21
Tränen rannen über mein Gesicht. Meine Wangen waren nass verschmiert, ich konnte nicht weiter.
Ich wollte nicht weiter.
Ich war nicht besonders.
Aurelia war es, nicht ich.
Sie konnte es.
Sie wollte es.
Ich fühlte mich so nutzlos, wie noch nie.
Immer, wenn ich mich nutzlos gefühlt hatte, hatte ich mich an den Gedanken geklammert, das Mama mich geliebt hatte.
Und nun war ich mir nicht mehr sicher, ob das überhaupt stimmte. Und ob sie diese Aurelia wohl lieber mochte.
Sie überhaupt liebte.
Ich wollte sterben.
Alles was an mich erinnern sollte, sollte weggeschafft werden und jeder der mich kannte sollte mich langsam vergessen. Genauso wie es meine Mutter schon getan hatte. Wahrscheinlich wusste sie garnicht mehr, das sie noch eine zweite Tochter hatte. Aber wie konnte sie überlebt haben, wenn sie doch die Klippe herunter gestürzt war? Wie es mir meine Polarwolf-Familie immer erzählt hatte. Aber ich war mir nun garnicht mehr sicher, wem ich trauen konnte. Oder hatte Dunkellicht mir nur Lügen erzählt? Ich verlor langsam meinen Verstand.
Jetzt glaubte ich nur noch daran, das alle mir Lügen erzählt hatten.
Plötzlich war eine Seite meines Körpers anders geworden. Sie war nicht mehr großzügig, nett und mutig. Nein sie war nun kaltblütig, fies und gierig.
Ich veränderte mich. Genau wie SIE es wollte. Sie wollte mein Name ihre Seite ziehen, das wusste meine normale Seite. Sie konnte mich kontrollieren. In dem Moment, in dem ich schwach genug war, mich dagegen nicht zu wehren. Wie jetzt. Nun war der einzige Gedanke an den ich mich klammerte, Zoe, wie sie mir mir spielen wollte. Wie sie hoch und runter hüpfte, wenn sie mich auf eines meiner Abenteuer begleiten wollte. Sie war die einzige Person, oder das einzige Tier, dem ich noch vollständig vertraute.
Doch SIE schickte mir Visionen. Visionen, in denen meine Mutter ein Kleinkind an der Hand hielt, das mich mit großen blauen Augen anlächelte und ihre blonden, langen Locken zurück warf, durch die eine goldene Strähne floss. SIE schickte mir Visionen wo meine Mum und Aurelia sich umarmten, Mama sie ins Bett brachte.
Ein großer Teil in mir wollte Rache. SIE spornte mich dazu an. Sie zu ermorden. Aurelia.
Doch das winzige Ich, das von meinem echten Ich noch zurückblieb, wusste das Aurelia meine Schwester war. Ich konnte sie nicht töten. Keine Schwester würde das tun.
Bis auf die Ausnahme von Sheira. Sie hatte Blue umgebracht, die Schwester meiner Mum. Obwohl Blue Sheira aufgeheitert hatte, sie immer getröstet hatte, hatte Sheira sie getötet.
Weil sie alle gehasst hatte. Weil jemand wahrscheinlich ihren Geist kontrolliert hatte. Aber ich konnte sie nicht ermorden, denn dann würde meine Mum mich noch mehr hassen, als sie es jetzt schon tat. Ich wollte es nicht.
Deshalb kämpfte ich gegen die starken Gefühle von Wut und Rache an. Ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde, aber ich konnte es versuchen. Denn dann schaffte ich alles.
Mit Liebe.
„Silber, wenn du groß bist, wirst du genauso sein müssen, wie du bist. Auch wenn ich nicht mehr da bin", flüsterte Silva Daelvon. Ich hatte wieder eine Vision.
Meine Mutter saß in meinem Iglo. In dem Schneehaus von mir und Zoe. Diese Vision hatte sich ungefähr da abgespielt, wo ich zehn gewesen war. Neun Jahre nachdem meine Mutter abgestürzt war und eigentlich tot sein müsste. Sie lebte also wirklich noch. Die Frau legte ihre Hand auf meine damalige Stirn.
