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Wir lagen Kopf an Kopf auf der Tragfläche von Costas Pickup und starten in den schleierhaften Himmel über der Ostsee. Meine Beine baumelten über der Planke munter hin und her, während Costa sich die Augen mit der rechten Hand vor den Sonnenstrahlen abdeckte.
„Unsere Fans lieben den Gedanken daran, dass wir bald live im TV zu sehen sein werden", sagte mein bester Freund aus dem Nichts.
Ich musste automatisch schmunzeln. Seit er dem Sendetermin zugesagt und es auf Instagram gepostet hatte, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer und von allen Seiten konnten unsere Fans es kaum erwarten. Sie kannten unsere Gesichter und unsere Posts, aber eine Liveübertragung zur besten Sendezeit würde alles sprengen, was sie und wir bis jetzt erlebt hatten.
„Allerdings", Costa stemmte sich hoch und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf mich herab: „Sie fordern auch mehr Posts. Am besten jeden Tag."
„Oder jede Sekunde, wenn es nach ihnen ginge", ergänzte ich und schloss die Augen. Die Sonnenstrahlen kitzelten meine Haut und lösten in mir Glücksgefühle aus.
„Wir sollten wirklich dran bleiben, damit uns möglichst viele Menschen im TV sehen. Fans müssen es an alle ihre Freunde erzählen und die wiederum an jeden, den sie kennen."
„Das stimmt schon", antwortete ich: „Aber lass uns nicht vergessen, dass wir auch ein eigenes Leben daneben haben. Ich muss immer noch das mit Zoe klären und noch ein paar andere Probleme, die sich so ergeben haben."
„Natürlich, unser Privatleben sollte immer im Fokus bleiben. Es muss ja auch nichts Großes sein. Nur eine Sache am Tag."
„Eine Sache am Tag?", wiederholte ich und setzte mich nun auch auf.
„Ja, eine Sache am Tag. Wir posten irgendeinen Mist von uns und die Sache läuft."
„Und? Was schlägst du vor? Was soll der nächste Post beinhalten? Vielleicht ein Bild davon, wie ich dusche?" Ich grinste breit und legte den Kopf schief, während Costa mir eine ernste Miene zuwarf.
„Für den Anfang dachte ich eher an so was wie eine Veranstaltung. Morgen steigt bei Caspar eine Party, weil seine Mutter und sein kleiner Bruder für zwei Nächte bei der Oma sind. Lass uns da als Erstes hingehen."
Jetzt starrte ich ihn wie versteinert an. War das sein voller Ernst?
„Du schlägst mir gerade vor, auf eine Party zu gehen? Habe ich irgendwas verpasst? Seit wann sind wir Partymäuse?"
„Es ist ja nur für einen Abend. Wir gehen hin, trinken kurz was, posten ein Bild von der Party und schon sind wir weg, bevor uns jemand entdeckt."
Ich überlegte kurz und blickte gen Horizont. „In Ordnung. Aber damit das klappt, müssen wir Regeln festlegen. Ich trinke, du nicht. Du musst nämlich danach den Fluchtwagen fahren. Und wir bleiben höchstens eine Stunde, ohne mit jemand anderem zu sprechen, Deal?"
Ich streckte die Hand nach ihm aus, die er sofort ergriff und schüttelte.
„Na dann können wir uns ja wieder der Sonne widmen." Costa legte sich wieder nieder, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und legte die Beine auf der Kabine ab.
„Du vielleicht. Ich muss jetzt los. Spencer kommt bei uns vorbei und ich muss ihn irgendwie von Zoe abbringen."
„Das kann ja was werden. Hey, brauchst du dabei Hilfe?"
Ich musste an mein zweites Problem neben Spencer denken. Costa. Zoe wusste von dem Liebesgedicht von Costa und könnte dadurch meine ganze Mission gefährden. Das war zu unsicher. Außerdem könnte er mich auch ablenken. Es war schon schwierig genug, ihn nicht darauf anzusprechen und sich zu einem Ausflug wie diesem verleitet lassen zu haben. Erst das Spencer-Problem, dann das Costa-Problem.
