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Nils Handschrift stellte sich als größte Freude heraus, die ich jemals verspürt hatte. Sie war zwar ordentlicher als die von Josh und Henrik, aber genauso gut hätte sie von einem Affen stammen können. Er konnte es auch nicht gewesen sein. Gleichzeitig machte sich in mir Frust breit. Wenn es keiner von ihnen gewesen war, wer könnte es dann sein? Es könnte jeder aus der Schule oder aus dem norddeutschen Raum sein. Ich würde es wohl niemals erfahren, wenn sich derjenige nicht freiwillig outen würde.
„Ich muss los. Genießt noch das Eis und wir sehen uns dann morgen."
„Aber Nils ist doch gerade erst gekommen", stellte Henrik fest und deutete auf diesen, der sich eher auf sein Schokoladeneis konzentrierte und meins gleich mit verspeiste, gleichzeitig, wohl bemerkt.
„Ich glaube, ihr kommt auch ohne mich gut zurecht. Danke nochmal euch beiden für die Karte. Sorry Henrik, aber Nils hat doch eine deutlich bessere Handschrift als du."
Damit warf ich die siebenundzwanzig Euro und neunzehn Cent auf den Tisch und rannte los. Ich könnte es noch zu Costa im Hellen schaffen, wenn ich mich ran hielt. Zum Glück war Spencer mit seiner Barbie auf und davon, sodass ich ihm nicht die Fresse polieren konnte. Ich musste mir sowieso erst einmal einen Plan zurechtlegen, wie ich die Sache schonend aufdecken könnte. Mir fiel jedoch schnell auf, dass das alles andere als schonend vonstattengehen würde.
Costa war nicht nur derjenige, den ich jetzt sehen wollte. Er war auch der einzige, an den ich mich mit dem Spencer-Problem wenden konnte. Vielleicht hatte er eine Idee, wie ich die Sache lösen könnte. Nein, er wusste ganz sicher einen Weg, wie immer.
Erst, als ich bei Costa zu Hause klingelte, fragte ich mich, was ich ihm sagen sollte. Schließlich waren wir mit einem riesigen Krach auseinander gegangen. Ich hatte ihm die Meinung gegeigt und jetzt stand ich hier und brauchte seine Hilfe, nachdem ich ihm einen Korb über What's App gegeben hatte. Ich war eine schreckliche Freundin.
„V."
„Ich bin eine schreckliche Freundin", kam es aus mir automatisch wie aus der Pistole geschossen.
„Was? Nein. Bist du nicht. Nur manchmal nervenaufreibend. Komm erstmal rein."
Ich kam seiner Aufforderung nach und schlich durch den Flur. Costa legte mir dabei einen Arm um die Schultern. Im Esszimmer ließen wir uns gegenüber auf die Stühle nieder, sodass wir uns direkt in die Augen sehen konnten. Meine Schuldgefühle erdrückten mich praktisch.
„Du musst mich hassen, so wie ich mich verhalten habe", sagte ich. Costa schüttelte schnell den Kopf und legte seine Hand auf meine.
„Nein, ich hasse dich nicht. Das könnte ich niemals. Du bist mir der wichtigste Mensch auf Erden." Wow. Also war ich doch sein Herzensmensch? Zoe hatte also recht behalten, wie immer.
„Du bist meiner. Sorry, dass ich heute Morgen so ausgetickt bin. Du kannst natürlich nichts für Hannahs Handlungen. Das ist mir leider erst zu spät klar geworden."
Mein bester Freund lächelte leicht, dann erwiderte er: "Danke. Aber du hattest auch nicht ganz unrecht. Ich muss mir auch Schuld eingestehen. Ich hätte Hannah nicht ohne deine Erlaubnis von deinem Geheimnis erzählen dürfen. Ich weiß natürlich, wie sehr du deinen Geburtstag hasst."
„Ja", antwortete ich: "Wäre er an einem anderen Tag, hätte ich nicht so das Problem damit, aber du weißt, wie sehr die Leute uns an diesem Tag verkuppeln wollen. Die sind schlimmer als Datingseiten."
