Kapitel 50

~Pov. Yoongi~
Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich etwas an meiner Schulter spürte. Ich schaute auf und sah Taehyung, der mich entschuldigend anschaute. „Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken." Verwirrt schaute ich ihm dabei zu, wie er eine Decke auseinander faltete und diese auf den Boden legte. Er setzte sich an das eine Ende und klopfte neben sich auf die Decke. Ich wischte mir die Tränen weg und setzte ich mich mit etwas Abstand neben ihm, schaute ihn dabei aber nicht.

Ich dachte er war wieder schlafen gegangen oder so. Ich dachte ich hatte ihn vergrault, wieso war er wieder hier? Plötzlich schob sich eine Hand in mein Blickfeld. Diese hielt mir ein paar Stoffhandschuhe hin. „Wegen deinen Händen. Dann fragen die anderen nicht nach. Zieh sie aber erst an, wenn die Kratzer getrocknet sind." Wieso machte er das für mich? Wieso wollte er mir helfen? Zögernd ergriff ich sie und die Hand verschwand wieder. Langsam schielte ich zu Taehyung, doch dieser lehnte einfach an den Abhang und hatte seine Augen geschlossen. Er wirkte so entspannt und ruhig, es wirkte fast so als würde er schlafen.

Ich legte die Handschuhe neben mich und schaute wieder nach vorne. Ich wusste nicht was ich jetzt machen sollte, was ich denken sollte. Ich hatte so viele Gedanken in meinem Kopf doch gleichzeitig konnte ich keinen von ihnen wirklich greifen. Es überforderte mich etwas und ich spürte wieder diesen Drang in mir, etwas aufzuschreiben. Das half mir immer meine Gedanken zu sortieren und sie in irgendeiner Form aus mir herauszulassen tat unglaublich gut.

„Ach und übrigens habe ich mein Handy mitgenommen, falls du doch reden möchtest.", sagte Taehyung auf einmal und legte sein Handy zwischen uns. Ich schaute ihn etwas schockiert an. Konnte dieser Typ Gedanken lesen oder was? Langsam wurde das echt gruselig. Er schaute mich aber nur verwirrt an und fragte, ob was sei. Ich schüttelte nur wieder den Kopf und schaute erneut nach vorne. So saßen wir einige Zeit schweigend nebeneinander, bis ich diese innere Unruhe aber doch nicht aushielt und Taehyung antippte. Dieser schaute mich an und ich hielt ihm sein Handy hin. Dieses entsperrte er für mich und ging auf Notizen, bevor er es mir wieder gab.

Ich wollte gerade los schreiben, da zögerte ich. Konnte ich sein Handy einfach benutzen und ihm dann nicht zeigen, was ich schrieb? War das nicht irgendwie unfair? „Was ist?", fragte Taehyung mich. Langsam schrieb ich:'Ich habe irgendwie so viele Gedanken in meinem Kopf und ich muss die irgendwie los werden, ich weiß aber nicht wie.' Ich hielt ihm sein Handy hin und er lies es sich durch. Er überlegte kurz, sagte dann aber plötzlich:"Also wenn es mir mal nicht gut geht dann muss ich das immer irgendwie raus lassen. Egal ob ich mit jemandem drüber rede oder es irgendwie alleine für mich aufschreibe. Mir hilft das immer runter zu kommen und erstmal den Kopf frei zu kriegen, bevor ich nach einer Lösung oder so suche. Du kannst das ja auch probieren. Einfach aufschreiben, was in deinem Kopf ist. Keine Angst, ich werde das auch nicht lesen wenn du das nicht willst und ich meine du kannst das auch einfach wieder löschen."

Ich konnte es nicht richtig glauben. Taehyung schrieb ebenfalls, wenn es ihm nicht gut ging? So wie ich? Irgendwie war das schwer vorstellbar, generell, dass es ihm mal schlecht ging. Er wirkte immer so extrem aufgedreht und fröhlich. Gut, manchmal war er auch etwas ruhiger und entspannter so wie jetzt, aber nie habe ich ihn traurig erlebt. Aber klar, jedem Menschen ging es mal schlecht und eigentlich war es dämlich nicht davon auszugehen, dass es ihm auch mal nicht gut ging.

