*5. Frühstück
T a g 2
Wider meiner Erwartungen hatte ich kein Problem damit, am nächsten Morgen aufzuwachen. Zwar waren meine Lider noch immer schwer und mein Körper ganz bestimmt nicht erholt, denn die Träume saßen mir noch tief in den Knochen.
In meinem Traum hatte der Blutige Baron ein Messer in der Hand und erstach gerade Hailee. Als er fertig damit war, reichte er das Messer an Rosier weiter, welcher mit einem teuflischen Grinsen auf mich zu kam. Es gab keine Fluchtmöglichkeiten, ich war gefangen in einer Ecke, vollkommen verstört und ohne eine Ahnung, wie ich mich selbst noch retten könnte. Sieben Tage sind vorbei, hatte Rosier in meinem Traum zu mir gesagt, ehe er das Messer in meinem Körper versenkt hatte. Ich schrie nicht, sondern begrüßte den Schmerz wie einen alten Freund.
Als ich meine Füße auf den kalten Steinboden setzte, konnte ich nur über mich selbst lachen. Das war ein bescheuerter Albtraum, schließlich war der Blutige Baron ein Geist und Geister konnten keine Gegenstände halten, also auch kein Messer! Das kalte Gefühl war dennoch da und ließ mich ein wenig zittern.
Im Badezimmer spritzte ich mir erstmal kaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete mich selbst im Spiegel. Ich sah noch immer aus wie ich selbst, nur mit etwas tieferen Augenringen als sonst und mit einem Blick, der ausschließlich leer war. Langsam keimte die Wut in mir auf und ich formte meine Hand zu einer Faust. Ich war froh, dass noch niemand anderes wach war, denn ansonsten hätten sie Zeugen davon werden können, wie ich mir selbst eine schellte. Also langsam hatte ich echt einen Knacks in der Psyche!
„Du bist Arlyn Tidwell!", zischte ich meinem Spiegelbild entgegen. „Du lässt dich von nichts unterkriegen!" Und schon erschien ein zufriedenes Lächeln auf meinen Lippen. In Windeseile hatte ich meine Uniform angezogen und mich fertig gemacht, sodass ich wenig später die Treppe hinunter in den Gemeinschaftsraum stieg. Wie zu erwarten, war noch niemand dort, kein Wunder eigentlich, schließlich standen die ersten erst in einer halben Stunde auf.
Es war noch immer dunkel draußen und ich konnte den beinahe vollen Mond draußen erkennen. Ich mochte den Mond, denn so viel sich um mich herum veränderte, so sehr ich mich veränderte, der Mond blieb immer der gleiche – obwohl man ihn jeden Tag in einer anderen Form sah. Doch egal wo man sich befand, wie lange man wartete, man konnte sicher sein, dass er in siebenundzwanzig und ein Drittel Tagen wieder genauso sein würde, wie man ihn gerade betrachtete. Wolken konnten ihn verdecken und dennoch war er da. Es hatte einen Grund, dass dem Mond eine große Bedeutung gegeben wurde, auch wenn manche dies als Aberglauben abtaten.
Ich wandte meinen Kopf vom Fenster ab und kletterte durch das Portraitloch. Die Fette Dame war selbstverständlich nicht sehr begeistert über die frühe Störung, doch natürlich kannte sie diese Prozedur schon, schließlich ging das schon sechs Jahre lang so.
„Ich kann es kaum erwarten, bis du endlich fertig mit der Schule bist!", murmelte das Portrait beleidigt. Anstatt beleidigt zu sein, musste ich lächeln. Es erfüllte mich mit einer gewissen Freude, dass ich es geschafft hatten, der Fetten Dame ihr Dasein als Gemälde möglichst schwer zu machen.
„Dann sind wir ja schonmal zwei!", gab ich zurück und fing an zu grinsen. Der Gedanke, in weniger als acht Monaten endlich für immer aus dem Haus Gryffindor zu verschwinden, erfüllte mich mit Glückseligkeit.
Auf leisen Sohlen stieg ich die Treppen hinab, übersprang wie gewohnt die Trickstufen und verärgerte einige Portraits durch das Licht meines Zauberstabes. Anders als bei der Fetten Dame fühlte ich mich ein wenig schuldig und löschte nach einer Weile das Licht, nur um mich im Halbdunkel voran zu tasten. Dies wäre ein Problem gewesen, hätte ich es nicht schon unzählige Male zuvor gemacht. Nach einigen Minuten voller Konzentration kam ich endlich in der Eingangshalle an und sah das Licht, das aus dem Tor zur Großen Halle fiel. Der Anblick war so magisch wie die schwebenden Kerzen und die verzauberte Decke und das obwohl der Anblick allein nicht wirklich etwas mit Magie zu tun hatte.
