12 ~ 1865 Follower

Am nächsten Morgen hieß es früh aufstehen. Irgendwie war ich nach der langen Autofahrt auf Costas Sofa gekommen. Ich konnte mich nur noch vage daran erinnern, wie kalt mir gewesen war, als ich zum Haus getaumelt war.

Während sich mein bester Freund im Bad fertig machte, schaute ich durch sein Zimmer. Dabei blieb ich an den Bildern an der Wand hängen. Das eine Bild zeigte einen Eierlauf in der siebten Klasse. Die Kamera hatte den perfekten Moment aufgenommen, als ich gerade neben Costa über meine eigenen Beine stolperte und sich das Ei kurz vor dem Aufprall am Boden befand. Ich lächelte und erinnerte mich daran zurück, als wäre es gestern gewesen.

Auf dem Weg zum Candy-Shop, wo wir heute einen vollen Tag ausharren würden, redeten wir über den Herbst und wie er die Menschen verzaubern konnte. Ich hatte Costa extra gebeten, heute ausnahmsweise zu Fuß zu gehen, um die Umgebung auf uns wirken zu lassen. Er war davon sofort begeistert gewesen.

Der Nebel lag noch auf den Straßen und es war so eisig kalt, dass mein Gesicht schmerzte und ich meine Nasenspitze nicht mehr spüren konnte. Doch das grelle orangefarbene Licht der Laternen suchte sich einen Weg durch die Dunkelheit und verwandelte die Straße in eine angenehme Atmosphäre.

„So stellt man sich doch den Oktober vor", kommentierte Costa dazu.

„Fehlen nur noch die Herbstblätter", antwortete ich.

„Die werden noch kommen. Aber es war ganz schön lange warm dieses Jahr, weshalb es länger dauern wird als die Jahre zuvor, bis sie sich verfärben und herunterfallen werden."

Ich stimmte ihm zu.

„Achtung!", rief ich und zog ihn plötzlich im richtigen Moment zu mir heran, damit er nicht in einen Passanten hineinlief.

„Danke", sagte er so ruhig, als hätte ich ihn nur vor einer Nacktschnecke auf dem Weg gerettet.

Abrupt blieb der Passant stehen und schaute sich zu uns um, was ich sofort im Rücken spürte. Es wäre nicht so unheimlich gewesen, hätte der Nebel ihn nicht unerkennbar gemacht.

„Seid ich Vasta? Ihr seht wie Konstantin und Valeria aus. Ihr tragt die gleichen Klamotten wie sie auf dem geposteten Foto von gestern."

Ich erstarrte, Costa auch. Konnte es wirklich sein, dass jemand unsere Identität gelüftet hatte? Konnte es wirklich sein, dass uns trotz Verpixelung das gestrige Foto verraten hatte? Ich bereute es augenblicklich, das Bild von uns beiden gepostet zu haben. Die Gesichter hatte ich zwar unkenntlich gemacht, aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass Leute auf unsere Klamotten achten würden.

Costa sah mich mit verzweifeltem Gesicht an und wusste nicht so recht, was wir auf die Frage antworten sollten. Wir standen sicherlich schon zwanzig Sekunden wie angewurzelt vor der fremden Person und brachten kein Wort heraus. Ich zuckte mit den Schultern und antwortete schließlich: „Nein, Sie müssen uns da verwechseln."

„Unmöglich", sagte der Fremde wieder und kam näher, damit wir sein Gesicht erkennen konnten. Und sie unsere. Der Fremde entpuppte sich als ein Mädchen, ungefähr zwei Jahre jünger als wir, mit einer blauen runden Brille und roten Haaren. Mit schmalen Augen musterte sie uns. „Ihr müsst es einfach sein. Gleiche Kleidung, gleiche Größen, gleicher Körperbau und ach ja. Valeria: wenn du nicht willst, dass man dich auf einem Bild erkennt, solltest du deine markanten pinken Strähnen mitverpixeln." Sie deutete auf meine Haare.

