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Valentinstag. Der Tag der Liebenden. Ein total schwachsinniger Tag, meiner Meinung nach. Eigentlich diente er nur den Blumenläden, die an diesem Tag unheimlich viel Umsatz schafften, weil es genug Dumme gab, die Geld für Rosen ausgaben.

Als ich die Augen öffnete, nachdem mein Wecker geklingelt hatte, war ich hellwach. Ich setzte mich auf und folgte dem Gedanken, den Tag schnell hinter mich zu bringen. Es war zwar mein achtzehnter Geburtstag, ich würde in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden, aber das interessierte mich herzlich wenig. Ich würde mich nicht anders fühlen als gestern.

Mein Handy vibrierte ununterbrochen, als ich es einschaltete. Komisch, so viele Bekannte, die jetzt schon gratulieren könnten, hatte ich gar nicht. Also blieb nur eine Möglichkeit offen.

Ich starrte die Nachrichten auf Insta an und konnte es nicht fassen.

Happy Birthday, Valeria!

Happy Birthday! Einen schönen Tag und viel Glück fürs nächste Jahr!

Happy Birthday und Happy Valentinstag!

Ich scrollte durch die For-me-Page. Das konnte doch nicht wahr sein! Überall standen Glückwünsche, von Menschen geschrieben, die ich nicht einmal persönlich kannte. Wie hatten unsere Fans von meinem Geburtsdatum erfahren? Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals etwas dergleichen gepostet zu haben, zumal es das letzte Thema war, über das ich freiwillig reden wollen würde.

Mir kam nur eine Person in den Sinn, die es wagen würde, alles über mich zu posten, um mich zu vernichten. Ich klickte auf Hannahs Profil. Sowohl in ihrer Bio als auch in einem gesonderten Beitrag stand in fettgedruckter Schrift: Euer Star Valeria hat am Valentinstag Geburtstag! 

Wie konnte sie es wagen?!

Schnell sprang ich aus dem Bett und flitzte nach unten, wo meine Familie bereits am Frühstückstisch saß. Ich entschuldigte mich, schnappte mir nur eine Banane für unterwegs und verließ das Haus. Meine Mutter und Zoe riefen im Chor hinter mir her, doch ich hatte vor, meine Rivalin so schnell wie möglich zur Rede zu stellen.

„Wieso hast du meinen Geburtstag veröffentlicht?", schnauzte ich Hannah auf dem Schulflur an. Zufälligerweise hatte sie im richtigen Moment an ihrem Spint gestanden, so als hätte sie diese Konfrontation auch noch provozieren wollen.

„Oh, sollte das etwa nicht geteilt werden? Es ist doch toll, wenn eure Fans dir gratulieren, oder etwa nicht?", antwortete sie frech.

„Nein, kein bisschen. Du weißt ganz genau, dass das was sehr Privates ist und dass ich meine Gründe hatte, es nicht zu posten."

„Nein, das wusste ich nicht. Costa hat mir nur dein Geburtsdatum verraten. Man, das ist größer als ein Staatsgeheimnis." Sie lachte und griff sich einen Stapel mit Büchern aus dem Spind.

„Costa hat dir das erzählt? Natürlich. Ich will, dass du das sofort rausnimmst."

„Sonst was? Was hast du gegen mich in der Hand?"

Ich öffnete schon den Mund, um etwas zu erwidern, doch mir fehlten die Worte. Sie hatte recht. Ich hatte nichts gegen sie in der Hand. Viel mehr war ich auf Costa wütend, der mit diesem Geheimnis um sich schmiss, ohne mich vorher zu fragen, obwohl wir das einst unter uns vereinbart hatten.

Ich drehte mich knurrend um und wollte meinen besten Freund aufsuchen, da rief Hannah mir hinterher: „Wo ein Herz gebrochen wird, wächst ein anderes an, nicht wahr, Valeria?"

Ich wollte gerade fragen, was sie damit meinte, da hörte ich Costas Stimme hinter mir. „V. Alles okay? Wieso bist du ohne mich losgefahren?"

„Kann ich dich ganz kurz unter vier Augen sprechen?"

„Klar...doch." Er schaute kurz verwirrt zu Hannah, dann folgte er mir um die nächste Ecke.