Wie immer war ich eine der ersten. Zwei kaffeetrinkende Ravenclaws, fünf muntere Hufflepuffs und drei schlaflose Slytherins. Am Gryffindortisch war mal wieder niemand abgesehen von mir. Aus irgendeinem Grund schienen Gryffindors nie Probleme damit zu haben, lange zu schlafen, während einige Ravenclaws dazu neigten, früh aufzustehen, weil sie in ihren Träumen mal wieder von irgendwelchen Sprüchen, Tränken und Formeln geplagt wurden, einige Hufflepuffs als Frühaufsteher den Tag munter begannen und einige Slytherins die ganze Nacht nicht ein einziges Auge zu bekommen hatten, aus welchem Grund auf immer. Warum es diese Stereotypen gab, wusste ich nicht.
Ich ließ mich an meinem Haustisch nieder und füllte meinen Teller mit zwei Spiegeleiern und etwas Gemüse. Wie immer machte ich mir einen Tee und rümpfte die Nase, als mein Blick auf das Fleisch nicht weit von mir fiel. Es dauerte eine Weile, bis ich den Geruch ignoriert hatte und mich auf das Essen konzentrieren konnte.
Ohne, dass ich es wollte, wurde mein Blick auf den Slytherintisch gezogen, wo meine Augen auf die schlaflosen braunen Augen von Rosier trafen. Obwohl ich am anderen Ende der Halle saß, konnte ich die Schatten unter seinen Augen deutlich erkennen. Sein Blick war intensiv so als wollte er mir etwas mitteilen, doch ich hatte keine Ahnung, was es war.
In diesem Moment fasste ich einen Entschluss, dessen Sinn ich nicht ausmachen konnte. Es war ziemlich bescheuert und ich hatte keine Ahnung, wozu dies dienen sollte, aber ich beschloss es dennoch. Obwohl ich nicht diejenige sein wollte, die den Blickkontakt brach, wandte ich mich von ihm ab und wieder meinem Frühstück zu. Mit einem Mal war mir der Appetit vergangen, doch ich kannte mich gut genug, um zu wissen, wie sehr ich es bereuen würde, nicht ordentlich zu frühstücken. Zwar mangelte es meinem Körper nicht an Fettreserven, aber mir ging es eher um die Unterzuckerung, die ich im Laufe des Tages bis zum Mittagessen erleiden würde. Und wie jeder wusste führte niedriger Blutzucker zu Konzentrationsschwierigkeiten, die ich nicht unbedingt im Unterricht haben wollte.
Nach und nach füllte sich die Große Halle immer weiter und es wunderte mich ehrlich, dass sich die Rumtreiber so früh blicken ließen. Sie setzten sich an eines der Enden der Tisches und nahmen stumm ihr Frühstück ein. Mir fiel auf, dass sie nur zu dritt waren, was mich darauf schließen ließ, dass Lupin tatsächlich mit einer Grippe im Krankenflügel lag. War auch kein Wunder, wenn man bedachte, wie er gestern noch ausgesehen hatte.
Ich wendete meinen Kopf von ihnen ab, als ich sah, wie Hailee zusammen mit Marlene und Dedalus eintrat. Sie wirkten alle wie immer munter und winkten mir fröhlich zu. Augenblicklich erklärte ich mein Frühstück für beendet und stand auf, um mich zu ihnen an den Hufflepufftisch zu setzten – zumindest so lange, bis Professor McGonagall mich wieder einmal ermahnte.
„Guten Morgen!", grüßte Hailee mich fröhlich wie immer. „Ich habe von dir geträumt! Ich musste dich aus Professor McGonagalls Büro vom Nachsitzen abholen, doch wir konnten den Ausgang einfach nicht finden."
„Hört sich interessant an", gab ich dezent verwirrt zurück. Scheinbar verfolgte mein Nachsitzen meine beste Freundin schon in ihren Träumen. Da musste ich eindeutig etwas dran ändern!
„Was musstest du gestern eigentlich machen? Du siehst müde aus, hat es lange gedauert?", fragte Hailee mich besorgt und auch Marlene warf mir einen durchdringenden Blick zu.
„Wir durften das Zaubertränkeklassenzimmer schrubben und waren erst kurz vor Sperrstunde fertig!", beantwortete ich Hailees Fragen.
„Und seid ihr nun zu Freunden geworden?", hakte Dedalus dreist nach. Ich starrte ihn entgeistert an und schüttelte nur den Kopf. Wenn ich mich jemals mit den Rumtreibern anfreunden würde, dann würde ich erstmal drei rote Kreuze in meinem Kalender machen!
