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Als sich meine Augen am nächsten Morgen öffneten, schaute ich direkt in Costas Gesicht. Er schlief noch friedlich und sein Kopf ruhte auf seinem Unterarm. Ich lächelte und freute mich, dass er hier war. Kurz danach wurde mein Herz schwer, als mir der Grund bewusst wurde, wieso er in meinem und nicht in seinem Bett lag. Egal, was auch mit Hannah vorgefallen war. Mit Schmetterlingen im Bauch konnte er unmöglich hergekommen sein.
Ich drehte mich um und stieg leise aus dem Bett, um meinen besten Freund nicht zu wecken. Dann schlich ich weiter ins Bad am anderen Ende des Flures und schaute mich im Spiegel an. Meine Augen waren dunkel untermalt, als wäre ich diejenige von uns beiden gewesen, die gestern todunglücklich keine Ruhe finden konnte. Ach, warte mal. Das war ich ja. Aus einem anderen Grund, als es bei Costa der Fall gewesen war, aber dennoch verletzt genug, um nicht schlafen zu können, bis er zu mir gekommen war.
Das kühle Nass, das ich mir ins Gesicht spritzte, verschuf mir am ganzen Körper eine Gänsehaut. Jetzt war ich wach und bereit, Costa zur Rede zu stellen. Aber zuerst sollte ich eine gute Atmosphäre schaffen, in der er von sich aus zu reden beginnen würde. Ich stieg die Treppe hinab und fing damit an, ein Frühstück für zwei zu zaubern. Glücklicherweise schlief der Rest der Familie für gewöhnlich bis sechs Uhr dreißig unter der Woche. Jetzt war es genau sechs Uhr. Genug Zeit also, um ein ernstes Wort mit ihm zu sprechen.
Ich kannte meinen besten Freund gut genug, um zu wissen, dass er aufwachte, sobald die erste Person am Morgen unseren Kühlschrank im Haus öffnete.
„Morgen", nuschelte Costa, als er fünf Minuten später in die Küche kam und sich über das den Kopf fuhr. Es lag in Falten und war ganz zerknautscht, so wie seine Kleidung vom Vortag, die er immer noch trug. Er setzte sich verschlafen auf den Stuhl gegenüber von mir und vergrub sein Gesicht in seinen Händen, die Ellenbogen auf den Tisch aufgestemmt.
„Wie geht's dir?", fragte ich ehrlich.
„Mies. Obwohl, gibt es einen Begriff für mieser als mies?"
"Ja, scheiße."
Er zog die Augenbrauen weiter zusammen und presste die Lippen aufeinander. Weil er mein vorgeschlagenes Wort nur in Ausnahmesituationen benutzte, blieb er bei seinem vorherigen Ausdruck.
„Mir geht's mieser als mies."
„Ist was mit Hannah vorgefallen?"
„Nein, wir haben uns gestern noch getroffen und geredet. Dann bin ich aufgebrochen, um Stella abzuholen, hab sie nach Hause gebracht und bin hergekommen."
Ich schüttelte uns beiden Müsli in eine Schale.
„Weil?", tastete ich mich langsam vor. Es mochte eventuell etwas direkt klingen.
„Ich weiß es nicht. Ich schätze, wegen meiner Mutter. Das übliche, du weißt schon." Er nahm sich die Milch und goss es über das Müsli.
„Wieso hast du Hannah nicht mitgenommen? Es klang gestern so, als wolltest du sie mitnehmen." Ich schaute ihn eindringlich an, doch er wich meinen Blicken gekonnt aus.
„Sie schien mir nicht die Richtige dafür zu sein. Ich mag Hannah ja, aber sie ist nun mal- Nicht du."
Mein Herz machte Saltos bei diesem Geständnis. Ich wusste natürlich genauso gut wie er, dass ich die einzige Person war, die ihn nach dem Besuch bei seiner Mutter trösten konnte. Aber es widerlegte meine Annahme, die ich gestern vor dem Einschlafen gehegt hatte. Ich war nicht durch Hannah ersetzbar. Diese Erkenntnis erfüllte mich mit so einem Gewicht von Glück, dass ich automatisch lächeln musste.
Costa schaute das erste Mal an diesem Morgen in meine Augen, dann wieder zurück auf seine Schüssel vor sich.