Ich könnte mich dafür selbst schlagen, dass ich nicht selbst auf den Gedanken gekommen war. Naja, jetzt gab es wohl keinen Weg zurück. Ich schaute Hilfe suchend zu Costa. Sollten wir einfach wegrennen und so tun, als hätte sie uns niemals gesehen? Das würde wahrscheinlich nichts an der Tatsache ändern, dass sie jedem posten würde, wo wir uns für gewöhnlich aufhielten.

„Wir gehen übrigens auch auf die gleiche Schule. Ich habe euch schon einige Male im Flur gesehen. Von daher war es ein Leichtes euch auf dem Bild zu erkennen."

„Okay, ja, wir sind es. Aber bitte, versprich uns, dass du niemanden von uns erzählst. Wir wollen unsere Identitäten schützen", flüsterte Costa zu dem Mädchen, als würden hinter uns im Nebel die Mikrophone auf ihre neue Sensation warten.

„Okay, versprochen, aber nur, wenn ich ein Selfie mit euch machen darf. Ihr seid wirklich meine großen Vorbilder und ich bewundere euren Einsatz für die Gerechtigkeit." Erwartungsvoll blickte sie uns mit großen Augen an. Wie konnte man da bloß widerstehen? Und außerdem: was blieb uns anderes übrig, um dieser Situation friedlich zu entkommen?

„Schön. Aber nur eins. Und du zeigst es nicht deinen Freundinnen, nur damit das klar ist", warnte ich sie. Wir stellten uns nebeneinander und das Mädchen drückte schneller auf ihre Auslösetaste, als meine Reaktion jemals hätte sein können. Von daher machte ich mir auch nicht die Mühe zu lächeln.

„Vergiss dein Versprechen nicht", sagte ich noch einmal, als sie das Handy wieder in der Tasche verschwinden ließ.

Sie schüttelte schnell mit dem Kopf und grinste dann breit. „Es war so toll, euch kennengelernt zu haben! OMG! Zu schade, dass ich es nicht erzählen darf. Dabei bin ich so schlecht im Geheimnisse hüten. Aber keine Sorge. Bei euch mache ich eine Ausnahme, weil ihr so cute zusammen seid." Zum Abschluss wirkte sie etwas unsicher, ob sie es wirklich wagen sollte, drückte uns dann schlussendlich doch und flitzte kichernd weg.

„Okay, sind wir uns einig, dass das schräg war?" Ich musterte Costa von der Seite, der auf einmal still wie Wasser geworden war.

„Das war besser als ein Autogramm zu geben. Keine Ahnung, wie man so versessen auf Vasta sein kann, dass man uns selbst auf offener Straße bei Nebel erkennt, aber das ist ein Wunder. Ich glaube, es sollte sein."

Wir schlenderten weiter und ich hoffte, dass er recht behalten sollte. Dass es wirklich Schicksal sein sollte. Ich traute es ihr nicht wirklich zu, dass sie es keiner Menschenseele weiterverraten würde. Es war wie ein kleines Format von Hollywood: ein Fan erkannte seinen Lieblingsschauspieler unter einer Kapuze, fotografierte ihn, teilte es im Netz und jeder wusste, wo man nach ihm suchen musste. Das sollte nicht auch uns passieren. Der Candy-Shop war schließlich nur zwanzig Schritte von dem Ort entfernt, wo das Mädchen uns angeredet hatte.

„Ich hoffe, das wird keine Konsequenzen haben", äußerte ich meine Bedenken.

„Keine Sorge. Sie hat versprochen, dass sie es nicht posten wird."

„Du weißt, dass Menschen sich nicht immer an Versprechen halten?"

„Ja, ja. Aber bei ihr habe ich so ein Gefühl. Sie kann sich sicherlich unter Kontrolle halten."

Ich wollte ihm meine Dystopie-Vorstellung erläutern, dass man uns verfolgen würde wie zwei Hollywoodschauspieler, doch ich hielt mich damit zurück und sprang auf seinen Zug des Optimismus auf. Wenn ich mir jetzt über solche düsteren Zukunftsvorstellungen Gedanken machen würde, hätte ich keine ruhige Minute mehr.

