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„Wo bitte warst du? Ich habe einen totalen Schreck bekommen! Ich habe gedacht, das die Entführer dich doch geschnappt haben! Ich wäre zu Herr von Nelvaron gelaufen, wie hätten alles durchsucht und dann tauchst du einfach wieder auf!" Diese Rede hörte ich mir jetzt schon zehn Minuten an. Orange hatte völlig aufgelöst in dem Schlafzimmer der Vynx-Mädchen auf mich gewartet und hielt mir nun einen Vortrag darüber, wie große Sorgen sie sich gemacht hatte und was ich mir dabei dachte, ohne Bescheid zu sagen der Eule zu folgen. Auch Zoe schien ein wenig beleidigt, dass ich sie nicht mitgenommen hatte und reagierte auf meine Übermittlungen nicht. Stattdessen plauderte sie mit Lila und Ronja, die schon zu unserem Klassenzimmer gelaufen waren. „Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät", meinte ich und seufzte, als Orange den Kopf schüttelte. „Ich habe dir doch noch gar nicht gesagt wie große Sorgen ich und Luna uns gemacht haben und das ich gedacht hatte, du wärst entführt worden", sagte Orange. „Erstens, jetzt hast du es mir gesagt und zweitens, das schon sieben Mal." Ich stöhnte. Ich wollte mich ja nicht beschweren, schließlich war Orange meine Freundin, aber in solchen Situationen konnte sie einem echt auf die Nerven gehen. Sehr auf die Nerven gehen. Ich wusste ja nicht, wie ich reagiert hätte, wenn Orange von einem Entführer gesucht wurde und Orange plötzlich verschwunden war. Naja, ich hätte vielleicht auch Angst um sie gemacht, denn meine Angst um Jo wuchs mit jeder Stunde nach ihres Verschwinden. Vor allem aber, hatte ich Angst vor dem Test den ich am letzten Tag in Mathematik geschrieben hatte, damit Herr von Nelvaron sehen konnte wie gut wir waren. Ich hatte nicht gerade ein gutes Gefühl. Misstrauisch sah Orange mich an. „Wirklich?", fragte sie. „Ja, wirklich! Können wir jetzt gehen?", fragte ich Orange. „Na gut. Aber mache das nie nie nie nie wieder! Okay?", fragte Orange und packte ihre Schulsachen zusammen. Erleichtert nahm auch ich meine Hefte. „Wenn ich mir dann wieder deinen Vortrag anhören muss, ganz bestimmt nicht", meinte ich und wir gingen zum Unterricht. Ich hoffte das der Test nicht allzu schlecht ausfallen würde, während Orange sich über andere Sachen Gedanken machte.
Ich atmete immer schneller und immer schneller. Warum gab es in dieser verflixten komischen Welt Tests? Wozu brauchte man Formeln und irgend so einen anderen Quatsch den eh niemand versteht. Oder, es verstehen ihn nur alle weil es ihnen beigebracht wurde. Aber das machte einfach keinen Sinn! Als Wolf konnte man sich sein Essen einfach holen ohne wertvolles Papier und Krimskrams wie Münzen dabei zu haben. Das war einfach nur Verschwendung an Zeit. Luna strahlte, als Herr von Nelvaron ihr ihre Arbeit in die Hand drückte. Na klar, mit Wildkunde konnte sie nichts anfangen und mit Mathematik kannte sie sich bestens aus. Wer bitte, würde lieber rechnen und Formeln notieren als Kräuter zu schneiden und Tränke zu brauen? Außer Luna bestimmt keiner. Und dann war es so weit. Herr von Nelvaron stand vor mir und Orange, die neben mir saß. Lila hatte genauso wie Atra um einen Einzelplatz gebeten, den ihnen der Schulleiter freundlicherweise erlaubte. Dann aber erklang der Phönix-Ruf und erinnerte an die kurze Pause. Direkt vor mir wandte sich Figilius ab und ging zu seinem Pult. „Nach der Pause verteile ich die restlichen Blätter. Ich starrte Herrn von Nelvaron an, als