10 - 547 Follower

Als wir am nächsten Tag die Schule betraten, wurden wir von allen Schülern beäugt. Um ehrlich zu sein, hatten wir schon längst damit gerechnet und uns auf dem ganzen Schulweg darüber ausgetauscht. Unser Account war gut auf Instagram angekommen, besonders weil in den Medien darum geworben wurde. Da war es kein Wunder, dass unsere Schule keine einsame Insel darstellte, die abgeschottet von der Außenwelt irgendwo im Pazifik trieb.

„Geiler Account, Leute. Gleich 344 mehr Follower über Nacht, dank eures ersten Posts", begrüßte uns Henrik, der wiedermal das Klassenbuch geholt hatte, und klatschte Costa ab. Mir hingegen nickte er nur freundschaftlich zu.

„Eh Alter. Wieso sagst du mir nicht, dass du Hannah datest?", fuhr er als nächstes Costa an. Es wirkte fast so, als wäre er wütender auf die Tatsache, dass er nur eine Woche etwas mit Hannah am Laufen hatte, bevor sie ihm einen Korb gegeben hatte, als auf Costas Verschlossenheit. Irgendwie konnte ich das verstehen. Es musste ein unangenehmes Gefühl sein, seinen großen Crush zu sehen, der lieber seine Zeit mit einer anderen Person verbrachte, als mit einem selbst.

„Ich hatte viel um die Ohren", begründete Costa und drückte dabei sanft mit der Hand gegen meinen Rücken, um mich zum Gehen aufzufordern. Es war kein Geheimnis, dass er offensichtlich nicht mit Henrik über dessen Ex reden wollte. Also bedankte ich mich schnell bei Henrik für sein ursprüngliches Kompliment und rettete Costa aus der Situation.

„Wenn Josh und Niels auch noch fragen, wird das hundertpro das Topthema bei unserem Zockabend sein." Er blickte frustriert die Schüler an, die uns entgegenkamen und sich ein kicherndes Hallo nicht verkneifen konnten.

„Ich habe es Henrik gesagt. Tut mir leid", gab ich zu Protokoll, als würde es in irgendeiner Weise helfen.

„Na toll. Hast du ihm wenigstens gesagt, dass er es für sich behalten soll?"

Ich biss mir schuldbewusst auf die Unterlippe und zog die Augenbrauen schuldbewusst etwas höher.

„Super", stieß er deprimiert aus und ließ endlich die Hand sinken, die zuvor noch auf meinem Rücken geklebt hatte.

„Tut mir leid. Ich werde auch alles dafür tun, dass sie dich nicht mit tausend Fragen löchern."

Mein Versprechen sollte jedoch zum Verhängnis werden, als Josh und Niels gleichzeitig auf Costa losgingen, als wir noch nicht einmal den Klassenraum betreten hatten.

„Spuck's aus. Hannah und du. Wie ist das passiert? Hast du wieder bei der Schülerzeitung angefangen, mal abgesehen von eurem Bericht?", durchbohrte Josh ihn.

„Das wird es sein", schaltete sich Niels ein: „Gib's zu. Du hast Vals und deinen Bericht eingereicht und dann ist es um dich geschehen. Alter, das ist eine große Sache! Wie kannst du so entspannt bleiben? Ich an deiner Stelle hätte ihr schon längst einen Antrag vor der gesamten Schule gemacht."

Ich brauchte wohl nicht länger verschweigen, dass Niels auf Henrik in der Woche eifersüchtig gewesen war, als dieser mit Hannah sowas wie zusammen gewesen war. Hannah war nicht gerade unbeliebt bei den Jungs aus dem Jahrgang. Selbst Josh hatte mal ein Auge auf sie geworfen, da bin ich mir ganz sicher, auch wenn er es immer verleugnet hatte. Und nur Costa hatte in dieser Zeit nichts mit Hannah am Hut gehabt und wollte auch nicht um ihre Hand kämpfen, wie die anderen ganzen Idioten. Und jetzt? Er war ihr genauso verfallen, wie Henrik damals. Viel zu kitschig.

