♕ Wie die Hand einer Prinzessin zur Trophäe wird [II] ♕


Das sorgsam aufrecht erhaltene Lächeln verrutschte beinahe noch im gleichen Moment, in welchem Sienna ihrem Vater das erste Mal in die Augen blickte. Sein Antlitz war so undurchdringbar und klar umrissen, wie die gemeißelten Marmorsäulen, welche die verzierte Decke des Ballsaals hinter ihnen stützten. Doch der Ausdruck in seinen Augen veranlasste die Prinzessin fast dazu, ihren Entschluss sogleich wieder fallen zu lassen. In den braunen, mit grünen Einsprengseln durchsetzten Iriden glomm in genau diesem Augenblick nicht jene warmherzige Zuneigung, die König Raeburn sich eigens für die Mitglieder seiner Familie reservierte. Eher kam es der Prinzessin so vor, als würden sich die grünen Farbklekse inmitten des ausdrucklosen Brauns noch deutlicher hervortun. Sich wie giftige Splitter durch ihre Brust in ihr pochendes Herz bohren.

Dennoch straffte sie ihren Rücken, drückte ihre Schulterblätter entschlossen nach hinten - soweit, wie die Schnürung des in ihr Ballkleid eingearbeitetes Korsett das zuließ. Sie senkte für wenige Sekunden das Kinn um ein paar Zentimeter in Richtung des kostbaren Fliesenbodens, um es selbst in dieser Situation nicht an dem gebotenen Respekt mangeln zu lassen. Obgleich Sienna ihren Vater am liebsten Vorwürfe an den mit der schweren Goldkrone bestückten Kopf geworfen, ihre Stimme wütend erhoben hätte, hielt sie ihr Temperament mühsam unter Kontrolle. Wenn sie sich vor versammeltem Hofe vergaß, sich eine Respektlosigkeit gegen über Raeburn van Lorca erlaubte, würde das ernsthafte Konsequenzen mit sich bringen. Dann wäre sie nicht nur ein Anlass für Getuschel in den nächsten Tagen, sondern Sienna würde sich auch den Zorn ihres Vaters zuziehen – und damit jede Chance darauf zunichtemachen, ihn von seiner wahnsinnigen Idee abzubringen.

Die jüngste Prinzessin des Landes Rywengaards lockerte ihre ineinander verkrampften Hände. Diese verbarg sie stattdessen in den seidenen Falten ihres Kleides, welches in der satte Farbe von Butterblumen erstahlte. Ihre Fingerspitzen strichen über die feinen Stickereien, die sich auf den Rockschößen abwärts zogen. Doch auch wenn sie sich darauf konzentrierte, den verschlungenen Mustern zu folgen, ließ das ihre Anspannung und Missgunst gegenüber ihrem Vater kaum verrauchen.

Wenn Mutter doch nur hier wäre..., dachte Sienna wehmütig, während sie sich dazu zwang, ihre Augen wieder von dem feingliedrigen Linienmuster des Marmorbodens zu heben und offen in das Gesicht ihres Vaters zu blicken. Sie hätte Vater diese abstruse Idee schon abgesprochen, noch bevor er sie ihr zu Ende hätte erläutern können.

Erneut hallte das klirrende Geräusch des zerbrechenden Kristallglases durch ihre Gedanken, wirkte wie ein Weckruf auf sie. Da ihre Mutter diese Aufgabe nicht übernehmen konnte, musste Sienna nun eigens für ihre Interessen einstehen und ihrem Vater deutlich machen, wie irrsinnig sein Vorhaben war.

Der Blick aus ihren bernsteingoldenen Augen huschte kurzzeitig zu der Gestalt von Silvano hinüber. Wie es sich für das älteste Königkind und zukünftigen Thronanwärter gehörte, stand er zwei Fuß vom Thron seines Vaters entfernt, die Hände sorgfältig hinter dem Rücken verschränkt. Wenn ihn die Ankündigung von Raeburn überrascht oder gar verärgert hatte, so ließ sich Silvano nicht das Geringste anmerken. Genauso, wie die Geschwister es von klein auf gelernt hatten. Einzig der flüchtige, ihr Gesicht streifende Blick aus seinen ebenso goldenen Iriden und das leicht unwohle Verlagern seines Körpergewichts auf eins seiner Beine, spendete Sienna eine eigentümliche Art von Trost.

Trennte die beiden Königskinder gerade mal ein gutes Jahr und waren ihre Charaktere so verschieden wie Sonne und Mond, so hielten sie dennoch unerbittlich zusammen. Sienna erinnerte sich meist mit einem andächtigen Schmunzeln an ihre Kindertage zurück, wenn sie sich gegenseitig gedeckt hatten, um den Etikettenunterricht versäumen zu können.

