2 ~ 0 Follower

Mit einem skeptischen Blick nach draußen stand ich am nächsten Morgen auf der Türschwelle unter dem Dach. Es regnete wie schon die ganze Nacht über in Strömen, mit keiner Pause in Sicht. Meine Eltern waren schon früh zur Arbeit losgefahren und Zoe brachte Emi gerade in die Grundschule.

Ich zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und wagte den ersten Schritt, der in einer Pfütze endete. Fluchend schüttelte ich das Wasser von meinen Schuhen ab, doch es war schon zu spät. Sie waren durchnässt. Toller Start in den Tag, dachte ich mir.

Die Griffe des Fahrrads waren genauso nass und glitschig. Meine Hände zitterten vor Kälte. Der Regen hatte die sommerliche Morgenwärme total vertrieben. Beinah rutschte ich bei dem Versuch, mich aufs Rad zu schwingen, aus. Ich hielt aber das Gleichgewicht im letzten Moment und fuhr vom Grundstück, ohne irgendetwas Klares vor mir sehen zu können. Nach einigen Metern hielt ich an der Kreuzung an, an der Costa und ich uns jeden Morgen trafen. Ich kam von einer Nebenstraße, Costa von einem kleinen Sandweg, der bei Regen nicht sehr angenehm zu fahren war. Kein Wunder also, dass Costa sein Rad öfter reinigen musste, als ich meines.

Nach drei Minuten, in denen ich so im Regen wartete, kam Costa mit Eile angeradelt. Ich erkannte ihn nur mit Mühe, obwohl niemand anderes auf der Straße zu diesem Zeitpunkt unterwegs war. „Sorry", versuchte er durch die Nässe in meine Richtung zu rufen: „Ich hab mein Schloss nicht gefunden." Es klang zwar nach einer faulen Ausrede, aber ich konnte meinem Freund da voll und ganz vertrauen, dass ihm selbst das passieren konnte. Ich schätzte gleichzeitig auch seine Ehrlichkeit mir gegenüber. Er brachte oft eine Entschuldigung für Dinge vor, die eigentlich keine benötigten. So auch seine um dreiminütige Verspätung. Ich war selbst nicht die Pünklichste.

„Vergeben und vergessen", erwiderte ich und trat in die Pedalen, damit Costa nicht stoppen musste. Gemeinsam fuhren wir die Hauptstraße entlang, die normalerweise mit Autos übersät war. Doch an diesem Morgen war es anders. Da man so gut wie nichts erkennen konnte, parkten die meisten an den Straßenseiten und warteten auf eine Regenpause. Eigentlich war es sehr riskant, ohne ein klares Sichtfeld mit einem Fahrrad auf einer viel befahrenen Straße zu fahren, aber was sollte man machen, wenn man knapp vor Unterrichtsbeginn erst losfuhr, wie Costa und ich täglich?

Ich hatte ganz schön Mühe, mit meinem besten Freund mitzuhalten, weshalb ich noch ein bisschen mehr in die Pedalen trat. Mittlerweile spürte ich das Wasser unter der Windjacke, die nun ekelig auf der Haut klebte, und an meinen Füßen.

Glücklicherweise lag die Gemeinschaftsschule an der Ostsee nur einen knappen Kilometer von der Kreuzung entfernt. Kaum hatten wir zwei die Räder in die Fahrradständer geschoben - Costa hat es noch extra angeschlossen, ich ließ es bleiben - trugen uns die letzten paar Schritte ins trockene Schulgebäude. Ich begann das Wasser von mir abzuschütteln, Costa machte es mir gleich. Danach bedeckten den Flur so große Pfützen wie die Straßen draußen. Es wunderte mich, dass noch niemand außer uns hier herumlief.

„Ist heute Schulentwicklungstag?", fragte ich Costa, der nur mit den Schultern zuckte. Ich würde es bereuen, mich im Regen hierher gequält zu haben, nur um dann zu erfahren, dass die Schüler heute frei hätten.

Costa ging in unseren Klassenraum im zweiten Stock vor und öffnete vorsichtig die Tür. Er lugte hindurch und ging dann hinein. Ich erkannte nicht, ob jemand schon da war und folgte ihm unauffällig.

