13 ~ 2409 Follower

Am Nachmittag fand ich mich in einer langweiligen Mathenachhilfestunde am Esstisch von Costas Haus wieder. Das war das erste Mal, dass wir nicht über Mathe redeten, sondern stattdessen über unser größtes Problem: den Identitätsschutz nach unserem Auffliegen.

„Also, es ist doch so", begann ich meine Erläuterung, als sich Costa mit zwei Tassen Tee zu mir gesellte: „Trotz, dass wir nichts daran mehr ändern können, dass jeder weiß, wo wir arbeiten, können wir den Schaden begrenzen."

„Schadensbegrenzung?"

„Schadensbegrenzung, ganz genau. Das heißt, wo es geht, verbergen wir unser Gesicht und plaudern nichts Privates in der Schule aus. Wer weiß, welche Tratschtanten noch hinter der Ecke lauern."

„Bei allem Respekt, V, aber findest du das nicht etwas übertrieben?"

Ich schaute ihn so unverständlich an, dass er sich selbst den Fehler einräumte: „Okay, schon verstanden."

„Du weißt, was gestern passiert ist, nachdem du gemeint hast, wir könnten diesem Fangirl vertrauen. Das war nur der Anfang. Wenn unsere 2409 Follower wirklich so sehr auf uns abfahren wie die sechs gestern, haben wir ein ernsthaftes Problem. Sie könnten nicht allzu weit weg wohnen und versuchen, uns aufzufinden. Und dann werden sie an alles kommen, was dir lieb ist. Diesmal machen wir es auf meine Art."

„Aber wir posten trotzdem weiterhin?"

„Natürlich, aber wenn es geht, nichts mehr, wo wir drauf sind."

„Geht klar. Das mag jetzt alles wirklich beängstigend sein, aber wir dürfen deshalb nicht aufgeben. Dann wären wir genauso wie die stillen Stimmen, die sich genau aus diesem Grund nicht trauen, etwas zu sagen. Denk dran, dass wir die Pflicht haben, sie zu vertreten."

„Glaubst du, ich wüsste das nicht? Aber die sind wie Bestien. Sie werden niemals ein Detail vergessen, dass wir ihnen zum Fraß vorwerfen."

Costa blieb stumm und nickte versunken in seinen Gedanken. „Okay, lass uns weitermachen mit Mathe. Wir können ja später nochmal über den nächsten Post reden."

Ich stimmte zu und widmete mich meinem Hassthema, das mir seltsamerweise lieber vorkam, als noch weiter über die Problematiken dieses verfluchten Social-Media-Themas zu diskutieren. Es änderte ja doch nichts an der Tatsache, dass wir nicht länger bedeutungslose Wesen waren. Wir konnten jetzt nur das Beste daraus machen.

In den nächsten Tagen gingen wir zum Candy-Shop mit der Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Egal ob es Teenager oder ältere Menschen waren, jeder von ihnen konnte ein potenzieller Follower sein oder von uns gehört haben. Natürlich kannte die Presse auch keinen Identitätsschutz, als sie von unseren Bildern aus dem Candy-Shop Wind bekommen hatten, und hatten sie sogleich im gesamten Netz veröffentlicht. Sogar an den Kioskständen prangte in überdimensionaler Größe das Bild unserer Tanzeinlage. Waren wir mal ehrlich: heutzutage ging es nur noch darum, wer die beste Schlagzeile auf die Titelseite brachte, um die meiste Aufmerksamkeit zu bekommen.

Man hätte die Presseagenturen dafür verklagen können, allerdings wäre es für diese sicherlich nur ein kleiner Schlag in die Magengrube gewesen. Außerdem wäre es ohnehin zu spät gewesen. Papierzeitungen lagen schon längst auf den Wohnzimmertischen der Rentner oder es war in digitaler Form auf unzähligen Social-Media-Profilen ein geteilter Beitrag. Ich notierte mir dennoch in den nächsten Tagen jede einzelne Presseagentur, die es wagte, Bilder von uns zu veröffentlichen. Man konnte ja nie wissen, ob es als handfeste Beweise noch dienen könnte. Glücklicherweise war Backs Agentur nicht davon betroffen, da Costa und ich von vornherein unterschrieben hatten, dass unsere Gesichter nirgendwo auftauchen sollten.

