Das Geheimnis der Nacht
Felix' Herz schlug heftig, der Takt seiner Ängste und seiner aufkommenden Euphorie ein unheilvoller Tanz, als er sich lautlos durch die Schatten seines Elternhauses schlich. Jeder Schritt schien das Schicksal zu beschleunigen, als er sich in die Dunkelheit wagte, eine Dunkelheit, die für ihn sowohl verlockend als auch beängstigend war.
Die Nacht war vollkommen still, nur das leise Rascheln der Blätter in der Ferne und das entfernte Heulen eines Hundes erinnerten ihn daran, dass er sich weit von dem vertrauten Leben bewegte, das er kannte. Es war, als ob diese Welt, die er betrat, ein Geheimnis in sich barg - ein Geheimnis, das ihn veränderte und zugleich in seine tiefsten Ängste stürzte.
Er hatte Hyunjin und Jisung eine heimliche Nachricht geschickt. Eine Nachricht, die nicht nur ein Treffen verabredete, sondern auch die Möglichkeit, aus der gewohnten Welt auszubrechen, die ihm oft wie ein Gefängnis erschien. Ihre Antwort war sofort gekommen, wie ein leiser Flügelschlag in der Nacht: Sie wollten ihn treffen, an einem Ort, der weder Erwartungen noch Regeln kannte - ein Ort, der der Freiheit ein Stück näher war. Der Gedanke an dieses Versprechen ließ das Blut in Felix' Adern kochen. Etwas in ihm, das er lange unterdrückt hatte, war aufgewacht.
Als er schließlich am Treffpunkt ankam - einer verlassenen Lagerhalle am Rande der Stadt - schlich sich ein weiteres Kribbeln über seine Haut. Die große, düstere Halle war umgeben von einem Friedhof aus rostigen Metalldosen und verfallenen Pappkartons.
Doch in diesem Moment schien die Welt an diesem Ort eine ganz andere Bedeutung zu haben. In der Luft lag eine knisternde Spannung, ein Versprechen, das sich kaum in Worte fassen ließ.
Er trat vorsichtig durch die Tür. Im Inneren war es dunkel, nur schwaches Licht drang durch das schmutzige Fenster und fiel auf die Silhouetten von Hyunjin und Jisung, die sich wie zwei Geister in der Dunkelheit bewegten. Hyunjin begrüßte ihn mit einem geheimen, fast schelmischen Lächeln, das ihm mehr sagte, als Worte je könnten. Jisung jedoch trat ihm mit offenen Armen entgegen, seine Augen funkelten vor Vorfreude und einem Hauch von Verschwörung.
„Bereit für ein kleines Abenteuer, Felix?" fragte er, seine Stimme leise, aber voller Energie.
Felix spürte das Prickeln in seinem Nacken, als seine Antwort in einer Mischung aus Nervosität und Aufregung fast stockte.
„Ich... ich weiß nicht, ob ich wirklich bereit bin, aber ich wollte es trotzdem versuchen," gestand er, seine Worte klangen fast wie ein vertrauliches Flüstern, das nur der Nacht gehörte.
Verlegen senkte er den Blick, aber in seinem Inneren wusste er, dass er genau hier, genau in diesem Moment, an einem Wendepunkt stand.
„Du wirst es lieben," versicherte Hyunjin mit einem Blick, der Felix spüren ließ, dass er gerade in eine andere Welt eintauchte.
Er legte ihm eine Hand auf die Schulter, als wolle er ihm den Mut geben, den er selbst noch nicht ganz fand.
„Hier gibt es keine Regeln und keine Urteile. Wir sind hier einfach nur wir selbst."
Die Worte klangen wie Musik in Felix' Ohren. Für den Bruchteil eines Augenblicks fühlte er sich frei, als ob all die Ängste, die ihn zu erdrücken drohten, für einen Moment schweigen würden. Sie führten ihn in die Lagerhalle, die in einem ganz eigenen, geheimen Licht erstrahlte.
Die Wände waren mit bunten Lichterketten behangen, deren sanftes Leuchten eine fast mystische Atmosphäre schuf. Der Raum war erfüllt von einer Energie, die Felix' Herz immer schneller schlagen ließ, als wäre er an einem Ort, der weder Raum noch Zeit kannte. Hier war alles möglich.