„Nein, schon gut. Je weniger du weißt, desto besser. Sie soll dich am Ende nicht auch noch verantwortlich dafür machen, dass ihr niemand früher von dem Vorfall erzählt hat."
„Okay, ansonsten ruf an. Ich bin erreichbar."
„Nicht zu beschäftigt mit Hannah?" Meine Mundwinkel hoben sich, bis ich die wunde Stelle bemerkte. Costa schwieg und blickte in die Ferne.
Sofort entschuldigte ich mich. „Das tut mir leid. Ich habe nicht nachgedacht, bevor ich geredet habe. Du kannst mich aber auch jederzeit anrufen, wenn du drüber reden willst."
Natürlich wusste ich, dass er das in tausend Jahren nicht tun würde. Dafür war er zu stolz. Es war die gleiche Situation wie mit seiner Mutter.
„Danke", sagte er knapp und schloss die Augen.
„Ich werde dann mal. Wir sehen uns." Ich sprang vom Wagen und spazierte los in Richtung zu Hause, circa einen Kilometer entfernt. Ich musste echt Salz in die Wunde gestreut haben, wenn Costa mir schon nicht Tschüss sagte und mir nicht einmal anbot, mich nach Hause zu fahren. Hannah war ein Tabu-Thema, schwor ich mir. Dennoch hatte ich nur zu gerne gewusst, was zwischen den beiden vorgefallen sein musste.
Als ich gerade die Haustür mit dem Schlüssel aufschließen wollte, kam Spencers weißer Sportwagen auf den Hof gefahren. Ich legte einen Zahn zu und warf die Tür so schnell ins Schloss, sodass er mich nicht gesehen haben konnte.
Zoe kam mir wie ein Wirbelwind entgegen und drehte sich einige Male im Kreis, bevor sie vor mir zum Stehen kam. Ihr mit Blümchen gemustertes Kleid strotzte gerade nur so vor Niedlichkeit und Kitsch. So wollte sie den Valentinstag mit ihrem vermeintlichen Herzensmensch nachfeiern.
Mir wurde Augenblick übel, als es an der Tür klingelte und Zoe an mir vorbeizog, um sie zu öffnen. Es war zu spät, um sie davon abzuhalten. Ich schnappte nach Luft, als mir seine Visage entgegensprang und Zoe sich von ihm zärtlich küssen ließ. Ich hätte ihm jetzt am liebsten die Faust ins Gesicht gerammt, wie ich es hätte tun sollen, als ich ihn mit diesem Flittchen erwischt hatte. Doch konnte ich Zoe die Wahrheit nicht auf diese Weise schonend beibringen. Ich musste mich zurückhalten.
Zoe und Spencer lösten sich voneinander und hielten sich Arm in Arm mit einem breiten Grinsen in den Gesichtern. Meine Eltern tauchten hinter mir aus dem Nichts auf und begrüßten Spencer so herzlich wie immer.
„Hey Spenc", sagte mein Vater und klatschte mit ihm ab, als wäre er sein alter Sportsfreund aus irgendeinem Golfclub.
„Hallo Patrick. Klea", antwortete Spencer und schenkte ihnen zwei hochgezogene Mundwinkel und strahlende Augen. Der perfekte Schwiegersohn.
„Val." Spencer umarmte mich so leichtfertig, als wäre er der ehrlichste und liebenswürdigste Mensch der Welt. Aber ich kannte die Wahrheit.
Sein dunkler Blick, der nur mir galt. Er enthielt eine geheimnisvolle Botschaft, als er sich wieder einen Schritt von mir wegbewegte. Spencer wusste, dass ich ihn gesehen hatte. Aber woher? Wie konnte er es gesehen haben, wenn er seine Augen auf ganz anderen Körperstellen seiner heißen Affäre gehabt hatte?
