19
Aber das wahre Gesicht der freundlichen, runden Damen, die mich an eine Opern-Sängerin erinnerte, kannte ich nicht. Unwissend hüpften ich und Skyla wie kleine Kinder durch die Straßen des 19. Jahrhunderts. Sie waren deutlich weniger voll als in der Gegenwart und alle Straßenkinder an denen ich und Skyla vorbei liefen warfen uns neidische Blicke zu, als sie unsere Kleider ansahen. Sie waren aus feinstem Stoff, dafür aber auch echt kostspielig gewesen. Skyla hatte ihre Haare zu einem hohen Zopf gebunden. Das Kleid, das sie sich ausgesucht hatte, war passend zu ihren Haaren auch mit Federn verziert.
Ich kenne hier niemanden. Vielleicht ein paar Leuten, die ich mal gesehen habe, begegne ich nun in viel jünger. Es war für mich, da ich diese Welt kaum kannte, komisch und vielleicht auch ein wenig gruselig. Im Gegensatz zu mir schien es Skyla nicht im geringsten zu stören, in einer anderen Zeit zu sein. Aber wie kannte es ja wahrscheinlich auch schon.
Der große Marktplatz machte einen mächtigen Eindruck auf mich. Es fühlte sich so an, als wäre ich die einzige auf der Welt. Händler schrien, eine Frau schlug einen armen Jungen, weil er sich anscheinend ein Stück Brot von einem Stand mitgenommen hatte. So etwas konnte ich überhaupt nicht ausstehen. Ich wollte es nicht, aber wie von selbst rannte ich los. Meine Beine würden schneller, immer schneller und dann kam ich genau vor der Frau zum stehen. Ich stellte mich breitbeinig schützend vor den Jungen. Wenn ich eines hasste, dann waren es Ungerechtigkeiten gegenüber armen Kindern und Tieren die auf der Straße lebten. Deswegen neckte mich Orange manchmal. Ich versuchte meine Geduld und meinen Verstand zu bewahren, aber am Ende gewann meine Wut.
„Wie können Sie es wagen, einen unschuldigen Jungen zu schlagen? Er hat kein Geld sich etwas zum Essen zu kaufen, um nicht zu verhungern, sehen Sie das nicht? Sehen Sie das nicht? Wie kalt und verständnislos muss man sein, so einem Kind nicht ein wenig Brot zu gönnen. Aber wie es so ist sind Sie gierig, Sie und ihre Familie! Wissen Sie, was in ihm vorgeht? Wissen Sie das? Nein! Hören Sie ihm zu! Geben Sie ihm das Essen! Vielleicht muss er eine gesamte Familie ernähren! Und nur weil Sie so ein Schwein sind, verhungern Kinder! Wollen Sie das? WOLLEN SIE DAS?"
Ich wusste das ich brüllte, aber es war mir egal. So fühlte ich mich besser.
Das Gesicht der Frau war rot angelaufen, aber nicht vor Scham, wie ich es erhofft hatte, nein, aus ihrem Gesicht funkelten mir rötlich glühende Augen entgegen, der Körper der Frau bebte vor Zorn. Der kleine Junge nutzte den Moment, schnappte sich ein Brötchen und lief davon. Hatte ich überhaupt das richtige getan. Wahrscheinlich nicht. Was wusste ich schon darüber, wie die Leute des 19. Jahrhunderts auf meine Sprüche reagierten. Mein Blick schoss voller Panik zu Skyla. Kaum merklich zog die die Schultern hoch, das erste Mal, seit ich ihr begegnet war, erkannte ich auf ihrem Gesicht Panik. Es war aus. Vorbei. Ich hatte alles falsch gemacht.
Die Frau packte mich heftig an der Schulter und nahm mich hoch. Ihre Wangen waren knallrot angelaufen, ihr dicklichen Lippen hatte sie zusammen gepresst.
