Kapitel 6
Nachdem sie Evan verlassen hatte, streifte Minerva ein wenig planlos durch den kleinen Wald. So wie sie Evan einschätzte und in Anbetracht der Menge der Besorgungen, die auf dem Zettel standen, würde er vermutlich nicht vor 4 Stunden zurückkehren. Also hatte sie noch Zeit.
Ihre Füße führten sie wie von selbst durch die feuchten Blätter der Bäume,die auf dem dunklen Waldboden lagen, und so kam es, dass sie sich nach einer Weile vor den verschiedensten Kräutern wiederfand, die sie pflückte, sortierte und zu kleinen Bündeln zusammenband. Sie hatte diese wohlvertrauten Orte schon oft besucht, so oft, dass sie die Wege schon auswendig kannte und während des Weges zu anderen Orten, über unwichtige Sachen nachdenken und den Wald in seiner Pracht bestaunen konnte.
Das Licht, das sich in dem verschiedenfarbigen Blätterdach brach, und an von Wasserbenetzten Pflanzen hängen blieb, die großen Bäume, die Minerva wieso oft das behütete Gefühl gaben, beschützt zu sein, und das rege treiben der kleinen und großen Tiere des Waldes, die ihr Leben mehr oder weniger friedlich lebten. Der Geruch nach Wald hing überall in der Luft. Und Mina zog ihn gierig ein.
Als es gegen Mittag wärmer wurde und sie ihren Umhang gerade in ihren so schon gut gefüllten Rucksack zu stopfen versuchte, da er so nur hinderlich im Wald war , hörte die Kräutersammlerin es in den Büschen hinter sich rascheln. Rasch stand Mina auf, schloss ihre Augen und konzentrierte sich. Das Rascheln wurde lauter und sie meinte die schlurfigen Schritte ihres Meisters zu erkennen. Schemenhaft konnte sie den vertrauten Geist in ihren Gedanken vermachen.
,, Fox, was soll das? Du warst schon mal besser."
,, Ich war auch schon mal jünger, junges Fräulein. Wann wolltest du dich eigentlich von mir verabschieden, hm? Ich kann dir doch nicht immer hinterherlaufen, mit meinen alten Knochen."
Erstaunt riss sie ihre Augen auf. ,, W- woher wusstest du..."
,, Ich weiß vieles, mein Kind. Zum Beispiel, dass die Kräuter, die du gesammelt hast, gut für Reisen sind. Ich beobachte dich schon seit einer Weile und nebenbei gesagt, du warst auch schon mal besser. Hier ein paar essbare Wurzeln."
Sie starrte geschockt auf die unförmigen blassen Dinger, die der Alte ihr hinhielt und nahm sie zögernd an. Das war jetzt wirklich das letzte,was sie geglaubt hatte auf der Lichtung zu finden, auf der sie sich befanden. Keinen Fox und keine blassen Wurzeln.
,, Danke...schätze ich", sagte Mina langsam, immer noch durcheinander und verwirrt.
Der Greis kam nun auf sie zu und legte seine sehnigen, faltigen Arme um sie und zog sie in eine Umarmung. Er kicherte sein krächzendes Kichern in Minas Ohr,das ihr dabei so kitzelte, dass sie sich am liebsten daran gepackt hätte. Zögernd und vorsichtig erwiderte sie die Umarmung.
,, Ich wollte dir nur sagen", flüsterte Fox ihr ins Ohr, als ob es das größte Geheimnis der Welt wäre, ,, Dass man sich um an sein Ziel zu gelangen manchmal auch mit Umwegen zufrieden geben muss. Lebe wohl,junge Minerva." Dann verschwand er so schnell, wie er gekommen war in den dichten Büschen.
Mina schaute ihm traurig und fassungslos hinterher. Nur zwei Personen konnten diese Gefühle in dieser stärke in ihr hervorrufen, Fox und José. Beide hatten sie verlassen. Das dunkle Loch in ihrer Brust wurde immer größer, dachte sie betrübt. Und mit ihm auch ihre Traurigkeit.Warum musste sie nur so allein sein? Mina kniff leicht genervt ihre verdächtig wässrigen Augen zusammen und schüttelte entschieden denKopf, als sie sich an Josés Worte erinnerte:
,,Was ist denn los, süße?" Zwei lange und wohlbekannten Beine traten in Minas verschwommenes Blickfeld. Die schmutzigen Hosenbeine waren unten zulang und mehrmals umgekrempelt, was jedoch nichts daran änderte,dass diese ziemlich mitgenommen und zerfleddert aussahen. Sein dunkelblonder Strubbelkopf, der schon lange keinen Kamm oder eine ordentliche Seifenwäsche gesehen hatte, näherte sich vorsichtig dem kleinem, verschmutzten Mädchen, das seinem ozianblauen Blick totzig ausweichte und beschämt auf den Boden schaute. Ihre eigentlich goldene Mähne war wirr und schmutzig und stand in alle möglichen Richtungen ab, die mit Augenringen und rot unterlaufenen braunen Augen schlossen sich und sie schniefte mit ihrer kleinen Nase, als ihr großer Bruder ihr kleines Kinn in seine schmutzige Hand nahm und ihren Kopf hob, um ihr Gesicht zu mustern. ,, Du weinst schon wieder?" Er seufzte einmal ergeben und nahm die kleine Gestalt in den Arm. ,, Weißt du, mir ging es dir schon mal so ähnlich wie dir und ein weiser Mann hat mir dann folgende Worte gesagt:
' Schaue nicht auf den Boden, sieh in den Himmel. Sieh nach vorne in eine Welt, die darauf wartet von dir erkundet und erobert zu werden. Du siehst ihre Schönheit nicht, wenn du sie nicht beachtest.'
'Und was ist,wenn ich keine Welt sehe, in der es sich lohnt zu Leben? Was ist,wenn sie in meinen Augen voll Fäulniss und Hass ist? Ein Ort, an dem Menschen geboren werden um zu sterben?', hatte ich damals gefragt.
' Nun, zu aller erst solltest du wissen, dass es auf dieser Welt nichts geschenkt gibt. Wenn es keinen Hass geben würde, gäbe es auch keine Liebe. Keine Armut, kein Reichtum, kein Tod, kein Leben. Und wenn du das verstanden hast, kannst du damit anfangen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Du kannst die Armut nicht aus dieser Welt vertreiben, das ist unmöglich, du kannst aber einer der wenigen Menschen sein, die sich gegen sie einsetzen. Gegen das Böse zukämpfen. Aber zuerst, bekämpfe dich. Denn du bist dein größterFeind, vergiss das nie.'' "
Er kratzte sich verlegen an seinem Kopf. „Oder so."
Nein. Sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Sie würde José finden. Und so oft aufstehen, wie es nötig war, bis sie ihn gefunden hatte. Das war sie ihm schuldig.
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