22 ~ 6368 Follower

Das Ende der Party bestand aus zwei Gedanken. Der erste war, dass das die lahmste Party war, auf der ich jemals gewesen war und jemals sein würde. In den ganzen zwei Stunden, die wir nun schon hier verbracht hatten, waren gerade einmal drei weitere Personen - drei weitere Nerds - hinzugekommen. Costa hatte zwischendurch einmal die Posts von den ungesehenen Gästen geprüft. Alle waren sie auf Jennifers Party und feierten ausgelassen, als gäbe es keinen Morgen mehr. Daraufhin hatte er mich gefragt, ob wir stattdessen dorthin gehen wollten, doch ich hatte es abgelehnt. Um ehrlich zu sein hatte ich mich an die entspannte Atmosphäre hier gewöhnt, was mich zu meinem zweiten Gedanken brachte. 

Glückskekse hier auf dem Boden von Caspars Küche aufzudrücken und über die Zettelchen mit Costa zu philosophieren, machte tausendmal mehr Spaß, als irgendwo betrunken auf- und abzuspringen. 

„Das Leben ist eine Tanzfläche und du bist der DJ", las ich vor und schaute mich im Raum um. Außer diesem ohrenbetäubenden Müll von Rap war es still und leer. „Also wenn ich der DJ dieser Tanzfläche in diesem Haus bin, dann habe ich meinen Job verfehlt oder mein Leben ist zum Kotzen langweilig." 

„Das denke ich nicht. Das erste ich wahrscheinlicher. DJ passt wirklich nicht zu dir", konterte Costa. Wir mussten beide gleichzeitig lachen. 

„Der Job passt zu dir viel besser. Ich meine, du findest immer den richtigen Song im passenden Moment."

„Ich weiß gar nicht, was du meinst." Er grinste breit zum Boden und dann in meine Augen. Da war es wieder. Dieses wunderbare Lächeln, das mich einen Meter höher fliegen ließ. 

„Ach wirklich? Ich erinnere nur an die Tanzeinlage zu Another Brick in the Wall, wobei du auch noch gefilmt wurdest. Das kann jetzt jeder anklicken. Aber das Internet lobt dich für dein Talent und deine ausgelassene Stimmung. Du lebst dein Leben in vollen Zügen." Ich warf ihm ein Lächeln zu, das er erwiderte. 

„Was steht in deinem?"

„Du bist glücklich." Er schaute einen Moment nachdenklich auf das Stückchen Papier in seiner Hand. Ich wartete ungeduldig auf einen Kommentar, der jedoch ausblieb. 

„Bist du nicht glücklich?", fragte ich und duckte mich etwas in seine Richtung, um in sein Gesicht sehen zu können. Das hatte ich so leichtfertig gefragt, bis mir auffiel, dass es alles andere als belustigend war. Sein Blick klammerte sich regelrecht an diese Worte. 

Dann schaute er langsam auf und erwiderte: „Doch, doch. Also, manchmal nicht, aber im Großen und Ganzen schon. Es ist nur manchmal so, du kennst das doch, dass man nicht das sagen kann, was in einem vorgeht."

„Ja, das kenne ich nur zu gut. Aber du kannst dich mir anvertrauen", antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich würde meinem besten Freund nur zu gerne von der Rose erzählen und von meiner Entdeckung des Gedichts von ihm. Aber das konnte ich noch nicht. Zu groß war die Angst in mir, dass er das aussprechen würde, was er niemals mehr unausgesprochen machen könnte.

Ich ahnte bereits, dass es bei ihm um seine Mutter ging. Doch so stolz wie er war, schüttelte er leicht mit dem Kopf, schüttelte seinen Kummer aus dem Gesicht und blickte ungetrübt wieder drein. 

„Danke, aber es ist nicht so schlimm, wie du vielleicht denken magst. Du kannst dich übrigens auch mir jederzeit anvertrauen, sollte Bedarf bestehen", er zwinkerte mir zu: „Aber manche Sachen sollten vielleicht lieber nur Fantasie bleiben."

„Was meinst du da-."

„Hey, Leute! Wollt ihr nicht wieder zurück ins Wohnzimmer kommen? Die Party ist in dieses Haus umgezogen!", lallte Caspar von hinten ganz laut in unsere Richtung. Das war nicht zu überhören. Stimmen wurden lauter und lauter, Gelächter, Gebrülle und Mitgesinge. 