Jetzt mussten wir beide lachen. Ich blickte durch den Raum.
„Ich denke, du hast nichts mehr für heute geplant, nach der dämlichen Absage von mir?", fragte ich und knibbelte an meinem Fingernagel herum.
Costa blickte auf die Uhr auf seinem Handy und zog einen Mundwinkel nach oben. "Noch ist es nicht siebzehn Uhr. Wenn wir uns beeilen und das Auto nehmen, können wir es noch schaffen."
„Jetzt bin ich neugierig. Was hast du organisiert?"
„Glaubst du etwa, das sage ich dir?" Er zog die Augenbraue nach oben und schmunzelte. Ich musste lachen.
„Es wird kalt und dicke Kleidung hilft da nicht, das ist der einzige Tipp, den ich gebe."
„Okay. Kälte ist gut. Das hat definitiv nichts mit warmer Liebe zu tun."
Fünf Minuten später saßen wir im Auto auf dem Weg zur Überraschung. Vor fünf Jahren etwa hatte es aufgehört, dass ich mich kaum vor Vorfreude halten konnte, jetzt war sie wieder da. Für einen Moment vergaß ich das Spencer-Problem, was ich nach der Überraschung ansprechen wollte.
Costa parkte vor einer Düne mit dem Blick auf die Ostsee. Ich schaute ihn an und fragte mit meiner Geste, was er sich ausgedacht hatte. Ich hatte irgendwie was Spektakuläreres erwartet. Er grinste breit und stieg ohne ein Wort aus. Dann zog er ein kleines Dreieckstuch aus der Tasche und band es mir um die Augen. Ich mischte mich nicht ein und hielt mich zurück.
Dann griff eine Hand meine und zog mich vorsichtig einen Weg zwischen den Dünen hinunter. Einige fremde Stimmen waren zu hören, die wild durcheinander redeten. Vielleicht zwanzig Menschen.
Als die Augenbinde fiel, sah ich, was Costa geplant hatte.
„Du bist verrückt."
„Ich weiß. Das hast du mir schon auf der Brücke in der letzten Ritual-Nacht zugerufen, weißt du nicht mehr?" Er lächelte. Es war ansteckend.
Vor uns standen tatsächlich um die fünfzehn fremde Menschen aus der Umgebung in knappen Badesachen und Handtüchern um die Hüften geschlungen. Alle bereit, das erste Eisbaden in diesem Jahr zu wagen.
„Hast du Angst?", fragte Costa mich und begann schon, sich Jacke und Schuhe auszuziehen.
„Machst du Witze? Ich hasse zwar die Kälte, aber fürs Schwimmen bin ich immer zu haben, egal zu welcher Jahreszeit. Das ist ein klasse Geschenk. Danke."
Ich machte es meinem besten Freund gleich und zog Jacke, Oberteil, Schuhe und Hose aus, sodass ich nur noch in Unterwäsche da stand. Eine Gänsehaut zog sich über meine Haut, doch das störte mich nicht. Das Adrenalin hielt mich innerlich warm.
Auch Costa stand schnell in Unterwäsche da und rieb sich die Arme vor Kälte. Wir hatten uns nicht gerade für den wärmsten Februartag entschieden, aber uns konnte niemand mehr davon abhalten.
Nach zehn Minuten stellten sich alle an die Startlinie. Ein Meer aus Stimmen wurde größer. Größtenteils handelte es sich um ältere Menschen, für die das Eisbaden wahrscheinlich schon eine Art Tradition geworden war. Wir waren die einzigen jungen Menschen unter dreißig hier.
Dann fiel ein Startschuss und die Menge vor uns rannte los. Ein lautes Raunen entstand bei dem Wasserkontakt. Costa und ich sahen uns adrenalinerfüllt an, als wir ungebremst hineinstürmten und uns die Kälte umgab. Gleichzeitig lachten wir lautstark. Was für ein Spaß. Da vergaß man glatt, dass heute Valentinstag war.
Die Schwimmstrecke erstreckte sich über einen Kilometer, um eine Boje herum und dann wieder zurück. Bei jedem Schwimmzug stieß ich eine milchige Wolke aus und fühlte mich gleichzeitig so lebendig wie lange schon nicht mehr.