„Ich hoffe, du fängst dich nach dem Nachsitzen wieder. Ich will nicht, dass du noch mehr Ärger am Hals kriegst!", meinte Marlene. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Es war nett gemeint, doch ich konnte nicht anders, als mich ein wenig angegriffen zu fühlen, schließlich war es nicht wirklich meine Absicht gegen Regeln zu verstoßen. Ein Glück war Edelina nicht da, ansonsten hätte ich mir wieder irgendwas von bösen Omen anhören dürfen.
„Ich werde mir Mühe geben", erwiderte ich, wobei ich mir nicht sicher war, ob es überhaupt möglich war, den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Irgendwie spürte ich, dass sich mein Leben langsam zu einer reinen Katastrophe verdichtete. Mein Blick fiel wieder auf Rosier, welcher sich gerade mit Snape und Mulciber unterhielt, die anscheinend vor kurzem zu ihm gestoßen waren. Natürlich entging Hailee mein Blick nicht und sie sah mich besorgt an.
„Ist alles in Ordnung?", fragte sie. Ich riss mich von Rosier los und wollte ihr am liebsten alles erzählen, doch mein Kopf hörte nicht auf mein Herz und fing an zu nicken. Ein Räuspern ertönte hinter mir, weswegen ich sofort meine Tasche griff und mich erhob, nur um Professor Sneed ins Gesicht zu sehen.
„Ich dachte, Professor McGonagall hätte sie bereits oft genug darauf hingewiesen, dass das Sitzen an einem fremden Haustisch nicht gestattet ist", merkte sie mit spitzer Stimme an. Da war jemand wohl immer noch beleidigt, dass ich in ihrem Unterricht geschlafen hatte.
„Entschuldigung, Professor, ich hatte Hailee nur gefragt, ob ihr Dad auch einen dieser Taschenrechner besitzt, die sie uns in ihrer letzten Stunde vorgestellt haben. Ihr Dad ist nämlich Architekt und ich kann mir vorstellen, dass dieses Gerät ihm sehr weiterhelfen würde", log ich meine Lehrerin mit einem freundlichen Lächeln an. Diese schluckte meine Lüge ohne zu zögern und ihre schmalen Lippen kräuselten sich zu einem zufriedenen Lächeln. Manchmal fragte ich mich, wie Lehrer ihren Schülern tatsächlich abkaufen konnte, dass sie über den Unterricht sprechen würden. Das war schließlich nur selten der Fall.
„Diese Information würde mich auch sehr interessieren", meinte Professor Sneed und sah Hailee auffordernd an. Ich tauschte einen kurzen Blick mit ihr aus, weswegen sie ohne zu zögern die Frage beantwortete.
„Mein Dad hat schon einen Taschenrechner zu Hause, aber er hat noch so einige Probleme, damit umzugehen und rechnet deswegen lieber im Kopf, wenn möglich", erklärte sie und schien erleichtert darüber, dass sie nicht lügen musste. Darin unterschieden wir uns, denn während ich mehrmals in der Woche die eine oder andere Notlüge heraus haute, glaubte Hailee daran, dass Ehrlichkeit der einzige Weg zu einer guten Gemeinschaft war, womit sie auch Recht hatte, doch oft schaffte ich es einfach nicht, die Wahrheit auszusprechen, was mit Sicherheit keine Charakterstärke war.
„Sehr interessant. Die Muggel erfinden schon sehr komplexe Geräte. Sehr faszinierend." Damit rauschte Sneed ab und auch ich winkte meinen Freunden zu und verließ die Große Halle, da ich nicht noch mehr Ärger bekommen wollte.
Auf dem Weg zur Eulerei kamen mit Lily und Tess entgegen, welche scheinbar auf dem Weg zum Frühstück waren. Wie eigentlich jedes Mal, wenn ich sie traf, sprachen sie über Potter und so langsam überkam mich das Gefühl, sie wären dezent besessen von dem Typen.
„Nein, Lily, du musst noch vor dem Unterricht mit ihm reden, ansonsten hat er den ganzen Vormittag Zeit, um sich Nachsitzen einzuhandeln!", meinte Tess und somit wurde mir klar, dass es noch immer darum ging, Potter vom Streiche spielen abzuhalten.
„Aber wie soll ich das denn bitte anstellen? Ich kann ihn doch nicht vor der gesamten Schule sagen, dass ich mit ihm ausgehen würde, wenn er dafür Verspricht, keinen Blödsinn mehr zu machen!", kam es von einer verzweifelten Lily. Ein Glück hatte ich solche Probleme nicht!
Viel mehr bekam ich leider auch nicht mehr mit, auch wenn es mich brennend interessierte, ob Lily wirklich plante, Potter während des Frühstücks dieses Angebot zu machen. Früher oder später würde ich es so oder so erfahren, schließlich hatte ich notfalls auch noch Hailee und Marlene, die mir Infos beschaffen konnten.