„Komm, setz dich, mein Guter." Mein Vater machte eine einladende Geste in Spencers Richtung, sodass er den Kopf wieder hob und seine Ausstrahlung mir keine Gänsehaut mehr verschaffte. So ein verlogener Bastard. Ich durfte wirklich nicht mehr zu lange warten, um allen die Wahrheit über ihn zu erzählen.
„Also, erzählt mal. Was habt ihr schönes vor?", fragte meine Mutter die Turteltauben, die Arm in Arm gegenüber von uns dreien saßen. Ich musste schmunzeln. Man konnte sich doch denken, wie der Abend für die beiden enden würde, auch wenn mir der Gedanke daran nicht gefiel.
„Es wird sehr spontan sein", sagte meine Schwester. Spencer ergänzte schnell: „Wir dachten daran, erst eine Pizza zu holen und uns dann irgendwo einen ruhigen Platz am Strand zu suchen. Also nichts Großartiges oder besonderes."
„Nichts Besonderes?", mein Vater war erstaunt: „Das klingt sehr romantisch. Es muss ja nicht immer etwas Teures und Großes sein. Viel Spaß euch dabei."
„Danke", antworteten beide gleichzeitig und kicherten leise wie kleine Kinder. Ich wünschte, Spencer hätte zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort diese Blondine abgeleckt. Dann könnte ich den Anblick dieses süßen Paares jetzt auch genießen und müsste mich nicht mit Schuldgefühlen herumschlagen, die eigentlich Spencer verspüren sollte. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, Spencer zunächst zur Rede zu stellen. Vielleicht hatte ich etwas missverstanden oder ihn mit jemand anderem verwechselt. Dann würde ich es schlussendlich bitter bereuen, ein so großes Leid verursacht zu haben.
Also stellte ich ihn zur Rede. Ich wartete bis zum nächsten Tag ab, als die beiden von ihrem Date wiederkamen.
„Morgen, Val. Hast du etwa auf uns gewartet?", fragte Zoe mich, als sie aus Spencers Wagen ausstieg. Ihre dunklen Haare glitten ihr geflochten über die Schulter und Spencers Joggingjacke, die ihr viel zu groß am Leib hing, ließ vermuten, dass die beiden eine schöne gemeinsame Zeit gehabt hatten.
„Nein, eigentlich nicht", meinte ich schnell: „Ich wollte sowieso gleich los zu Costa. Euer Timing hat einfach gut gepasst."
„Hey, Val. Wie geht's?", fragte Spencer, als er Zoe in den Arm nahm und mich ansah, als würde er mir damit drohen, mich umzubringen, wenn ich auch nur eine Andeutung an das Gesehene machen würde. Ich schluckte und beantwortete die Frage schnell: „Gut. Was habt ihr Schönes gemacht?"
„Wie unser Plan war. Wir haben uns eine Pizza geholt und dann haben wir den Sonnenuntergang am Strand beobachtet", antwortete Zoe und lächelte abwechselnd mich und ihren Freund an: „Naja, es gab noch eine- Überraschung." Meine Schwester streckte mir freudestrahlend ihren Ringfinger ins Gesicht. Daran war ein diamantbesetzter Ring, bestimmt fünfzehn Karat.
Ich fasste es nicht. Wie konnte der Typ meine Schwester derartig belügen und ihr dann einen Ring kaufen und sie bitten, seine Frau zu werden?
„Wow", war meine erste Reaktion: „Wann soll die Hochzeit stattfinden?"
„In zwei Monaten", sagte Zoe und schmiegte sich kurzerhand an Spencers Brust.
„Wow, das ist ja schon ziemlich bald."
„Ja, wir wollten nicht zu lange warten."
„Wow." Ich stand wie angewurzelt vor ihnen. Mein Problem hatte sich gerade verzehnfacht. Wie sollte ich Zoe jetzt noch die Wahrheit erzählen? Es würde in einer noch größeren Katastrophe enden. Andererseits konnte ich es auch nicht geheim halten, sonst würde die Ehe im Desaster enden.
