82. Scott McCall and Raven Cooper #lethergo
Bevor ich realisiere was passiert, kniet Scott besorgt neben mir. Ihr müsst gehen und zwar ohne mich. Vielleicht nicht die beste Methode um mich in das Streitgespräch der Beiden einzumischen und dann auch noch dasselbe vorzuschlagen wie Theo, der diese Möglichkeit schon seit Minuten in Betracht zieht. Ich unterdrücke ein Husten und richte meinen Blick auf den Alpha. Er hat seine Augen minimal aufgerissen und mustert mich mit sichtbarer Besorgnis. Jedoch schweigt er, während ich im Hintergrund bereits Schritte und Stimmen höre. Sie sind bereits so weit in unsere Richtung vorgedrungen, dass selbst mein geschwächter Körper die Verstärkung meines Gehörsinns ohne größere Schmerzen erledigt. Trotzdem vermute ich die Angreifer noch gute fünf Seitengänge entfernt.
Meine Augenlieder nehmen erneut an Gewicht zu und ich muss einen Fixpunkt suchen, um mich wachzuhalten. Dieser Punkt ist das Gesicht des Alphas. Mit halbgeschlossenen Augen mustere ich ihn, während er seine Hand um meine eigene schlingt. Für wenige Sekunden vergesse ich die Angreifer und konzentriere mich auf den Teenager vor mir.
Die Wärme seiner Berührung geht in der Hitze der Schmerzen über und flatternd lasse ich meine Augen über sein Gesicht wandern. Über den unsymmetrischen Kiefer, welcher seinem Gesicht einen kantigen, fast schon bedrohlichen, Schliff verleiht - ein fast schon lachhafter Bruch zu seinem aufrechten Charakter. Meine Augen schweifen über seine schmalen, jedoch geschwungenen, Lippen und bleiben kurzzeitig an der Narbe auf seinem linken Wangenknochen hängen. Bisher hatte ich mir noch nie die Frage gestellt, woher sie kommt. Wie lange er sie schon hat. Aber in dieser Sekunde ist wohl der schlechteste Moment um den Ursprung der Narbe zu erfragen.
Meine Augen drohen mir zuzufallen. Ich versuche wach zu bleiben, doch meine Lieder schließen sich und unkontrolliert fällt mein Kopf nach vorne. Die ruckartige Bewegung reise mich aus der Dunkelheit und nimmt meinen Augen die Schwere. Ich reise meine Augenlieder auf und Scott taucht erneut in meinem Blickfeld auf. Für ihn muss ich meine Augen nur für wenige Sekunden geschlossen haben. Ein Wimpernschlag. Für mich war ich jedoch wesentlich länger in der Dunkelheit meines erschöpften Körpers gefangen.
Meine Augen wandern über seine Nase und über seine Haare, die trotz des Kampfes noch scheinbar perfekt sitzen. In dem halbdunklen Gang wirken sie pechschwarz und ich bin mir sicher, in den einzelnen Strähnen Locken zu erkennen. Ich frage mich, was mit seiner Frisur passieren würde, wenn er seine Haare nur wenige Zentimeter länger tragen würde. Aus dem wahren Alpha mit Lederjacke und Badass Blick würde ganz schnell ein unschuldiger High School Schüler mit einem unbeholfenen Auftreten werden. Ich frage mich, was aus uns geworden wäre wenn ich ihn vor der Geschichte mit meinem Vater kennengelernt hätte. Vor dem Mord an meiner Mutter. Vor dem Mord an Rose. Vor dem Liebesdrama mit Ryan.
Wäre aus uns Beiden was geworden?!