An einem Mittwoch, zwei Wochen nach dem Überfall im Candy-Shop, wollten Costa und ich uns in unserer Lieblingspizzeria eine kleine Mahlzeit besorgen. Direkt nach der Schule gingen wir dorthin. Die Kapuzen immer noch ins Gesicht gezogen, unterhielten wir uns über den voranschreitenden Herbst. Als Costa schließlich das Thema Blätter anschnitt, die nun endlich von den Bäumen hinunterfielen, blickte ich unüberlegt gen Himmel. Über uns zeichneten sich die wunderschönen Baumkronen der Allee ab, durch die unser Weg führte. Die Sonne blendete mich endlich wieder und kitzelte auf der Nasenspitze. Ich genoss es und schloss für eine Sekunde mit einem breiten Grinsen auf den Lippen die Augen.

Mit einem Mal, ohne ganz sicher zu sein, ob ich es nicht nur träumte, zog Costa mich instinktiv an sich heran. Ich riss die Augen weit auf, als ich die Nähe zu ihm bemerkte. Der Stoff umhüllte unsere Gesichter. Im selben Moment nahm ich eine quietschende Stimme links von uns wahr: „Vasta? Seid ihr es?"

„Tu so, als würden wir uns küssen."

Ich glaubte, ich hörte nicht richtig. Schlug er das gerade ernsthaft vor? Auf der anderen Seite: fiel mir was Besseres ein, um diesen Fan abzuschütteln?

Also wollte ich es tun. Aber Moment mal. Wie spielte man vor, sich zu küssen? Ich wollte schließlich nicht seine Lippen berühren. Dann würde ich mich wie Costas heimliche Affäre hinter Hannahs Rücken fühlen. Ohne, dass ich reagieren konnte, legte Costa seine Hand an meinen Hinterkopf und drückte ihn etwas weiter zu sich heran. Mein Herz machte mindestens so große Sprünge wie ein Flummi aus zwanzig Metern Höhe. Schlussendlich drehte er uns noch ein Stückchen weg von dem Mädchen und legte den Kopf zur Seite, damit es besonders authentisch wirkte.

Wir verharrten so, bis wir sicher sein konnten, dass das fremde Mädchen von uns abgelassen hatte und verschwunden war. Ich atmete tief durch und sah Costa direkt in die hellblauen Augen. Sie wirkten wild und mindestens genauso aufgeregt wie ich es in diesem Moment war. Sein Kopf hob sich wieder aus der schrägen Position, sodass er wieder einen halben Kopf größer war als ich.

„Das war knapp", sagte er, bewegte sich jedoch keinen Zentimeter von mir weg. Seine Hand ruhte weiterhin in meinem Nacken.

„Mach das nie wieder", flüsterte ich unbewusst. Ich schwebte immer noch in einem Zustand zwischen Realität und Traum und konnte nicht fassen, was sich gerade abgespielt hatte. Natürlich waren wir uns schon einmal so nahe gekommen bei Umarmungen zum Beispiel. Aber dass wir uns in einer Situation befunden hatten, in der wir vorgaben, ein Paar zu sein, hatte es mit Abstand noch nie zwischen uns gegeben. Ich schluckte und überlegte kurz, mich für meine Drohung zu entschuldigen, doch da waren diese Augen. Diese Augen, die ich seit sieben Jahren kannte, und doch in diesem Moment zum ersten Mal neu zu erforschen schien.

Ich war wie angewurzelt und spürte seinen warmen Atmen auf meiner Stirn, während er mich direkt ansah. Ich erwiderte es und war mir nicht mehr so sicher, was ich in den letzten sieben Jahren für ihn empfunden hatte.