„Entspann dich. Selbst wenn sie es posten würde, wüsste niemand, wo wir genau wohnen. Und da wir sowieso kein Insta vor unserer Seite hatten, kann uns auch niemand unsere Identität klauen. Den Namen haben sie durch den Zeitungsartikel sowieso schon, genauso wie unsere Schule. Keine Sorge." Costa holte Kaugummi hervor, schob sich eines in den Mund und bot mir eins an. Ich griff abwesend zu und versuchte mich gleich an einer Blase.

Wir bogen in den Candy-Shop ab und machten uns sofort an die Arbeit. Der Laden boomte vor Kunden, die ihren morgendlichen Kaffee abholen wollten. Beño winkte uns zur Begrüßung einmal kurz zu und verschwand dann wieder im Sitzbereich.

Costa stand mit dem Rücken zu mir und knotete die Schürze genauso zusammen wie ich meine. Meine Augen wanderten zufällig nach draußen, wo es düster wirkte, im Gegensatz zu dem schummrigen Licht hier in der Küche. Auf einmal sah ich einen Rotschopf schnell am Fenster vorbeihuschen. Ich wirbelte aufgeregt zu Costa herum.

„Hey, hey! Da!", ich deutete auf die Stelle, wo die Person eben noch gestanden hatte: „Das war sie! Ganz sicher. Das Mädchen von eben. Sie hat uns hinterherspioniert!"

„Ach Quatsch. Das war sicherlich jemand anderes. Du machst dir echt zu viele Gedanken, V. Das Mädchen wird uns schon nicht verraten."

„Aber wenn ich es doch sage: das war sie ganz sicher. Rote Haare und diese hässliche Brille meiner Oma!"

Costa fing laut an zu lachen und hatte schon längst aufgehört mich ernstzunehmen.

„Lachst du wegen meines Vergleiches oder lachst du mich aus?"

„Beides?", fragte er unsicher und befürchtete meine Attacke, die nun folgen würde. Ich schlug ihm gegen den Arm und erwiderte: „Du wirst schon sehen, was passieren wird. Und dann wirst du mir recht geben, dass ich richtig lag, dass sie unser Leben zerstören wird."

Costa lachte erneut und nahm die weiteren Schläge in Kauf, beschwerte sich aber auch nicht. Stattdessen drehte er das Radio auf und schaltete auf unsere Lieblingsrubrik: Sieben 80er um neun. Es ertönte der Song Radio Gaga von Queen, der meine pessimistischen Gedanken etwas weiter vom Festland davonspülte.

Schon nach einigen Minuten befanden wir uns wieder mitten im Candycutting-Wettbewerb. Die Bonbons flogen beinah von der Theke, so schnell schnitten wir. Es hatte lange gedauert, bis wir unsere Handgelenke so trainiert hatten, dass wir innerhalb von ein paar Sekunden eine ganze Stange zerkleinert bekamen.

Nach etwa fünfzehn Minuten der unterhaltsamen Spannung ertönte wie immer Costas eiserner Cutter auf der Theke und er ließ sich selbst zurückfallen. „Ja! Gewonnen!", rief er. Wie immer gratulierte ich zu seinem Sieg und sagte den Satz, den er mir sonst immer so gerne vorhielt: „Ich werde die Süßigkeiten bezahlen. Aber erst heute Abend, nachdem wir hier fertig sind."

„Okay, aber vergiss es nicht. Ich erinnere dich sonst auf nicht freundliche Weise." Er schob mit ausgebreitetem Arm die fertigen Candys in den gigantischen Eimer, aus dem wir sie dann weiter in die kleinen Verkaufsgläser sortieren konnten.

„Schade, dass du mir diesen Eimer nicht kaufen kannst", sagte er und deutete darauf: „Das wäre wahrscheinlich genauso teuer wie meine Führerscheinprüfung." Bei dem Gedanken an seine Prüfung überkam mich mein schlechtes Gewissen. Er hatte letztens seine erste Stunde gehabt, doch vor lauter Werbeaktionen, Instagram und Hannah hatten wir noch kaum darüber geredet. Es war von uns totgeschwiegen worden wie ein unangenehmes Thema, was es nicht war.