„Silber, ich musste es tun. Sei mir nicht böse. Ich ... Ich, Silber ich liebe dich." Obwohl ich sie damals nicht hören konnte, hörte ich es jetzt. Genau im richtigen Moment. In dem Moment, in dem ich IHR ganz verfallen wäre und zu ihrer Armee gehören würde. Doch ich kämpfte dagegen an. Und siegte.
Ich brach erschöpft auf dem Boden zusammen. Das Wackeln der Kutsche holte mich wieder zurück in die Wirklichkeit. Schockiert sah Elvyria mich an. Ich wusste, da sich Geräusche von mir gegeben hatte, die nicht wirklich freundlich geklungen haben mussten. Eher, das ich mich so angehört hatte wie ein Monster.
Die Bäume und Felder ließen wir hinter uns. Die kleine Reise -Gesellschaft die aus dem Kindermädchen, dem Kutscher, dem Leibwächter der Prinzessin und natürlich Prinzessin Elvyria selbst bestand, schwieg die Reise über. Und da ich glaubte, eh nicht sprechen zu dürfen, sagte ich auch lieber nichts.
Das Kindermädchen der Prinzessin beobachtete mich die gesamte Fahrt zum Palast der Königin über und ich versuchte einen möglichst guten Eindruck auf sie zu haben und lächelte.
Doch leider erwiderte Kindermädchen Eliza mein Lächeln nicht, sondern funkelte mich böse an. Im 19. Jahrhundert waren Menschen wirklich verdammt misstrauisch.
„Unfassbar, jetzt guckt sie mich auch noch frech an! Majestät bleiben sie hinter mir. Sie könnte eine Gefahr sein!" Eliza zog Elvyria noch näher an sich. Will, Elvyrias Leibwächter, grunzte mich an und ich wusste, würde ich irgendeine falsche Bewegung wagen, wäre es vorbei. Deshalb machte ich nun nichts mehr. Ich sah einfach nur aus dem Fenster und sah der Landschaft dabei zu, wie diese an uns vorbeizog. Nach einer Weile wurde ich langsam in einen unruhigen Schlaf gezogen.
Eine Hand rüttelte mich unsanft wach. Ich blinzelte gegen die Sonne an, deren Hitze mich schwer atmen ließ. Vor mir erblickte ich unscharf Wills Gesicht. „Steh auf", befahl er mir. Ich lächelte nicht mehr, blieb neutral. Weinen wäre feige, lachte ich, würde Will mich schlagen. Ich war noch nie zuvor in einem Palast gewesen. Als wir das Schloss betraten, blieb mir vor Staunen der Mund offen stehen. An der Decke hingen prächtige Kronleuchter, an den Wänden zierten Bilder der Könige, Prinzen und wichtige Personen die rosarote Tapete. Es gab ein paar Fenster, durch die die Sonne schien und das ganze noch viel magischer aussehen ließ.
„Du bist nicht da um zu glotzen ", brüllte Eliza mich an und riss mich unsanft weiter. Wir liefen durch viele Gänge, die ebenso wunderhübsch waren, bei denen Ich mich aber nicht traute einen Blick an sie zu verschwenden um nicht Ärger mit Eliza oder Will zu bekommen.
Schließlich blieb Eliza stehen und zupfte das neue Kleid von Elvyria zurecht. „Und du, verlogenes Gör, bleibst hinter mir, verstanden?"
Dann schob Will das goldene, prächtige Tor auf und ließ und eintreten.
„Guten Mittag, Majestät", meinte Eliza und verbeugte sich. Ich wusste nicht, ob ich dies auch tun sollte und ließ es deshalb sein. Ich ließ den Blick gesenkt.
„Wer ist das?", dröhnte die herrische Stimme der Königin durch den Saal.
„Ihren Namen wissen wir nicht. Aber sie hat sich ihren Wünschen widersetzt." Das war Eliza.
Ich hob den Kopf und sah direkt in die kalten grünen Augen der Königin.
Mit einem Schlag wurde mir etwas klar.
Diese Augen kannte ich. Es waren IHRE Augen. Aber das war nicht Sheira.
Sheira war garnicht die gewesen, die Blue getötet hatte.
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