„Wieso plauderst du einfach mein Geburtsdatum aus? Ich dachte, ich hätte dich klar genug gebeten, es für dich zu behalten. Du weißt, wie sehr ich es hasse, wenn Menschen mich darauf ansprechen und noch mehr, wenn sie Bemerkungen zu der Verbindung zum Valentinstag und dann zu meinem Namen machen!"

„Tut mir leid", begann er: „Aber ich hab es nur Hannah erzählt, sonst keinem. Sie wird es schon nicht weitererzählen."

„Doch. Zu spät. Sie hat es auf Insta gepostet und jetzt rate mal, wer mir schon alles gratuliert hat, jetzt, wo ihr Profil so in medialer Öffentlichkeit steht."

„Oh mein-, V, das hätte sie nicht tun dürfen. Das tut mir so leid. Ich werde mit ihr reden, versprochen."

„Das will ich hoffen. Krieg deine feste Freundin unter Kontrolle." Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ging an ihm vorbei Richtung Klasse. Meine Wut auf ihn war immer noch deutlich spürbar. Selbst wenn es nicht eskaliert wäre, Fakt war, Costa hatte Hannah von meinem Geheimnis erzählt. Konnte ich ihm überhaupt noch irgendwas anvertrauen, ohne, dass er es weiter ausposaunte? Es schien so, als reichte eine Person, die er stark genug liebte, um weich zu werden. 

Über meiner Klassenzimmertür hingen rosarote Herzluftballons und unter dem digitalen Vertretungsplan las ich immer wieder die gleichen Sätze, als wollten sie mich foltern: Nicht vergessen! Rosenausgabe heute in der 5. Stunde. Eure Schülervertreter.

Ich war sowieso schon genervt von dem ganzen Tag, dass ich Josh fragte, ob wir für heute die Plätze tauschen könnten. Er willigte ein und so saß ich ein ganzes Stück von Costa entfernt. Als dieser den Raum betrat, wirkte er als Erstes etwas irritiert, setzte sich dann aber neben Josh und schaute mich mit runzliger Stirn an. Ich wich unwohl seinen Blicken aus. 

Auf die Schülervertreter war wie immer Verlass. Pünktlich zur fünften Stunde klopfte es an der Tür. Frau Klawitter, unsere Philolehrerin, öffnete sie mit großer Spannung, nachdem sie ihren eigenen Satz bereitwillig unterbrochen hatte. Die rothaarige Frau Klawitter mit ihrer extravaganten runden Brille hatte die ersten fünfzehn Minuten der Stunde sowieso damit verbracht, von ihrem Mann und ihrem dreijährigen Sohn zu schwärmen. Die hatte mehr als genug Liebe in ihrem Herzen, perfekt für den Tag der Liebe.

Tom und Oliver, zwei Jungs aus der dreizehnten, kamen mit einem Strauß Rosen herein und stellten sich neben Frau Klawitter, die sich sofort bei ihnen bedankte.

„Sehr gerne", erwiderte Tom und wandte sich dann der Klasse zu: „Also, wir haben heute Rosen für folgende Schüler und Schülerinnen, die Oli jetzt austeilen wird."

Oliver alias Oli, verteilte acht Rosen an die gackernden Hühner rechts im Raum. Zwei von ihnen bekamen sogar zwei. Wie sich später herausstellte, hatten sie sich gegenseitig mindestens eine Rose geschenkt. Wie kindisch, dafür Geld auszugeben.

Zwei weitere Jungs bekamen je eine Rose. Costa war nicht dabei, was mich wunderte. Ich hätte gedacht, Hannah würde ihm zumindest eine schicken. Aber vielleicht waren sie und ich in diesem Punkt einmal gleicher Ansicht und sie hatte gut darauf verzichten können, Geld für solchen Schwachsinn auszugeben.

Eine letzte Rose überreichte Tom noch an Oli. Neben mir nuschelte Nils: „Na, schenkt ihr euch dieses Jahr gegenseitig Rosen, Costa und du?" Ich ignorierte ihn. Das war absolut absurd. Meine Vermutung wurde ebenfalls bestätigt, als Oli mit der letzten Rose zu einem Mädchen namens Ava in die Ecke ging, die anscheinend noch nie zuvor eine bekommen hatte, dass sie nun ersichtlich überrascht war. Wahrscheinlich hatte sie nur den Beweis für eine falsche Hoffnung bekommen und es war nur ein Streich von den gackernden Hühnern.