„Hier ist unser Zufluchtsort," erklärte Hyunjin mit einem leisen Lächeln und öffnete eine alte, knarrende Schranktür.
Dahinter verbarg sich ein Sammelsurium an femininen Kleidern, Make-up und Accessoires - ein verborgener Schatz, den niemand je finden durfte, zumindest nicht ohne den Schlüssel zu diesem geheimen Raum zu kennen. Felix starrte auf das Glitzern und Schimmern, das ihm entgegenstrahlte.
„Das ist unser kleines Paradies," sagte Hyunjin und hielt ein glitzerndes Kleid hoch, das in den Lichtstrahlen funkelte wie der Sternenhimmel.
„Hier kannst du dich ausprobieren, hier bist du einfach du, ohne die Last von Erwartungen."
Felix' Augen weiteten sich, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er konnte es kaum fassen, dass er wirklich hier war, dass er Teil dieser geheimen Welt war.
„Das... das ist unglaublich," flüsterte er, und seine Stimme zitterte leicht vor Ehrfurcht. Die Worte waren fast zu schwach, um das zu beschreiben, was er fühlte.
Jisung lachte leise, und Felix spürte eine beruhigende Wärme in der Geste, als er ihm die Hand auf die Schulter legte.
„Warte, bis du dich selbst im Spiegel siehst," sagte er und zog Felix zu einem alten, aber großen Spiegel am Ende des Raumes.
„Hier gibt es kein Richtig oder Falsch, Felix. Es gibt nur dich und deine Wahrheit."
Felix starrte auf das Spiegelbild, das ihm entgegenblickte - ein Gesicht, das er kannte, ein Gesicht voller Zweifel und Unsicherheit. Doch je länger er hinsah, desto mehr konnte er die Freiheit erkennen, die ihm dieser Moment bot.
Es war, als ob der Spiegel ihn in eine andere Welt entführte, eine Welt, in der er nicht der angepasste Sohn war, der die Erwartungen anderer erfüllte, sondern jemand, der sich zum ersten Mal wirklich befreite. Die Umarmung dieser neuen Freiheit fühlte sich so intensiv und so vollkommen an, dass es fast schmerzte.
„Lass uns anfangen," sagte Jisung schließlich mit einem beruhigenden Lächeln und nahm eine Palette mit sanften Farben in die Hand.
„Ich zeige dir ein paar Techniken. Es macht nicht nur Spaß - es fühlt sich an wie ein kleiner Akt der Rebellion gegen das, was uns immer gesagt wurde."
Felix schloss die Augen und ließ sich von der sanften Berührung des Pinsels verführen. Der kühle, zarte Kontakt des Make-ups auf seiner Haut fühlte sich wie eine zärtliche Umarmung an, die ihm half, all das loszulassen, was ihn bisher gefangen gehalten hatte. In diesen Augenblicken gab es nichts anderes als das Gefühl der Befreiung. Kein Urteil, keine Angst - nur der Moment, in dem er sich selbst fand.
„Es ist erstaunlich, was Make-up bewirken kann," sagte Jisung ruhig, während er mit einer präzisen Bewegung eine Linie auf Felix' Augenlid zog.
„Es ist mehr als nur Kosmetik. Es ist eine Kunstform. Eine Art, die uns dazu ermutigt, die verborgenen Teile von uns selbst zu zeigen."
Felix öffnete die Augen, und als er sich im Spiegel betrachtete, sah er etwas, das ihm fast den Atem raubte: Es war nicht nur das Make-up, das ihn veränderte, sondern das Gefühl der Freiheit, das mit jedem Pinselstrich stärker wurde. Er sah nicht den gehorsamen Sohn, der er in der Welt draußen war - er sah jemanden, der er immer hatte sein wollen. Es war, als ob er in dieser neuen Erscheinung etwas von sich selbst fand, das er lange verloren geglaubt hatte.
„Wow..." flüsterte er, beinahe sprachlos, und strich sanft mit den Fingern über die weichen Wangen.
„Ich... ich sehe anders aus."
„Du siehst wunderschön aus, Felix," sagte Hyunjin und legte ihm liebevoll die Hand auf die Schulter.
„Und das ist nur der Anfang. Du kannst hier alles ausprobieren - Farben, Stile, was auch immer sich für dich richtig anfühlt."