„Keine Sorge, Val. Wir haben uns darauf geeinigt, dass du nicht die Trauzeugin spielen musst, wenn du nicht willst", sagte Spencer.
„Ich weiß doch, wie sehr du Kitsch und Kleider hast", fügte Zoe hinzu. Ich war allerdings schon in einer ganz anderen Welt unterwegs, in der alles hoffnungslos und schwer erschien. Deshalb antworte ich nur knapp darauf mit einem leisen: „Danke."
„Komm, Schatz. Wir sollten es deinen Eltern auch noch erzählen", wandte sich Spencer an Zoe, die daraufhin Richtung Haus losrannte. Spencer blieb noch kurz zurück, um das Gepäck aus dem Kofferraum zu holen.
Ich holte tief Luft, bevor ich die Unterhaltung begann. Einen anderen Augenblick, wo ich mit ihm alleine wäre, würde es sicherlich in nächster Zeit nicht geben. „Glückwunsch."
„Danke."
„Du musst es ernst meinen, wenn du Zoe zu deiner Frau haben willst."
„Ja, allerdings." Er wich meinen Blicken aus und zog kräftig an den Koffern.
„Gibt es da noch eine andere?", schleuderte ich die Bombe heraus.
„Was?" Jetzt richtete Spencer sich amüsiert und lachend auf. Ich hatte vergessen, wie groß er sein konnte, wenn er so direkt vor mir stand.
„Ich hab da etwas gesehen. Dich und so eine- Blondine."
„Du meinst Isabella", er grinste breit, als würden wir über selbstverständliche Themen wie über das Wetter sprechen: „Da war nichts. Sie ist einfach nur eine gute Freundin von mir. Mach dir keine Sorgen." Er streckte sich wieder ins Auto hinein und zog eine große Tasche hervor, die mein Gesicht nur knapp verfehlte. Ich wich einen Schritt zurück, um mich nicht länger so klein neben ihm zu fühlen.
„Ach wirklich? Das sah aber anders aus, als du sie innigst geküsst hast."
„Woher weißt du-? Hör mal. Ich liebe deine Schwester und hab mit Isabella abgeschlossen. Ich will Zoe, nicht sie."
„Also triffst du sie nicht mehr? Dann kannst du Zoe ja davon erzählen."
„Nein, ich meine, ich könnte. Aber das wäre ein unnötiger Streit, der unsere Hochzeit nur verzögern würde. Vergessen wir das einfach, ja? Erzähl ihr nichts davon, bitte."
Ich ließ meinen Blick durch den Garten schweifen. Glaubte er tatsächlich, dass ich das ganze vergessen könnte, als wäre nie etwas vorgefallen? „Ich denke, es ihr nicht zu erzählen, würde die Ehe stärker belasten. Sie wird es so oder so erfahren. Wenn nicht von dir, dann von mir. Da du der Frage gekonnt ausgewichen bist, ob du Isabella noch triffst, nehme ich an, dass ihr euch noch nicht aus den Augen verloren habt, wie es für deine und Zoes Zukunft am besten wäre. Ich mache das wirklich nicht gerne, aber einer von uns muss mit ihr reden."
„Ich warne dich." Spencers Miene wurde ernster. Er zog die Augenbrauen weiter zusammen. „Vergiss die Sache, dann wird alles gut. Ich versprech's. Nochmal wird das nicht passieren. Du willst deiner Schwester doch nicht etwa das Glück auf eine besondere Ehe verweigern?"
„Es ist keine besondere Ehe, wenn sie unglücklich beginnt."
Hinter mir hörten wir Zoes Rufe nach ihrem Verlobten aus dem Haus heraus, daraufhin meine Eltern, die nun ebenfalls nach ihm riefen und jubelten.
„Du solltest dann mal los. Lass deine Verlobte nicht warten. Sie verdient es, glücklich zu sein und die Wahrheit zu erfahren."