„Schönen Valentinstag euch!", rief Tom schlussendlich, als er mit Oli die Klasse verließ und nochmals Danksagungen von Frau Klawitter sowie der Klasse abbekam.

Keine Rose für mich, wie jedes Jahr. Ich freute mich. Zumindest diese gute Laune konnte mir mein Geburtstag nicht nehmen.

Allerdings war diese schnell wieder verflogen, als Tom eine Stunde später nochmal in den Spanischunterricht hereinplatzte. Ich bemerkte es nur am Rande, da ich gerade dabei gewesen war, einen grammatikalisch richtigen Satz über meinen Wohnsitz zustande zu bringen. 

„Hallo nochmal. Wir haben vorhin vergessen, eine Rose abzugeben", sagte er. Beim Hochschauen verdrehte ich bloß die Augen und knibbelte am Stift herum. Sie hätten sie in den Müll werfen können.

Tom ging durch die Klasse, während ihn alle Augen neugierig verfolgten. Wer würde der eine sein, der am Valentinstag noch von Amors Pfeil durchbohrt werden würde?

Gerade dachte ich, er würde an mir vorbeigehen, da lenkte Tom scharf nach links ein und hielt vor mir an. In seiner Hand hielt er die Rose, die er mir entgegenstreckte. Ich musste grinsen, dann ging es in ein amüsiertes Lachen über. Ich konnte es nicht ernst nehmen.  

„Nein, die ist garantiert nicht für mich", sagte ich in Toms Richtung: „Da muss ein Fehler vorliegen."

„Ähm, du bist Valeria, richtig?", fragte Tom und schaute auf den kleinen Brief, der an der Rose baumelte. Ich wusste nicht, ob es eine gute Idee war, darauf mit Ja zu antworten. Doch ich war hier von zwanzig Zeugen umgeben, also blieb mir nichts anderes übrig. 

"Fürchte schon."

„Dann ist sie für dich. Glückwunsch. Es liegt kein Fehler vor." Tom reichte sie mir und ich nahm sie nur widerwillig entgegen. Dabei stieß sich ein Dorn in meine Haut an der Fingerkuppe. Wieso schenkte man sich eigentlich Blumen zum Valentinstag, die einen verletzen konnten? Ich dachte immer, an dem Tag ging es um das Entfachen der Liebe, nicht um den Schmerz, den Liebe bringen konnte.

Nachdem Tom gegangen war, fingen meine Mitschüler an zu lachen. Das musste ein schlechter Scherz von einer unserer Fans sein. Auch wenn die Klasse bis vor kurzem noch nichts über mein Geburtstagsdatum gewusst hatte, wusste sie genau, wie sehr ich den Valentinstag hasste. Und jedes Jahr aufs Neue machten sich einige über mich lustig. So auch in diesem Jahr.

„Hast du einen heimlichen Verehrer? Vielleicht Costa?", kam es hinten aus der Ecke. Ich wurde rot. Das war schwachsinnig!

Die Augen wanderten zu Costa nach hinten, der mich ausdruckslos ansah. Egal, wie wütend ich gerade auf ihn und seine Freundin war, ich musste ihn verteidigen.

„Ach komm schon", meinte ich und drehte mich zu der Person um: „Mein Absatz ist höher als dein Niveau. Dabei trage ich ausschließlich Sneaker."

Ein erstauntes Oh ging durch den Raum, bis meine Spanischlehrerin den Geduldsfaden verlor und in die Hände klatschte.

„Pues. Vamos. Quién leer el texto número dos?" Ein paar Arme hoben sich und alle waren wieder im Unterricht vertieft. Alle, bis auf Costa und mich. Wir wechselten ab und zu Blicke aus. Costa würde mir niemals Rosen an meinem Geburtstag schenken. Er wusste genau, wie ich es hasste und nichts hatte sich zum Vorjahr geändert. Aber wer könnte mir dann die Rose geschenkt haben?

Ich öffnete den Brief und las heimlich den kurzen Text.

Dein Lachen so hell.

Mein Herz so schnell.

Du faszinierst mich.

Ich liebe dich.