„Versprich mir, dass du mich nicht mehr alleine dahin fahren lässt, okay? Egal, was ich auch versuchen werde, um es dir auszureden und wie ich dich zu überzeugen versuche. Komm mit mir."
Er hatte es mit einer solchen Leichtigkeit gesagt, als wäre es eine Bitte, den Müll des Candy-Shops für ihn draußen zu entsorgen. So schob er sich auch einen vollen Löffel in den Mund und erwartete anscheinend keine Diskussion, in der er gleich argumentieren müsste.
„In Ordnung", sagte ich. Er hätte mich nicht drum bitten müssen. Ich würde ihm überallhin folgen, besonders nach diesem Vorfall.
Eine halbe Stunde später wurde die ruhige Atmosphäre wieder von meiner lauten Familie gebrochen und der übliche Schulstress nahm seinen Lauf, als wären die letzten zwölf Stunden niemals passiert. Wir redeten auch mit keinem Wort mehr darüber.
Vier Tage später erschien dann der Online-Bericht von Back in dem Rostocker Blatt. Dass wir davon mitbekommen hatten, verdankten wir nicht etwa Back selbst, der uns das dennoch so eifrig am Nachmittag erzählt hatte. Wie immer war Henrik auf dem neusten Stand und wusste über alles vor allen anderen Bescheid. Es gab zwei Möglichkeiten: entweder hatte er eine Armee von KIs, die alle neusten Infos aus den Sozialen Medien herausfilterten und es ihm als Zusammenfassung jeden Morgen präsentierten oder er war selbst eine, die niemals Schlaf brauchte und 24/7 dem neusten Klatsch und Tratsch auf den Fersen war.
Der Bericht enthielt die Hauptaussagen von Costa und mir Wort für Wort und daneben war das Bild von uns abgedruckt. Ich wusste nicht, wie mir geschah, als Henrik es mir an diesem Morgen ins Gesicht hielt. Ich hatte immer noch Angst vor dem, was Fans damit anstellen würden.
„Krass. Wie kam's dazu, dass ihr jetzt doch eure Gesichter zeigt?"
„Lange Geschichte", begründeten wir beide gleichzeitig. In diesem Moment kam Hannah vorbei und rief Costa zu sich, als wäre er ein Hund.
„Hey", begrüßten Henrik und ich Hannah, die mit etwas Abstand zu uns stand. Sie sah wie immer perfekt aus mit ihren kurzen braunen Haaren. Eine Antwort gab sie uns jedoch nicht. Sie zog nur eine dünne Linie mit ihren Lippen, die aber wieder schnell verschwand, nachdem Costa sie umarmt hatte. Ich versuchte wirklich, sie zu mögen, aber sie machte es mir wirklich nicht leicht.
Ich dachte, der Vorfall an dem Abend zuvor hätte mich und meinen besten Freund wieder ein Stückchen näher gebracht, doch stattdessen riss Hannah ihn dafür zweimal so weit von mir weg. In den nächsten Tagen verbrachten sie und er fast jeden Abend zusammen, während ich mir aus Frust literweise Eis hineinschob. Fühlte sich so eine Trennung an? Konnten Trennungen zwischen zwei besten Freunden genauso schlimm wie eine Trennung zwischen zwei ineinander verliebte Menschen sein?
An einigen Abenden konnte Stella mich von meinem Selbstmitleid befreien. Wir gingen ein paar Runden spazieren, weil ich Costa die Zeit mit Hannah geben wollte. Vielleicht war es auch ein bisschen zu viel Zeit, aber zu Beginn dieser Endlosschleife hatte ich ja noch nicht geahnt, welche Dimensionen das hier annehmen würde und wie schwer es werden würde, daraus wieder auszubrechen. Ich konnte schließlich schlecht sagen 'Sorry, Costa, aber du solltest mit Stella wieder gehen, damit Hannah und du nicht immer und überall zusammen seid, obwohl ich es euch gönne.'
Mir fehlte ein Freund zum Reden und zum Philosophieren über den Nachthimmel. So auch an diesem Abend im Herbst, in dem ich den klaren Sternenhimmel nur halbherzig beachtete. „Tja Stella. Da sind es nur noch zwei. Du und ich." Ich kraulte sie an ihrer Lieblingsstelle hinter dem Ohr, bevor wir umdrehten.
