieser Bühne entspannten.

Es war entschieden. Die Anti-Gegner unserer Kampagne sowie diejenigen, die uns zusammen sehen wollten, hatten gewonnen.

Und ganz ehrlich. Mir war es scheißegal.

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