Eine vorher noch nicht spürbare Beharrlichkeit setzte sich in ihr fest, gab der Prinzessin das Selbstbewusstsein, offen vor ihren Vater und dem versammelten Hof sprechen zu können. Selbst wenn es den Anschein machte, als würden die Adeligen sich lediglich auf die beschwingte Musik und ihre Tänze konzentrieren, so wusste Sienna dennoch, dass so manch wachsames Auge und Ohr auf das gerichtet war, was sich auf der Empore abspielte. Was sie nun sagen würde, wie sie sich angesichts der Kundgabe ihres Vaters verhielt, würde bald im gesamten Königreich die Runde machen.

Aber noch wichtiger: Es würde über Siennas Zukunft entscheiden. Daher war ihr ganzes Fingerspitzengefühl gefragt. In diesem Moment war die Prinzessin ausnahmsweise dankbar dafür, dass sie sich ebenfalls in Diplomatie geübt hatte, auch wenn es ihr Bruder war, dem das Vermächtnis zufiel, eines Tages das Königreich zu regieren. Sienna frage sich nur, inwiefern es ihr gelingen konnte, wirklich diplomatisch zu bleiben, wenn es doch um ihre eigene Hand ging, über die sie mit dem König verhandeln wollte...

Doch es war ausgerechnet ihr Bruder, der sie daran hinderte, ihre zurechtgelegten Worte gegenüber ihrem Vater zu äußern. Mit einem leisen Räuspern wandte dieser seinen Oberkörper in Richtung des Throns um, senkte sein Kinn, um das Protokoll zu wahren. Doch dann blickten seine Augen direkt in die seines Vaters, als er leise, für Sienna aber klar verständlich fragte: »Warum habt Ihr meine Schwester und mich nicht in Euer Vorhaben eingeweiht, verehrter Vater?« Wenngleich die Wahl seiner Worte nicht an Respekt mangeln ließen, überhörte Sienna nicht den Vorwurf, der darin mitschwang.

Ihrem Vater schien das ebenfalls nicht zu entgehen, denn er richtete sich noch mehr in seinem Sitz auf, stütze die Hände rechts und links auf den steinernen Lehnen ab. Die undurchdringliche Miene wich von seinen Zügen, alleine an der Art und Weise zu erkennen, wie sich der Zug um seinen Mund verhärtete. Sich innerlich gegen die Erwiderung ihres Vaters wappnend, einen missmutigen Blick in Richtung Silvanos verkneifend, stand Sienna da. Beobachtete, wie das flackernde Kerzenlicht über die Züge des Königs wanderte, die Konturen noch schärfer hervortreten ließ.

Als ihr Vater nach einigen Sekunden, die sich jedoch endlos in die Länge zu ziehen drohten, zu sprechen ansetzte, drangen exakt die Worte an Siennas Ohren, die sie zu hören längst erwartet hatte. »Mein Sohn, mir erschließt sich nicht ganz, warum du zu glauben scheinst, ich wäre dir und deiner Schwester in irgendeiner Weise Rechenschaft schuldig.« Wenngleich Raeburn in diesem Moment leise sprach, schwang ein gefährliches Timbre in seiner volltönigen Stimme mit.

Unter anderen Umständen hätte das Sienna davon abgehalten, ihm ebenfalls ihre Widerworte entgegenzubringen. Aber nicht heute. Nicht, wenn ihr Vater einfach so beschloss, ihr Schicksal zu besiegeln, ohne sie auch nur im Entferntesten mit einzubeziehen. Natürlich, als König war sein Wort Gesetz, doch bisher hatten sowohl ihr Bruder als auch sie selbst immer noch vor der öffentlichen Verkündung von den Plänen ihres Vaters erfahren. Warum entschließt er sich also ausgerechnet dann, wenn seine Entscheidung mich direkt betrifft, uns vorher nichts zu erzählen?

Vielleicht genau aus dem Grund, dass er geahnt hatte, wie sehr Sienna sich dagegen auflehnen würde. Die Ankündigung auf dieses große, öffentliche Fest zu legen, war ein ausgeklügelter Schachzug von ihm gewesen. Denn hier konnte die Prinzessin sich nicht so deutlich und klar gegen ihren König aussprechen, wie sie es vielleicht privat gewagt hätte.

»Bei allem Respekt, Vater, aber findet Ihr nicht, dass ich in dieser Angelegenheitein Mitspracherecht haben sollte? Immerhin plant und bestimmt Ihr hier über meine Zukunft«, sprach Sienna schließlich die Worte aus, die ihr auf der Zunge brannten und die zurückzuhalten sie sich längst außerstande sah.

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