„Du kleines, adeliges, verlogenes, verwöhntes Gör sagst ich hätte etwas falsch gemacht? Na, dir werden jeden Tag die Betten gemacht. Du bekommst wahrscheinlich von deiner Mutter alles was du willst. Deine Mutter! Sie sollte dich erziehen, sodass man nicht nur an sich denkt, sondern auch an andere. Du kennst es natürlich nicht, wenn jemand hungert! Nein, DU NICHT! ABER ICH WEIß ES UND WILL ES NICHT NOCH EINMAL ERLEBEN! VERSTANDEN?" Sie ließ mich los. Das es so schlimm war hatte ich nicht gedacht. Das diese Frau wenn die Münzen, die sie mit dem Brot, das der Junge hatte mitgehen lassen, nicht überleben könnte oder hungern musste. Ich war froh, im 21. Jahrhundert geboren zu sein. Ich atmete durch die Nase ein und aus. Ich hoffte, die Strafe, die die die Frau mir geben würde, sei nicht allzu schlimm. Doch zu meinem Erstaunen ließ die mollige Frau mich los. Ich raffte die Spitze meines Kleides zusammen und wollte gerade abhauen, da bemerkte ich eine sehr prachtvolle Kutsche, die der Grund dafür zu sein schien, das das von mir benannte Schwein mich losgelassen hatte. Skyla zerrte mich zu sich. „Das ist die Kutsche von Elvyria die Dritte. Die Prinzessin dieses Staates. Immer höflich bleiben, aber naja, also Majestät ist sehr ... " Die Tür der Kutsche, die sich mit der Hilfe eines Mannes im Jackett, der wie alle anderen ebenfalls sehr altmodisch war, öffnete. Eine Trompete erklang. Ich fand das alles ein bisschen viel Aufwand, nur weil irgendeine, nach dem Staat benannte Tussi, hier mal vorbeischaute und ihre Sprüche zeterte. Ich lächelte jedoch brav, denn ich wusste nicht, was der grimmige Begleiter der Prinzessin mit mir anstellen würde, hätte ich nur einen Mucks von mir gegeben.
Dann stieg die Prinzessin aus der Kutsche und streichelte eines der schwarzen Pferde, die diese gezogen hatte. Sie war ziemlich groß, größer als ich, obwohl sie etwa in meinem Alter sein musste. Ihre dunkelbraunen, lockigen Haare umrahmten ihr ovales, blasses Gesicht. Mir fielen sofort ihre grünen Augen auf, die vor Lebenslust funkelten. Sie warf mir einen kurzen Blick zu und lächelte. Sofort nahm ich das mit der Tussi zurück. Eigentlich schien die ja ganz okay zu sein. „Willkommen auf dem Marktplatz, Majestät. Sie können sich etwas aussuchen, nach den Wünschen ihrer Mutter." Elvyria seufzte leise und ihre Augen verloren die Freude, die ich eben noch verspürt hatte. „Was wünscht Mutter?", fragte sie dann mit zarter, klangvoller Stimme.
„Ein neues Kleid, Majestät, für die Krönung des jungen Königs Julius der Zweite. Es soll, nach Wünschen eurer Mutter, so wirken, als hätten Sie es schlicht sich übergeworfen. Eure Majestät möchte, das ihr heiratet, deshalb wünscht sie dich sehr hübsch zu sehen."
Mir tat Elvyria leid. Heiraten? Sie war höchstens so alt wie ich! Und was war, wenn die Prinzessin diesen eingebildeten Julius den Zweiten garnicht heiraten wollte? Hatte irgendjemand der königlichen Gesellschaft überhaupt an Elvyria gedacht? Anscheinend nicht. Ich konnte mir Ungerechtigkeiten nicht lange ansehen. Und deshalb zögerte ich kaum, sondern trat einen Schritt vor.
„Vielleicht möchte Elvyria überhaupt nicht heiraten. Wenn sie das nicht will, sollte sie nicht dazu gezwungen werden. Okay?"
Alle starrten mich an. Als hätte ich ein schlimmes Verbrechen begangen. Aber der Blick, den Elvyria mir zu warf verletzte mich am meisten.
„Nein... Nicht wie bei Enjo...", flüsterte Elvyria. Ich hörte ein Schluchzen. Und dann wurden Speere auf mich gezielt.
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