Costa bekam auf halber Strecke einen Krampf im Bein und jaulte kurz.
„Alles okay bei dir?", fragte ich zitternd.
„Klar. Nur ein Krampf. Nichts Schlimmes. Das ist gleich wieder weg."
Ich behielt ihn dennoch im Auge, damit er nicht wie ein Stein in Richtung Grund versinken würde.
Etwa fünfzehn Minuten später trotteten alle wieder aus dem Wasser und legten sich in Handtücher. Ich sah Costa an, der sich gerade so auf den Beinen halten konnte und vor Kälte immer noch zitterte, so wie ich.
„Hast du zufällig eine Ahnung, wie wir trocken zurückkommen sollen?", fragte ich.
„Ich hab ein Handtuch mitgenommen. Das ist allerdings im Auto. Wer als erstes da ist, bekommt es." Ich legte den Kopf schief und presste die Lippen aufeinander, bevor wir anfingen, loszurennen. Die Düne war eine große Hürde, jetzt wo unsere Beine sowieso schon schlapp waren. Ich lag allerdings vorne und wollte die Autotür öffnen, die Costa zuvor entsperrt hatte, da packte er mich von hinten und hob mich ein Stückchen hoch. Dann wirbelte er mich herum.
Ich quietschte wie Emi und versuchte mich mit aller Kraft zu befreien. Da war ich vom Wind gerade ein bisschen am Rücken getrocknet worden, da wurde ich durch Costas Brust wieder nass.
Schließlich ließ er mich dann aber doch los, sodass ich mir das Handtuch aus dem Auto schnappen konnte und mich abtrocknete. Dann warf ich es zu Costa und setzte mich auf den Rand des offenen Kofferraums.
Mein bester Freund setzte sich eine Minute später neben mich und sagte zwischen zwei schweren Atemzügen: "Happy Birthday, V", und lächelte leicht.
„Danke. Er hatte nur leider ein paar Macken. Kann ich dir was anvertrauen und auf deinen Rat hoffen, was ich jetzt tun soll?"
„Klar, immer doch." Er wechselte auf Knopfdruck in die ernste Miene und drehte sich etwas weiter zu mir. Dann fuhr er sich über den Kopf und winkelte ein Bein an.
„Ich habe heute Spencer gesehen. Mit einer anderen Frau, die ich nicht kenne. Sie haben sich umarmt und dann geküsst. Und es sah so aus, als wär es ihm ernst. Meiner Schwester hat er gesagt, er wolle nur etwas vor ihrem Date abends besorgen."
„Oh", war das erste, das er dazu sagen konnte: „Und du weißt jetzt nicht, wie du es deiner Schwester sagen sollst?"
„Ja, genau."
„Ist verständlich. An deiner Stelle würde ich es ihr aber so schnell wie möglich erzählen, bevor sie es auf unschöne Weise erfährt oder von Spencer vorher einen Korb bekommt."
„Ja, das ist auch mein Plan. Aber wie sag ich es ihr, ohne sie zu verletzen?"
Er schaute einen Moment auf das Meer und dann zu Boden. „Ich glaube, es gibt nur einen Weg und der wird schmerzlich sein. Versuch es mit Tee, wenn keiner außer euch im Haus ist und spuck es ohne groß drumherum zu reden aus. Dann nimm sie fest in den Arm und sag, wie leid es dir täte. Was sie dann braucht, ist viel Eis und Schokolade. Besorg das am besten vorher. Oder warte. Wir haben noch was davon Zuhause. Das kann ich dir gleich mitgeben. Rede am besten bald mit ihr, bevor es zu spät ist."
„Ich versuch's, aber es kann einige Tage dauern, bis ich es schaffe, meine Eltern und Emi gleichzeitig aus dem Haus zu haben. Aber das klingt nach einem guten Plan, danke schön." Er nickte.