Zögernd nickte ich dann und starrte noch einige Sekunden sein Handy an, bevor ich dann anfing zu schreiben. Da ich mein Handy gewohnt war hatte ich etwas Probleme die richtigen Buchstaben zu treffen, doch wenn ich etwas falsch schrieb korrigierte ich es auch nicht. Ich schreib einfach drauf los, achtete kaum wirklich auf das Handy selber. Ich musste nur all diese Gedanken irgendwie aus mir raus lassen, egal ob man es im Nachhinein noch lesen konnte oder nicht. All diese Ängste und Selbstzweifel, dass ich nochmal einen weiteren Menschen dazu treiben würde, sein Leben zu beenden. Generell die Angst andere Menschen zu verletzen und zu schaden. Die Angst etwas falsches zu sagen, dass mir aus Versehen etwas raus rutschte was ich so gar nicht sagen wollte.

Oder dass ich aufgrund einer Emotion dazu verleitet werde nicht über meine Worte nachzudenken, sondern sie direkt sagte. Ausgesprochene Worte konnte man nicht wieder zurück nehmen oder wieder gut machen, das was Worte auslöste konnte nicht wieder rückgängig gemacht werden. Eigentlich echt verrückt dass Worte, welche einfach irgendwelche Laute und Geräusche waren, einen anderen Menschen so sehr in seiner Gefühlslage beeinflussen konnte. Aber das lag daran, dass diese Worte Bedeutungen hatten und somit real wurden. Was war, wenn ich etwas sagte aber jemand anderes eine andere Bedeutung daraus zog? Wenn mich jemand falsch verstand. Dann konnte ich das ebenfalls nicht zurück nehmen. Ich könnte es zwar richtig stellen, aber einen Schaden hatte ich dennoch bereits angerichtet. Einen Schaden, den ich nicht einfach so wieder reparieren könnte.

Wie konnten andere Menschen nur immer mit diesem Gewissen, diesem Risiko leben einen anderen Menschen aufgrund seiner Worte zu schaden. Ich verstand es nicht, doch gleichzeitig beneidete ich diese Menschen dafür, dass sie keine Angst davor haben mussten. Denn bei ihnen war dieses Risiko geringer als bei mir. Ich hatte mit meinen Worten ständig Menschen verletzt und geschadet, daher war es auch wahrscheinlicher, dass ich andere Menschen wieder verletzen würde. Das war doch logisch, doch dieses Risiko wollte und konnte ich nicht einfach so eingehen. Ich war die letzten Wochen und Monaten viel zu unvorsichtig gewesen, ich musste das wieder in den Griff bekommen. Ich wollte nicht, dass sich so etwas wie damals wiederholte.

Vor allem nicht bei den Jungs. Nicht bei Jimin. Bei dem Gedanken, dass ich ihnen Schaden werde zog sich alles in mir zusammen und ließ mich schwer atmen. Ich könnte mir das niemals verzeihen. Verstanden die anderen überhaupt in was für eine Gefahr sie sich vielleicht brachten, wenn sie in meiner Nähe waren? Ich konnte ihnen extrem schaden, ich konnte sie in den Selbstmord bringen wenn ich nicht in den richtigen Momenten meine Klappe hielt. Daran hatte mich der Traum letzte Nacht wieder erinnert. Ich durfte nicht mehr reden, ich könnte jederzeit jemanden verletzen, ich-

Vor Schreck zuckte ich so sehr zusammen, dass mir das Handy aus der Hand und zwischen meine Beine auf den Boden fiel. Eine Hand umgriff mein Handgelenk, ganz vorsichtig und der Daumen streichelte mir ganz sanft über meine Haut. „Yoongi, beruhig dich. Es ist alles okay.", hörte ich Taehyung neben mir sagen.

Erst jetzt merkte ich, dass sich auch mein Puls und meine Atmung verschnellert hatte und ich versuchte diese durch kontrolliertes ein- und ausatmen zu verlangsamen. Nach kurzer Zeit funktionierte das auch.

„Geht's dir gut?", fragte Taehyung besorgt. Am liebsten würde ich nein sagen, doch ehrlich gesagt wusste ich es gerade nicht. Die ganze Situation überforderte mich aber Taehyung machte es für mich gerade so viel erträglicher, was mich selber sehr überraschte. Seine Anwesenheit tat mir auf merkwürdige Art und Weise gut. Es war einfach schön nicht alleine sein zu müssen.