Kein Absender. Ich drehte den Brief ein paar Mal um und musterte ihn akribisch, auf der Suche nach einem Namen, doch da war keiner. Wer hatte ein Auge auf mich geworfen? Es könnte jeder sein. Also blieb mir nur eine Wahl: ich musste alle Handschriften aus meinem Umfeld prüfen.

Costas Handschrift war schon einmal ausgeschlossen. Das hatte ich sofort erkannt. So sauber wie das Gedicht in dem Brief geschrieben worden war, schrieb Costa nicht. Die nächsten Handschriften, die ich aus meinem Umkreis prüfen wollte, waren Henriks, Joshs und Nils. Die drei waren neben Costa meine einzigen Freunde, wenn man das denn so nennen konnte. Stellte sich nur die Frage, wie ich an sie herankommen sollte.

Am Ende des Schultages nahm ich mir als erstes Josh vor, der am einfachsten zu knacken war. Er war eher ein Mitläufer von Nils und schwierig abzufangen, ohne diesen. Gleichzeitig durfte es nicht zu auffällig wirken. Es sollte ja niemand Verdacht schöpfen, dass ich mir aus dem heimlichen Absender irgendwas machte. Schon gar nicht Josh und Nils dürften das erfahren. Die würden das in der ganzen Schule herumposaunen.

Nach dem Unterrichtsschluss warf Josh wie immer einen kleinen Notizzettel in den Mülleimer, bevor er als Letztes die Klasse verließ. Ich versteckte mich so lange hinter einer der Tische und wartete auf sein Verlassen. Ich hatte schon einige Male beobachtet, dass Josh während des Unterrichts kleine Zeichnungen anfertigte. Er konnte echt nicht schlecht zeichnen, stellte ich fest, als ich das Papier aus dem Mülleimer entfaltete. Darunter hatte er glücklicherweise ein paar Unterrichtsnotizen stehen. Doch die waren alle zu krakelig, um zu dem Gedicht zu passen.

Ich stöhnte frustriert auf und schaute noch weiter in den Mülleimer, als könnte dort die Lösung versteckt liegen.

„Alles in Ordnung, Val?", fragte eine Stimme von hinten. Ich wirbelte herum und sah Henrik hinter mir in der Tür stehen. Ich erschrak fast zu Tode. Was suchte er denn noch hier? Er sollte längst mit Niels und Josh auf dem Heimweg sein. Verdächtig.

„Hey, ja, alles okay. Ich hab mir nur gerade Gedanken um einen Plan gemacht, den ich gerade schmiede."

„Wirklich? Welchen Plan denn? Darf ich es wissen?", fragte er und kam in die Klasse.

Ich überlegte schnell und dachte mir irgendeinen Mist aus, den ich ihm auftischen konnte. „Ähm, es geht um Frau Klawitter. Sie verlässt uns doch nächstes Halbjahr und ich würde gerne eine Abschiedskarte schreiben."

„Jetzt schon? Das dauert doch noch."

„Man kann nicht früh genug anfangen", erwiderte ich und warf Joshs Papier unauffällig zurück in den Mülleimer. Henrik hatte das glücklicherweise nicht gesehen.

„Okay. Na dann. Viel Glück dabei. Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst." Er wollte sich schon dem Gehen zuwenden, da hielt ich ihn auf. Das wäre die perfekte Gelegenheit.

„Hast du nachher Zeit, ein Eis mit mir essen zu gehen, um die Karte zu schreiben? Irgendwie tut mein Handgelenk weh. Vielleicht kannst du ja schreiben?" Ich hielt demonstrativ mein Handgelenk mit der anderen Hand fest.

Josh musterte mich mit größter Skepsis, ich erkannte es in seinen Augen. Doch er hinterfragte es nicht.

„Na klar. Gegen sechszehn Uhr in etwa?"

„Ja, perfekt. Danke schön."

„Aber nur, wenn es okay ist. Ich kann mir vorstellen, dass Costa und du heute irgendwas vorha-", wollte er gerade einwerfen, aber ich unterbrach ihn. Ich würde heute ganz sicher nichts mit Costa machen. Dafür war ich noch zu wütend auf ihn. 

„Nein, da ist nichts geplant. Er ist bei Hannah."