„Costa und Hannahs Beziehung ist noch ganz frisch. Wahrscheinlich endet sie sowieso wie bei Henrik. Ich gebe den beiden höchstens noch eine Woche, dann werdet ihr sehen, wie sie ganz schnell verreckt, wie eine Neunzigjährige mit Herzinfarkt." Ich versuchte die Lage zu retten und drückte Costa zu seinem Platz. Josh und Niels gingen spottend zu ihren Stühlen und machten sich lustig über Henriks missglückten Versuch, Hannah zu seiner großen Liebe zu machen. Zumindest ging es jetzt nicht mehr um meinen besten Freund.

Zufrieden setzte ich mich zu Costa, der mich entgeistert ansah.

„Meintest du das gerade wirklich? Mit der Neunzigjährigen Frau und dem Herzinfarkt, meine ich?"

„Natürlich nicht!", sagte ich ironischer als beabsichtigt. Ich bekam mich wieder zu fassen und stellte meine Stimme etwas ernster ein. „Deine Beziehung zu Hannah ist großartig. Sie wird nicht scheitern, weil du nicht so ein Idiot wie Henrik bist. Du wirst sie nicht um drei Uhr nachts anrufen, nur um zu fragen, was sie gerade tut. Und denk dran, von welcher Seite aus das losging. Hannah mag dich, ganz sicher. Du musst dir keine Sorgen darum machen. Diese Liebe wird nicht verrecken."

Er nickte stumm. Sein Gesicht klarte allmählich auf, als er eine Weile darüber nachgedacht hatte. Schließlich bedankte er sich und holte seine Schulsachen hervor. Das war knapp.

Am Nachmittag bestand Costa wieder darauf, dass wir uns zur Mathenachhilfe setzten, die wir viel zu lange vernachlässigt hatten. Was meine Meinung dazu war, konnte man sich wohl vorstellen. I am not amused hätte wohl meine Englischlehrerin an meiner Stelle gesagt.

Schon aus Protest heraus beschäftigte ich mich viel lieber mit unserem Insta-Account, als mit Costas Versuch, mir etwas zu erklären, wovon ich mir sowieso nichts merken würde. Ich war ein aufsaugresistenter Schwamm, was das Sammeln von Wissen anbelangte.

„Hörst du mir überhaupt zu?", holte Costa mich aus den Gedanken und tippte ungeduldig mit dem Bleistift auf das karierte Papier mit einem großen beschrifteten Dreieck darauf.

„Nicht wirklich. Schau mal. Es werden immer mehr Follower und mittlerweile bekommen wir so viele Kommentare, dass wir eigentlich Manager einstellen müssten, um alle zu lesen und zu beantworten. Sie schreiben größtenteils über ähnliche Erfahrungen, Costa. Ich glaube, wir haben eine Lawine in Gang gesetzt."

Costa zögerte zunächst, nahm dann aber doch das Handy entgegen, dass ich vor seinem Gesicht herumgefuchtelt hatte. Er riskierte einen Blick und las dann laut vor: „Hallo Costa und Val. Ich weiß genau, was ihr mit euren Posts erreichen wollt und ich bin überglücklich, dass ihr diesen Versuch wagt, dieses Verbrechen aufzuklären. Meine beste Freundin und ich wurden selbst in der Uni schief angeschaut und alle, selbst unsere Professoren, haben uns täglich gefragt, ob wir nun zusammen seien. Uns hat es so sehr aufgeregt, dass wir eine Weile sogar komplett den Kontakt gemieden haben. Jetzt, wo wir beide glücklich verheiratet sind (nicht miteinander) sind die Vorurteile nicht mehr so laut, aber sie sind da. Selbst unsere Ehepartner äußern ab und zu schlechte Bemerkungen. Macht weiter so und rüttelt die Welt auf! Es grüßt euch Damion Wagenbein."

„Wow. Hörst du? Überall auf der Welt machen sich Menschen über normale Freundschaften zwischen Jungs und Mädchen lustig."

„Das muss nichts heißen. Nicht jeder muss solche Vorurteile über sich ergehen lassen."

„Aber viele müssen das. Schau dir die Nachrichten durch. Es sind mittlerweile mehr als hundert, Tendenz steigend." Jetzt schaute ich genauso interessiert auf den Bildschirm wie Costa, sodass ich erst nicht bemerkte, wie dicht sich unsere Köpfe dabei kamen. Ich zuckte zurück, als es mir bewusst wurde und nahm mein Handy zurück zu mir.

Costa nickte und schaute mich für eine Weile gedankenversunken an. „Das könnte tatsächlich ziemlich groß werden."