„Wie seht ihr denn aus?", erklang eine tiefe Stimme aus der hinteren Reihe. Niels.

Zu meinem Erstaunen saßen bereits alle anderen trocken und warm auf ihren Plätzen, während der Regen gegen die Fensterscheiben prasselte. Von dem Lehrer fehlte jede Spur.

„Wurden die hergebeamt oder was?", flüsterte ich Costa leise zu. Alle Blicke lagen auf unseren nassen Kleidern, die den ganzen Boden vollltropften. Bevor er eine Antwort darauf geben konnte, schaltete sich Max, einer unserer Mitschüler, ein: „Macht ihr jetzt schon eine Kampagne für Umweltschutz oder was?" Seit ich in dieser Klasse war, hatte ich ihn genauso verabscheut wie Costa, der mich noch vor ihm gewarnt hatte. Neben Max war Niels noch harmlos. Er konnte besser angeben, denn seine Eltern lebten praktisch in einem Schloss. Diesen Luxus in seinem Leben verbarg Max natürlich nicht. Er gab sich dabei auch keine Mühe.

Schnippisch antwortete ich: „Nein, aber wir geben der nächsten Generation eine sauberere Welt mit als du mit deiner Dreckschleuder von BMW." Zwar waren Costa und ich keine kompletten Ökofreaks, aber wo es sich vermeiden ließ, ließen wir das Auto stehen, auch wenn Costa seit einiger Zeit eins besaß. Vor zwei Jahren hatte er die Fahrschule begonnen und danach erfolgreich abgeschlossen. Ich hatte mich mindestens genauso sehr mit ihm gefreut, als er selbst.

Max hielt Gott sei Dank seinen Mund, als wir uns auf unsere Plätze begaben. Ich schaute schnell auf die Uhr an der Wand. Zehn vor acht. Genau pünktlich.

„Ich wette, die wurden alle vor einer Stunde schon hergefahren. Anders kann ich mir das auch nicht erklären", gab Costa bekannt, als er seine Mathesachen auf dem Platz positionierte. Mathe. Wie fast jeder Schüler hasste ich das Fach abgrundtief. Die ganzen Zahlen und Formeln machten in meinem Kopf keinen Sinn. Und wenn wir ein neues Thema begannen, war ich froh, das letzte ansatzweise verstanden zu haben.

Während Herr Palski, unser Mathelehrer, etwas zum Thema Stochastik an die Tafel schrieb und dazu ein Baumdiagramm entwarf, das wir eigentlich mitschreiben sollten, blickte ich unauffällig auf Costas Hand, die eifrig mitzeichnete. Dann schaute ich auf meins. Es war leer. Ich spürte immer noch das Adrenalin in meinen Adern und die Feuchtigkeit, die langsam an meinem Rücken hinunterglitt. Es war unmöglich mich auf Mathe zu konzentrieren, als es ohnehin immer der Fall war.

Ich begann damit, kleine Sterne auf das Blatt zu kritzeln, dann ein TicTacToe, deren Felder ich füllte und wieder durchstrich. Als Nächstes setzte ich den Stift an und schrieb in kodierten Buchstaben eine Nachricht an Costa. Leider wurden wir vor einigen Wochen beim Zettelchenaustauschen erwischt und zum Nachsitzen verdonnert, als der Satz Frau Tillmann ist ein schlafendes Faultier vor der Klasse laut vorgelesen wurde. Im Prinzip hatte sich Frau Tillmann, unsere Englischlehrerin, selbst blamiert. Vielleicht war sie aber auch nur wütend auf uns, weil wir das nicht auf Englisch geschrieben hatten.

Aus diesem Grund hatten Costa und ich uns auf eine Geheimsprache geeinigt, um die Strafe milder ausfallen zu lassen. Zugegeben war sie ziemlich einfach zu entschlüsseln, aber welcher Lehrer machte sich schon diese Mühe? Wir unterhielten uns einfach mit Morsezeichen. Unglaublich, dass diese einfacher in meinen Kopf gingen als normaler Unterrichtsstoff.

.-- .- ... -- .- -.-. .... . -. .-- .. .-. -. .- -.-. .... .... . .-. ? (Was machen wir nachher?)