er meinen Blick bemerkte lächelte er. Ich hatte also doch bestanden! Dabei hatte sich mein Gefühl doch noch nie geirrt. Naja, egal. Wenn ich in allen Prüfungen bestehen würde, würde ich am Ende des ersten Schuljahrs eine Auszeichnung als professionelle Magisch Begabte bekommen. Zumindest hatte uns Herr von Nelvaron das so erläutert. Wenn ich in den meisten Fächern durchfallen würde und bei der Abschlussprüfung nicht gut abschneiden würde, müsste ich das Schuljahr wiederholen oder im schlimmsten Fall auf eine andere Akademie wechseln. In der die „Wenig magisch Begabten" trainiert wurden. Sie hieß „Die Akademie für magische Begabte, für Anfänger". Ich fand, das dieser Name sehr bescheuert klang. Plötzlich sah ich schwarz. Endlose Dunkelheit, ohne nur den Hauch von Licht. Schatten umhüllte mich. „Ich kann Schatten Formen geben, die heller werden lassen", schoss Atras Stimme durch meinen Kopf. Was wenn sie eine Falle war? Wenn sie nur mein Vertrauen brauchte, um mich wie Marionetten zu kontrollieren. Bilder schossen mir durch den Kopf, auf denen Atra und ich abgebildet waren. Atra sah auf den Bildern so aus, als würde sie mir Befehle erteilen und ich verfolgte ihre Befehle blind. „Nein, Nein, NEIN!", rief ich mir die Worte ins Gedächtnis. Und tatsächlich wurde der Ort an dem ich mich befand, immer und immer heller, bald blendete er mich. Und dann war ich irgendwo. An irgendeinem Ort, wo ich zuvor noch nie gewesen war und der mir Angst machte. Er war zwar hell und sah auf dem ersten Blick freundlich aus und so, als hätte ich nichts zu befürchteten. Aber als ich genauer hinsah, wirkte dieser freundlicher Ort, eben deshalb komisch und weckte mein Misstrauen. Er sah einfach viel zu freundlich aus. Aus dieser Lichtung führte nur ein schmaler Weg. Ich hoffte, dort endlich ein paar Details über meine Mutter zu erfahren. Denn auch Oranges und Lilas Mütter waren gestorben und eine weitere Farbtochter kannte ich nicht. Der Gedanke, mehr über meine Mutter zu erfahren, trieb meine Beine an, schneller zu laufen. Der Pfad wurde schmaler, je weiter ich mich von der Lichtung entfernte. Weiße Nebelwolken waberten links und rechts um mich herum und als ich mich gegen die Dunkelheit wehren wollte, umschlang sie mich immer mehr und mehr. Ich wurde immer tiefer in den Rausch der Dunkelheit gezogen. Keiner Gedanke meiner war klar, ich schrie, so lange wie ich noch konnte, bis ich vollkommen in den Strudel ins Nichts gezogen wurde. Doch dann wurde es wieder heller. Eine junge Frau sah mich aus wunderschönen azurblauen Augen an. Den wunderschönsten den ich je gesehen hatte. „Silber", flüsterte die Frau sanft. „Du musst vorsichtig sein. Du musst die Vergangenheit loslassen, damit du nach vorne gehen kannst und deine Zukunft eine Chance hat." Gerade als ich die Frau fragen wollte, was sie damit meinte und wer sie überhaupt war, fiel mir etwas Außergewöhnliches an ihr auf. Eine silberne Haarsträhne lugte zwischen ihren hellbraunen Haaren hervor. Mir blieb fast die Luft weg, als ich die Augen schloss. Bestimmt war alles nur ein Traum. Der wunderbarste Traum den ich je geträumt hatte. Aus dem ich niemals, niemals wieder aufwachen wollte. Doch ich müsste der Realität ins Auge sehen. Vor mir stand die wunderbare, hübsche, kluge, talentierte, tierliebe, verträumte, mutige, selbstbewusste Silva Anniela Josephin Alenia Ylva Edaline June Siska Silya Daelvon. Sie. Meine Mutter.
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