„Das ist es schon, Costa. Wir müssen dran bleiben." Ich lächelte so breit wie schon lange nicht mehr.

„Ja, das müssen wir wohl, aber erstmal musst du es bei Mathe schaffen." Er schnappte sich wieder den Bleistift und kritzelte ein kleines X ins Koordinatensystem, das ich jetzt erst erkannte. Ich seufzte, legte das Handy beiseite und hörte ihm zu - zumindest so, als würde es mich interessieren.

Nach einiger Zeit - ich hatte kaum realisiert, dass ich eingenickt war, während Costa weiter erklärt hatte - schaute Zoe bei uns vorbei. Unter ihrem linken Arm hatte sie eine Yogamatte geklemmt. Ich wusste, was das bedeutete und war sofort hellwach.

„Ist es wieder so weit?", fragte ich aufgeregt und unterbrach dabei Costas mühsamen Versuch, mir etwas über Vektorenzüge beizubringen. Er konnte einem deshalb schon leid vorkommen.

Zoe nickte und fügte hinzu: „Ja, der Herbst hat seinen Höhepunkt bald erreicht. So langsam kann es losgehen."

„Ich habe eure seltsame Tradition noch nie verstanden, aber macht, was ihr wollt." Costa schaute erst meine große Schwester, dann mich an. In seinen Augen lag wirklich Unverständnis.
Dann fragte er: „Und wieso könnt ihr nochmal nicht in anderen Jahreszeiten Yoga machen?"

Bevor Zoe darauf antworten konnte, konterte ich: „Ganz einfach. Im Herbst ist der Strand am schönsten. Das heißt, keine Menschen, angenehme Temperaturen und goldenes Laub auf dem Weg. Wie könnte man da nicht entspannen?"

„Sagt die, die es gestern in Winterjacke schon zu kalt im Wald fand." Er grinste breit und amüsierte sich offensichtlich prächtig über meine Kälteempfindlichkeit.

„Haha", sagte ich: „Sehr lustig. Du hast es noch nie ausprobiert. Yoga am Strand ist entspannter als Yoga im Haus und außerdem ist es nicht so langweilig wie in der siebten Klasse im Sportunterricht." Damals war Costa sogar während der Yogaeinheit eingeschlafen. Ich hatte es gerade so durchgehalten und konnte noch schnell ein Foto von ihm machen, wie er in süßen Träumen gefangen gewesen war. Für eine lange Zeit war das mein Druckmittel gegen ihn gewesen, bis mein Handy und damit das Foto gestohlen wurde. Zu schade aber auch. Nicht für ihn.

„Na dann. Vielleicht sollte ich mal mitkommen."

„Vergiss es", schaltete sich Zoe ein: „Tut mir wirklich leid, Costa, aber das ist Vals und meine Sache. Verstehst du? Unser Schwesternding." Zoe war normalerweise die Letzte, die andere Menschen ausschloss, aber wenn es um Schwesterntraditionen ging, musste sie einfach eingreifen.

Ich zuckte mit den Schultern, als würde das als Entschuldigung reichen. Costa nickte mit zusammengepressten Lippen und zog ein gespieltes trauriges Gesicht.
Als ich ihm jedoch versicherte, dass ich in der nächsten Nachhilfestunde aktiver sein würde, war seine Laune wie weggewischt und stattdessen strahlte er heller als die Sonne.

In diesem Moment freute ich mich zwar, dass wir bei mir Zuhause waren, damit Zoe mir diese wunderbare Botschaft überbringen konnte. Auf der anderen Seite tat es mir umso mehr weh, Costa alleine hier zulassen. Ich bot ihm die Pizza im Kühlschrank an. Und so willigte er schließlich ein, noch einige Zeit auf unserer Couch zu bleiben und eventuell Emi bei den Hausaufgaben zu helfen - vielleicht bei Mathe?

Ich zog mir noch schnell bequemere Sachen an und klemmte mir ebenfalls meine Yogamatte unter den Arm. Als Nächstes machten Zoe und ich uns auf den Weg.

Draußen war es an diesem Tag nicht ganz so kalt wie gestern Abend und die Sonne begrüßte uns, als würde sie sich genauso sehr auf uns freuen wie wir uns auf sie.