Unauffällig schob ich den Zettel auf Costas Platz. Für den ersten Moment ignorierte er ihn, bis er alles fertig von der Tafel abgeschrieben hatte und Herr Palski etwas darüber sagte. Costa hatte es mit Sicherheit alles schon verstanden und brauchte keine weitere Erklärung. Er riskierte einen Blick auf die Kodierung. Dann antwortete er zurück.

-. .- -.-. .... .... .. .-.. ..-. . , -.-. .- -. -.. -.-- -.-. -.. - - .. -. --. , ... - . .-.. .-.. .- (Nachhilfe, Candy Cutting, Stella)

Ich las die kurze und knappe Antwort, antwortete aber nicht darauf und kritzelte nur weiter, um Costa nicht noch länger von Mathe abzulenken. Es erstaunte mich oft, wie konzentriert er zuhören konnte. In dem Punkt unterschieden wir uns sehr voneinander. Ich machte mir lieber Gedanken um Stella. Costas Hündin war leider gestern nicht Zuhause gewesen, sondern bei seiner Mutter, eine halbe Stunde Fahrzeit von Rostock aus. Die Übergabe und Abholung war der einzige Grund, den Costa hatte, seine Mutter zu besuchen. Ich wollte ihn ungern alleine gehen lassen. Ich merkte ihm nach jedem Besuch die emotional instabile Seite an. Es bewegte ihn doch mehr, als er zugeben wollte.

Der Regen hatte aufgehört, als wir die Schule verließen. Costa verabschiedete sich von seinen Kumpels und kam mir dann entgegen. Ich hatte in der Zwischenzeit auf ihn an den Fahrradständern gewartet. Mein Rad hatte noch auf seinem Platz gestanden, wo ich es abgestellt hatte. Es hätte also nichts ausgemacht, hätte mein bester Freund sein Schloss heute Morgen Zuhause vergessen.

„Können wir?", fragte ich.

„Klar. Du kannst es wohl kaum erwarten, mit Mathe loszulegen", antwortete er und bückte sich über den Sattel, um mit dem Code sein Schloss zu öffnen.

„Natürlich. Träum weiter." Ich kniff die Augen zusammen, während einige Schüler aus unserem Jahrgang an uns vorbei bretterten, als würde bei ihnen Zuhause der Herd anbrennen.

Die meiste Zeit über war ich zwar dankbar, dass Costa mir kostenlose Mathenachhilfe gab, aber manchmal konnte es auch nerven. Es lag nicht an ihm, sondern an den verwirrenden Zahlen, die er wiederum mochte. Es war einfach sein seltsamer Geschmack für Zahlen, der mich manchmal verwirrte und abstieß.

Keine halbe Stunde später saßen wir auch schon an dem Esstisch, ein Raum von Backs Arbeitsbüro entfernt, mit jeweils einer Schüssel Instandnudeln in den Händen. Ich verbrannte mir beinah die Finger an dem heißen Wasser, als ich den ersten Löffel in den Mund schieben wollte.

„Okay, dann mal los", gab Costa bekannt und legte mir das Blatt vor, was er fein säuberlich im Unterricht mitgeschrieben hatte. Da war kein Platz mehr. Alles war mit Randbemerkungen, Pfeilen und Formen vollgekritzelt. Alles zu verwirrend für mich.

„Können wir nicht zuerst aufessen?"

„Nein", schoss es schneller aus ihm heraus, als ich es erwartet hatte: „Wer Zettelchen während des Unterrichts schreiben kann, der muss mit den Konsequenzen rechnen."

„Was kann ich dafür, wenn Mathe übelst langweilig ist? Ich wäre eingeschlafen, hätte ich nicht über deine knappe Antwort lachen können. Das klang nicht gerade, als wolltest du Deutschlehrer werden." Seit Costa sich seit der neunten Klasse sicher war, Deutsch- und Mathelehrer zu werden, nutzte ich jeden Augenblick, um es ihm unter die Nase zu reiben. Auf der einen Seite konnte ich es mir gut bei ihm vorstellen, auf der anderen Seite wollte ich ihm die gelangweilten Kids ersparen.

„Oh doch. Das will ich immer noch", er zeigte mit seiner Gabel auf mich: „Du kannst es mir nicht ausreden."