Der Bericht erweckte erstaunlicherweise eine andere Aufmerksamkeit, als die, die ich erwartet hatte. Unter dem Post bei Instagram, den ich dazu geteilt hatte, sammelten sich bloß Kommentare wie Wir wussten längst, wie ihr ausseht. Nichts Neues. Aber auch Entschuldigungen von einigen, die unser Statement ans Herz genommen haben und jetzt Jagd auf die Presseagenturen machten, die uns missbraucht hatten. Da war ein Anwalt gar nicht mehr notwendig. Binnen einer Woche hatten sich die Presseagenturen selbst durch ihren Beitrag an die Welt zerstört. Die Selbstjustiz regelte das.
Als ich Costa eine Woche später wieder für einen Nachmittag für mich hatte, als wir beim Candy-Shop aushalfen, warf er eine Frage in den Raum, auf die ich sehnigst gewartet hatte. Es war mir jedoch wichtig gewesen, dass Hannah oder er den ersten Schritt wagten, nicht ich.
„Hast du Lust, mit uns morgen Eislaufen zu gehen? Du hattest bis jetzt so wenig mit Hannah zu tun und ich möchte das endlich mal ändern."
„Klar, das ist super. Ich wollte sie sowieso endlich mal etwas besser kennenlernen. Tolle Idee." Ich hoffte nur, sie würde nicht wieder so eine Zicke sein, wie sie es bis jetzt in meiner Anwesenheit gewesen war.
Costa zog einen Mundwinkel nach oben, schaute mir kurz in die Augen und widmete sich dann wieder den Candys. Er musste wirklich in Hannah verknallt sein. Also musste sie ja irgendwas an sich haben, was sie liebenswert machte. Ich schwor mir, morgen nicht mit Vorurteilen an die Sache heranzugehen und Hannah stattdessen mit offenen Armen und einem breiten ehrlichen Lächeln zu empfangen.
Diesen Schwur rief ich mir wieder ins Gedächtnis, als ich am nächsten Tag auf Costa und Hannah an der Eislaufbahn im Park wartete. Wir hatten uns für vier Uhr verabredet. Die Sonne stand schon tief am Horizont, sodass die Laufbahn gleich ins bunte Licht getaucht werden würde.
Ich schaute erneut am mein Handy, um die Zeit zu prüfen. Noch zwei Minuten bis es soweit wäre. Auf der Laufbahn, auf die man von einer kleinen Tribüne aus blicken konnte, war ordentlich Betrieb. Kleine Kinder schlitterten an der Hand mit ihren Eltern über die Bahn, Freunde kreisten um die Wette und Anfänger klammerten sich lachend an Lauflernhilfen. Es erinnerte mich an das erste Mal, als Costa und ich die Schlittschuhbahn ausprobiert hatten und ich ihm hatte schwören müssen, nicht seine Hand loszulassen. Er hatte sich damals kaum selbstständig auf den Beinen halten können. Mittlerweile hatte er aber Übung darin, so oft wie wir seitdem hergekommen waren.
Hand in Hand kamen Hannah und Costa schließlich die Treppe zur Tribüne hinaufspaziert. Die Sonne ließ ihre Schatten riesig wirken. Lächelnd unterhielten sie sich, bis sie mich erblickten. Costa kam sofort auf mich zu, klatschte mit mir ab und strahlte von einem Ohr zum anderen. Hannah sah mich etwas misstrauisch an, lächelte dennoch leicht.
„Hey", sagte ich zu ihr.
„Hallo." Ihre Stimme klang dunkler, als ich es in Erinnerung hatte. Egal.
„Und? Bist du aufgeregt?", fragte ich sie, um ein Gespräch aufzubauen.
„Worauf? Aufs Eislaufen?", sie lachte amüsiert: „Ich mach das schon seit ich vier bin. Ich habe mich damals hingelegt, aber meine Eltern haben mich jedes Jahr wieder mitgenommen und irgendwann habe ich mich darin verliebt." Sie schaute Costa direkt in die Augen.
„Verliebt ins Eislaufen oder verliebt in Costanova hier?" Ich kicherte und deutete auf Costa. Dieser erwiderte das Lachen, Hannah blieb stumm und erwiderte kühl: „Ins Eislaufen." Okay, sie hatte anscheinend eine andere Art von Humor. Aber so schnell gab ich nicht auf.
