42. Scott McCall
Ich sehe Scott McCall in der dämmrigen Dunkelheit der Nacht stehen. Der trübe Schein des Mondes erreicht nur gebrochen das Trümmerhaus und fällt somit auch nur vereinzelt in das Wohnzimmer, das durch die Trümmern und die alten Möbeln zerstörter aussieht als das ganze Haus von außen. Trotz den vielen Hindernissen, die das Licht des Mondes bewältigen muss um in das Zimmer fallen zu können, hat es ein Teil des Lichtstrahles geschafft sich direkt auf das Gesicht von Scott McCall zu legen, welches mir nur leicht zugewendet ist.
Ich zögere, bevor ich eintrete und lasse stattdessen mein Blick auf dem wahren Alpha ruhen. Er trägt eine dunkle Jeans, die im Schatten des Raumes nahezu schwarz wirkt. Sein Shirt ist schneeweiß - ungewöhnlich - jedoch trägt er darüber seine typische braune Jeansjacke. Ich atme tief durch, bevor ich aus dem Schatten des Ganges trete und über die Türschwelle hinweg selbstbewusst in den Raum trete. Doch Scott dreht sich nicht sofort instinktiv zu mir um. Somit scheint er schon längst von meiner Anwesenheit zu wissen - er ist ein Alpha. Logisch. Ich fahre mir durch die Haare und lecke mir kurz über die rauen Lippen. Dann sage ich selbstbewusst: „Gut das du hier bist!" Selbst in diesem Moment bringe ich kein Danke hervor. Ich suche nach weiteren Worten, während sich Scott langsam zu mir dreht. Für wenige Sekunden halte ich seine Augen für rot. Doch dann verschwindet die kurze Lichtspigelung in seinen Pupillen und ein trüber Schatten legt sich über sie.
„Was ist passiert Raven?" lautet McCalls Frage, die er mit so viel Nachdruck ausspricht, dass ich kurz den Kloß in meinem Hals herunterschlucken muss. Ich vermute, dass er den Rippenbruch bereits bemerkt hat - ob an meinem Geruch oder meinen Bewegungen - jedoch vermute ich, dass er mit seiner Frage nicht dessen Ursprung hinterfragt. „Crowley hat einen neuen Partner und ist bereit, euch alle an ihn auszuliefern!" antworte ich jetzt wahrheitsgemäß, packe dabei jedoch nur die Informationen zusammen die der Alpha von unserem gestrigen Gespräch noch wissen sollte. „Wer ist es?" Sowohl an seinem Blick, als auch an seinem Unterton erkenne ich bereits, dass auch Scott schon die ein oder andere Vermutung über die Identität des geheimnisvollen Partners hat, während ich noch immer nach den richtigen Worten suche.
„Wenn die Person hier ist, dann wird sie euch finden. Sie weiß alles über euch und sie wird euch töten," ich zögere kurz, bevor ich mit mehr Nachdruck weiterspreche, „Vor allem dich McCall. Sie will vor allem dich tot sehen!" Scott wirkt trotz meinen Worten nicht sonderlich geschockt oder alarmiert, was ich bereits erwartet habe. Ich spreche noch immer um den heißen Brei herum: „Sie ist noch nicht in der Stadt, wird es aber in den nächsten Tagen sein. Es wäre das beste wenn du und dein Rudel...,"
Scott unterbricht mich.
„Raven wer ist der Partner?" Ich verdrehe über seinen Einwurf demonstrativ genervt die Augen entscheide mich dann jedoch dazu, ihm endlich den Namen zu sagen und die sanfte Heranführung an ein anderes Thema auch einer anderen Person zu überlassen. So bin ich nun mal. „Es ist Tamara Monroe!" Dieser Name erweckt in McCall tatsächlich eine unvorhergesehene Reaktion: Überraschung. Dann Verwunderung. „Die Gestaltenwandler deines Vaters haben dich doch vor ihr gerettet," ich brache keine Hilfe um mich noch an den Tag zurück erinnern zu können, wage es in dieser Sekunde jedoch nicht Scott unhöflich zu unterbrechen, „Warum arbeitet er also mit ihr zusammen?!"