Meine müden Augen verfangen sich in seinen und in dieser Sekunde bin ich froh darüber, dass er mich nicht aus den blutroten Augen eines Alphas anstarrt. Stattdessen starren mich seine dunkelbraunen Augen an, denen komischerweise die Dunkelheit des Raumes nichts auszumachen scheint. Die braune Farbe scheint so rein und aufgelöst wie immer. Mir fällt der kleine Leberflecke unter seinem linken Auge auf und seine schwarz geschwungenen Wimpern. Ich spüre seine Sorge, die wie ein tonnenschweren Gewicht auf ihm zu liegen scheint und seine Hand, die sich noch immer an meine klammert. Ich frage mich, ob er sich in dieser Sekunde genauso hilflos fühlt, wie ich es dank meiner Schussverletzung bin. Ich stelle fest dass sich ein wässriger Schimmer in meinen Augen gebildet hat, bin jedoch zu schwach um mir über die Augen zu wischen. Stattdessen blinzele ich schnell und versuche die Aufmerksamkeit der beiden Jungen durch ein einfaches Räuspern auf mich zu lenken.
„Scott," hauche ich mit einer immer schwächer werdenden Stimme, „Du hast gesagt ich bin ein Teil des Rudels. Dass du immer nach mir suchen würdest. Das du mich nie vergessen würdest!" Schon allein dieser Teil meiner eigentlich, viel länger geplanten, Rede raubt mir den Atmen und hustend muss ich mich selbst unterbrechen. Scott ist noch immer dicht neben mir und umklammert meine Hand etwas fester, als mich der Hustenanfall erfasst und meinen ganzen Körper schmerzhaft erschüttert. Theo dagegen lässt seinen Blick besorgt zwischen uns und den verschiedenen Türen des Ganges schweifen. Die Waffe in seiner Hand liegt ruhig. Trotz seinen schweren Verletzungen zittert er nicht.
Er wird McCall hier rausbringen können.
Da bin ich mir sicher.
„Raven," übertönt Scott mein Husten und trotz meines bebenden Körpers, glaube ich in seiner Stimme einen tränenerstickten Unterton zu erkennen. Als sich mein Körper wieder etwas beruhigt hat und ich meinen Blick auf das Gesicht des Alphas lege, bemerke ich erneut einen wässrigen Filter auf dem empfangenden Bild. Ich blinzele hektisch und schiebe die Tränen in meinen Augen auf den Husten und die brennenden Schmerzen in meinem gesamten Körper. Ich ignoriere Scotts besorgten Blick und spreche weiter: „Jetzt ist die Zeit gekommen, um es zu beweisen!"
Ich möchte mich leicht nach vorne lehnen und Scott berühren. Doch schon allein diese winzige Bewegung lässt mein Blickfeld aus den Fugen geraten. Es fängt an sich wild zu drehen und kurzzeitig verliere ich die Kontrolle über meinen Körper und kippe leicht zur Seite. Eine Hand ist sofort an meiner Schulter und stützt mich. Ich vermute dahinter Scott, während er mich sanft zurück an die Wand schiebt und ich meinen pochenden Kopf dagegen lehnen kann. Für wenige Sekunden schließe ich meine Augen und genieße den kalte Beton an meinem Hinterkopf. In die Dunkelheit schleicht sich Theos unruhige Stimme: „Komm schon Scott. Ich konnte den einen Typen vorher zwar erledigen aber es kommen mehr," er macht eine dramatische Pause bevor seine Stimme durch die Dunkelheit erneut an meine Ohren dringt, „Wir müssen hier endlich weg und mit mehr können wir es nicht aufnehmen, das weist du genauso gut wie ich!"
Auch ohne die Augen öffnen zu müssen, höre ich wie Scott einatmet um seinem Beta erwartungsgemäß zu widersprechen. Doch bevor er auch nur ein Wort über die Lippen bringen kann, übe ich einen leichten Druck auf seine Hand aus und zwinge mich dazu, erneut meine Augen zu öffnen.
„Das letzte Mal meinte ich, dass du und dein Rudel mich retten werden," flüstere ich jetzt leise und bin selbst über meine zaghafte Stimme geschockt. Trotz der Lautstärke klinge ich rau und so, als hätte ich seit Jahren nichts getrunken. Ich möchte mich räuspern, bemerke dann jedoch, dass dies nichts bringt. Also schlucke ich einmal schwer und werde im nächsten Moment bereits von McCall unterbrochen: „Das werden wir auch," er übt etwas mehr Druck auf meine Hand aus und wirft Theo einen kurzen Blick zu, „Wir werden nicht ohne dich von hier weggehen!"