Auf einmal fing Freddie Mercury Bohamian Rhapsody an auf dem Klavier zu spielen. Wir zuckten beide zusammen, als hätte uns jemand einen Nadelstich verpasst. Costa löste seinen Blick und holte sein Handy aus der Tasche.

„Sorry, Hannah. Da muss ich rangehen." Ich nickte stumm, als hätte es mir die Sprache verschlagen. Er ging einen Schritt von mir weg und drehte mir den Rücken zu.

„Hallo Hannah? Ja, gut und dir. Es war wirklich schön letztes Mal." Er fing an zu lachen. Ohne eine Ahnung wieso, holte ich schließlich auch mein Handy heraus und tippte meiner Schwester eine Nachricht, ob sie auch Pizza wollte, vermutlich um dadurch beschäftigt zu wirken und nicht so, als hätte ich gerade einen Korb bekommen. Warte, hatte ich denn einen bekommen? Wir waren kein Paar. Igitt. Nein, wir waren ganz sicher keines, nur weil wir es gespielt hatten. Oh Gott. Verknallte ich mich gerade in meinen besten Freund, der kurz davor war, eine feste Freundin zu angeln, die nicht ich war. Absurd. Das konnte nicht sein. Komm in die Realität zurück, Val!

Als Costa auflegte, brauchte er zwei Versuche, um mich wieder in seine Welt zurückzuholen. „V, tut mir wirklich leid, aber ich befürchte, unser Abend muss ins Wasser fallen. Hannah hat mich gerade um ein drittes Date gebeten und ich hab ja gesagt. Sorry."

„Krass. Cool. Das freut mich echt für euch", sagte ich wenig überzeugt: „Aber für die Pizza hast du doch noch Zeit, oder?"

„Ja, klar. Pizza gebe ich nicht so leicht auf. Allerdings müssen wir uns damit beeilen. Ich muss mich noch zurechtmachen."

War ja klar. Wieso musste diese Hannah auch so spontan nach einem Date fragen und uns beiden damit die gemeinsame Zeit versauen? Auch wenn ich es nicht wollte, aber Hannah gab mir immer mehr Gründe, sie zu hassen.

„In Ordnung. Gehen wir", meinte ich und schaute erneut aufs Handy: „Zoe hat gerade geantwortet, dass sie eine Pizza Haweii nehmen würde." Er nickte und so ließen wir das, was gerade passiert war, hinter uns stehen, als wären wir ihm niemals begegnet.

Im Pizza und Pasta bestellten wir also eine Pizza Haweii, eine Thunfisch-Pizza für Costa und einen großen Salat für mich. Normalerweise war ich kein Fan von den Mädchen, die sich aufgrund von Verlegenheit nur Gesundes gönnten, aber mir war irgendwie der Appetit vergangen. Mir war nicht mehr ganz klar, wie Costa und ich nach all der medialen Aufmerksamkeit zueinander standen. Könnte es sein, dass das alles nur dem Zweck gedient hatte, uns darüber klar zu werden, dass das Schicksal für uns mehr als nur Freundschaft vorsah? Nein, nie im Leben!

„Bist du sicher, dass du nur das willst?" Costa deutete auf die Tüte mit dem Salat darin. Ich nickte und erklärte: „Ich muss schon Platz machen für den Weihnachtsbraten. Der wird wieder voll auf die Rippen gehen."

Er lachte. „Klar, sowas hast du ja auch voll nötig." Er kniff mir leicht in die Seite, sodass ich kichernd zur Seite knickte und mich an seinem Pullover festklammerte, um nicht umzufallen.

Wir gingen genauso zu mir nach Hause, wie wir zur Pizzeria vor dem Vorfall gegangen waren. Als Freunde, nicht mehr und nicht weniger.

Wie ein Ausgehungerter verspeiste Costa die Pizza mit einem Mal, sodass selbst meine Mutter ihn seltsam von der Seite musterte. Dadurch verging mir noch mehr der Appetit, auch wenn ich es nicht offen ansprach, wie ich es in anderen Momenten getan hätte.