Ich wollte Costa noch einmal aus der Reserve locken und ihn fragen, was er mit Fantasie meinte, doch dafür war es nun zu spät. Er zog sich schon an der Küchenspüle hoch und sah dabei etwas unbeholfen aus, so als hätte er den Alkohol getrunken und nicht ich. 

„Ich will gehen", sagte Costa leise und taumelte zur Tür. Ich hob schnell meine Tasche vom Boden auf und schwang mich auf die Beine. 

„Danke Caspar, aber wir werden jetzt lieber gehen." Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte ich Costa hinterher. Woher kam seine plötzliche Stimmungsschwankung? Was war bloß in ihn gefahren? 

„Vielleicht ist es besser, wenn wir nach Hause gehen", meinte ich, als wir die Haustür durch das Gedrängel passiert hatten. Draußen übermannte mich die Stille. Lediglich Grillen fiepten in der Ferne. Es war nicht zu kalt und nicht zu warm. Eine perfekte Nacht, stünde mein Freund nicht neben sich. 

„Von mir aus." 

„Hey, ist alles in Ordnung bei dir? Du wirkst so- abwesend?"

„Ja, ja. Alles in bester Ordnung. Ich hab nur keine Lust mehr aufs Feiern. Können wir einfach nach Hause gehen?"

„Ja, klar, doch", stotterte ich und ließ ihn auf dem ganzen Weg kein einziges Mal aus den Augen. 

Die Straße war so leergefegt, dass wir auf ihr entlang gingen und ab und zu in den sternenübersättigten Himmel sahen. Einige Male huschte eine Sternschnuppe vorbei. Hier und da musste ich Costa ein wenig in die richtige Spur schubsen, weil er ansonsten gegen einen Pfosten gerannt wäre. Sein Blick war größtenteils auf die Straße gerichtet und die Hände hatte er in seinen Hosentaschen vergraben. Ich kaufte es ihm nicht ab, dass alles gut wäre. 

Bei Costa zu Hause angekommen, warf er sich sofort ins Bett, drehte sich schlapp auf den Rücken und stieß einen schweren Atem aus. Dann hielt er sein Handy über sein Gesicht und tippte ein paar Mal darauf. Als mein Handy ein Ton ausspuckte, warf er seines ans Bettende und schloss die Augen. Ein Blick aufs Handy verriet mir, dass Costa soeben ein Bild von uns beiden geteilt hatte. 

„Du hast ein Foto von uns gemacht?" Ich hielt mein Handy demonstrativ in seine Richtung, als wüsste er nichts davon, dass er unsere Glückskeksaktion auf Band eingefangen hatte. 

„Mh", stieß er tief aus und legte sich ein Kissen auf die Augen, um sich vor dem hellen Zimmerlicht zu schützen. Mein Finger betätigte den Lichtschalter, sodass der Raum seine natürliche dunkle Form wieder annahm. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich daran zu gewöhnen. 

„Danke", nuschelte Costa fast überhörbar. 

„Also, ich werd dann man gehen. Gute Nacht dir", verabschiedete ich mich und wollte ihn nicht länger von seinem Schönheitsschlaf abhalten, da ergriff mich auf einmal eine Hand am Handgelenk und hielt mich fest. 

„Ähm, Costa", sagte ich in die Dunkelheit und wirbelte zu ihm herum: „Du musst mich schon loslassen, damit du ungestört schlafen kannst."

„Ich könnte nicht schlafen, wenn ich dich loslassen würde. Bleib." Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er mich zu sich aufs Bett und schenkte mir den Platz an der Bettkante. Ich zögerte einen Moment, gab dann aber nach und legte mich hin. Noch eine Nacht mehr in diesem Raum würde mir nicht schaden. 

Keine zwei Minuten später schlummerte Costa auch schon im Reich der Träume. Da ich jedoch noch nicht schlafen konnte und im Gedankenkarussell aussichtslos gefangen schien, kramte ich meine Kopfhörer aus meiner Jackentasche, stopfte sie mir in die Ohren und wählte eine 2000er-Playlist aus. Keine Ahnung, ob der Partyrap meinen Musikgeschmack ruiniert hatte, aber freiwillig war ich noch nie auf eine 2000er-Playlist gegangen, um meine Ohren damit zu foltern. Vielleicht wollte ich in diesem Moment auch einfach keine 80er hören, weil es mich erst recht wieder auf mein Costa-Problem hinweisen würde. 