Wir fuhren zurück zu Costa, wo er mir das Eis und die Schokolade in die Hand drücken wollte. Ich wartete so lange im Büro von Back, der wohl gerade in der Firma zu sein schien, um irgendwas zu besprechen. Mein Blick fiel auf den Schreibtisch von ihm, wo sich schon Teller über Tassen stapelten. Ich musste bei dem Anblick schmunzeln. Als Nächstes blieb ich bei einigen schriftlichen Notizen hängen, die wohl von dem Interview zu stammen schienen, das wir Back abgeliefert hatten.
Dein Lachen so hell.
Mein Herz so schnell.
Du faszinierst mich.
Ich liebe dich.
Es erfasste mich wie ein Geistesblitz. Es war die gleiche Schrift! Die gleiche Handschrift! Was machte sie hier in Backs Büro? Im nächsten Augenblick fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich rechnete eins und eins zusammen. Es bestand kein Zweifel mehr. Back hatte das Gedicht auf die Karte geschrieben für niemand geringeren als für Costa! Oh mein Gott! Was?!
„Kriegst du das so mit oder soll ich das in zwei Tüten stecken?"
Ich erschrak bei seiner Stimme hinter mir so sehr, dass ich gegen die Stuhllehne des Bürostuhls krachte, mich hektisch umdrehte und schnell sagte: „Das geht so, danke."
Ich riss ihm die Tüte aus den Händen und stürmte an ihm vorbei.
„Ist alles okay?", fragte er vorsichtig und sah mir besorgt nach.
„Ja, ich sollte nur schnell los, bevor das Eis schmilzt." Panisch bückte ich mich, um die Schuhe zuzubinden. Dabei brachte ich keine ordentliche Schleife zustande, da meine Hände so sehr zitterten. Mein Magen zog sich zusammen. Ich bekam keine Luft mehr. Ich musste hier raus. Sofort.
„Soll ich dich fahren? Mach ich ge-", begann Costa schon, da schnitt ich ihm schnell das Wort im Mund ab.
„Nein, nicht nötig. Ich bin schneller mit dem Rad. Also, dann bis morgen." Ich umarmte ihn kurz zur Verabschiedung und stürmte aus dem Haus. Was hatte ich da bitte gerade herausgefunden? Costa, mein bester Freund, liebte mich? Das ruinierte einfach alles! Nein, einen Moment. Das musste nichts heißen. Vielleicht hatte er sie mir auch nur aus Freundschaft geschenkt? Aber die Farbe Rot der Rosen stand doch für Liebe und Leidenschaft, nicht für Freundschaft. Vielleicht hatte es keine gelben Rosen mehr gegeben, weshalb eine rote ausgeteilt worden war? Ich war verwirrt.
Ich realisierte erst, was das zu bedeuten hatte, als ich Zuhause angekommen und das Eis in Sicherheit gebracht hatte. Mein Gott, was?
Auf dem Weg in mein Zimmer übersah ich beinah Zoe, die gerade aus dem Bad geflitzt kam und fast über mich stolperte. Meine Verwirrtheit musste mir ins Gesicht geschrieben sein, so sprach Zoe mich sofort darauf an.
„Hey, Val. Alles okay bei dir? Du siehst so mitgenommen aus." Sie runzelte die Stirn. Aus der hintersten Ecke meines Kopfes kam der Gedanke wieder in den Vordergrund gespült, dass Spencer sie betrogen hatte und dass ich es ihr erzählen müsste. Aber nicht hier. Nicht jetzt. Der Rest meiner Familie saß genau in diesem Moment unten auf der Couch und sah sich Miraculous an. Die Schocknachricht würde sich im Haus wie ein Lauffeuer verbreiten und dann würden alle versuchen, auf Zoe einzureden, die dann erst ihr ganzes verstecktes Wutpotenzial ausbreiten würde.
Ich musste es also vorerst für mich behalten. Bei der nächsten Gelegenheit, die sich mir bieten würde, würde ich ihr alles beichten. Allerdings konnte meine Lebenskrise mit Costa nicht länger warten und wem sollte ich es jetzt erzählen, wenn nicht gerade Zoe.
„Kann ich einen Moment mit dir reden. Es ist dringend."
