"Sie ist wie er..."
Ein älterer Mann klopfte an eine kleine, dunkle Tür in einer engen Gasse in London. Wenn man ihn genauer betrachtete, erkannte man, dass er etwas seltsam aussah. Er hatte lange, weiß-graue Haare und einen noch längeren Bart in der selben Farbe. Doch das merkwürdigste an ihm war, dass er einen Umhang in einem glänzendem Dunkelgrün trug.
Die Tür öffnete sich einen Spalt weit.
"Wer ist da?", wollte eine kalte, männliche Stimme ohne großes Interesse wissen.
"Albus Dumbledore. Dürfte ich bitte herein kommen?", antwortete der ältere Mann.
"Natürlich."
Die Tür wurde nun soweit geöffnet, dass er hindurch gehen konnte. Gleich nachdem er eingetreten war, schlug der andere sie wieder zu und verriegelte sie mit seinem Zauberstab. Es war totenstill hier. Der Straßenlärm war verstummt.
"Sie wissen sicherlich, warum ich hier bin, Severus?", fragte Dumbledore während er sich in dem Raum, in dem er stand umsah. Er war klein und schmutzig, es stand ein grauer Sessel vor einem staubigem Kamin, in dem aber kein Feuer brannte und sonst waren in dem Zimmer nur noch ein paar Regale, auf denen einige Bilder standen. Eine dunkle Holztür führte in ein kleines Bad.
"Ich nehme es an. Es ist wegen ihr, richtig?", meinte der andere. Ein jüngerer Mann; Vielleicht Anfang 40. Er hatte schwarzes, etwas fettiges Haar, das sein Gesicht noch blasser aussehen ließ, als es sowieso schon war. Außerdem trug er dazu noch einen schwarzen, langen Mantel, dessen Kragen bis zu seinem Kinn ging. Insgesamt wirkte er sehr niedergeschlagen und kalt.
"Ja. Sie ist jetzt alt genug. Wann war noch einmal ihr Geburtstag?"
"Am 13. Dezember, letztes Jahr", war die knappe Antwort des Mannes, der mit Severus angesprochen wurde.
"Ah, schön", nickte der Alte mit einem leisem Lächeln im Gesicht, "Jedenfalls sollte sie es jetzt erfahren."
"Alles?!", fragte Severus erschrocken.
"Es muss nicht alles sein... Wenn Sie nicht wollen. Aber sie wird nach Hogwarts gehen."
"Gut..." Severus sah nachdenklich aus.
"Also, ich möchte Sie nicht weiterhin stören. Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen... Auf Wiedersehen."
Dumbledore begab sich wieder in Richtung Tür und wollte sie schon öffnen, als...
"Albus?"
"Ja?"
"Dürfte ich sie... Dürfte ich sie vielleicht mal sehen?" Dieses Worte sprach er so leise und vorsichtig aus, sodass man sie fast nicht hörte.
"Aber natürlich, Severus. Kommen Sie doch mit mir." Auffordernd lächelte er ihn an.
Er konnte sehen wie Severus mit sich kämpfte, doch schließlich nickte dieser kurz.
"Schön", kommentierte Dumbledore immer noch stumm lächelnd und hielt einladend die Tür auf.
Severus trat hinaus. Dumbledore verschloss die Holztür wieder, stellte sich neben ihn und hielt ihm seinen Arm hin.
Der Schwarzhaarige hielt sich fest und schon waren die beiden verschwunden. Es gab keine Anzeichen mehr auf ihr Dasein.
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Wie aus dem Nichts standen die beiden plötzlich vor einem großen eisernen Doppeltor. Dahinter stand ein sehr großes, düsteres Gebäude und ein riesiges, kahles Gelände war mit einem hohen Gitterzaun eingegrenzt.
Mit einem Schwenker seines Zauberstabs ließ Dumbledore das große Tor aufschwingen. Er und sein Begleiter traten auf das Haus zu. In großen Lettern war
Wool's Orphanage
über der wenig einladend aussehenden Eingangstür geschrieben.
"Hier war sie die ganze Zeit über...", stotterte Severus während er das Haus näher betrachtete. Es war wirklich nicht schön. Grau und kalt.
"Ja... Hier sind wir richtig", antwortete Dumbledore und stieg langsam die paar Stufen zu der geschlossenen Tür hinauf.
Da es offensichtlich keine Klingel gab, klopfte er dreimal fest gegen die morsche, dicke Eichentür.
Eine magere, ältere, sehr gestresst aussehende Dame öffnete die Tür.
"Sie sind Mr Dumbledore?", fragte sie mit einem erleichtertem Gesichtsausdruck. "Der bin ich, ja. Schön Sie wieder zu sehen, Mrs Cole", erwiderte Dumbledore, "Und das hier ist mein Begleiter Severus Snape." Er deutete neben sich.