Felix' Herz raste schneller, ein Gefühl von Wärme und Freiheit breitet sich in ihm aus, als er zum ersten Mal wirklich spürte, dass er in diesem Moment sich selbst begegnete. In diesem Raum konnte er alles loslassen, was er lange verborgen hatte, und sich endlich selbst in all seiner Schönheit und Verletzlichkeit sehen.
„Es fühlt sich so... gut an," gestand Felix, seine Stimme weich und voller Unsicherheit, aber auch Dankbarkeit.
Doch während diese Freiheit ihn erfüllte, schlich sich ein dunkler Gedanke in seine Gedanken. Die Schuldgefühle. Die Erinnerung daran, dass er in einer Welt lebte, die ihn für das, was er gerade tat, nicht verstehen würde. Dass er seine Familie belog, dass er gegen ihre Regeln verstieß.
„Ich... ich weiß nicht, ob ich das richtig mache," murmelte er schließlich und drehte sich ab, seine Hände nervös an einer Haarsträhne spielend.
„Meine Eltern... sie würden das niemals akzeptieren. Für sie ist das alles falsch."
Jisung legte ihm tröstend eine Hand auf den Arm.
„Felix, hier geht es nur um dich. Du bist hier nicht falsch. Alles, was du bist, ist richtig. Und das ist der einzige Ort, an dem du das wirklich verstehen kannst."
Felix atmete tief ein, die Wärme in Jisungs Worten, die ihm Halt gaben, half ihm, die Ängste ein Stück weit zu verdrängen. Vielleicht war dies wirklich der erste Schritt zu dem Leben, das er immer gewollt hatte.
Ein Leben, das er so lange verborgen hatte, aber das nun zum Leben erwachte.
Felix spürte, wie die Wärme von Jisungs Worten in ihm nachklang, doch noch immer war ein zarter Zweifel in ihm. Er zog die Luft tief ein, als ob er sich selbst beruhigen wollte, und blickte dann zu den beiden anderen, die ihm mit verständnisvollen Blicken folgten.
„Weißt du, ich hatte nie wirklich das Gefühl, dass ich mich selbst wirklich finde, bis jetzt", sagte Felix leise, seine Stimme schwankte zwischen Ehrlichkeit und Zögern.
„Ich habe immer versucht, den Erwartungen gerecht zu werden, aber..."
Jisung grinste, seine Augen funkelten schelmisch.
„Du bist also auf der Suche nach dir selbst, huh?"
Er schnippte mit den Fingern und ließ Felix' Blicke über seine glänzenden Brillengläser huschen.
„Erinnert mich an mich - habe ich dir eigentlich erzählt, wie ich mich vor Jahren zum ersten Mal als Drag Queen ausprobiert habe?"
Felix starrte ihn an, leicht verwirrt.
„Wirklich?"
„Oh ja", grinste Jisung weiter.
„Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Am Ende konnte ich nicht nur meinen Humor und meine Seele finden, sondern auch einen Teil von mir, den ich nie für möglich gehalten hätte."
Felix lachte nervös, doch es fühlte sich nicht mehr wie eine Ausflucht an. Die Gespräche, die Floskeln, das Lachen - sie alle verwischten die Kanten seiner Ängste, öffneten die Tore zu einer Welt, in der er sich nicht ständig verstellen musste.
„Du hast definitiv eine verrückte Seite", sagte Felix und lachte, während er sich vorsichtig dem Spiegel näherte.
„Aber ich denke, das ist irgendwie genau das, was ich brauche."
„Warte, Felix", rief Hyunjin aus, der zu einem Stuhl am Rande des Raums ging und sich setzte.
„Wir sind nicht nur hier, um Spaß zu haben. Ich hab das Gefühl, du hast noch viel mehr auf dem Herzen. Was ist los?"
Felix zögerte kurz, dann nickte er langsam und drehte sich zu den beiden. Der Raum schien plötzlich kleiner, der Spiegel an der Wand ein stiller Zeuge seiner inneren Zerrissenheit.
„Es geht um Changbin", murmelte Felix schließlich, seine Stimme war jetzt von einer Intensität durchzogen, die ihm selbst fremd war.