Ich wusste gar nicht, wann diese Tradition begonnen hatte, aber ich erinnerte mich noch ganz genau, wie unbegeistert ich von Zoes Idee war, an einem Strand im Herbst Yoga zu machen. Schwimmen im Sommer okay. Aber Yoga im Herbst?

Auf dem Weg zum Strand, vorbei an braunen Blättern, die langsam von den Bäumen tanzten, hätte ich Zoe am liebsten alles über den Instagram-Account erzählt, es zog sich sogar noch bis in die ersten Übungen vor Ort hin. Doch Zoe wusste mit meiner Überdrehtheit umzugehen.

„Psst. Hör nur auf die Wellen. Kein Gerade. Lass die Sorgen los."

„Aber ich hab keine Sorgen. Im Gegenteil. Es ist großartig. Wir könnten groß-"

„Psst. Das kannst du mir nachher noch erzählen, Val, aber für diesen Moment genieße die Stille, die dich umgibt, und werde eins mit der Natur."

Ich tat, was sie sagte und tatsächlich. Schon zehn Minuten später fühlte ich mich entspannter als vorher, obwohl kein Mensch ungelenkiger als ich sein konnte. Zoe war ein reiner Zauber. Ich wusste nicht, was ich ohne sie wäre. Die Wellen schlugen leise gegen den Sand und der Wind pfiff sanft durch die Dächer der Bäume und ließ bunte Blätter zu Boden fallen. Während ich weiterhin die Augen geschlossen hielt, erkannte ich erst jetzt die wahre Schönheit des Herbstes. Es war echt eine unglaublich schöne Zeit. Die Kälte sah ich nur als kleine Nebenwirkung wie bei einem Medikament, das der Psyche helfen sollte.

So fokussiert auf die Geräusche meiner Umgebung und der inneren Ruhe, bemerkte ich nicht Zoe, die mich im nächsten Moment an der Taille packte und mich ordentlich durchkitzelte. Ich musste so lachen, dass ich das Gleichgewicht verlor und mit ihr zu Boden sank.

Meine Schwester lachte ebenfalls lauthals und hörte nicht auf mein Flehen, damit aufzuhören.

„Ich höre erst auf, wenn du anfängst, über euren Erfolg zu erzählen, von dem du vorhin begonnen hast. Komm zurück in die Wirklichkeit, Val." Ich bekam kaum ein Wort heraus, obwohl ich es ihr wirklich gerne erzählen wollte. Die Lachanfälle blockierten meinen Redefluss, den ich vorhin nicht besänftigt hätte, hätte Zoe mich nicht unterbrochen.

„Ich höre ja gar nichts darüber. Geht's dir nicht gut, kleine Schwester?" Sie kitzelte mich immer noch und wanderte langsam meinen Bauch hinauf. Dort war ich am empfindlichsten. Nur Zoe wusste das. Und natürlich nutzte sie es als Waffe gegen mich.

„Okay, okay, ich erzähle ja schon. Costa und ich- Stopp!", ich schnappte lachend nach Luft, als Zoe ihre Hände zurückzog und aufstand, um mich hochzuziehen. „Costa und ich haben jetzt schon über 500 Follower und es werden mehr und mehr. Wir sind eine Internetbekanntheit. Vielleicht haben wir in einigen Tagen schon eintausend erreicht. Klingt noch nicht so viel im Gegensatz zu bekannten YouTubern und anderen Aktivisten, aber wir sind wirklich auf einem guten Weg."

Ich plapperte noch so dahin, - keine Ahnung was - während Zoe die Yogamatten einrollte und sich gleich beide unter die Arme klemmte. Der Rückweg kam mir viel kürzer vor als der Hinweg. Meine Schwester hörte wie immer aufmerksam zu und warf hier und dort mal ein Wow oder ein Uiii ein, doch größtenteils spuckte ich die Worte aus wie ein wütender Drache sein Feuer. Zoe tat mir im Endeffekt wirklich leid, als wir Zuhause ankamen und ich ihr nicht einmal gesagt hatte, wie schön ich die Yogaeinheit gefunden hatte.

„Tja, und das ist der aktuelle Stand." Ich öffnete die Haustür für uns und meine Mutter kam uns aus dem Flur entgegen. „Ich hoffe, ich freunde mich mit Hannah ein bisschen mehr an. Schließlich sollte ich wissen, wer meinen besten Freund den Kopf verdreht."