„Will ich auch nicht. Deine Träume sind toll. Aber die Realität sieht manchmal anders aus als erwartet. Aber hey. Du musst die Erfahrungen machen." Ich schob erneut einige Nudeln in den Mund und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.

„Danke, werde ich auch." Er fuhr sich einmal durch das kurz rasierte Haar, das ihn wie ein Soldat manchmal aussehen ließ, und wickelte weitere Nudeln auf seine Gabel.

„Ich meine nur, dass-", begann ich gerade wieder neu zu starten, als er mich unterbrach: „Versuchst du gerade die Zeit hinauszuzögern, um kein Mathe machen zu müssen?"

„Was? Nein, nein. Das mache ich doch nicht", spielte ich die Unschuldige und schaute demonstrativ auf Costas geschriebene Mathenotizen: „Na los. Erklär's mir."

Für einige Sekunden musterte er mich noch einmal skeptisch von der Seite, stöhnte auf und fing an, das Baumdiagramm zu erklären. Alles, woran ich denken konnte, war der Spaß beim Candy Cutting, den wir eine Stunde später hatten. Beño räumte gerade einige Kisten aus dem Lager in die Regale ein, während Costa und ich entspannt die heiße, klebrige Masse ausrollten, sie um den Harken schwangen und sie wenig später mit dem Cutter in kleine Bonbons schnitten.

„Glaubst du, wir bleiben für immer Single?", schnitt ich ein neues Thema an. Costa fuhr verwundert zu mir herum. Diese Frage musste echt furchtbar klingen, aber ich wollte unbedingt wissen, was er darüber dachte.

„Weiß nicht. Wieso fragst du?"

„Es ist wegen Zoe. Sie redet jeden Abend von Spencer und ich spüre immer mehr, was für einen guten Einfluss er auf sie hat. Ich weiß auch nicht."

„Ist da jemand eifersüchtig?", neckte er mich schließlich und lächelte amüsiert, als ich rot wurde.

„Was? Ich? Auf meine große Schwester, die einen perfekten Freund hat, der ein großartiger Schwager ist? Ja, vielleicht. Ach, ich weiß nicht. Ich stelle mir nur ab und zu die Frage, wann es mich wohl treffen wird. Du weißt, ich hasse den ganzen Kitsch und hab es damit auch nicht so eilig. Aber ich meine, Zoe hatte in meinem Alter schon ihren ersten Freund abserviert. Und was habe ich vorzuweisen?"

Er überlegte eine Weile und schnappte sich die nächste Rolle vom Tisch, um sie kleinzuschneiden. „Klebrige Hände in einem Minijob?"

„Klebrige Hände in einem Minijob, genau", wiederholte ich seine Worte und hob demonstrativ die Hände in die Höhe. Für einen Moment schaute ich mir meine rot überzogenen Finger an.

„Naja, lieber klebrige Hände, als abserviert zu werden", versuchte Costa die Stimmung zu heben. Damit hatte er wohl recht. Wenn es eines Tages passieren sollte - und ich hoffte sehr, es würde nicht so werden -, dass Spencer mit ihr Schluss machte, wollte ich ungern in Zoes Haut stecken.

„Du hast recht. Das ist besser", meinte ich zum Abschluss und wusch mir die Hände an der Spüle. Costa hielt sich seine noch schnell unter den Wasserstrahl, bevor ich ihn ausschaltete. „Ich versuche mir trotzdem, dich mit einer festen Freundin vorzustellen. Die müsste dann genauso steif im Unterricht sitzen, wie du." Ich lachte vergnügt und beobachtete seine Reaktion. Blitzschnell waren seine Hände am Handtuch abgetrocknet, da schmiss er den ersten Bonbon vom Tresen nach mir. Ich duckte mich schnell zur Seite und streckte den Arm nach einem anderen aus, um mich zu rechen. Er traf ihn perfekt am Oberarm. „Na warte!", rief Costa und nahm sich gleich fünf Bonbons als Kriegsmittel.

Lachend versteckte ich mich hinter der Kasse und schaute vorsichtig hoch, als einer direkt hinter mir zu Boden ging und kaputt brach. Nun musste auch mein bester Freund lachen.