Die ersten paar Songs übersprang ich sofort augenverdrehend, da ich sie mir aus dem Radio längst übergehört hatte. Bis ich schließlich zu einem ganz besonderen Song kam, der mir jede Sekunde mehr gefiel. Unter dem Song stand in kursiver Schrift Human von The Killers. Irgendwie gab mir dieser Song eine eigenartige Energie, die ich schon lange nicht mehr verspürt hatte. Das wollte ich unbedingt mit Costa teilen, um ihn damit vielleicht etwas aufzumuntern. 

Ich tippte ihn an und rüttelte dann etwas mehr an seiner Schulter. „Hey, Costa. Ich hab hier einen echt genialen Song gefunden. Hör dir das mal an. Das wäre der perfekte Song für eine perfekte Nacht für ein perfektes Ritual." Costa musste einfach zusagen. 

Doch anders als erwartet, schlug er mit dem Arm aus und blockte verschlafen ab. „Heute nicht, Val. Ich brauche Schlaf." Damit schlummerte er auf der Seite weiter. Etwas enttäuscht sackte ich wieder ein. Klar war er müde und auch zugegeben deprimiert, aber zu einem Ritual hatte er noch nie nein gesagt, nicht einmal nach der Open Night des Candy Shops, bei der wir bis morgens um vier Uhr geholfen hatten. Und seit wann nannte er mich Val und nicht bloß V? Er musste es ernst meinen. Verletzt zog ich die Kopfhörer aus den Ohren, drehte mich mit dem Rücken zu ihm und ließ mein Handy zu Boden sinken. 

Ich versuchte ungefähr eine halbe Stunde lang einzuschlafen, doch es wollte mir einfach nicht gelingen. Weder Costas Frust, den er mir verheimlichte, noch Zoe, die keine Ahnung von ihrer unglücklichen Zukunft hatte, ließen mich in dieser Nacht los. Einschlafen schien unmöglich, besonders da ich wusste, dass neben mir mein bester Freund lag, der höchstwahrscheinlich mein Angebeteter war, sich aber aktuell wie das Gegenteil benahm. 

Um kurz vor zwei schwang ich auf, zog mir meine Schuhe wieder an und verließ erst leise den Raum, dann das Haus. Zumindest ein Problem musste ich jetzt aus der Welt schaffen. Ich konnte Zoe nicht länger warten lassen. Sie musste die Wahrheit erfahren. Meine Eltern und meine kleine Schwester waren zwar im Haus, aber dafür schliefen sie. Wenn Zoe leise schniefen würde, würde keiner davon mitbekommen und ich hätte noch genug Zeit bis morgen früh, um sie zu trösten.  

Hier stand ich also. Vor Zoes Zimmer, um wortwörtlich mit der Tür ins Haus zu fallen. Ich atmete tief durch und danach sofort noch einmal, um die Zeit hinauszuzögern. Aber es hatte keinen Zweck. Ich musste das hier hinter mich bringen. 

Aus Höflichkeit klopfte ich an und öffnete dann leise die Tür. Ein mürrisches: „Mhh", kam mir entgegen, dann wurde die Nachttischlampe eingeschaltet und ich als Einbrecher ertappt. 

„Val, was machst du hier um diese Zeit?", fragte Zoe mich verschlafen. Ihre Augen waren schmal und trugen darunter dunkeluntermalte Augenringe. Die Haare standen in alle Richtungen ab und sie hatte sich nur leicht auf ihre Ellenbogen gestützt. Es tat mir jetzt schon leid, dass ich mir keinen anderen passenderen Moment dafür ausgesucht hatte. 

„Hey, tut mir wahnsinnig leid, dass ich dich um zwei Uhr morgens störe, aber da ist was, worüber ich ganz dringend mit dir sprechen muss."