Danach verabschiedete er mich im Flur, als wir von meiner Familie alleine gelassen wurden. „Ist wirklich alles okay? Wenn es um den Vorfall vorhin geht. Du weißt, dass das nur der Abwehr von so einem irren Fan gedient hat, um von uns abzulassen?"

„Natürlich! Was sollte es sonst gewesen sein?" Ich lachte es gespielt herunter, wirkte dabei aber nicht ganz sicher. Ich fühlte mich selbst schlecht, weil ich mir die ganze Zeit nichts anderes eingeredet hatte.

„Okay. Also dann." Er winkte mir noch und öffnete die Haustür in die Abenddämmerung des Herbstes. Ein kalter Schauer überkam mich, als er mich verließ.

„Viel Spaß mit Hannah!", rief ich hinterher und schloss schnell wieder die Tür, um die Kälte und meinen Kummer auszusperren. Was war das denn gewesen?

Ich hörte gerade Purple Rain von Prince und starrte dabei abwesend auf den orangefarbenen Horizont über den Dächern der Häuser. Jetzt auf einmal wirkte Zoes Vorwurf gar nicht mal so abwegig. Ich war eventuell doch eifersüchtig auf Hannah. Ob auf freundschaftlicher oder einer anderen Weise zu Costa, wusste ich jedoch nicht. Noch nicht.

Wenn ich ehrlich zu mir war, liebte ich Costa als Freund. Aber über mehr hatte ich nicht nachgedacht, erst als Hannah ihn um ein drittes Date gebeten hatte, in einem Moment, den ich immer noch nicht begreifen konnte.

Viel schlimmer war es hingegen, dass ich nicht wusste, wie Costa für mich empfand. Normalerweise konnten wir über alles offen reden. Aber ich konnte ihm unmöglich diese Frage mit reinem Gewissen stellen. Damit würde ich seine Liebe zu Hannah eventuell vernichten oder noch schlimmer, meine lebensnotwendige Freundschaft.

Im nächsten Moment klopfte es an der Tür und Zoe kam herein. Sie merkte sofort, dass mich etwas beschäftigte und erkundigte sich: „Was ist los? Und leugne es nicht. Es ist dir deutlich ins Gesicht geschrieben, kleine Schwester."

Sie setzte sich neben mich auf den Schreibtischstuhl und folgte meinem monotonen Blick gen Horizont.

„Costa hat Ja zu dem dritten Date mit Hannah gesagt", fing ich an zu erklären: „Sie haben es gerade."

„Das ist doch prima! Wieso freuen wir uns nicht darüber?"

„Drittes. DRITTES. D, R, I, T, T, E, S!"

„Schon verstanden. Ich weiß wie drittes buchstabiert wird. Was hebt es von den anderen zwei vorherigen Dates ab?"

„Das weißt du nicht?" Ich drehte mich überrascht zu ihr um und machte ihr sofort einen Vorwurf. „Ich dachte immer, du wärst die Romantikerin mit allem Wissen, was es darüber zu wissen gibt."

„Ich hab echt keinen Plan, tut mir leid. Ich hatte nie ein drittes Date mit Spencer. Wir sind schon nach dem zweiten zusammengekommen. Und dann ging alles ziemlich schnell."

„Ja, genau darum geht's ja! Das dritte Date ist kein einfaches Date mehr. Es ist das alles entscheidende. Ich rede von Küssen und Zärtlichkeit und Igitt-Kram eben. Es wird richtig ernst zwischen den beiden heute Abend. Und ich glaube, meine Warnung an Costa wird da nicht viel nützen."

„Du hast ihn vor dem dritten Date gewarnt", sagte Zoe irritiert. Wären wir in einem Comedy-Blockbuster-Film gewesen, hätte sie mir jetzt sicherlich eine Ohrfeige gegeben.

„Nicht ganz. Ich hab ihn davor gewarnt, es zu schnell angehen zu lassen, was man oft tut, wenn man total in jemanden verknallt ist."