„Sprich für dich selber Alpha," wirft der Beta jetzt aus dem Hintergrund ein und klingt vor allem bei dem Titel von McCall höhnisch und herablassend. Innerhalb weniger Sekunden hat Theo seine Rolle als Teil des Rudels hinter sich gelassen und gegen die eines Einzelkämpfers getauscht. Ich kann sehen wie er eine Waffe nachlädt. Ich vermute, dass er sie irgendwann zwischen unserem Gespräch von dem toten Eindringling abgenommen hat. „Ohne ihn wirst du hier nicht rauskommen," murmele ich und blinzele heftig um meinen Körper vom Einschlafen zu bewahren. „Ohne dich gehe ich aber nicht," entgegnet Scott und ignoriert die Fluchtgedanken seines Betas zu meiner Überraschung vollkommen. „Doch Scott," sage ich jetzt mit einer lauteren Stimme, die den Alpha kaum merklich zusammenzucken lässt. Scheinbar hatte er von mir nicht mehr annähernd so viel Kraft erwartet.
Die nächsten Worte überlege ich mir gut.
„Crowley ist Tod. Meine Arbeit hier ist getan. Aber du Scott hast noch so viel zu tun. Also ver...," bevor ich meinen Satz beenden kann, wirft Scott fragend ein: „Und was ist mit Peter?" Ich bin überrascht über seinen Einwurf, der mir gleichzeitig seine Verzweiflung zeigt. Scott war nie einverstanden mit meiner Jagd nach dem Mörder meiner Mutter und ihn jetzt ins Spiel zu bringen zeigt mir nur noch mehr, dass ich ihm nicht gut tue. Ihn hier für mich sterben zu lasse wäre mehr als nur falsch. „Karma, Scott," flüstere ich leise und mit einem blutverschmierten Lächeln, „Er kann zwar rennen, aber sich nicht davor verstecken!"
„Und du? Was ist mit dir?" fragt Scott aufgelöst und die Sorge in seinen Stimme droht die tatsächlichen Schmerzen in meinem Körper zu übertrumpfen. Er scheint zu verstehen, dass ich in meiner Position nicht nachgeben werde und die Gefühle die er bei dieser Realisation ausströmt tun mir fast schon mehr weh als die tödliche Kugel in meinem Bauch.
„Ihr habt mich gerettet," erwidere ich und ein Hustenreiz verwandelt mein Körper erneut in bebenden Untergrund. Erst als Scott mir behutsam eine Strähne aus der Stirn streicht, lässt die Verkrampfung meiner Bauchmuskeln nach und ich kann aufhören zu husten. „Raven das ist...," ich unterbreche Scott bevor er überhaupt weiterreden kann, „Du wirst jetzt aufstehen und mit Theo das Gebäude verlassen...und weißt du auch wieso?"
Scott schüttelt den Kopf und ich entscheide mich, meine eigene Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten. „Vertraust du mir?" Dieses Mal nickt der Alpha und ich spüre eine kurze Hitzewelle in meinem Herzen. „Dann stehst du jetzt auf und gehst. Du gehst jetzt da raus und führst dein normales Leben weiter. Und dass wirst du auch können, weil du eine Sache über mich genau weißt," ich halte inne und warte darauf dass Scott meinen eigenen Satz vollendet.
„So schnell bist du nicht Tod zu kriegen!"
Ein kleines Lächeln bildet sich auf meinen Gesicht, als der Alpha sich an meine eigenen Worte zurückerinnert, die ich ihm damals in der Tierklinik eingeredet hatte. Damals war ich von ihnen genauso überzeugt, wie von der Jagd nach Peter. Doch in diesem Moment scheint alles verändert. „Ich werde ohne euch zurecht kommen. Außerdem habe ich noch die hier," demonstrativ hebe ich die Waffe in meinem Schoß minimal hoch. „Wir werden zurückkommen," wendet Scott jetzt versprechend ein und witzelnd erwidere ich: „Keine Sorge ich gehe nirgendwo hin!" Ich kann Scott kein Lächeln entrauben. Wir beide wissen irgendwie, dass sie nicht rechtzeitig zurückkommen werden. Dass ich dann nicht mehr hier sitzen werde. Zu mindestens nicht mehr lebend. Doch sich die Hoffnung auf ein Wiedersehen einzureden ist die einzige Chance, um die beiden verletzten Teenager zu retten. Denn die Schritte aus den Gängen kommen immer näher. Sie sind noch zwei Seitengänge entfernt.