„Hat das nicht Zeit bis morgen?" Zoes Gesicht verschwand wieder im Kissen. Sie konnte wirklich ein Engel sein und jemandem ein so wachsames Gehör schenken, als wäre dieser die wichtigste Person auf Erden, aber wenn sie unausgeschlafen war, konnte sie ein echter Morgenmuffel werden. Wie ich, wenn Emi ungefragt in mein Zimmer geplatzt kam. 

„Nein, kann es nicht. Um ehrlich zu sein, es ist sehr wichtig. Ich will, dass du es weißt, bevor Spencer dir deine Zukunft ruiniert." 

Jetzt wurde sie hellhörig und setzte sich mit weit aufgerissenen Augen auf. Ihre Pupillen waren groß und sie hatte ihre Farbe im Gesicht verloren. Gott, ich war ein Monster. 

„Was ist mit Spencer?", fragte Zoe und kniete sich hin. Ich setzte mich an die Bettkante, ganz dicht an sie, um sie gleich in den Arm nehmen zu können. 

„Ich habe doch letztens versucht herauszufinden, wer hinter der Rose und dem Gedicht stecken könnte. Dabei habe ich Costas Kumpels an der Eisdiele getroffen, um ihre Unterschriften zu prüfen. Dabei habe ich Spencer auf der Straße gesehen. Zusammen mit einer Blondine namens Isabella. Sie haben sich geküsst-." Ich machte eine Pause, um Zoes Reaktion abzuwarten. Doch anstatt, dass sie auch nur einen Ton von sich gab, wirkten ihre Augen leer. Schrecklich traurig leer. Ich fuhr also fort. 

„Bevor ich dir das hier anvertraut habe, habe ich Spencer danach gefragt, um auszuschließen, dass ich etwas missverstanden habe. Aber er hat es nur bestätigt, dass da was mit Isabella war. Er hat mich drum gebeten, dir nichts zu sagen und beteuert, dass das Vergangenheit sei und er sich jetzt komplett auf dich konzentrieren wolle. Ich hab mit ihm aber die Vereinbarung getroffen, dass er es dir erzählen soll und wenn das nicht erfolgt, dann würde ich es tun. Es tut mir so leid, Zoe."

„Wann habt ihr darüber gesprochen?" Zoes Stimme war gebrochen und in ihrem leer geradeaus starrenden Blick sammelten sich langsam Tränen. 

„Vorgestern, als ihr zurückgekommen seid. Ich hätte ihm noch mehr Zeit gegeben, um es dir zu erklären, aber es geht alles so schnell. Mich nimmt das ziemlich mit und ich will nicht länger mit ansehen, wie er dich behandelt."

„Dieses Arschloch!", schreit sie auf einmal durchs Zimmer und ich war mir ziemlich sicher, dass es das erste Schimpfwort war, dass ich jemals aus ihrem Mund gehört hatte. Dann fing sie an zu weinen und sank auf die Seite. Während sie ins Kissen weinte, legte ich eine Hand auf ihre Schulter. Dieses Trösten-Ding war noch nie meins gewesen. Ich fand selten die passenden Worte und schwieg deshalb lieber. 

Als Zoe wieder auffuhr, umarmte sie mich fest und flüsterte: „Danke, dass du es mir erzählt hast. Isabella ist so ein Flittchen und Spencer. Er ist ein A-." Weiter kam sie nicht, denn plötzlich wurde ihre Stimme von den Tränen erstickt.

„Ich weiß", sagte ich und drückte sie auch fest: „Du kannst es ruhig sagen. Er ist ein Arschloch. Dir nichts davon erzählen zu wollen, ist feige."

„Nicht auszumalen, was passiert wäre, wären wir mit dieser Lüge in die Ehe gegangen. Es wäre eine Beziehung zu dritt gewesen. Ich weiß es genau. Spencer kann Isabella nicht loslassen, nicht einmal als Freundin, hab ich recht?"

Ich nickte an ihrer Schulter, wodurch sie schluchzte und dabei traurig grinste. „Wusste ich es doch. Er liebt sie immer noch."

„Warte, heißt das, du weißt, dass sie mal was miteinander hatten."

Zoe löste sich und nahm dankend das Taschentuch entgegen, dass ich vom Tisch geklaut hatte und ihr nun reichte.

„Ja, ich wusste davon. Die beiden waren vor uns ein Paar, fast ein Jahr lang. Er hat mir versichert, dass sie nur Freunde seien, aber das scheint ja wohl doch nicht so zu sein."