„Immer doch", antwortete sie und schob mich zu sich ins Zimmer, das nach Lavendeltee und Minz-Bonbons roch. Ihre Schulbücher stapelten sich auf dem Schreibtisch wie das Geschirr auf Backs Schreibtisch. Dort, wo das Gedicht gelegen hatte, das Costa mir geschrieben hatte, um mir seine Liebe zu gestehen? Das ergab einfach keinen Sinn. Ich hatte für ihn nie etwas anderes als Freundschaft empfunden. Oder?
Ich konnte es nicht mehr für mich behalten und so sprudelte es aus mir heraus. „Costa hat mir heute eine rote Rose geschenkt mit einem Liebesgedicht. Ich glaube, er hat sich in mich verknallt."
„Wow", flüsterte sie und schaute ungläubig drein: „Vorhin habt ihr euch gestritten und jetzt überschreitet Costa die Linie der Friendzone? Das ist schwer vorstellbar."
„Ja, oder? Vor allem haben wir uns immer versprochen, miteinander zu reden, wenn sich die Gefühle ändern sollten, nicht dass der andere es durch ein Gedicht enträtseln soll. Das haben wir vor der Welt geschworen, vor allen unseren Fans."
„Und du bist dir ganz sicher, dass es von ihm ist?"
„Schon. Ich hab Backs Handschrift entdeckt und es ist die gleiche vom Gedicht. Ich glaube, Back hat das Gedicht für Costa geschrieben, damit ich nicht sofort drauf komme. Aber wieso sollte er das machen? Er hätte auch einfach mit mir reden können."
Ich fuhr mir durch das Haar und schaute durchs Zimmer. Mir wurde auf einmal so warm. Zoe griff nach meiner Hand und sagte: „Vielleicht wäre es jetzt das beste, mit ihm zu reden. So schnell wie möglich, um es nicht komplizierter zu machen. Vielleicht liegt ja ein Fehler vor. Wer weiß?"
Das musste sie mir gerade sagen. Ihre unschuldigen Augen schenkten mir Trost und gleichzeitig fühlte ich mich zerschmettert am Boden, da ich die Wahrheit über ihren festen Freund wusste und es ihr nicht sofort erzählte. Das war kein fairer Schachzug von mir. Seit wann hatte ich Geheimnisse vor meinen zwei Lieblingsmenschen? Wann hatte mein Leben eine so drastische Wendung genommen?
Aber nein, ich konnte Costa noch nicht mit dem Thema Rose konfrontieren. Ich müsste fürs Erste ganz unauffällig spielen, bis sich mein erstes Problem halbwegs geklärt hätte. Ich konnte nicht zwei Offenbarungen auf einmal ertragen. Erst das Spencer-Problem, dann das Costa-Problem.
„Danke, ich werde ihn bald drauf ansprechen. Aber es ist so krass. Ich hätte mit allen anderen gerechnet. Mit Costa aber am wenigsten. Er ist mein bester Freund und ich hatte noch nie mehr Gefühle für ihn als das."
Zoes Blicke durchdrangen mich. Dann fragte sie vorsichtig: „Kannst du es dir denn mit ihm zusammen vorstellen?"
„Wohl kaum. Ich wüsste nicht, wie ich eine Person lieben könnte, geschweige denn mit ihr zusammen sein. Costa ist zwar einer der engsten Menschen in meinem Leben, aber in erster Linie mein Freund, nicht Liebhaber."
Meine Schwester legte den Kopf schief. Ich hasste es, wenn sie mich so um den Finger wickeln konnte. Wusste ich wirklich, was ich wollte? Die letzten Monate ohne ihn hatten sich wie ein Entzug angefühlt und ich könnte mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.
„Okay, zugegebenermaßen liebe ich ihn auch. Aber wahrscheinlich nicht auf die Art, wie er es eventuell tut. Die Wahrheit ist, ich weiß nicht, was das ist. Aber ich habe das Gefühl, seit wir so gehypt werden im Netz, hat sich irgendwas zwischen uns verändert. Manchmal ins Positive, manchmal ins Negative. Da ist noch vieles zwischen uns, was geklärt werden muss."