Ich konnte nur hoffen, dass das mit den beiden endlich klappen würde, denn ansonsten würde noch die gesamte Schule ausrasten. Seit Potter mit den Streichen an Snape aufgehört hatte, tänzelten er und Lily immer wieder umeinander herum, um das ganze metaphorisch darzustellen. Merlin, ich konnte Dumbledore wirklich verstehen, an seiner Stelle hätte ich Potter wohl auch zu Verkupplungszwecken zum Schulsprecher ernannt. Schon allein die Verantwortung machte Potter in Lilys Augen doch schon fünfhundertmal attraktiver. Obwohl Lily gestern bereits bewiesen hatte, dass sie ihn auch so attraktiv fand. Dieser Gedanke ließ mich Grinsen. Ich fragte mich ja, wie unerträglich die beiden als Paar wären. Und da ich gleich in der ersten Stunde Zaubertränke hatte, stellte ich mir natürlich auch gleich vor, wie die beiden Amortentia brauten und sich nur gegenseitig rochen. Es kostete mich eine Menge Beherrschung, um nicht mitten auf dem Korridor in lautem Gelächter auszubrechen.
Schließlich kam ich in der Eulerei an, welche natürlich wie leer gefegt war, denn um diese Zeit lieferten sämtliche Eulen Briefe in der Großen Halle aus. Abgesehen von meiner Sperbereule Kyllikki natürlich, die wie jeden Morgen auf mich wartete. Nur um das klar zu stellen: Ich hatte den Namen nicht selbst ausgesucht! Meine Grandma hatte sie mir geschenkt und meinte, sie müsste dem Tier einen Namen geben, der ihrer Herkunft gerecht wurde.
Und tatsächlich war mein Weg in die Eulerei nicht umsonst gewesen, denn Kyllikki hatte tatsächlich einen Brief für mich dabei. Mit einem Lächeln ging ich auf sie zu und band ihr den Brief vom Bein los, während ich in meiner Tasche nach einem Eulenkeks haschte. Nachdem unser Tausch vollendet war, strich ich ihr noch einmal sanft über das Gefieder, ehe ich den Brief betrachtete, welcher wie erwartet von meiner Mum war.
Meine Mum war ein großer Briefeschreiber und schrieb mir mehrmals die Woche, ohne auf eine Antwort zu warten. Somit war ich schreibfaul geworden und immerzu bestens informiert, was zu Hause im Moment so los war. Interessiert riss ich das Siegel auf und entfaltete den Pergamentbogen.
Liebe Arlyn,
Im Moment mache ich mir große Sorgen um deinen Vater – er ist sehr unruhig in den letzten Tagen, will aber nicht darüber reden. Da er sich förmlich auf die Arbeit stürzt, befürchte ich, dass sein Chef ihn etwas unter Druck gesetzt hat und er nun härter arbeiten muss, um seinen Job zu behalten.
Heute ist deine Grandma aufgebrochen, um deine Tante zu besuchen. Sie war so glücklich, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, wenn auch nur für eine Woche. Vielleicht können wir in den Weihnachtsferien nochmal alle zusammen nach Kainuu reisen, das würde sicherlich allen eine riesige Freude bereiten!
Ich rechne zumindest, dass du in den Ferien nach Hause kommst. Ich will nämlich nicht, dass du ganz allein auf Hogwarts feierst, während deine Mitschüler dich nur ärgern!
Übrigens ist mir gestern deine Lieblingstasse zerbrochen, doch zum Glück können wir zaubern, nicht wahr?
In Liebe,
Mum
Ich musste leicht schmunzeln, als ich ihren letzten Satz las, denn das erinnerte mich wieder an mein gestriges Gespräch mit Dorcas, in dem wir festgestellt hatten, dass wir ohne unsere Zauberstäbe wirklich aufgeschmissen wären.
Die Nachricht, dass mein Dad eventuell seinen Job verlieren könnte, war allerdings nicht ganz so rosig, obwohl das natürlich nur eine Vermutung meiner Mum war. Andererseits hatte sie immer ein gutes Gefühl für solche Dinge, weswegen ich mir das gut vorstellen konnte. Schließlich kannte ich auch meinen Dad und der war, um ehrlich zu sein, nicht gerade der beste Angestellte, den man haben konnte.
Seufzend verstaute ich den Brief in meiner Tasche und machte mich auf den Weg in die Kerker. Insbesondere das liebte ich an Freitagen: Erst vom Gryffindorturm zur Großen Halle, von dort die Treppen wieder hoch in die Eulerei, von wo aus ich wieder all die Treppen bis in die Kerker hinab steigen durfte. Und da sagte man, Leute, die nicht Quidditch spielen, wären unsportlich!
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