Als ich Zoes vorwurfsvolle Blicke einfing, fügte ich schnell hinzu: „Sorry, ich meine nicht dich und Spencer. Ich bin mir sicher, ihr habt den richtigen Zeitpunkt dafür erwischt."

Sie lächelte amüsiert und raffte sich auf. „Na komm."

„Wohin?" Ich schaute ihr nach und wunderte mich darüber, wo sie jetzt noch mit mir hingehen wollte, wo wir es uns doch gerade hier so schön gemütlich gemacht hatten.

„Zum Strand. Da kannst du das alles vergessen und loslassen. Wenn du weiter hier herumsitzt, zerstört die Gedankenspirale noch dein Gehirn." Da hatte sie wohl nicht ganz unrecht. Noch weiter darüber nachzudenken, was Costa und Hannah gerade gemeinsam trieben, machte mich innerlich verrückt, als würde es mich direkt betreffen. Dabei war es ganz allein ihre Sache und nicht meine. Ich musste mich um mich selbst kümmern, sie sich um sich selbst.

Also sprang ich hochmotiviert auf und folgte Zoe die Treppe hinunter. Nach dem Abendbrot mit Emi und unseren Eltern gingen wir los. Es war schon dunkel und als wir am Strand ankamen, fühlte es sich so an, als würden die Wellen den eisigen Wind vom Meer ans Festland spülen. Ich wünschte, ich hätte mich dicker eingepackt. Es bestand doch der Unterschied darin, ob man sich bewegte oder nur beim Yoga still stand und sich alle zwei Minuten in eine neue Position begab.

Nach einer halben Stunde, in der wir uns gedehnt hatten, gingen Zoe und ich Hand in Hand zurück nach Hause.

„Danke. Das hat wirklich gut getan, wie immer. Und weißt du was? Ich freue mich jetzt richtig für Costa, dass dieses dritte Date höchstwahrscheinlich bewirken wird, dass sie zusammenkommen werden. Costa ist wirklich ein guter Mensch und jedes Mädchen kann glücklich schätzen, ihn als festen Freund zu haben."

Zoe sagte nichts, doch lächelte und legte ihren Arm um meine Schultern. Ich legte meinen Kopf auf ihrer ab und schloss kurz die Augen, um die Kälte des Abends auf mich wirken zu lassen. Es war Mitte Oktober. Und es würde nicht mehr allzu lange dauern, bis der Winter hereinbrechen würde.

Zuhause angekommen, stürzte ich sofort ins Bett. Es war zwar erst acht Uhr, aber der Tag fühlte sich schon wie eine halbe Ewigkeit an. Wenn ich darüber nachdachte, dass ich vor knapp sechs Stunden undefinierbare Gefühle für Costa empfunden hatte, kam es mir surreal vor. Als wäre seitdem schon eine Woche vergangen. Ich schluckte und drehte mich nach rechts auf die Seite um. Ich musste einfach eine Nacht darüber schlafen, dann könnte ich das alles von heute verarbeiten und überdenken.

Ich schloss die Augen und stellte mir die Dunkelheit vor, was mich so gut wie immer ins Reich der Träume versetzte. Doch heute sollte es anders sein. Nach einer halben Stunde schlief ich immer noch nicht und nach einer weiteren gab ich es schließlich auf und drückte auf den Lichtschalter. Den Blick auf mein Handy bereute ich sofort, nachdem ich gesehen hatte, dass Costa mir immer noch nichts geschrieben hatte. Dabei hatten wir uns klar darauf geeinigt, dass er mir direkt schreiben würde, wenn Hannahs und sein Weg sich trennten.

Ich wollte nicht länger auf eine Nachricht warten und schlafen konnte ich erst recht nicht, egal wie sehr ich mich nach Ruhe für meine Augen sehnte. Also beschloss ich selbst zu Costa zu fahren. Und wenn ich nur Back antreffen würde, würde ich in seinem Haus besser schlafen als hier in Ungewissheit.

„Ich fahre nochmal schnell rüber zu Costa", benachrichtigte ich meine Mutter, als ich mir meine Jacke überstreifte und zur Haustür ging.