Einige Augenblicke verweilten wir so, als Taehyung fragte:"Willst du weiter schreiben?" Ich schüttelte den Kopf und reichte ihm wieder sein Handy. Er nahm es, hatte seine andere Hand aber stets um mein Handgelenk und strich mir damit weiterhin beruhigend über die Haut. Nachdem er sein Handy entsperrt hielt ich es aber fest und scrollte an den Anfang vom Text. Dort angekommen ließ ich wieder von dem Handy ab und schaute ihm zögernd in die Augen.

In seinem Blick lag Verwirrung und Skepsis. "Du willst dass ich das lese?" Ich zögerte, nickte dann aber. "Wenn du das nicht willst dann mache ich das auch nicht.", beteuerte er mich. Ich zeigte aber wieder auf sein Handy, um ihn erneut dazu aufzufordern. Ich weiß nicht wieso ich das tat und wieso ich wollte, dass er das las. Ich verstand mich selbst nicht richtig, aber ich vertraute ihm gerade. In mir war ein Drang jemand anderem meine Gedanken mitzuteilen, was ich eigentlich nie wirklich hatte. Doch jetzt wollte ich es und ich wollte, dass Tae derjenige war.

Dieser schien immer noch nicht so ganz davon überzeugt zu sein, wendete einen Blick aber ab und fing an den Text zu lesen. Ich schaute ebenfalls weg und betrachtete wieder den See vor mir. Die Sonne ging immer weiter auf man konnte Vögel zwitschern hören, die schon lange erwacht waren.

Einige Minuten starrte ich einfach geradeaus, bis ich sah, dass Taehyung sein Handy weg legte. Vorsichtig schaute ich zu ihm, traute mich aber nicht in seine Augen zu schauen. Ich merkte aber, dass er es nun war, der einfach den See vor sich betrachtete. Plötzlich wurde der Druck um mein Handgelenk ein wenig stärker, war aber immer noch sanft. "Ich muss kurz drüber nachdenken.", erklärte er sich.

Verstehend nickte ich, was eher an mich selbst als an ihn gerichtet war. Mein Blick legte sich wieder auf den See vor mir. Dieser hatte eine starke Anziehungskraft um diese Uhrzeit, das orangene Funkeln der Wasseroberfläche, das durch die Sonnenstrahlen entstand, zog einen in seinen Bann und immer wieder fand der Blick zu diesem Naturschauspiel zurück.

"Ist es okay, wenn ich dir etwas dazu sage?", kam es nach einiger Zeit Schweigen von Taehyung. Ich war mir nicht sicher. Wollte ich überhaupt einen Rat oder einen Kommentar? Eigentlich wollte ich meine Gedanken nur mit irgendjemandem teilen, wollte ich wirklich die Meinung von jemandem hören? Doch wenn Jimin das machte, mir etwas sagte wenn ich unsicher war, dann half es mir auf eine gewisse Weise und tat mir gut. Vielleicht war das bei Tae auch der Fall?

Schüchtern nickte ich. Kurz musste sich Taehyung räuspern, eher er anfing zu reden:"Also erstmal, in deinem Leben wirst du auf jeden Fall nochmal jemanden verletzen." Bei den Worten zuckte ich etwas zusammen und spürte wie sich meine Brust zusammen zog. Mein ganzer Körper spannte sich an und Angst machte sich in mir breit. Doch bevor ich noch mehr darüber nachdenken konnte, fragte er plötzlich:"Haben dir diese Worte gerade weh getan?"

Etwas perplex blinzelte ich und schaute ihn an. Sein Blick war sanft und ruhig, was mich ebenfalls etwas beruhigte. Zögernd schaute ich weg und nickte kaum merklich. Er schien das aber gesehen zu haben und fragte:"Fühlst du dich jetzt sehr schlecht? Am Boden zerstört? Verloren? Hast du jetzt das Gefühl, dass ich jetzt deinen Tag, vielleicht sogar die ganze Woche versaut habe?" Verwirrt zogen sich meine Augenbrauen zusammen und ich schaute erneut zu ihm. So wie er mich aber ansah schien seine Frage ernst gemeint zu sein, weswegen ich den Kopf schüttelte. Wieso sollte ich? Klar war es nicht unbedingt schön sowas zu hören, doch so extrem schlecht ging es mir deswegen jetzt nicht.