„Das ist eine Frage, deren Antwort ich selbst noch nicht herausfinden konnte," antworte ich jetzt ehrlich und fahre mir unruhig durch das platinblonde Haare. Ich spüre McCalls Blick auf mir und fühle mich dazu verpflichtet weiterzureden: „Ich habe zwar die ein oder andere Vermutung aber nichts handfestes!" Verstehend nickt der Alpha und tritt wenige Schritte näher zu mir. „Sie kommt also nach Beacon Hills," der erste Teil seines Satz klingt fraglich, „bist du dir sicher?" Meine Augen finden seine und ich verbeiße mir ein ironisches Kommentar. Stattdessen antworte ich ein weiteres Mal wahrheitsgemäß: „Ich habe die beiden am Telefon gehört. Crowley hat ihr zugesichert, dass ihr hier seit und sie will kommen und euch töten. Mein Vater hat ihr sogar zugesichert, dass er mich an deine Ferse hängt um unerwartete Missgeschicke verhindern zu können!"
„Sie weiß also, dass du seine Tochter bist und will trotzdem mit ihm zusammen arbeiten?" fragt Scott jetzt hörbar verwirrt nach und erst in diesem Moment bemerke ich meine teils fälschliche Aussage. „Sie weiß dass Crowley eine Tochter hat. Aber sie weiß nicht, dass ich es bin und sie weiß schon gar nicht, dass er eine übernatürlich geprägte Tochter hat!" Ich atme kurz durch und fahre erneut durch meine Haare. McCall scheint meine Worte zu verstehen, scheint im ersten Moment jedoch keine weiteren Fragen an mich zu haben. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass er auf den Grund wartet, wieso ich hier bin. Warum ich ihn überhaupt vor Tamara Monroe warne.
Ich räuspere mich und sage mit fester Stimme: „Sie möchte euch alle umbringen und ich halte es für die richtige Idee, dass ihr für eine Weile untertaucht!" „Du willst, dass wir Beacon Hills verlassen? Das wir fliehen?" Ich kann nicht glauben, dass in dem Unterton von McCall doch tatsächlich ein ungläubiges Lachen mitschwingt. Er erscheint mir für die Situation viel zu locker und es entspricht auch keinen Fall seinem Charakter. „Ja natürlich sollt ihr raus aus dieser Stadt. Wir konnten schon Crowley allein fast nicht besiegen und mit Tamara zusammen...," den Rest meines Satzes lasse ich dramatisch in der Luft hängen. Ich möchte - trotz aller rationaler Gedanken - Scott dieses amüsierte Lächeln aus dem Gesicht schlagen. Doch bevor ich nachgeben kann, verschwindet das Lächeln selbst aus seinem Gesicht. Trotzdem kann ich mir ein bissiges „Was gibt es da zu Lachen?" nicht mehr verkneifen.
„Sorry," sagt McCall jetzt sofort mit einer entschuldigenden Haltung und das leichte Lächeln auf seinen Lippen lässt meine Wut auf ihn sofort wieder verfliegen: „Aber du musst verstehen," er zuckt leicht mit den Schultern, „Dein Ersatzvater, Matty, er hat mir damals erzählt dass du nach eurem letzten Gespräch so wütend auf ihn warst weil er dir vorgeschlagen hat die Stadt zu verlassen!" Langsam nicke ich bei den Worten von Scott, verstehe jedoch noch lange nicht worauf er mit dieser Erklärung hinaus möchte. Außerdem bin ich nicht gerade in der Stimmung um an die hässliche Ausseinandersetzung mit Matty erinnert zu werden. Denn bisher bin ich noch immer nicht dazu gekommen mich bei ihm zu entschuldigen.