Spencers Gesichtsmuskeln verkrampften sich und er musste sich fest auf den Kiefer beißen, bevor er schnell an mir vorbeizog. Als er außer Sichtweite war, fuhr ich in mich zusammen. Die Anspannung löste sich und ich hätte weinen können. Spencer war für mich immer wie ein großer Bruder gewesen, aber jetzt war er eher wie einer dieser reichen Protzer, der jede Nacht eine andere bei sich im Bett hatte und dem man niemals über den Weg trauen konnte. Ich war fassungslos und glaubte nicht daran, dass er das Gespräch mit Zoe suchen würde. Also würde diese Aufgabe schlussendlich an mir hängen bleiben. Prima.
Da ich Spencer nicht noch einmal über den Weg laufen wollte, beschloss ich, sofort zu Costa aufzubrechen. Ich stieg auf das Fahrrad und strampelte los. Unterwegs zweifelte ich an mir selbst. War es richtig gewesen, ihm damit zu drohen, dass ich das Gespräch suchen würde, wenn er es nicht täte? Hätte ich es vielleicht doch vergessen sollen?
Diese Fragen stellte ich auch Costa, nachdem ich ihm von der ganzen Geschichte erzählt hatte und nun angespannt im Schneidersitz auf seinem Bett saß. Mein bester Freund kauerte hingegen auf seinem Schreibtischstuhl, die Ellenbogen auf den Knien aufgestützt, und musterte mich mit schmalen Augen wie ein Therapeut.
„Ich denke, es war richtig, ihm damit zu drohen. Schließlich hat er deine Schwester betrogen und sowas darf nicht einfach im Raum zwischen ihnen stehen bleiben. Zoe muss die Wahrheit erfahren. Was sie daraus macht, bleibt ihr überlassen."
„Sie wird mich hassen."
„Nein, wird sie nicht. Es ist Zoe. Vielleicht am Anfang, ja, so wie sie die ganze Welt hassen wird. Aber wenn du ihr die Gründe nennst, wieso du es ihr erzählt hast, wird sie es verstehen. Es wird besser sein, als wenn sie nach Monaten aus Zufall erfährt, dass alle um sie herum die Wahrheit wussten und sie trotzdem heiraten gelassen haben."
„Du hast recht. Danke. Mir geht's schon besser." Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.„Och man, da gehen wir mal auf eine Party und ich komme verheult da an."
„So schlimm ist es nicht. Du brauchst nur ein bisschen Zeit und ein Taschentuch." Er stemmte sich hoch, zog ein Taschentuch aus der Box auf seinem Schreibtisch und kam damit hinüber zu mir ans Bett. Dort setzte er sich neben mich, hob mein Kinn mit dem Zeigefinger an und wischte unter meinen Augen vorsichtig entlang. Ich schloss dabei die Augen und als ich sie wieder öffnete, verspürte ich seinen Hauch an meiner Wange. Seine blauen Augen sahen mich so rein und klar an, dass ich kurz vergaß, weshalb ich geweint hatte. Sie waren beinah so dicht an meinen, wie vor einigen Wochen, als wir uns vor einem Fan verstecken mussten und er mir befohlen hatte, so zu tun, als würden wir uns küssen.
Auch er hielt einen Moment inne und biss sich auf die Lippe. Dann umarmte er mich liebevoll und flüsterte mir ins Ohr: „Es wird schon alles gut werden, irgendwie."
Ich musste leicht lächeln und erwiderte die Umarmung. In diesem Moment war ich froh, ihn zu haben.
„Nichtsdestotrotz", begann er und löste sich: „Müssen wir uns jetzt fertig für die Party machen. Wir haben eine Mission zu erfüllen, Miss Newton."
„Da haben Sie völlig recht, Mister Griffin." Wir lachten lauthals und teilten uns auf. Ich machte mich zuerst im Bad zurecht, trug Schminke auf und brachte meine Haare in Ordnung, während Costa sich in seinem Zimmer frische Kleidung überzog. Danach tauschten wir die Positionen. Natürlich musste dabei Musik laufen und wir dazu mitschreien. Wir brauchten eigentlich keinen anderen Ort und andere Menschen um uns herum, um eine echte Party herbeizuführen.