Von daher nutzte ich die Offensive. „Wie lief die letzte Stunde?"

„Super. Naja. Viel Theorie und so. Aber es dauert nicht mehr lange, dann kann ich mit der Praxis anfangen und mein Lehrer ist sehr nett. Erinnert mich selbst an meinen Vater. Er könnte eine genaue Kopie von ihm in jungen Jahren sein."

„Der ist mir jetzt schon sympathisch, wenn er wie Back ist."

Als die Bonbons sortiert waren, halfen wir Beño bei der Ausgabe von den beliebten Heißgetränken wie Kakao und Kaffee, kein Wunder bei der Kälte, die draußen herrschte. Die Zeit verflog schneller als erwartet, vor allem bei dem Radio, was im Hintergrund immer in unserer Nähe spielte. Selbst im Sitzbereich hörte man es noch aus der Küche schallen, aber niemand schien sich über unseren Musikgeschmack zu beschweren. Im Gegenteil: eine Frau, Ende vierzig, äußerte sich sogar freudig über die Songs ihrer Jugend.

Costa hatte schon angefangen, die Bonbongläser im Laden zu verteilen, damit die Kunden sie einstecken konnten, als ich dazu stieß. Wir hatten nur noch eine halbe Stunde vor uns, bevor der Laden dichtmachen würde. Es war kurz vor sechs. Während unserer Beschäftigung fing ich an Another Brick in the Wall von Pink Floyd zu summen, ohne es wirklich zu bemerken. Erst als Costa an mir vorbeiging, um Nachschub aus der Küche zu holen und er schließlich mitsummte, merkte ich meine kleine Gesangseinlage. Doch ich stoppte nicht. Im Gegenteil: Costa fing sogar leise zu singen an und bewegte sich im Takt des Songs zurück in den öffentlichen Raum. Ich musste lachen, während ich mit einstimmte.

Da sowieso nur noch zwei Kunden neben ihren leeren Tassen auf dem Handy scrollten, erlaubten wir uns, den Laden in eine Bühne zu verwandeln. Doch als Costa sich den Besen aus der Ecke schnappte und ihn als Mikrophon für ein lautstarkes Hey Teacher, leaves us kids alone! benutzte, schnappte ich nach Luft und wollte ihm diesen wegreißen. Nicht nur die Kunden, die jetzt aufsahen und grinsten, waren noch hier. Auch Beño war nur einen Raum entfernt. Auch wenn ich diesen Typ von Costa sehr mochte, kam er manchmal in den unpassendsten Momenten hervor.

„Hey, sei leise. Beño hört dich noch." Ich lachte und schnappte mir die weiteren Gläser. Costa tat so, als würde er bloß den Boden fegen, wie jeder normale Angestellte in einem Laden, der kurz vor dem Feierabend stand. „Hey, ich mach doch gar nichts." Er hob einen Mundwinkel frech an.

„Nein, natürlich nicht. Du hast auch nur gerade geschrien, dass du die Lehrer satthast." Costa wäre wirklich der letzte auf diesem Planeten, der ein schlechtes Wort über Lehrer, geschweige denn der Schule, verlieren würde.

„Ich singe in deinem Namen", wand er ein, als würde das als Begründung ausreichend sein.

„Danke, aber das bekomme ich gut alleine hin. Und jetzt putz, Schüler. Ich befehle es dir als Lehrer."

„Okay, bin schon dabei." Er fegte tatsächlich anständig weiter, sang dabei trotzdem den Song, etwas leiser als vorher.

„Vasta? Ich glaube es nicht! Sie arbeiten wirklich hier!" Ein Schwarm Mädels stürmte auf einmal den Laden - und brachten so viel Dreck mit herein, dass Costas ganze Arbeit umsonst gewesen war. Es mussten ungefähr sechs sein. Es war schwer zu zählen, so schnell wie sie uns an den Hacken klebten. Costa und ich tauschten verblüffte Blicke aus, dann stieg meine Wut an. Hinter all dem steckte bestimmt dieses Mädchen von der Straße, das unbedingt von uns ein Selfie gewollt hatte. Sie hatte versprochen nichts zu posten. Von wegen, ich könne ihr vertrauen. Sie musste das Bild und gleich unseren Arbeitsplatz geteilt haben. Hoffentlich nicht an die ganze Welt, nur in ihrem Bekanntenkreis.