„Hat der nicht ein Date?", fragte diese. Natürlich musste sie Costa zuvor darüber ausgefragt haben, bevor er gingen konnte.

„Ja, aber er wollte mir auch antworten, wenn er wieder zu Hause wäre. Und ich habe das Gefühl, dass er es schon ist."

„Aber es ist doch erst einundzwanzig Uhr." Normalerweise war das meine Dialogzeile.

„Tschüss", antwortete ich darauf und schmiss die Haustür zu. Am liebsten wäre ich mit dem Auto zu ihm gefahren, aber ich hatte weder einen Führerschein noch ein Auto. Also musste das Fahrrad herhalten.

Tatsächlich fand ich nur Back an, zusammen mit Stella, die mich lieber empfang als meine eigenen Eltern, wenn ich aus der Schule kam. Ich kraulte ihr Fell, bis sie sich streckte und sich auf den Bauch drehte.

„Costa ist leider noch nicht zurück. Aber das hast du dir bestimmt schon gedacht. So ein Date geht ja oft bis spät in die Nacht hinein", sagte Back und signalisierte mit seiner Gestik, dass er gleich wieder weiterarbeiten wollte. Machte er überhaupt mal eine Pause? Diese Frage konnte ich mir mit einem klaren Nein selbst beantworten.

„Kein Problem. Ich warte einfach in seinem Zimmer auf ihn."

„Klaro. Falls du was brauchst, bediene dich. Ich bin im-"

„-Arbeitszimmer", ergänzte ich ihn und nickte: „Ich sag Bescheid, wenn mir etwas fehlt. Danke. Ich nehme Stella einfach mit nach oben. Dann ist es nicht so einsam."

Ich hätte mich selbst dafür schlagen können, dass der letzte Satz über meine Lippen gerutscht war. Es weckte nicht nur eventuell ein schlechtes Gewissen bei Back, sondern zeigte auch eine klare Sehnsucht nach Costas Anwesenheit. Oder interpretierte ich zu viel in das Wort einsam?

Als Costa schließlich sein Zimmer betrat, lag ich eingerollt an Stellas Seite auf seinem Bett und kraulte ihren Kopf. Ihre Augen drückte sie dabei fest zu und es sah beinah so aus als würde sie lächeln. Ich schaute nicht zu Costa auf und hörte seine Anwesenheit nur, da ich mit dem Rücken zu der Tür lag.

„Wie war es mit Hannah?", fragte ich leise.

„Super", er kam näher und ließ sich neben Stella und mir nieder: „Wir haben noch eine Lichtershow angeschaut, die im Park lief. Deshalb bin ich erst jetzt da."

„Wie spät ist es denn?", fragte ich. Es fühlte sich so an, als hätte ich schon eine ganze Nacht hier gelegen und auf ihn gewartet. Ich hatte mein Zeitgefühl verloren und hatte keinen Sinn darin gesehen, auf die Uhr zu schauen.

„Kurz vor eins." Er verstummte kurz und wuschelte Stella über ihren Kopf. „Darf ich fragen, wieso du nicht in deinem Bett Zuhause liegst?"

Erst jetzt schaute ich mit den Augen leicht hoch, direkt in seine. Dann senkte ich den Blick wieder auf Stella und stemmte mich etwas auf, sodass mein Kopf auf meiner einen Handfläche ruhte.

„Ich weiß nicht. Ich konnte nicht schlafen, weil ich gespannt war, was du von Hannah erzählen würdest."

„Wirklich? Das glaube ich dir nicht. Was ist wirklich vorgefallen?" Er hob spöttisch einen Mundwinkel und machte meine Pose nun nach. Stella schlief zwischen uns, als wären wir zwei Geister, die sich nachts unterhielten, während alle anderen im Reich der Träume gefangen waren.