„Das tut mir leid", meinte ich, als hätte ich es in den ganzen zehn Minuten noch nicht oft genug gesagt. 

„Schon okay", sie lächelte leicht. 

„Was wirst du jetzt tun?"

„Ich weiß noch nicht. Ich werde ihn zur Rede stellen. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, ob die Hochzeit noch eine Zukunft hat. Wie kann ich einen Mann heiraten, der hinter meinem Rücken Affären führt und mir gegenüber nicht ehrlich ist? Dann scheine ich ihm ja doch nicht so wichtig zu sein."

Bei dieser Erkenntnis fing sie wieder an zu schluchzen, sodass ich mich mit dem nächsten Taschentuch wappnete. Arme Zoe. Aber jetzt lagen die Karten auf dem Tisch. Und wie Costa es schon formuliert hatte: jetzt lag es allein bei ihr, was sie aus der Situation machte. 

Zoe und ich lagen noch bestimmt bis fünf Uhr morgens schlaflos nebeneinander im Bett. Wortlos, bis Zoe irgendeine Erinnerung mit Spencer aufgriff und es mit Tränen besiegelte. In diesem Moment wünschte ich, ich könnte ihr irgendwie helfen, ihr den Kummer abnehmen oder ihn einfach wegzaubern. Aber ich war machtlos. Und ich hasste dieses Gefühl der Machtlosigkeit. 

Um neun Uhr wurden wir aus der kurzen Schlafphase von unserer Mutter gerissen, die mit einem vergnügten: „Frühstück!", die Gardinen aufriss und sich darüber wunderte, dass wir beide in Zoes Bett eingeschlafen waren. 

„Alles in Ordnung bei euch?" Ihr Blick nahm aber keine besorgten Züge an. Stattdessen strahlte sie von einem zum anderen Ohr. 

Zoe blickte mich düster an. Ihre dunkeluntermalten Augenringe wirkten noch schlimmer als letzte Nacht. Von daher antwortete ich mit: „Nicht so ganz. Wir hatten ein schwieriges- Gespräch."

Als ich Zoe daran erinnerte, hätte ich mich selbst hauen können. Ich hatte sie so sehr verschreckt, dass sie wortlos aufstand und ins Bad wanderte. Die Tür riss sie laut zu. 

„Was ist passiert?", jetzt setzte meine Mutter doch einen mitfühlenden Blick auf, endlich. 

„Das sollte Zoe dir lieber selbst erzählen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Aber lass sie jetzt erst einmal allein. Sie kann gerade niemanden gebrauchen."

„Okay, ist es was mit Spencer?"

„Mama!", ermahnte ich sie und ging aus dem Zimmer: „Lass ihr ihren Freiraum. Mehr dazu später."

Mir wurde mulmig bei dem Gedanken, dass mein Vater vermutlich gleich dieselben Fragen stellen würde wie meine Mutter und Emi dann neugierig nachbohren würde, bis sie sich dazu entschließen würde, so lange gegen die Badtür zu klopfen, bis Zoe die Nerven verlieren würde. Ich wollte ehrlich gesagt auch nicht mit meinen Eltern in diesem Moment am Frühstückstisch sitzen und so tun müssen, als wäre niemals etwas passiert. Aber hatte ich eine Wahl?

Kaum war ich unten angekommen, führten mich meine Beine auch schon wieder vor die Haustür, um der Konfrontation zu entgehen. Ich atmete dreimal tief durch und wurde mir über die Lage klar. Es war kein Traum gewesen, dass ich meiner Schwester die Hochzeit ruiniert hatte. Und genauso wenig war es surreal, dass Zoe mit Spencer Schluss machen würde. 

Auf einmal tauchte ein fröhlich gelaunter Costa vor mir auf und winkte mir zu. Ich hätte niemals gedacht, dass ich ihn einmal nicht um mich herum wünschte. Aber es war eine Tatsache. Ich wollte gerade wirklich nicht mit ihm reden, besonders da die Situation letzte Nacht noch ausgesprochen werden musste. 

„Hey, du", begrüßte er mich: „Ich hab mich schon gefragt, wo du hin bist. Wenn ich mich recht erinnere, bist du gestern neben mir eingeschlafen."