Ohne es zu bemerken, tauchte plötzlich Beño hinter mir auf und musterte die Situation mit dem Besen in der Hand. „Kinder! Bitte! Ich will heute nicht mehr fegen müssen, als es nach dem Dreck der Besucher sowieso nötig ist." „Sorry, Beño. Wir fegen selbstverständlich gleich alles", sagte Costa und trat schuldbewusst hervor.
„Und bezahlen die kleinen Ausbrecher", fügte ich bei, als ich unseren verursachten Schaden auf dem Boden begutachtete.

Beño zog nur eine Augenbraue hoch, verabschiedete sich und ging mit seiner Tasche aus der Tür. Trotz unserer Aktion hatte er noch genug Vertrauen in uns, den Candy-Shop in unserer Obhut zurückzulassen.

„Besser, wir räumen schnell auf. Stella wartet", sagte Costa und begann schon damit, sich über den Boden zu bücken. Ich machte es ihm gleich. Zum Schluss zogen wir die Tür zu und schlossen ab.

„Nichts wie los zu unserer Dame!", rief ich schon auf dem Weg zu den Rädern. Costa kam hinterher.

Nachdem wir Back über unseren Ausflug informiert hatten, wechselten wir vom Rad zum Auto. Es hatte gerade wieder angefangen zu regnen, also war ich ganz froh über die Sitzheizung und das schützende Dach mit einem Hauch nostalgischer Musik.

Costas Handgelenke verkrampften sich wie immer am Lenkrad, als wir uns der Wohnung seiner Mutter näherten. Er parkte in einer Nebenstraße, sodass wir noch ein Stückchen zu Fuß weitergehen mussten. Wir schwiegen beide. Ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte, damit er sich besser fühlte. Gab es überhaupt passende Worte? Ich konnte nur erahnen, wie es sein musste, vom eigenen Vater zu erfahren, dass er sich von seiner Frau trennen würde.

Als wir schließlich vor der Haustür mit den goldenen Lettern 12 standen, tätschelte ich kurz Costas Schulter, um seine Anspannung lösen zu können, doch sie verschlimmerte sich in dem Augenblick, als das Schloss nachgab und sich eine rothaarige Frau zeigte.

„Hey mein Schatz", sagte sie sanft als Erstes und blickte dann nur kurz in meine Augen: „Hallo Val." Dann wandte sie sich wieder ihrem Sohn zu. Ich dachte, sie würde sich für ihre Taten schämen und das vor allem in meiner Gegenwart, da sie genau wusste, dass ich als Außenstehende alles mitbekommen und mir ein Urteil gebildet hatte. Und auf welcher Seite ich stand, war ja wohl klar.

Normalerweise würde ich immer alle Seiten betrachten und mir nicht so schnell eine Meinung bilden, aber Costas Mutter Miranda machte mir das echt nicht leicht. Wer es dem Vater meines besten Freundes antat, ihn hinter seinem Rücken fremdzugehen und dann auch noch den verhassten Kollegen in dessen Büro zu vögeln, der hatte Mitleid kein bisschen verdient. Das war kein Fall für einmal ist kein Mal. Es war passiert und die Bilder des Moments, wo Back sie erwischt hatte, wurden mir nur unweigerlich vors geistige Auge gespült. Wie sehr musste er leiden? Da war es kein Wunder, dass er den Job nur noch ausübte, weil es ihm Spaß machte - und das auch nur Zuhause, weit weg von seinem vorherigen Arbeitsplatz.

Als Miranda nun eine Hand an Costas Wange legen wollte, machte er einen Schritt zurück und blickte ihr finster in die Augen. Sie legte ihren Kopf schräger, als würde sie nicht verstehen, wieso er so handelte. Als wäre niemals sein Vertrauen in sie verletzt und zerstört worden.

„Ist Stella da?", fragte Costa mit fester Stimme und schaute knapp an ihrem Kopf vorbei in die Wohnung hinter ihr. Einige Kartons vom Umzug standen immer noch im Flur und warteten darauf, ausgepackt zu werden.

Miranda hielt einige Sekunden inne, in denen sie ihn nur mustern konnte. Ich blickte ihr genauso finster in die Augen, doch sie ignorierte die Begleitung ihres Sohnes komplett und machte auf der Stelle kehrt, um Stella aus dem Wohnzimmer zu holen.