„Don't stop, believ'in!", brüllten wir beide zeitgleich durchs Haus. Ein Glück, dass Back sich dazu bereiterklärt hatte, mit Stella spazieren zu gehen und sich somit nicht im Haus aufhielt.
Um Punkt zwanzig Uhr standen Costa und ich auf der Matte vor dem Haus von Caspar. Es war erstaunlich ruhig dafür, dass die ganze Schule eingeladen war. Kaum hatte ich die Klingel berührt, riss ein schlaksiger Junge, etwa ein Jahr älter als wir, die Tür auf und schrie über die Musik hinweg in unsere Gesichter: „Jo, Mann! Schön euch zu sehen, kommt rein!"
Wir kamen seiner Aufforderung nach und folgten Caspar ins Haus. Neben bunten Schleiern, die wild über die Wände glitten, erfüllte Rapmusik die Räume, die Costa und mir schon immer ein Dorn im Auge gewesen war. Und mittendrin in diesem Meer aus Farben und Tönen saßen fünf Nerds in sich zusammengesackt auf der Couch im Wohnzimmer und schwiegen vor sich hin.
„Der Rest kommt erst später, wenn Jennifers Party vorbei ist", beantwortete Caspar die ungestellte Frage, die im Raum gelegen hatte. Ich blickte Costa an, der bloß mit den Schultern zuckte und mir ein ermutigendes Lächeln zuwarf. Was für eine lahme Party. Jennifer würde die Party doch nicht einfach bis einundzwanzig Uhr andauern lassen und dann alle Leute aus dem Haus werfen. Bis hier weitere Menschen auftauchten, würde es noch Stunden dauern. Bis dahin hätten wir uns längst vom Acker gemacht.
Costas Optimismus ließ mich allerdings doch noch eine ganze Weile in Caspars Haus gefangen, sogar länger als die ursprünglich vereinbarte Stunde. Öde Musik, kein Alkohol, keine gute Stimmung. Deshalb mied ich für gewöhnlich Partys. Auf der anderen Seite wollte ich mich auch ungern jetzt auf Jennifers Party aufhalten, wo die Jungs sich die Köpfe einschlugen. Der Ort, an dem ich mich allerdings in diesem Augenblick am unwohlsten fühlen würde, war zweifellos mein eigenes Zuhause mit einem Betrüger darin.
„V, willst du was trinken?", holte Costa mich zurück aus meiner Tagträumerei. Es klang so, als hätte er die Frage nicht zum ersten Mal gestellt. Ich nickte und warf ihm hinterher: „Denk dran, dass du nichts trinkst, was Alkohol hat! Du musst schließlich noch fahren, wie es ausgemacht war."
Während er in die Küche marschierte, hob er nur einen Daumen hoch und schwankte von einem Bein aufs andere, als hätte er bereits eine ganze Flasche Whiskey inne. Während ich wartete, schaute ich mich im Wohnzimmer um und versuchte dabei die Blicke der Nerds zu meiden.
An der Wand über dem Kamin hingen liebevolle Bilder von Caspar, seinem Bruder und seiner Mutter im Urlaub am Stand von Ibiza. Eine hohe Decke war wohl das Highlight dieses Zimmers, obwohl die Designermöbel schon ein Konkurrenzpotenzial besaßen.
„Hätte nicht gedacht, dass ihr euch hier blicken lasst", erklang Caspars Stimme plötzlich hinter mir. Ich erschrak fast zu Tode und wirbelte herum zu ihm. Seine Augen waren wie immer halb geschlossen und würde ich ihn nicht schon länger aus der Schule kennen, hätte ich angenommen, er wäre müde. Seine Hose hing auf halb acht, was auch kein neues Bild für mich war. Normalerweise konnte man nur hoffen, dass er sich nicht vor einem herunterbeugen musste. Generell hingen seine Klamotten ihm so am schlaksigen Körper, dass es aussah, als würde nicht er die Sachen tragen, sondern die Sachen ihn.