„Ja, bin ich. Bitte, nicht jetzt, Costa. Wir haben dadrin gerade ein ganz anderes Problem."

„Ist es das mit Zoe? Wie geht's ihr?"

„Costa, ich-. Lass uns das später klären, bitte. Ich kann dich gerade nicht auch noch ertragen." Der letzte Satz hallte in meinem Kopf solange nach, bis er mir leidtat. Ich schämte mich, diesen Gedanken laut ausgesprochen zu haben. 

„Mich ertragen?", fragte er verwundert. Ich hatte irgendwie gehofft, es würde ihm nicht auffallen. „V, ist das dein Ernst? Denkst du wirklich so? Bin ich eine Last oder so für dich?"

„Nein, ich- Es ist kompliziert, okay?", ich vergrub kurz mein Gesicht in den Händen, bevor ich ihn wieder ansehen konnte und die Hände in die Hüften stemmte: „Um ehrlich zu sein, ich kann dich gerade echt nicht sehen, wegen dem, was letzte Nacht vorgefallen ist. Ich dachte, das Schicksal kann uns nur unser gemeinsames Hobby nehmen, aber nicht auch noch das, was unsere Freundschaft ausmacht."

„Wovon redest du? Natürlich kann das Schicksal uns nicht unsere Freundschaft nehmen."

„Doch, Costa, doch. Das kann es. Unser Ritual ist auch Geschichte." Ich musste mich zusammenreißen, um jetzt nicht auch noch zu weinen. So viel zum Thema, es später zu besprechen.

„Spielst du darauf an, dass ich es abgelehnt habe, das Ritual auszuführen? V, ich war wirklich müde. Und ehrlich gesagt auch echt gestresst. Diese ganzen Aktionen, um immer etwas weiter Aufmerksamkeit und Follower zu gewinnen, frisst meine ganze Zeit. Ich werde die Fahrschule wahrscheinlich dieses Jahr gar nicht mehr schaffen, geschweige denn nächstes. V, du weißt, wie wichtig es mir ist, das Motorrad meines Vaters fahren zu können."

„Glaubst du etwa, meine Zeit würde es nicht fressen? Dass ich nicht müde und erschöpft davon wäre und immer noch genervt davon bin, dass ich mein einziges Hobby mit dir wegwerfen musste für fremde Leute aus dem Internet? Costa, ich kann einfach nicht mehr. Und noch schlimmer finde ich es, dass du dich mir nicht anvertraust, was mit Hannah vorgefallen ist. Man, ich weiß nicht mal, ob man uns überhaupt noch als Freunde bezeichnen kann, so wenig Zeit, wie wir ineinander investieren. Ich hab das Gefühl, hätten wir nicht das gemeinsame Ziel, unsere Social-Media-Präsenz zu erhöhen, hätten sich unsere Wege längst getrennt."

Eine seltsame Stille entstand plötzlich, so wie die unsichtbare Schlucht, die sich zwischen uns auftat. Wir schauten uns unverständnisvoll an. Keiner traute sich, etwas zu sagen. Vielleicht fehlten aber auch einfach nur die Worte. 

Als Costa sich plötzlich umdrehte, um das Grundstück kopfschüttelnd zu verlassen, hielt er einige Meter entfernt von mir noch einmal inne und drehte sich um. „Komm nachher in den Candy-Shop, wenn ihr das Problem hier geklärt habt. Dann sag ich dir die Wahrheit, die längst fällig ist. Zumindest das kann ich für die Freundschaft tun. Wenn du uns noch nicht aufgegeben hast, dann komm dorthin." Damit ging er. 

Schwer atmend blieb ich zurück und geisterte durch den Flur, ohne Kontrolle über meinen eigenen Körper zu haben. Hatte ich etwa die Wut auf Spencer auf Costa übertragen? War das die Explosion in unserer Freundschaft gewesen, das Ende, das ich schon seit Wochen befürchtet hatte? 

„Hey, Schatz. Ist alles okay bei dir? Ich habe aufgebrachte Stimmen draußen gehört." Mein Vater kam mir entgegen und schaute besorgt in mein leeres Gesicht. So musste Zoe sich also fühlen. Costa. Was war da gerade passiert?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top