Zoe nickte und sagte: „Ihr werdet euch sicherlich super verstehen. Wenn Costa sie mag, dann kann sie nicht so schlimm sein."

„Naja, denk an ihr Verhalten, als sie mit Costa zu spät gekommen ist, was ich dir erzählt habe." Wir ignorierten unsere Mutter komplett, doch diese hörte keineswegs weg und äußerte sich nun auch.

„Wer ist denn Hannah?"

Gott, ich konnte diese Frage echt nicht mehr beantworten. Sie war im Mittelpunkt unserer ganzen Welt. Ich räusperte mich und versuchte es ihr nun auch noch einmal sanft zu erklären, ohne dabei ausfallend zu wirken. „Hannah ist Costas neuer Schwarm. Sie hatten schon zwei Dates und haben Händchen gehalten. Er hat sie kennengelernt, weil Hannah uns vorgeschlagen hat, über unsere Aktion zu bloggen. Ach ja, habe ich schon erwähnt, dass sie die Redakteurin der Schülerzeitung ist?" Letzteres sagte ich genervter als beabsichtigt. Meine Mutter bemerkte das zum Glück nicht, doch Zoe legte mir ihre Hand auf den Oberarm, damit ich mich beruhigte.

„Wie schön für ihn. Ich muss ihn gleich mal etwas über Hannah fragen. Kommt ihr? Es gibt gleich Essen."

Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass wir Costa ja hier gelassen hatten. Vergessen, wie einen Gegenstand. Ich schämte mich dafür, auch wenn es nicht das erste Mal war, dass er sich ohne mich in meinem Haus aufhielt.

Wir folgten meiner Mutter ins Wohnzimmer, wo Costa mit Emi auf der Couch saß, gebeugt über seitenweise mathematischen Formeln und handgeschriebenen Ketten von Rechnungen.

„Na ihr? Geht's voran?", riss ich die beiden aus den Gedanken. Sofort blickten sie hoch und lächelten breit wie zwei kleine Kinder, wenn ihre Eltern ins Zimmer kamen.

„Besser als bei meinem Versuch, dir Mathe zu erklären. Emi hört viel besser zu." Costa zwinkerte mir zu, woraufhin ich die Zunge herausstrecke.

„Costa erklärt viel besser als Frau Qual", erklärte Emi mir. Ich hatte mich bis heute nicht damit anfreunden können, dass ihre Mathelehrerin Frau Qual hieß. Was mussten sich nur ihre Mitschüler gedacht haben, als sie ihren Berufswunsch geäußert hatte? Automatisch mussten Costa und ich grinsen, weil wir uns diese Frage schon seit dem ersten Tag gefragt hatten, an dem Emi ihre neuen Lehrer aufgezählt hatte.

„Also, kurze Pause und dann geht's weiter, Matheass", motivierte er Emi. Sie klatschte seine Hände ab und rannte zum Esstisch, als hätte sie seit Tagen nichts in den Magen bekommen.

„Mathe ist wirklich deine Spezialität, nicht wahr Mr. Qual?" Ich steckte mir amüsiert die Hände in die Hosentaschen und schlenderte zum Tisch. Costa, der neben mir ging, schwieg und konnte nur darüber kichern. In einem unbemerkten Moment kniff er mir in die Seite. Ich schrie kurz auf.

„Pass bloß auf, Mister! Mach dich bereit auf die Fragen meiner neugierigen Mutter. Sie wird dich so lange auseinandernehmen, bis sie alle Details weiß."

„Details worüber?", fragte er irritiert, doch meine Mutter übernahm die Antwort höchstpersönlich, als wir in die Küche kamen.

„Costa. Ich habe von einer gewissen Hannah erfahren. Wie ist sie so? Habt ihr viel gemeinsam?"

Bevor er darauf antwortete, zog er einen Mundwinkel leicht nach oben und blickte mir düster in die Augen. Ich verkniff mir ein lautes Lachen vor meiner Familie. Mein Vater kam wie immer zu spät aus seinem Arbeitszimmer und setzte sich mit der Begründung, dass er am Verhungern wäre, blitzschnell hin. Dabei merkte er nicht, wie er Costa bei der Erzählung über Hannah unterbrochen hatte. Wir schauten ihn alle böse an, weil es gerade wirklich spannend wurde.