„Okay, na dann. Bis später. Ich freue mich." Damit verließ er mich. Das war knapp gewesen. Beinah wäre ich aufgeflogen. Stattdessen hatte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich hatte nicht nur meine Ausrede aufrecht halten, sondern auch einen Termin vereinbaren können, um Henriks Handschrift gleich mitzuprüfen. Das war wie im Jackpot zu gewinnen. 

Zufrieden machte ich mich auch auf den Heimweg, auf dem ich einige Verliebte Arm im Arm spazieren gehen sah. Überallhin folgten mir diese verliebten Paare. Es war echt zum Wahnsinnig werden!

Zu Hause angekommen, fiel mein erster Blick auf die Nachricht auf meinem Handy. Sie war von Costa. 

Steht das Treffen heute noch? Ich hab eine Überraschung für dich, wie versprochen. 

Ich atmete tief durch, um nicht nochmal einen Wutanfall zu bekommen. Nach dem, was heute passiert war, glaubte er wirklich, dass er jetzt alles mit einer Überraschung wiedergutmachen könnte? Wohl kaum. Er hatte zugelassen, dass Hannah mein Geheimnis an die Öffentlichkeit bringen konnte. Und ich hasste nichts mehr, als immer und immer wieder an meinen Geburtstag erinnert zu werden. Dennoch tat es mir etwas leid, dass ich ihn hängen ließ. Aber ich wollte ihn nach heute wirklich nicht mehr begegnen. Also schrieb ich ihm schnell. 

Sorry, aber ich will heute nichts mehr machen, wenn mir dauernd jemand auf der Straße gratuliert. Sehen uns morgen wieder.

„Val, deckst du bitte mit deiner Schwester den Tisch?", schalte die Stimme meiner Mutter aus der Küche, als ich meine Sachen im Flur abgeworfen hatte. 

„Jap", sagte ich und nahm den Stapel an Tellern mit ins Wohnzimmer. Noch nie hatte ich mich so übers Tischdecken gefreut wie heute. Meine Familie wusste genau, wie sehr ich diesen Tag hasste und so behandelten ihn alle, als wäre es ein ganz normaler. 

Als ich Zoe begegnete, war ich verwundert, weil ich davon ausgegangen gewesen war, Emi vorzufinden. Ich sprach sie drauf an. 

„Hey, was machst du hier? Wolltest du nicht mit Spencer ausgehen?"

„Ja, aber erst später. Er meinte, er müsse noch was besorgen." Dabei kicherte sie wie ein kleines Kind in sich hinein. Ich konnte nicht anders und musste breit grinsen. 

„Und, was hast du heute noch vor? Etwas mit Costa geplant?", fragte sie, als ich die Teller auf dem Tisch verteilte. Zum Glück waren wir alleine im Raum, sodass ich ihr in Ruhe von der Situation berichten konnte.

„Nein, wir haben uns wieder gestritten, na ja, oder so ähnlich."

„Das macht ihr in letzter Zeit oft. Alles okay? Das sieht euch nicht ähnlich. Ihr habt euch die letzten zwei Jahre kein einziges Mal gestritten und jetzt kommt es gefühlt jeden zweiten Tag vor."

Ich antwortete nicht direkt darauf und zog keine Miene. Es stimmte. Wir hatten uns nicht nur aus den Augen verloren. Immer, wenn wir uns wieder annähern wollten, gab es wieder einen Krach, der uns weiter auseinander trieb. Unsere Freundschaft war wohl doch nicht standhaft, wie ich gedacht hatte. 

„Es ist kompliziert. Um es kurzzufassen: er hat Hannah gesagt, dass ich am Valentinstag Geburtstag habe, was er eigentlich keinem erzählen sollte. Und die hat das auf Insta gepostet und jetzt gratuliert mir jede zweite Minute ein Mensch in der Schule oder im Internet. Verstehst du jetzt meine schlechte Laune?"

„Die hast du auch so an diesem Tag", sie lächelte amüsiert: „Du solltest nicht zu streng mit Costa sein. Klar hätte er es nicht ausplaudern sollen, aber er ist nicht für Hannahs Handlung verantwortlich. Und mal ganz ehrlich: Spencer ist für mich wie Hannah für Costa. Man erzählt seiner Herzensperson alles, auch Geheimnisse von anderen, weil man darauf vertraut, dass die Person es nicht weitererzählt."