„Ähm, okay. Wollen wir?" Ich deutete auf die Schlittschuhbahn unter uns.
„Ja", antworteten die beiden im Chor. Costa und ich ließen Hannah den Vortritt und folgten ihr zum Haupteingang, wo wir uns Tickets kauften und uns Schuhe ausliehen. Während Costa sich ganz romantisch an Hannah hinunterbeugte, um ihr die Schnürsenkel zuzubinden, band ich mir meine selbst zu.
„Kannst du glauben, dass Costa beim ersten Mal immer wieder hingefallen ist, aber nicht aufgegeben hat, bis er auf dem Eis laufen konnte. Ich hab davon noch jede Menge lustige Fotos. Er ist der geborene Entertainmentstar", verriet ich Hannah, als wir die ersten paar Meter auf dem Eis schlitterten.
„Daran erinnere ich mich noch allzu gut", gestand mein bester Freund und grinste breit: „Aber jetzt bin ich ein Experte."
„Das solltest du erstmal beweisen", sagte Hannah und ergriff seine Hand: „Valeria, versuch mit uns Schritt zu halten, wenn du kannst." Dann zog sie Costa in einem Tempo mich sich, das selbst für mich eine Stufe zu hoch war. Es fühlte sich eher so an, als wollten sie vor mir wegrennen, anstatt Spaß zu haben.
Wie schon in der Schule schlitterte ich hinter ihnen in gelassenem Tempo hinterher, um ihnen Raum zu geben. Meine Hoffnung, endlich wieder ein wenig Zeit mit meinem besten Freund zu verbringen und gleichzeitig eine neue Freundin zu gewinnen, zerschlug innerhalb einer Stunde, in der Hannah mich nicht dichter als fünf Meter an Costa heranließ.
„Hannah, wie bist du eigentlich zur Schulzeitung gekommen?", fragte ich sie, als wir drei eine kurze Pause an dem Zaun einlegten. Costa atmete als einziger von uns tief ein und aus und hing sich erschöpft ans Geländer. Kein Wunder bei dem Tempo, dass er wegen Hannah hatte an den Tag legen müssen.
„Ich wurde vor drei Jahren von meinem Deutschlehrer dafür vorgeschlagen, weil er weiß, wie gerne ich schreibe." Ihre blauen Augen funkelten mich hochmütig an. Ich schluckte und versuchte wieder, die Oberhand über das Gespräch zu gewinnen.
„Das hast du mit Costa gemeinsam. Costa könnte niemals auf sein Schreiben verzichten. Er philosophiert total gerne über den Nachthimmel und- ich weiß auch nicht, aber er schreibt nachts sicherlich darüber Gedichte, nicht wahr, Costanova?"
Nach Luft schnappend nickte Costa und sagte: „Ich hab noch keine Gedichte drüber geschrieben, aber wo du es gerade sagst: Das wäre eine klasse Idee eigentlich."
„Wie auch immer", Hannah stieß sich von dem Zaun ab und drehte sich wieder zu uns um: „Kommt ihr? Die Eisdisko beginnt gleich."
Die Eisdisko fand einmal die Woche statt, sobald es dunkel wurde. Mich überkam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn es soweit war. So auch einige Minuten später, nachdem Costa und ich Hannah in die Mitte gefolgt waren, wo sich nun alle anderen Besucher auch einfanden.
Ein Jubel ging durch die Menschenmasse, als die bunten Lichter der Diskokugel aufblitzten und die Musik zu spielen begann.
Costa und ich sahen uns sofort an, als wir den Song gleichzeitig am ersten Ton erkannten. „Tell her about it von Billy Joel!", schrien wir beide wie abgesprochen. Hannah bewegte statt eines Gesichtsmuskels nur ihre Beine, um mich wieder von Costa abzuschirmen. Ich musste mich echt zusammenreißen, um sie nicht anzuschreien. Was fand Costa bloß an ihr?
Während die beiden gemeinsam zu dem Song groovten, sah ich mich etwas auf der Bahn um und verschwand in der Menge, um selbst ein bisschen zu tanzen. Jetzt klaute Hannah also auch schon unsere Liebe zu den 80ern. Ich fasste es nicht!
Nach einer Weile schlitterte ich wieder an den beiden unauffällig vorbei. In dem Meer aus Lichtern erkannte ich nur Costas großen blauen Pullover, den er trug, und daran geschmiegt eine kleinere Gestalt mit weißen Schlittschuhen.