„Was denn? Was habe ich gesagt?", fragte er verwundert und schaute in jedes Gesicht.

Meine Mutter schnaubte verachtend und stellte die Töpfe mit Gemüse, Fleisch und Soße auf den Tisch. „Fahr bitte fort, Costa."

Das tat er natürlich liebend gern und so langsam bildete ich mir ein Bild von Hannah. Einem liebevollen Mädchen mit Zwillingen als nervige kleine Brüder, einer wunderbaren Oma, die für jeden Besuch Schokoladenkekse bereithielt und einem bezaubernden Lächeln, das den Himmel zum Leuchten brachte. Na gut, das mit dem Himmel sagte er nicht so wortwörtlich, hätte er aber, wären wir unter uns gewesen.

Ich pickte in meinem Gemüse herum und versuchte mir den Gedanken aufzudrängen, Hannah wäre eine wunderbare Person, die Costa nicht von mir abschotten wollte. Für diesen Moment gelang es auch tatsächlich, aber ich wusste einfach nicht, wieso ich dennoch so wütend auf seine Erzählungen reagierte.

Nach dem Abräumen gähnte Emi so laut, dass meine Mutter vorschlug, sie jetzt schon ins Bett zu bringen. Schließlich wäre es doch ein harter Tag gewesen, fünf Stunden mit der Schere und einer Klebe zu basteln. Das war natürlich anstrengender als mein Tag mit acht Stunden langweiligem Unterricht und jeder Menge Hausaufgaben, die viel schwerer waren als Emis.

„Hey! Hey! Valeria, räum das Geschirr nicht so aggressiv ein!", warf mein Vater mir vor. Zugegeben, ich hatte das Geschirr tatsächlich ziemlich laut in die Geschirrspülmaschine einsortiert, aber wirklich nicht mit Absicht. Costa kam herbei und wollte helfen.

„Tut mir leid", entschuldigte ich mich bei allen Anwesenden und verließ mit meinem besten Freund den Raum.

„Ich muss langsam nach Hause", gab Costa bekannt und zog sich schon gleich die Schuhe an. Ich reichte ihm die Jacke.

„Ich komme noch mit dir."

„Musst du nicht."

„Ich will aber."

Darauf erwiderte er nichts. Vielleicht hatte es ihm die Stimme verschlagen, dass meine Mutter ihn so durchlöchert hatte, auch wenn er es genossen hatte.

Draußen schwangen wir uns auf die Räder und fuhren Richtung Sandweg. An einem gewissen Punkt, wo ich mich aus meinen Gedanken reißen konnte, rief ich Costa zu, kurz anzuhalten. Es war dunkel und die silberne Sichel des Mondes zog sich langsam über dem Wasser hervor.

„Wir müssen das fotografieren. Und dann fügen wir irgendwas ins Bild ein, wie ein Spruch, das unser Motto stärkt, okay?"

„Okay", meinte er und ließ das Rad ins Gras fallen. „Gib mir das Handy. Ich kann gut fotografieren." Das stimmte sogar. Mit dreizehn hatte er einen Fotografierwettbewerb gewonnen, worauf er eigentlich nur aufmerksam geworden war, weil ich es ihm erzählt hatte. So hatte ich jetzt auch seine Aufmerksamkeit auf diese wunderschöne Kulisse gerichtet. Also reichte ich ihm das Handy.

„Perfekt", sagte ich stolz, als ich mir das Foto auf meinem Handy ansah: „Ich bearbeite es und poste es gleich."

Wir stiegen wieder auf und fuhren zu Costa nach Hause. Dort ging ich aber nicht mehr rein, sondern verabschiedete mich sofort. Costa sah nämlich viel zu müde aus und ich wusste, dass, wenn ich reinkäme, ich mich entweder noch verquatschen oder bei ihm bleiben und schlafen würde. Und weder das eine noch das andere taten Costas Schlafeinheit gut. So fuhr ich gleich wieder nach Hause und setzte mich später an den Post. Mein Resultat sah folgendermaßen aus: ein wunderschöner Mond im Dunkeln über der glatten Seeoberfläche und am Rand der Spruch Die schönsten Momente erlebt man mit Freunden. Ich drückte auf Posten und schon war es der Welt zum Fraß vorgeworfen.

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