Als ich wieder den Schwarm anschaute, wurde mir bewusst, dass ich mich nur selbst belog. Natürlich hatte sie es mit der ganzen Welt geteilt. So eine Sensation entging man nicht, schon gar nicht, wenn man dadurch Bekanntheit erlangen konnte. Ich würde sie zu Hackfleisch verarbeiten, wenn ich erst einmal ihren Namen herausgefunden hätte.

„OMG! Können wir bitte ein Selfie machen? BITTTEEE!", flehte eine Blondine aus der Menge und wartete gar nicht auf unsere Antwort. Stattdessen knipste sie los, sodass alle mit drauf waren - die sechs Mädels in hübschen Posen und Costa und ich, unvorbereitet wie immer, mit wütenden Gesichtern und unserer Arbeitskleidung an. Bevor ich losschreien konnte, umarmten alle sechs mich stürmisch nacheinander.

„Ich werde Emma nie wieder dumme Ziege nennen", sagte die eine mit auffälligen Sommersprossen auf der Nase: „Sie hat Vasta gefunden! Wir sind totale Fans von euch! Ihr seid so etwas wie Feministen, nur nicht für Frauen, sondern für Freundschaften zwischen Jungs und Mädchen! Wir verehren euch, seit ihr online gegangen seid. Aus der Schulzeitung haben wir uns noch nie viel gemacht, aber der Insta-Account - bis auf einige Dinge, die ihr in Zukunft da besser machen könntet, zum Beispiel Filter benutzten - ist mega!"

„Schaut mal!", rief eine andere aus der Ecke des Ladens. Ich bemerkte erst jetzt, dass die letzten zwei Kunden gegangen waren. Vermutlich waren sie genauso schnell gestürmt, wie die Unruhestifter aufgetaucht waren. „Sie verkaufen hier Erdbeer-Sahne-Bonbons! Wie süß! Habt ihr die gemacht?"

Alle zwölf Augen richteten sich augenblicklich auf uns. „Ja, haben wir", antwortete Costa schnell für mich, um mich vor dem Ausbruch zu erfahren. Ich war außer mir vor Wut. Nicht nur, dass das Mädchen von der Straße alles über uns geteilt hatte, was wir strengstens geheim halten wollten, sie hatte auch noch ihre Freundinnen mitgebracht und damit ihre weiteren Follower, die vermutlich schon auf dem Weg hierher waren. In diesen Minuten hasste ich es zum ersten Mal, berühmt zu sein. Und ich hasste Social-Media abgrundtief.

In diesem Moment kam Beño empört aus dem Nebenraum geschossen und rief: „Was ist denn hier los?" Er beäugte alle Anwesenden. Was musste er nur denken? Dass wir sie hierher eingeladen hatten? Wusste er überhaupt von unserer medialen Aufmerksamkeit? Es würde mich nicht wundern, wenn nicht. Schließlich gehörte seine volle Aufmerksamkeit dem Laden.

„Wir wollten Vasta sehen und jetzt werden wir Bonbons kaufen." Beño schaute uns zwei an, als hätten wir uns blitzschnell in Clownskostüme gezwängt. Seine Augenbrauen waren tief ins Gesicht gezogen und er stand dort wie angewurzelt hinter der Theke, um den Mädchen ihren Wunsch zu erfüllen. Am Ende kamen achtzehn Gläser zusammen, für jeden drei, wie sie untereinander abgesprochen hatten.

„Danke", sagte die Blondine im Namen der Gruppe und wand sich dann uns zu: „Es war so toll, euch mal in Echt gesehen zu haben. Wenn ihr so weiter viral geht, werden wir alle so stolz sein, euch als erstes gesehen zu haben, bevor es die Presse konnte. Danke. Und macht weiter so! Ihr seid allen ein großes Vorbild." So schnell wie sie alle gekommen waren, so schnell dampften sie auch wieder ab. Ich hätte mit mehr Tamtam zum Abschied gerechnet.