„Okay", begann ich, die halbe Wahrheit zu erzählen: „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Du weißt doch, was ich bezüglich der rosaroten Brille erzählt habe? Nun ja, es war heute dein drittes Date. Und ich weiß genau, dass Hannah genau weiß, was das zu bedeuten hat. Sie ist schließlich ein Mädchen mit Erfahrungen. Also, sag schon. Habt ihr irgendwas Verbotenes gemacht?"

„Klar doch. Wir haben Drogen geschmuggelt, bis die Polizei uns erwischt hat und wir durch einen illegalen Bootsraub über die Ostsee flüchten mussten." Ich kicherte kurz, obwohl mir ganz und gar nicht zum Lachen war. Ich dachte, mittlerweile hätte ich das Geschehene von heute Mittag verarbeitet oder zumindest zur Seite geschoben, doch jetzt, wo ich Costas Gesicht sah, konnte ich nur an seine blauen Augen denken, die nur wenige Zentimeter entfernt gewesen waren. Wie konnte er nicht darüber nachdenken? War es für ihn wirklich nur ein Abwehren von einem irren Fan gewesen, wie er es bei unserem Abschied benannt hatte?

Ich ignorierte meine selbst gehassten Gedanken und grinste gespielt. „Ha. Ha. Sehr lustig. Habt ihr wenigstens das Gras im Wasser versenkt, bevor die Polizei euch stoppen konnte?"

Costa gab darauf keine Antwort und begegnete mir stattdessen mit der Wahrheit, was wirklich heute Abend zwischen ihnen vorgefallen war. „V, wir haben uns geküsst. Zum ersten Mal. Soll heißen, sie hat mich geküsst, nachdem das Feuerwerk zu Ende war. Einfach so, ohne dass ich es hätte voraussehen können. Ist das zu fassen? Ich weiß zwar noch nicht, ob wir nun schon zusammen sind oder ob da noch was folgen muss, aber für heute reicht mir dieser eine Kuss von ihr."

„Hey, Glückwunsch, wirklich. Ich freue mich für euch. Hannah scheint wirklich selbstsicher zu sein, wenn sie den nächsten Schritt auf eurer Liebestreppe wagt."

„Ja, das ist sie." Er fuhr sich einmal durchs kurze Haar und blickte mich dann so unschuldig an, wie Stella es tat, sobald sie ein Stück Fleisch in meinen Händen sah und den Kopf dann auf meine Knie legte.

„Deine Glückwünsche klingen aber heute nicht sehr überzeugend", stellte Costa fest.

„Doch, das sind sie. Ich bin nur müde. Warten ist ganz schön anstrengend. Es ist wirklich schön, dass ihr weiter gekommen seid." Ich raffte mich auf und stürzte lachend auf ihn, obwohl mein inneres danach schrie, ihm zu gestehen, dass ich Hannah am liebsten aus unserem Leben wegzaubern und ihn wieder ganz für mich allein haben wollte. Ich vermisste es, ihn anzurufen und mich darauf verlassen zu können, dass er sofort Zeit für eine gemeinsame Unternehmung fand. Mittlerweile stand ich aber nur noch an zweiter Stelle. Wenn er gerade mit Hannah etwas unternahm, musste ich mindestens fünf Stunden warten, um überhaupt mal eine Nachricht von ihm zurückzubekommen.

Costa kitzelte mich an den Hüften und fiel ins Lachen mit ein. „Worin sind wir weitergekommen. Auf der Liebestreppe? Erzähl mal. Was ist die nächste Stufe?"

„Jeder hat eine andere Interpretation von dieser Treppe", erklärte ich, als ich mich von ihm herunter rollte und mich an seine Seite legte. So starten wir an die Decke. „Erst fängt es mit dem ersten und zweiten Date an, was total lahm ist. Dann kommt das dritte Date. Der erste Kuss. Etwas ganz besonders mit Regenbögen und pinken Einhörnern und buntem Konfetti, sobald es zu Ende ist. Man fühlt sich danach so high wie in einem Drogenrausch. Es ist die Hochphase der Verliebtheit, ungefähr so wie wir es in unserem Bericht in der Schülerzeitung geschrieben haben. Und dann fragt einer der beiden, ob sie zusammen sein wollen. Wenn derjenige es über WhatsApp macht, ist er gleich unten durch. Das sollte ganz romantisch aufgebaut sein."