„Ich glaube, ich mag ihn. Aber... es ist alles so kompliziert. Ich weiß nicht, wie er fühlt, und ich bin mir nicht mal sicher, ob ich wirklich gut genug für ihn bin. Ich... Ich weiß nicht, was ich tun soll."
Jisung zog eine Augenbraue hoch und sah Felix prüfend an.
„Ach, du bist verliebt, was? Na, dann ist das ja mal interessant", sagte er mit einem Grinsen und legte die Hände auf die Hüften.
„Aber hey, mach dir keine Sorgen. Ist doch nicht so, als wäre er der Erste, der die Welt erobert, oder?"
Felix kicherte, doch Jisungs Scherz hatte einen Hauch von Wahrheit.
„Ich meine, du bist ein bisschen schwer fassbar, wenn du dich in dieser ganzen Geschichte verstrickst", fügte Jisung hinzu.
„Klingt fast so, als würde er sich im Kreis drehen, um mit dir zu kämpfen, oder?"
„Ich...",
Felix stockte und sah zu Boden, dann wieder zu den beiden.
„Es fühlt sich einfach nicht richtig an. Aber ich will ihm wirklich nahe sein, ohne es zu zerstören."
„Felix", Hyunjin sagte ruhig, „versteh uns nicht falsch. Wir verstehen dich. Und das Wichtigste ist, ehrlich zu dir selbst zu sein. Wenn du auf jemanden stehst, dann ist das kein Verbrechen. Du bist nicht allein."
Jisung grinste breiter.
„Außerdem, falls du es nicht gemerkt hast: Hyunjin und ich sind nicht nur mit uns selbst zufrieden, sondern auch offen für... anderweitige Möglichkeiten."
Felix starrte ihn an, seine Wangen wurden rot.
„W-Was?"
„Hör zu, ich flirte mit dir nur aus Spaß", sagte Jisung und legte die Hände abwehrend hoch.
„Aber falls du meine ehrliche Meinung willst: Wenn du etwas für Changbin empfindest, solltest du dich nicht von ihm abhalten lassen. Wir wissen beide, wie es ist, sich zu verstecken und Angst zu haben, etwas zu verlieren."
Felix nickte und starrte nachdenklich auf die farbenfrohen Lichter, die sanft die Lagerhalle erleuchteten.
„Ich glaube, das ist es, was mich am meisten verwirrt - diese Angst, ihn zu verlieren."
„Hör mal, du bist nicht der Einzige, der sich in der Liebe verirrt", sagte Hyunjin, ein verschmitztes Lächeln spielend auf seinen Lippen.
„Aber wenn du nicht den ersten Schritt machst, wirst du nie wissen, ob er genauso fühlt."
Jisung lachte.
„Weißt du, was du wirklich tun solltest, Felix? Versteh mich nicht falsch, aber es wäre doch schrecklich, wenn wir den Changbin verlieren, oder? Denn wie du sicher gemerkt hast, sind wir alle hier, um ein bisschen Spaß zu haben. Es könnte sich ein bisschen seltsam anfühlen, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was du gerade fühlst."
Felix seufzte und ließ sich mit einem Grinsen zurücksinken. Es war genau das, was er brauchte: Offenheit, keine Lügen und die Erkenntnis, dass auch in seinen eigenen Zweifeln jemand an seiner Seite stand. Ein guter Freund - oder zwei.
„Ich hoffe, du hast recht", murmelte Felix, aber sein Lächeln war jetzt mehr als nur eine Fassade.
„Ich hoffe wirklich, dass es funktioniert."
„Und falls nicht?", fragte Jisung spielerisch.
„Dann wenigstens wird es eine ziemlich spannende Reise", antwortete Felix und stieß sich von der Wand ab, als die Spannung sich in Luft auflöste.
Jisung zwinkerte.
„Weißt du, ich hatte recht - vielleicht sollte ich mir dich mal schnappen, bevor du jemand anderem gehörst."
„Nicht so schnell", antwortete Felix lachend.
„Da hat jemand wohl Konkurrenz."
„Tja, ich nehme alles, was ich bekommen kann. Aber jetzt ist erstmal Changbin dran, oder?"
Felix schmunzelte, seine Unsicherheit schien sich langsam aufzulösen. Vielleicht war dies tatsächlich der Moment, in dem er alles riskieren konnte.
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