Als sie außer Hörweite waren, brüllte ich hinterher: „Danke. Und sagt eurer scheiß Freundin Emma, dass das Recht am eigenen Bild nicht in die Welt gesetzt wurde, um Bad-Hair-Days zu vertuschen!" Ich drehte mich zu Costa und Beño um. „Tut mir leid. Das kam so heraus. Komm, machen wir weiter mit der Arbeit." Ich stapelte die Gläser nach, die gerade über die Theke gewandert waren.

„Vasta, mh", amüsierte sich Beño: „Ich habe alles mitgehört und gesehen, auch im TV. Ist ein hübscher Spitzname für meine Steckenpferde."

„Deine was?", fragten mein bester Freund und ich im selben Moment verwirrt.

„Ihr beide seid die Einnahmequelle. Wenn weitere Fans hierherkommen und die Bonbons kaufen, weil sie denken, sie hätten eure Hände berührt, kaufen sie innerhalb einer Woche den ganzen Laden leer." Er lachte irgendwie bösartig, vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil ich es nicht fassen konnte, dass er uns als Köder benutzte.

Costa legte die Hand auf meinen Rücken, um mich zu beruhigen. Als Beño wieder hinten verschwand, platzte meine Toleranz.

„Wie kann er es wagen? Wie kannst du noch so ruhig bleiben? Er benutzt uns, macht dir das nichts aus?"

„Nein, wieso sollte es das? Lass ihn machen. Du weißt doch, wie das Business läuft. Wenn wir Kohle reinbringen, springt auch mehr für uns heraus."

So hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Es könnte tatsächlich von Vorteil sein, ein wenig mehr Einkommen zu haben, gerade für die Fahrschule.

„Ja okay. Aber wenn schon. Unsere Identitäten werden morgen der Presse bekannt sein. Was dann? Wir können nicht untertauchen oder so. Vielleicht sollten wir die Sache einfach sein lassen." Ich schaute frustriert zu Boden.

"Was sagst du denn da? Das machen wir auf keinen Fall. Dafür haben wir schon zu viel erreicht. Wir müssen dran bleiben. Früher oder später wäre es sowieso herausgekommen, denkst du nicht? Vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Denk nur an die anderen Influencer, die viel mehr Aufmerksamkeit als wir haben. Die kommen auch super klar."

Ich schaute ihm in die Augen und fragte ihn still, ob es sein Ernst wäre und ob er das selbst glaubte.

„Okay, schlechtes Beispiel", meinte er: „Aber wir dürfen jetzt nicht das Schlechte sehen. Positiv denken. Wir bekommen das schon hin. Noch wissen sie nicht, wo wir wohnen."

„Du hast recht. Und wir sollten auch dafür sorgen, dass es so bleibt. Nicht auszumalen, wenn sie nächstes Mal nicht den Laden, sondern unsere Häuser stürmen und zwar mit einer ganzen Armee."

Um halb sieben verließen wir vorsichtig den Laden - Beño und ich hatten uns wieder versöhnt - und schlichen nach Hause, als würde hinter jedem Baum ein Handy sein, das uns filmen könnte. Dort angekommen beobachtete ich die immer noch steigende Followerzahl. 1865. Unglaublich, was mit dem Bekanntheitsgrad passierte, wenn man erst einmal sein Gesicht der Öffentlichkeit gezeigt hatte, wenn auch nicht gewollt.

Als Nächstes ging ich auf meine For-you-Page, wo mir tausende Bilder von Costa und mir von dem heutigen Tag angezeigt wurden, wie wir zu Pink Floyd im Candy-Shop getanzt und gesungen hatten. Wir waren darauf markiert. Ein- und Ausatmen. Ein- und Ausatmen, Valerie. Es sind nur Bilder. Bilder aus deiner tiefsten Privatsphäre, die nun der ganzen Welt zu Füßen lagen. Aber ist schon okay. Was tut man nicht alles für mediale Aufmerksamkeit, um seine Interessen durchzuboxen? Ich hasste die Welt dafür.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top