„Hey", versuchte ich auf Costa einzureden, als seine Mutter aus der Sichtweite war: „Alles gut. Wir sind gleich wieder weg." Seine Augen suchten meine, waren aber von dem Anblick seiner Mutter immer noch starr und abwesend. Als ich gerade noch etwas sagen wollte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, hielt Miranda Costa die Leine hin, am Ende Stella, die uns schwanzwedelnd begrüßte. Ich wünschte, sie wäre nicht auf Mirandas Namen registriert. Dann müsste ich Costa nicht bei jeder Begegnung mit seiner Mutter leiden sehen.

Schnell schnappte ich mir die Leine, bevor mein Freund es tun konnte und zog den dunkelbraunen Labrador sanft aus der Wohnung heraus. Als Costa mir die Treppe hinunter folgen wollte, rief seine Mutter nur ein kurzes Tschüss aus der Tür, um zumindest etwas zu ihm sagen zu können. Er ignorierte es dennoch gekonnt und atmete schwer auf, als wir wieder an der frischen Luft waren.

Ich blieb vor ihm stehen und schaute ihn besorgt an, wie er sich versuchte wieder einzukriegen. Er stützte sich kurz mit den Händen auf den Oberschenkeln auf, drehte sich einmal um die eigene Achse, während er sich frustriert durch die Haare strich und ohne ein Wort loszuwerden, umarmte er mich. Ich ließ es zu und erwiderte es. Ich spürte ihn zittern, spürte den Schmerz, den er nur hier offen legte. Nur, nachdem wir seine Mutter kurz zuvor begegnet waren.

„Danke", flüsterte Costa in mein Haar, als er sich langsam wieder von mir löste und mir Stella abnahm. Ich nickte stumm und kniff die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Dann folgte ich ihm zu dem Auto und als wir am Eingangsschild von Rostock vorbei bretterten, verhielt er sich wieder, als wäre nie etwas gewesen. Keine deprimierende Stimme, keine innerlichen Brüche.

„Wie wär's mit einem Spaziergang?", schlug er mit guter Laune vor.

„Klar, wieso nicht?" Ich wusste, dass das nun der Moment sein müsste, in dem ich so etwas sagen sollte wie Hey, alles okay? Du kannst mir dein Herz ausschütten und musst es nicht einmal aufräumen, denn das ist mein Part, aber aus Erfahrung wusste ich, dass das zu nichts führen würde. Die beste Medizin gegen Costas Kummer war es, alles mitzumachen, was er vorschlug und das Thema nicht weiter anzuschneiden, bis es ihn wieder einholte. Seine Probleme waren wie eine Schatztruhe. Er öffnete sie, schaute sich den Inhalt kurz an, ohne etwas herauszunehmen, vergrub sie wieder und öffnete sie erst wieder, wenn es nötig wäre.

Das Auto hielt auf einem gottverlassenen Parkplatz am Rande eines Feldes, durch das ein schmaler Fußgängerweg führte. Ich öffnete den Kofferraum, damit Stella hinausspringen und mich attackieren konnte, während Costa versuchte, sie zu sich zu rufen. Doch sie war wie ein wilder Flummi, der nicht zu bändigen war. Nach einigen Metern kamen wir an einer Autobrücke an. Ich erzählte gerade von Emis und meinem letzten Streit über den Abwasch heute Morgen, als Costa mich am Arm packte und mich sanft zurückzog.

„Schau mal, wie schön der Himmel heute ist", sagte er. Ich folgte seinen Augen. Tatsächlich waren dort lauter rosa Schleier in den unterschiedlichsten Tönen zu erkennen. Es war schon beinah magisch, würden die Scheinwerfer der unter uns fahrenden Autos die Dunkelheit um uns herum nicht zerstören.

„Man merkt eindeutig, wer von uns der Romantiker ist", erwiderte ich und legte kurze Zeit später den Kopf an seine Schulter, während der Moment für eine kurze Zeit einfror. In solchen Augenblicken könnte ich der Welt dafür danken, einen Freund wie Costa zu haben. Auch wenn ich ihn oft neckte und ärgerte, so wusste er genauso gut wie ich, wie froh ich für diese Freundschaft war.

Als Stella an der Leine zog, drehten wir um und gingen in einem Gespräch über die Bedeutung der Himmelsverfärbungen vertieft zum Auto zurück.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top