Costa sah mich so spöttisch und amüsiert an, dass ich schnell ergänzte: „Das habe ich zumindest von Zoe gehört, bevor Spencer ihr vor dem ganzen Studiengang diese eine Frage gestellt hat. Ist auch egal. Jedenfalls hat man danach eine echt gute Zeit. Küssen, Lieben, intime Dinge überall wo es geht, etc. etc. ect. Und irgendwann, so ungefähr, wenn man Kinder bekommt, hat man für die Liebe zueinander kaum noch Zeit und verliert sich aus den Augen. Einer der vielen Gründe, weshalb heutzutage so viele Ehen in einer Scheidung enden. Also, was lehrt uns das? Verliebe dich nie, sonst fällst du eines Tages von der Treppe. Sie kann schließlich nicht in die Ewigkeit reichen, sie hat einen Anfang, einen Aufstieg und ein Ende, das schmerzhaft ist."

„Wow, ich dachte ganz kurz, dass du deine romantische Faser gefunden hättest."

„Vergiss es. Das werde ich nie mehr." Ich drehte mich zur Seite, um ihn besser sehen zu können. Im Schein des Lichts erkannte ich die ruhige Hebung und Senkung seiner Brust. Ich wurde aus der Trance gerissen, als er mir seinen Kopf zuwandte und leicht lächelte.

„V, ich weiß, was dich wirklich beschäftigt."

„Ach wirklich? Und was soll das sein? Überlegungen, wie ich es morgen früh nach Hause schaffen soll, um meine Sachen zu holen, ohne dabei zu spät zur Schule zu kommen?"

„Es geht um das, was heute Mittag passiert ist und was meine Reaktion darauf war. Das war dir gegenüber nicht fair. Wir setzen auf offene Kommunikation, das weiß ich, und deshalb versuche ich dir eine bessere Begründung zu liefern." Mein Herz setzte kurz aus. Gleichzeitig siegte die Erleichterung über mich. Er hatte also doch darüber nachgedacht.

„Mir fällt gerade keine bessere Erklärung ein, weil ich selbst nicht weiß, was ich zu dieser Zeit gedacht habe. Ich wollte uns nur vor diesem Fan schützen und habe eine Grenze überschritten, die dir wohl unangenehm war und ich war irgendwie handlungsunfähig. Es tut mir leid."

„Nein, so war das nicht und du musst dich auch nicht entschuldigen. Hättest du nicht so schnell gehandelt, hätte er wer weiß was mit uns gemacht. Ich danke dir dafür. Und du hast auch keine Grenze überschritten. Ich weiß selbst nicht, was ich in diesem Moment gedacht habe. Ich denke, es war einfach das Adrenalin, was uns gelähmt hat."

„Ja, vermutlich. Also alles cool?"

„Klar", log ich: „Alles cool." Dabei wusste ich genau, was ich in diesem Moment gedacht hatte und das erfüllte mich mit Angst. Angst davor, dass ich in diesem Moment angefangen hatte, mehr als nur Freundschaft für ihn zu empfinden. Zum Glück war diese Empfindung nun Geschichte, aber ich fragte mich, wie es so weit kommen konnte.

„Besser ist, wir schlafen jetzt."

„Ja, das wäre das beste."

Er schaute mich erwartungsvoll an, bis ich verstand, worauf er hinaus wollte. Ich stöhnte, stemmte mich auf und knipste das Licht auf dem Nachtschrank aus. Dann legte ich mich zurück auf die alte Position und schloss die Augen. Zumindest fiel es mir nun leichter einzuschlafen, jetzt wo Costa wieder zurück war und ich Gewissheit hatte, dass Hannah und Costa nichts mehr auseinanderbringen konnte. Ob das gut oder schlecht war, das sollte ich erst noch herausfinden.

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