Scott drückt fest meine Hand, bevor er sich von ihr löst. Dann lehnt er sich kaum merklich nach vorne und drückt mir einen sanften Kuss auf die Stirn. In meinen Augen bilden sich Tränen, als ich bemerke, dass er dabei fast dieselbe Art Verabschiedung verwendet wie ich als ich mich für Crowley entschieden habe. Damals habe ich ihn verlassen. Heute verlässt er mich. Manche Dinge gehören wohl einfach nicht zusammen.
„Wir sehen uns wieder?" fragt Scott hörbar unsicher als er sich von mir löst. Auch ihm dürften die näherkommenden Schritte nicht entgangen sein. „War jemals einer unserer Abschiede von langer Dauer?" stelle ich ihm eine provokante Gegenfrage, die er nicht beantworte. Stattdessen hängt sein Blick noch wenige Sekunden unschlüssig auf mir, bevor er langsam einen Schritt zurückweicht. Ich wische mir die Tränen aus den Augen, als er sich endlich von mir wegdreht und Theo mit einem kurzen Nicken symbolisiert, dass er zum Gehen bereit ist. Auch der Beta wirft mir einen letzten Blick zu, bevor er sich in Bewegung setzt und den Gang entlang humpelt. Scott folgt ihm schweren Herzens, wobei mir sofort sein geschwächter Körper auffällt. Ein Kampf gegen Crowleys Anhänger hätte er niemals überlebt. Auch wenn er jetzt einen Kampf mit sich selber führen muss.
Doch bevor sie die Türe zum nächsten Raum passieren, dreht sich der Alpha noch ein letztes Mal zu mir um. Meine Augen flattern und füllen sich mit Tränen. Automatisch wandert mein Blick ein letztes Mal über McCall und speichert jedes Detail von ihm. Ich nicke ihm leicht zu und schließe die Augen. Ich weiß nicht, ob er wiederkommen wird. Ich weiß nicht, ob ich wiederkommen werde. Doch jetzt wo ich Scott auf den Weg in Sicherheit weiß, fällt eine schwere Last von meinem Brustkorb. Selbst die anstehende Bedrohung durch Crowleys übriggebliebenen Anhänger kann mich nicht länger beunruhigen.
Dieses Mal mache ich mir erst gar nicht die Mühe, gegen die Erschöpfung anzukämpfen. Stattdessen empfange ich die Erleichterung die mit dem Schließen meiner Augen einhergeht. Ich spüre wie sich der Griff um meine Waffe löst. Ich spüre wie eine Schwere von mir abfällt und ich langsam in die Dunkelheit abdrifte. Ich frage mich wo das helle Licht am Ende des Tunnels bleibt. Doch bevor mir diese Frage beantwortet wird höre ich die leise Stimme meiner Mutter. Lass los Raven. Komm zu mir. Eine weitere Last fällt von meinem Körper und zum ersten Mal seit dem Tod meiner Mutter habe ich nicht das Bedürfnis mich an ihrer Stelle zu rächen. Die Mordgedanken fallen von mir ab und ich spüre eine Art Frieden in mir. Einen Frieden, denn ich schon eine lange Zeit nicht mehr spüren konnte, und der mir in diesem Moment die Ruhe verschafft um mit dem Denken einfach aufzuhören. Ich falle in eine ungewisse Dunkelheit und liebe es.
Wenn sich so zu Sterben anfühlt, dann hätte ich es vielleicht schon viel früher versuchen sollen.
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Wichtig: Heute um 23 Uhr kommt das letzte Kapitel/Epilog 🙈😭 und damit wären wir auch schon am Ende dieser wundervollen Geschichte.
Würde mich freuen wenn ihr alle bis zum Ende bleibt, auch wenn sich schon dieses Kapitel wie das endgültige Ende anhört 🙏🏻
Lg CoolerBenutzername
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