Er wendete seinen Blick wieder von mir ab nach vorne und sagte:"Wenn man Dinge sagt können sie einen Menschen verletzen. Können. Jeder Mensch wird einen Menschen irgendwann mal in seinem Leben verletzen. Das ist gar nicht vermeidbar. Und es gibt auch andere Wege einen Menschen zu verletzen, nicht nur verbal. Als wir damals beim Basketballplatz waren und du mir nicht erzählen wolltest, was los ist bin ich auch ein wenig verletzt gewesen. Ohne dass du ein einziges Wort gesagt hast. Wenn man so will bin ich sogar verletzt geworden, eben weil du nichts gesagt hast." Meine Augen weiteten sich, als er das sagte. Ich hatte ihn verletzt? Aber ich hatte damals doch gar nicht geredet. Wie konnte ich ihn dann verletzen?

"Aber auch wenn mich das verletzt hat war es nicht besonders schlimm. Mir ging es deswegen kaum schlecht, ich habe nach kurzer Zeit gar nicht mehr daran gedacht. So wie bei dir gerade eben. Je nachdem was man sagt kann man andere stärker oder weniger stark verletzen. Aber wenn du normal mit Menschen redest dann ist das eigentlich kaum möglich. Und bei dir ist es auch nicht wahrscheinlicher, dass du jemand aufgrund deiner Worte verletzt. Wie du selbst geschrieben hattest, es geht um die Bedeutung dahinter, nicht einfach um die Worte. Es geht um die Intention. Um den Kontext, generell um so viel mehr als nur um die Worte. Und du wirst andere Menschen verletzen, auch ohne Worte, das wirst du niemals vermeiden können.

Und verletzt zu werden kann einen im Leben auch weiter bringen. Ich hatte vor einiger Zeit eine Beziehung und eigentlich war sie echt schön. Aber scheinbar nicht für sie und sie hat dann Schluss gemacht. Ich war echt sehr verletzt und traurig darüber und habe auch einige Zeit gebraucht um das zu verarbeiten. Aber ich bin daran gewachsen, habe daraus gelernt und es hat mich weiter gebracht. Und in der Zeit des Liebeskummers habe ich auch kein einziges Mal daran gedacht mir etwas anzutun. Klar habe ich mich am Anfang etwas selbst vernachlässigt, aber das vergeht.

Und dass man sich selbst extrem vernachlässigt, sich selbst etwas antut und keinen Sinn in irgendetwas sieht, das kann eigentlich kaum von einer einzelnen Person ausgelöst werden. Ich weiß auch nicht was...damals zwischen dir und deinem Schulkameraden gewesen ist. Aber du bist nicht der alleinige Grund gewesen dass...er nicht mehr konnte. Natürlich bist du ein Grund gewesen, aber du warst nicht der alleinige Grund. Da bin ich mir sicher. Und du wirst auch niemals der Grund dafür sein, dass es jemand anderes so extrem schlecht geht, dass er sich selbst etwas antut, vor allem nicht verbal.

Und du solltest nicht nur daran denken, was für einen Schaden Worte anrichten können, sondern auch wie unfassbar schön und wertvoll sie sein können."

Ich wusste gar nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich merkte wie heftig und überfordernd das Gesagte auf mich wirkte. Doch gleichzeitig spürte ich eine unfassbare Erleichterung. Erleichterung darüber, was er gesagt hatte. Noch nie hatte es jemand anderes so ausgesprochen, noch nie habe ich jemanden so darüber reden hören. Und vor allem faszinierten mich die letzten Sätze. Es fühlte sich so an, als wenn er mir gerade erst bewusst gemacht hätte, dass Worte auch schöne Gefühle auslösen konnten. Eigentlich war das auch klar, aber ich war nicht darauf gekommen es so zu sehen. Und ich hatte das Gefühl, als wenn mir das erst jetzt bewusst wurde.

"Yoongi? Ist alles okay?", hörte ich Taehyung plötzlich. Ich schaute zu ihm auf und konnte seine Besorgnis in seinem Blick erkennen. Ich nickte als Bestätigung, dass alles in Ordnung war. Um das zu verdeutlichen legte ich meine Hand auf seine, die immer noch mein anderes Handgelenk umschloss. Dies lies Taehyung lächeln und ich erwiderte dies ebenfalls ein wenig. Ich schaute wieder nach vorne und betrachtete den See.

"Danke Taehyung."

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