„Er meinte du würdest es nie im Leben in Erwägung ziehen, weil es feige wäre," zustimmend nicke ich. Soweit hat er alles richtig verstanden, „Und trotzdem schlägt du es mir gerade vor!" Sein Blick bleibt auf mir hängen und endlich verstehe ich, was er sagen möchte. Deshalb nicke ich langsam vor mich, während ich innerlich nach der richtigen Erwiderung suche. Jedoch möchte mir nichts zu dieser Bemerkung einfallen. Denn er hat Recht. Ich tue genau das, was Matty damals für mich getan hat...und trotzdem fühlt es sich in dieser Sekunde anders an. Dieses Mal fühlt es sich nicht wie Wegrennen an. Es fühlt sich nicht so an, als würde ich den Alpha und sein Rudel zu einer feigen Aktion überreden. Es fühlt sich einfach nur Richtig an, ihn um diesen Gefallen zu bitten.
„Du solltest uns inzwischen gut genug kennen, um zu wissen das wir nicht einfach wegrennen," wendet Scott jetzt langsam ein, wobei ich in seiner Stimme nur Ehrlichkeit heraushören kann. Er wirkt von meinem Vorschlag nicht angegriffen oder beleidigt. Stattdessen schenkt er mir erneut ein winziges Lächeln. „Also bleibt ihr hier in der Stadt?" frage ich leicht nickend, auch wenn ich schon genau weiß, dass ich den Alpha wohl nicht mehr überreden kann. „Du meintest sie würde erst in den nächsten Tagen in die Stadt kommen. Das heißt wir haben noch ein paar Tage um alles vorzubereiten und...ja," er zuckt leicht mit den Schultern und wieder nicke ich verstehend. Ich hätte es tatsächlich wissen sollen, dass McCall nicht so einfach vor einem Gegner flieht.
Vielleicht sind wir uns trotz allem doch nicht so unähnlich wie von mir gedacht.
„Ich sollte gehen. Wenn Crowley bemerkt das ich hier bin, dann wird er mich wahrscheinlich umbringen," obwohl in meinem Satz so viel Wahrheit steckt, spreche ich sie mit einem Lächeln aus. Zur selben Zeit drehe ich mich von dem Alpha weg und steuere die Eingangstüre des Hauses an. Obwohl dieses Gespräch aus meiner Sicht ein totaler Reinfall hätte sein sollen, fühlt es sich nicht wie einer an. Stattdessen hat McCall mir wieder einmal klar gemacht, dass ihn immer wieder aufs Neue unterschätze.
„Wirst du ihn jetzt anrufen?" ertönt Scotts Stimme in meinem Rücken und wie so oft bewegt mich seine Stimme dazu in meiner Bewegung inne zu halten und mich ein letztes Mal zu ihm umzudrehen. Doch dieses Mal spüre ich dabei ganz deutlich die gebrochene Rippe und die pulsierenden Schmerzen. „Wen?" frage ich jetzt hörbar verwirrt und starre den Alpha fragend an. „Matty!" Ich erinnere mich an die Deadline die Scott mir gesetzt hat, bevor er selbst meinen Ersatzvater anrufen wird. „Ich meine jetzt wo du weist, wie er sich damals gefühlt hat und jetzt wo du weist, wie es sich selbst anfühlt!" Ich lege meinen Kopf leicht schräg und denke über die Worte des Alphas nach.
Er hat Recht.
Oder nicht?!
Ich verzögere meine Antwort und versuche erneut ernsthaft über seine Worte nachzudenken. Dann jedoch entscheide ich mich dazu auf mein Herz zu hören, anstatt auf meine Vernunft. „Ich werde ihn anrufen," antworte ich jetzt mit einem leichten Nicken, was Scott ein breites Lächeln ins Gesicht zaubert. Auch ich lächele ihm leicht zu, bevor ich mich endgültig von ihm wegdrehe und das Haus verlasse. Dabei fühle ich mich mit meiner Entscheidung, endlich über meinen Schatten zu springen und Matty anzurufen, so gut wie schon lange nicht mehr.
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