„Na bitte", sagte Zoe mit einem schelmischen Lächeln: „Da hast du deine Antwort. Rede mit ihm. Dann wird euch beiden klar werden, was ihr genau wollt. Sei offen und sag ihm klar und deutlich, was du willst."
Ich legte mich neben Zoe und kuschelte mich an sie. Dann flüsterte ich in die Armbeuge ein leises Danke und schloss die Augen. Wieso musste Liebe immer alles verderben? Heute kam sie mir mehr schmerzhaft als glücksbringend vor.
Nach einer halben Stunde - Zoe und ich waren eingedöst - wurden wir zeitgleich durch mein vibrierendes Handy geweckt. Ich erschrak und fuhr hoch. Auf dem Display stand Costanova. Es war, als wollte das Schicksal mich endlich zu ihm drängen, sodass ich ihm nicht länger aus dem Weg gehen könnte. Ich nahm dennoch an und lauschte unauffällig seinen Worten.
„Du wirst es nicht glauben", schrie Costa schon beinah ins Handy, sodass ich das Gesicht verkniff und mir das Handy etwas weiter vom Ohr hielt: „Das MV-Magazin hat gerade bei der Agentur meines Vaters angerufen und gefragt, ob sie zufällig meine Nummer hätten. Er hat sie ihm gegeben und dann wurde ich angerufen. Es ist unglaublich! Sie wollen uns zur besten Sendezeit interviewen, live, im TV! V..."
Ich hielt für einen Moment inne und wusste nicht genau, wie mir geschah.
„Was sagst du?"
„Costa, das ist fantastisch! Weißt du, wie viele das MV-Magazin schauen? Das sind tausende. Das wäre gigantisch! Sag zu, sofort!"
„Alles klar. Ich schalte kurz um. Die sind auf der anderen Leitung." Dann erklang ein langes Piepen, das in meinen Ohren klingelte. Es war eine wunderbare Chance für uns, aber ich konnte an nichts anderes denken als an Costa. War es wirklich so, wie es schien?
Nach einigen Minuten erklang mir die vertraute Stimme wieder. Ich zitterte.
„Geschafft! Es ist in knapp einem Monat. Es wird im ganzen Norddeutschenraum ausgestrahlt werden."
„Das ist spitze", verkündete ich und verstummte sofort wieder. Ich hätte mehr Begeisterung in die Stimme legen sollen, fiel mir im Nachhinein auf.
„Ist das Eis sicher angekommen?"
„Was?"
„Das Eis? Der Grund, wieso du vorhin so eilig los bist. Oder ist sonst noch was? Du hast dich irgendwie nicht wie du selbst verhalten. Eher als seist du auf der Flucht gewesen."
Wenn er wüsste.
„Nein, ähm, ich meine ja. Dem Eis geht es gut. Mir übrigens auch. Tut mir leid, dass ich so schnell weg bin."
Stille.
„Schon okay. Hab mir nur Sorgen gemacht, dass ich irgendwas Falsches getan habe", sagte er dann schließlich: „Wir sehen uns morgen?"
„Jap. Bis morgen."
„Super. Bis dann." Er legte auf.
„Bis dann." Mein Handy wurde dunkel. Dann blickte ich wieder in Zoes verschlafene Augen. Wie sollte ich ihr jemals diesen Schmerz zumuten? Wie sollte ich ihr erklären, dass wir uns alle in Spencer geirrt hatten? Da fiel mir ein, wo war er überhaupt?
„Wolltest du nicht heute was mit Spencer unternehmen?"
„Ist was dazwischen gekommen. Seine Mutter ist krank und er muss sich um sie kümmern. Dafür kommt er aber morgen vorbei."
„Ach. Wie schade. Na dann morgen." Ich zeigte Mitgefühl. Alles gelogen. Jetzt log Spencer sie auch noch an. Ich könnte ihn wirklich eine reinhauen, wären da keine Zeugen in der Nähe. Aber ich war nicht sehr viel besser. Schließlich log ich meine große Schwester genauso an. Es quälte mich in allen Bereichen meines Körpers. Arme Zoe...niemand blieb vor dem Liebeskummer verschont...
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