Herzensperson. Costa war meine Herzensperson, oder nicht? War Hannah das für Costa?

„Hey." Zoe legte mir eine Hand auf die Schulter, als sie meinen grübelnden Gesichtsausdruck zu bemerken schien: „Hannah scheint nicht Costa als Herzensperson zu sehen, sonst hätte sie das Geheimnis für sich behalten und dir nicht geschadet. Sie weiß doch eigentlich, wie eng ihr beide euch steht."

„Ja, zumindest haben wir das mal. Aber das ist Hannah ein Dorn im Auge. Glückwunsch Hannah, du hast gewonnen", sagte ich spöttisch zu mir selbst. Zoe schüttelte den Kopf und umarmte mich. 

„Das ist nicht wahr. Ihr seid immer noch Freunde. Und wenn Costa deine Herzensperson ist, dann wird er die Wahrheit bald erkennen. Vielleicht hat er sie nach dieser Aktion auch schon erkannt. Rede mit ihm."

„Ich hab das Gefühl, dass das nichts mehr bringt. Jedes Mal, wenn wir beide einen Schritt aufeinander zugehen, reißt Hannah ihn wieder weg und schießt mir gleich danach mit einer Pistole in die Brust."

Zoe ließ mich los, umklammerte meine Schultern mit ihren Händen und starrte mir direkt in die Augen, um ihren Worten Kraft zu verleihen. „Jetzt hör mal zu. Lass Hannah nicht gewinnen. Eure Freundschaft ist stärker als diese Liebe zwischen Hannah und Costa. Ihr seid schon durch so viel durchgegangen. Und ich sollte das wissen. Schließlich habe ich euch wortwörtlich zusammen aufwachsen sehen."

Ich lächelte. „Danke, große Schwester." 

Das Mittag gestaltete sich wie jeden anderen Tag und keiner sprach mich auf das besondere Datum an. Ein Segen. Bevor ich zu Henrik aufbrechen musste, überlegte ich noch einmal, ob ich nicht doch lieber zu Costa fahren sollte. Schließlich hatte er sich sicherlich viel Mühe gegeben und wollte vielleicht genauso sehr mit mir sprechen, wie ich mit ihm. 

Nein, Val. Wichtiger ist es jetzt, herauszufinden, wer auf dich abfährt. Das ist eine potenzielle Gefahr für dich! 

Ach, das würde schnell gehen. Und danach würde ich eventuell noch die Zeit finden, um einen Abstecher zu Costa zu machen, wenn er nicht gerade dann bei Hannah abhängen würde. Diese Chance, Henriks Handschrift zu sehen, würde ich nicht so schnell wieder bekommen. Seine Feeds verbreiteten sich ausschließlich digital und ich hatte ihn noch nie etwas handschriftlich schreiben sehen, wenn nicht in Klausuren, für die er aber so wenig lernte, dass er kaum was schrieb. 

Also entschied ich mich für Henrik. Am Eisladen trafen wir uns und setzten uns in die Februarsonne, die schon tief stand.

„Einen Schoko-Eissplitter und einen Regenbogencup, bitte", bestellte ich für uns beide. „Geht auf meine Kappe", flüsterte ich zu Henrik über den Tisch: „Dafür, dass du mir hier hilfst."

„Danke", sagte er und wollte gerade noch was anderes erwidern, da legte ich ihm die Karte für Frau Klawitter hin, die ich vor meiner Abfahrt aus der hintersten Ecke des Wohnzimmerschrankes gekramt hatte. Dazu bekam Henrik einen Füller aus Emis Federtasche, den sie vor neunzehn Uhr nicht vermissen würde. 

„Also, ich dachte an sowas wie Schön, dass Sie unsere Lehrerin waren. Wir werden Sie sehr vermissen, oder sowas. Denk dir was aus. Wie du weißt, bin ich nicht so begabt im Schriftlichen."

„Okay, aber wollen wir nicht erst das Eis essen und uns dann dem hier widmen?"

„Wieso warten? Das dauert doch noch, bis das Eis kommt. Und außerdem: was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen."

„Na gut", gab Henrik stöhnend nach und widmete sich der Karte. Er schraubte die Kappe vom Füller ab und setzte an. Gespannt blickte ich auf die Kontaktstelle, an der jetzt die Tinte haftete. 