Ich schaute einen Moment zu lange hin, sodass ich in jemanden hineinstolperte, dem ich keine Beachtung geschenkt hatte. Mit einem lauten Knall krachte ich auf meine Knie, dann auf meinen Po. Ich fluchte und rieb mir den Kopf.
„Alles okay, V? Normalerweise bin ich derjenige von uns beiden, der hinfällt. Scheint wohl, als hätte sich das Glück gewandelt." Costa stand auf einmal über mir und hielt mir eine helfende Hand hin.
„Ja, alles gut. Bin nur in jemanden hineingefahren. Geh du nur zurück zu Hannah. Ich komm klar." Ich half mir alleine auf, doch Costa rührte sich keinen Meter.
„V, das soll kein Date sein, bei dem du nur zuschaust. Es geht darum, dass Hannah und du euch kennenlernt. Komm." Er hielt mir erneut die Hand hin, diesmal um mich zu Hannah mitzuziehen. Diesmal ergriff ich sie freiwillig, vielleicht auch um Hannah damit etwas zu provozieren.
„Also, spielen wir doch ein Spiel. Wer den nächsten Song errät, gewinnt."
„Okay", sagte ich. Hannah verschränkte die Arme vor der Brust.
Der erste Ton erklang, ich erkannte den Song sofort, da ich ihn schon sehr oft gehört hatte, sagte jedoch nichts.
„Stumblin' in, aber die alte Version. Wieso sie nicht die neuere Popversion nehmen, ist mir ein Rätsel", meinte Hannah und schaute uns beide erwartungsvoll an.
„Ja, das stimmt", antwortete Costa schnell und sah besorgt zu mir. Ich wich seinen Blicken aus und dachte tatsächlich darüber nach, einfach Bauchschmerzen vorzutäuschen, damit ich nach Hause fahren konnte.
„Ich glaube, wir haben für heute genug. Ich werde irgendwie langsam müde, ihr auch?"
„Sicher", sagte Hannah und schlitterte zum Ausgang. Costa und ich blieben zurück.
„V, ist wirklich alles okay? Ich meine nicht nur äußerlich."
„Klar, natürlich. Was sollte sein?" Ich folgte Hannah schnell, damit kein Raum für Gegenfragen blieb.
Als ich mir meine Schuhe von den Füßen strich, machte Hannah vor mir Halt, an meinen besten Freund klammernd. Dieser zog immer noch ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter, hob jedoch leicht die Mundwinkel, als Hannah ihn ab und an ansah.
„Wir wollten dir noch etwas mitteilen, Valeria", begann sie.
„Wir sind jetzt offiziell zusammen", ließ Costa die Katze aus dem Sack. Für einen Moment hielten wir drei inne und schwiegen uns an. Wow. Das ging doch schneller, als ich erwartet hatte. Aber was hatte ich schon gedacht? Schließlich hatte ich genau gewusst, dass dieser Tag kommen würde, an dem sie mir das verkünden würden. Es jetzt allerdings nicht nur in meiner Vorstellung zu hören, ließ mich überrascht zurück. Noch weniger Zeit mit meinem besten Freund als bisher?
Ich brach das Schweigen, als ich es ansatzweise verdaut hatte. „Ihr seid- ihr seid zu- zusammen? Wahnsinn! Wirklich! Das ist klasse! Glückwunsch euch beiden, wirklich."
„Danke", erwiderte er und schaute Hannah in seinem Arm an, die ihn daraufhin küsste. Wow, jetzt fühlte ich mich wirklich wie das fünfte Rad am Wagen. Weil ich es Costa gönnte, nicht etwa Hannah, blickte ich absichtlich weg, um ihnen die notwendige Privatsphäre zu lassen.
Als sie sich wieder lösten, erklärte Costa sich bereit, dass er unsere Schuhe zurückbringen würde. Innerlich fluchte ich darüber, dass er mich hier mit seiner festen Freundin alleine ließ. Na gut, vielleicht konnte ich sie ja mit einem Kompliment besänftigen, sodass sie sich mir etwas öffnete und akzeptierte, dass es Costa nur im Doppelpack gab.
„Ich freue mich wirklich für euch. Du hast einen echt guten Einfluss auf Costa."