Schon beinah automatisch antwortete ich auf seine Anmerkung: „Wir haben heute mal eine Ausnahme gemacht."
„Geile Sache", sagte er und nahm wackelig einen Schluck aus seinem Becher. Ich wollte mich schon wieder von ihm abwenden, bevor seine Kumpels von Nerds noch auf die Idee kommen würden, sich in das Gespräch miteinzuklinken, doch so schnell ließ Caspar nicht nach.
„Ihr habt ja schon ordentlich Follower gewonnen. Selbst Natalie postet jetzt schon eure neusten Updates. Hab gehört, Hannah hat ihr Insiderwissen anvertraut, du weißt schon, über die geheime Affäre von Costa und dir."
Jetzt wurde ich hellhörig und musste einfach zurückfeuern. „Was hat Natalie ihr erzählt?! Um das klarzustellen, es gibt keine Affäre zwischen uns. Wenn Hannah das anders sieht, dann soll sie gefälligst zu mir kommen und das klären. Sag das deiner Freundin. Ich bin mir sicher, schneller kann es gar nicht zu Hannah gelangen."
Auch wenn es nicht so wirkte, aber Caspar stand der High Society naher, als Costa und ich ihr jemals waren. Natalie, seine Freundin - aber nicht feste - war eine enge Freundin von Hannah und somit erzählten sie sich natürlich alles. Und Natalie, die Influencerin schlechthin, teilte alles Interessante sofort auf Social Media, nicht so schnell wie Henrik, dafür aber genauso detailreich. Wenn sie irgendwas über die vermeintliche Affäre zwischen uns teilen sollte, wäre das unser Untergang. Niemand würde an Natalies Theorien zweifeln, vorher erklärten sie Costa und mich für Lügner.
Ich wollte eigentlich das Gespräch mit Caspar beenden, doch er wäre eine sehr nützliche Informationsquelle und ich brauchte einfach Antworten. Also beschloss ich kurzerhand, ihn noch eine Sache zu fragen. „Weißt du, was zwischen Costa und Hannah vorgefallen ist?"
„Nö, kein Plan. Natalie hat nur irgendwas erwähnt, von wegen, dass Costa sie sehr enttäuscht hätte. Keine Ahnung."
Weiter nachfragen konnte ich nicht. In diesem Moment kam Costa wieder und scheuchte Caspar durch seine Anwesenheit wortwörtlich weg. Er musste genau wissen, dass mein bester Freund nicht gut auf das Thema Hannah zu sprechen war.
„Hier", sagte Costa und hielt mir einen Plastikbecher mit Gin Tonic hin. Ich wollte gerade dran nippen, als ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie er es mir nachmachen wollte. Ich unterbrach meinen Durst nach Alkohol und riss ihm den Becher aus der Hand, um daran zu riechen.
„Was ist das? Orangensaft? Ohne Alkohol, hoffentlich."
„Ja, Mame. Organgensaft ohne Alkohol."
Ich schaute ihn noch einige Sekunden misstrauisch an und nahm unauffällig einen kleinen Schluck. Ich ließ es mir auf der Zunge zergehen und schmatzte dreimal, bevor ich ihm den Becher wiedergab.
„Gut so. Weiter trinken." Ich erhob meinen Becher in seine Richtung. Er stieß mit seinem an, lächelte schief und nahm dann wie ich einen Schluck.
„Vielleicht kommen die anderen ja früher als wir denken", machte Costa mir noch einmal Hoffnung, als er den Becher wieder von seinen Lippen entfernte.
„Ja, vielleicht", sagte ich: „Wenn nicht, fände ich es auch nicht schlimm. Alles, was ich brauche, ist schon hier."
Er schenkte mir ein sanftes Lächeln, das ansteckend war. In meinem Bauch fing es an zu kribbeln. Vielleicht vom Alkohol? Nein, das konnte es nicht sein. Oh Mann. Begann ich etwa doch eine Affäre mit meinem besten Freund, von der ich nichts mitbekam?
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