"Ah, ja, gut. Sie wollten zu Ms Prince, hab ich Recht?"
"Genau das will ich", nickte er, "Dürften wir hereinkommen?"
"Oh, natürlich!" Mrs Cole trat zur Seite, sodass Snape und Dumbledore in die schwarz-weiß geflieste Eingangshalle hineingehen konnten. Es war sehr heruntergekommen, jedoch trotzdem tadellos sauber.
"Es sieht immer noch genauso aus wie damals", murmelte Dumbledore unverständlich.
"Es ist auch wie damals...", flüsterte Mrs Cole leise, denn sie hatte ihn verstanden.
"Was soll das heißen?", fragte dieser neugierig.
"Ms Prince, Sienna, sie ist...", sie brach ab, "Sie haben auch für sie einen Platz an Ihrer Schule, oder?"
Dumbledore nickte.
"Gut. Sie ist wie er. Tom Riddle. Sie macht den anderen Kindern auch Angst. Und sie spricht kaum mit jemanden. Und einmal...", wieder stockte sie.
"Ja?", Dumbledore blickte ernst in Mrs Coles ängstliches Gesicht.
"Es war bei einem Ausflug... Oliver Sanders, einer der Kinder hier, hatte sie angeschrien, sie sei eine Missgeburt. Sie solle sterben und dann... Plötzlich hat sie ganz komisch gesprochen, gezischt und da war eine Schlange... Die Schlange hat sich um Olivers Hals geschlungen. Er wäre erstickt, wenn wir ihm nicht geholfen hätten..."
Dumbledores Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert, doch in seinen Augen war Schock geschrieben.
"Können wir bitte zu ihr?", fragte er nach einer Weile. Mrs Cole nickte. "Kommen Sie einfach mit."
Die Dame führte sie die Treppe hinauf, an eine Tür, ganz am Ende des Ganges.
"Hier ist es."
Sie klopfte und sagte bemüht höflich: "Sienna! Besuch für dich."
Langsam öffnete ein 11-jähriges, hübsches Mädchen die Tür. Sie hatte lange, zerzauste schwarze Haare und ebenso schwarze Augen. Außerdem trug sie ein weißes, luftiges Kleid, welches eigentlich viel zu kühl für die jetzige Jahreszeit war.
Snapes Augen leuchteten auf, als er sie erblickte und e musste tief Luft holen.
"Wer sind Sie?",wollte das Mädchen wissen. Ihre Stimme war klar und bestimmt.
Dumbledore wand sich an Mrs Cole: "Wäre es möglich, dass wir sie unter sechs Augen sprechen?"
"Natürlich", erwiderte sie gleich und machte sich wieder auf den Weg zu den anderen Kindern.
Dann fragte er das Mädchen: "Können wir herein kommen?"
Sie nickte, starrte die beiden aber immer noch ununterbrochen an. Nachdem die beiden Fremden in ihrem Zimmer standen und die Tür weder geschlossen war, fragte sie erneut: "Wer sind Sie?"
"Sienna, richtig?", wollte Dumbledore wissen.
Das Mädchen nickte kaum merklich und stellte wieder die gleiche Frage: "Wer sind Sie?"
Zu Dumbledores Erstaunen war ihre Stimme immer noch genauso ruhig wie zuvor. Fast gefährlich ruhig.
"Ich bin Professor Dumbledore, Schulleiter von Hogwarts und das", er zeigte auf Snape, der immer noch kein Wort gesagt hatte, seit er das Haus betreten hatte, "Das ist Professor Snape, ein Lehrer."
Sienna blickte die beiden Männer ausdruckslos an. Irgendwie kam ihr dieser Snape bekannt vor. Sie musterte ihn genauer, doch er sah instinktiv weg.
"Was ist Hogwarts?", wollte sie schließlich wissen.
"Die Schule, in die du vielleicht bald gehen wirst", erklärte Dumbledore freundlich.
"Eine Schule... Stimmt das auch? Ist das nicht irgendein Irrenheim?" Langsam wurde sie lauter und aggressiver. Sie traute den Fremden nicht.
"Ich bin nicht verrückt!", schrie sie schon fast.
Dumbledore erinnerte sich an die Worte des jungen Tom Riddles. Es waren genau die selben gewesen.
"Hogwarts ist keine Schule für Verrückte. Es ist eine Schule der Magie."
Stille trat ein. Die gleiche Stille wie damals, als er diesen Satz zu Tom Riddle gesagt hatte.
"Magie?", wiederholte sie nach einer Weile flüsternd.
"Ist das... Ist das Magie, was ich kann?" Ihr Gesicht war noch immer ausdruckslos, doch ihre Augen hatten angefangen zu flackern als würde dahinter ein Feuer lodern.
"Richtig.", sagte Dumbledore und hakte nach: " Was kannst du denn?"
"Ganz viel", hauchte Sienna aufgeregt.