Ich nahm alles zurück, was ich bis jetzt an Joshs Handschrift auszusetzen gehabt hatte. Henriks Schrift sah aus, als wäre er aus der ersten Klasse in die Oberstufe entflohen und hätte sich heimlich einquartiert. Es sah so krakelig aus, dass ich nicht einmal die ersten Worte entziffern hätte können, wenn ich nicht gewusst hätte, was er da geschrieben hatte. Kein Wunder, dass er nur digital schrieb. 

Als das Eis kam, schob er die Karte wie eine wertlose Skizze beiseite und stürzte sich aufs Eis. Ich erhaschte nochmal einen Blick auf die Schrift. Nein, definitiv nein. Henrik mochte zwar das Talent für das Entwerfen von Gedichten besitzen, aber seine eigene Handschrift sollte er dafür nicht verwenden. 

Also blieb nur noch Nils offen. Bitte lass es nicht er sein. Nils war mit Abstand der schrägste und nervtötenste Junge der Welt. Ich weiß, es hieß, was sich neckt, das liebt sich. Aber ich sah es als unüberwindbare Mauer an, dass das jemals zwischen uns klappen könnte. Schon allein bei seinem Gesicht wurde mir schlecht. War nur noch die Frage, wie ich an ihn herankommen könnte. 

„Hey, weißt du was? Wir sollten Nils und Josh noch einladen zu kommen. So wie ich sie kenne, haben sie doch nichts Besseres zu tun, nicht wahr?" 

„Nils und Josh? Wie kommst du jetzt auf die beiden? Ich dachte, du kannst uns drei nicht wirklich ausstehen, besonders Nils nicht."

„Ich weiß nicht. Mir ist heute irgendwie zum Feiern zumute", log ich: „Ruf sie für mich an, bitte."

Henrik zuckte nur mit den Schultern und wählte die Nummern. Josh ging nicht ran, was mir relativ gleichgültig war, schließlich war er klar ausgeschlossen. Nils hingegen nahm nach dem zweiten Mal klingeln sofort ab und meldete sich mit einem langgezogenen: „YOOYOOYOOLOO, Kumpel. Was gibt's?"

„Hey", begann Henrik und schaute mich dabei misstrauisch an: „Ähm, Val ist gerade mit mir an der Eisdiele und wünscht sich, dass du kommst, um ihren Geburtstag zu feiern."

„Gibt es Gratis-Eis?", fragte er allen Ernstens. Ich nickte. Was brachte man nicht alles für Opfer, um einen heimlichen Liebhaber zu enttarnen? 

„Ja, gibt's."

„Bin schon auf dem Weg." Damit legte Nils auf. 

„Tja, Josh geht leider nicht ran, ist wahrscheinlich beim Schwimmen. Aber Nils ist unterwegs."

„Das ist klasse. Danke. Ich freue mich." Ich verzog das Gesicht zu einem Grinsen. Ich würde mit dreißig Euro Minus aus der Sache rausgehen. Das war das Geld, was ich in der letzten Schicht im Candy-Shop verdient hatte. Und das gab ich für Nils aus. Dafür schuldete er mir eine genauso krickelige Handschrift. 

Ich warf den Blick in die Ferne, als wir warteten. Da bemerkte ich eine Person, die mir sehr bekannt vorkam. Sie trug schulterlange Haare und lockere Kleidung. Spencer. Und wer war das da neben ihm? Diese Frau mit langen blonden Locken, die er da umarmte und jetzt auch noch innigst abknutschte?! Ganz sicher nicht meine Schwester! Das sah mir stark danach aus, dass Spencer Zoe betrug! Von wegen etwas besorgen! Wenn seine Besorgung daraus bestand, eine heiße Barbie abzulecken, konnte er sich seine Ausrede sonst wohin stecken!

Ich wäre am liebsten zu ihm gerannt und hätte ihn angeschrien und zur Rede gestellt, doch damit wäre meine Tarnung aufgeflogen. Ich brauchte nur noch die Handschrift von Nils, dann wäre ich hier weg und könnte der Sache auf dem Grund gehen. Eine banale Sache musste ich noch erledigen. Wie sollte ich es bloß Zoe erklären, der unschuldigsten Person auf Erden, dass ihr Herzensmensch sie betrog?

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