„Danke." Danke? Danke! Mehr hatte sie nicht dazuzusagen? Ich glaube, das mit uns würde nichts mehr werden. Ich hatte in den letzten Wochen schon diese Vermutung gehabt, hatte sie aber unterdrückt, weil ich sie nicht wahrhaben wollte. Aber wieso vor der Wahrheit verstecken? Ich kam mit Hannah nicht klar, so einfach war das. Zumindest konnte ich mir nicht vorwerfen, ich hätte es nicht versucht. Es tat mir nur für Costa leid, dass ich ihn diesbezüglich anlügen musste. Ich konnte ihm schlecht sagen, dass seine beste Freundin seine feste Freundin abgrundtief hasste. Was wäre ich für eine schlechte Freundin?
„So, wir können los!", rief Costa, als er wieder zurückgekommen war. Er nahm Hannah in den Arm, die mich noch einmal mit einem selbstgefälligen Lächeln anlächelte, und ging mit ihr vor. Bitch.
Der nächste Monat war wohl der deprimierendste in meinem Leben, obwohl sich die Weihnachtszeit langsam näherte. Costa sah ich nur noch in unserer Schicht im Candy-Shop und selbst, wenn ich bei Back vorbeischaute, um Stella zum Gassigehen abzuholen, begegnete ich ihm kein einziges Mal.
„Du weißt ja, wie man an einer Person hängt, wenn man verliebt ist", hatte Back mir einmal gesagt, als wir über seinen Sohn geredet hatten. Nein, das wusste ich nicht. Ich war noch nie in meinem Leben in einer Beziehung gewesen und hatte es auch so schnell nicht vor. Ich wollte nur meinen besten Freund wiedersehen und das nicht nur aus Zufall, weil wir beide die gleichen Schichten im Job hatten.
Als der Heilige Abend anbrach, feierten Costas und meine Familie wie immer im großen Kreise. Na ja, meine Familie lud alle Nachbarn, Freunde und Verwandte zu uns nach Hause ein, darunter Back und Costa. Es lief gerade ironischerweise Last Christmas von Wham, als es an der Tür klingelte. Meine Oma kam mir zuvor und riss die Tür auf. Vor ihr standen Costa und Hannah eng verschlungen und wünschten zeitgleich frohe Weihnachten. Meine Oma lächelte die beiden an, sodass ich einen Moment ungestört die Augen verdrehen konnte. George Michael sprach mir eindeutig damit aus der Seele, dass er genauso verlassen wurde wie ich.
Costa und ich redeten nur, wenn es nötig wurde, etwa wenn ich ihm eine Schüssel über den Festtisch reichte. Mit Hannah war ich weiterhin auf Kriegsfuß. Alleine, sie in meinem Haus zu haben, war eine Schande. Es war mir schleierhaft, wie sie es überhaupt wagen konnte, hier aufzutauchen, wenn sie mich anscheinend so sehr zu hassen schien. Aber ich wollte kein Drama draus machen. Ich durfte es auch nicht. Für Costa.
Emi heftete sich natürlich an Hannah und fragte sie über ihre gesamte Lebensgeschichte aus. Ich war ein wenig neidisch auf sie, da Hannah ihr alles von sich detailreich preisgab, so wie ich es mir von ihr auf der Schlittschuhbahn gewünscht hätte.
An Neujahr waren die beiden dann wieder bei uns. Um Mitternacht wurde mein Herz gebrochen, als Hannah und Costa sich bei der Null überglücklich küssten, während ich um unser Ritual trauerte, das wir seit Jahren bis dato gehabt hatten. Die Jahre zuvor hatten wir immer sofort mit Shorts angestoßen, die wir uns dann mit umklammerten Armen hinunter gekippt hatten. Und was bekam ich dieses Jahr? Eine Oma, die die Szene vor meinen Augen verfolgte und mich daraufhin fragte, ob ich nächstes Jahr auch glücklich vergeben sein würde, so wie Costa. Ich hatte eindeutig die Kontrolle verloren. Ich hatte meinen besten Freund verloren. Und Schuld daran war Hannah. Aber mir waren die Hände gebunden. Ich konnte Hannah nicht einfach durch ein Drücken auf die delete-Taste aus meinem Umfeld löschen. Was sollte ich also anderes tun, als mitzuspielen und es zu schlucken?
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