"Ich kann machen, dass Dinge sich bewegen, ohne dass ich sie anfasse. Ich kann machen, dass Tiere tun, was ich will, ohne dass ich sie dressiere. Ich kann machen, dass Leuten, die mich ärgern, böse Dinge zustoßen. Ich kann machen, dass es ihnen wehtut, wenn ich will."
Diese Worte hatten Dumbledore anscheinend sichtlich schockiert. Es waren die selben, die er damals sagte...
Ihr ganzer Körper bebte und sie sah auf den Boden.
"Ich hab gewusst, dass ich anders bin. Ich habe immer schon gewusst, dass da irgendetwas ist..."
"Nun, du hattest Recht, Sienna Lily Eileen Prince", stimmte Dumbledore ihr zu.
Sie zuckte kaum merklich zusammen, als sie ihren vollen Namen hörte.
"Was ist los?", wollte der Lehrer wissen.
"Mein Name... Ich weiß nicht, warum ich so genannt wurde. Ich finde ihn seltsam...", flüsterte sie dem kalten Steinboden zu.
"Vielleicht wirst du es ja eines Tages erfahren", munterte Dumbledore sie auf. Snape stand immer noch regungslos an der Tür.
"Jedenfalls, Sienna", fuhr er fort, als wäre keine Unterbrechung gewesen, "Du bist eine echte Hexe."
Sienna schaute wieder auf. Ihrem Gesicht konnte man keine richtigen Emotionen zuordnen, doch sie wirkte glücklich. Fast euphorisch. Ihre Augen glänzten vor lauter Freude.
"Sie sind ein Zauberer, oder?", fragte sie dann Dumbledore.
"Genau. Und das - ", er zog seinen Zauberstab hervor, "Das ist mein Zauberstab."
Das Mädchen begutachtete das Stück Holz voller Respekt.
"So einen, und alles weitere, das du für Hogwarts brauchst, kannst du in der Winkelgasse kaufen", erklärte er ihr und reichte ihr die Bücherliste für das kommende Schuljahr. "Ich kann dich gerne dorthin begleiten", bot er ihr an, nachdem sie die Liste durchgelesen hatte, doch diese winkte ab: "Ich brauche Sie nicht. Ich bin es gewohnt, Sachen selber zu machen, ich geh ständig allein in London rum. Wie kommt man in diese Winkelgasse?"
"Das heißt, du willst einen Platz in Hogwarts?"
"Natürlich!"
"Dann solltest du mich mit 'Professor' oder 'Sir' anreden", sagte Dumbledore höflich.
"Oh, Entschuldigung, Sir.", verbesserte sich Sienna ohne ihren Tonfall zu verändern. Dumbledore schaute sie zufrieden an, und erklärte ihr dann den Weg in die Winkelgasse und wie sie letztendlich nach Hogwarts gelangte.
"Okay", sagte sie, als er fertig erklärt hatte. "Aber ich habe kein Geld." Jetzt veränderte sich ihr noch eben ausdrucksloses Gesicht. Traurig blickte sie die beiden Lehrer an.
"Bei Gringotts, der Zaubererbank, hast du ein Verlies, wo deine Eltern - Wer auch immer diese waren - etwas für dich hinterlassen haben."
"Gut."
Dumbledore und Snape wollten sich schon auf den Weg zurück machen, als Sienna noch rief: "Ich... ich kann mit Schlangen reden. Sie kommen zu mir, sie flüstern zu mir. Ich kann sie verstehen. Ist das normal für eine Hexe?"
"Es ist ungewöhnlich", sagte Dumbledore nach kurzem Zögern, "Aber man hat schon davon gehört."
Sein Ton war beiläufig, als wäre dies ganz normal, doch er musterte Sienna neugierig.
Was, wenn... Sofort verwarf er diesen Gedanken wieder.
"Schön, ähm... Also wir sehen uns in Hogwarts", verabschiedete sich Dumbledore, nachdem er sich wieder gefasst hatte, doch das Lächeln in seinem Gesicht war verblasst.
Er zog Snape mit und ging hinaus auf den Flur. Diesem war alle Farbe aus dem Gesicht entwichen. "Sie... Sie sieht aus wie sie", stammelte er fassungslos.
"Nur die Augen und die Haare, die hat sie von ihrem Vater", ergänzte Dumbledore lächelnd.
"Kommen Sie, Severus. Sie können wieder nach Hause." Vorsichtig führte Dumbledore ihn wieder hinaus, an die Straße und kurz darauf waren die beiden Zauberer verschwunden.
Hey, meine Lieben :)
Das ist jetzt das erste Kapitel von diesem Buch. Wahrscheinlich kommen euch einige Passagen bei dem Gespräch zwischen Dumbledore und Sienna bekannt vor.
Ich hoffe, es hat euch gefallen,
Eure Mary :)
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