*23. Muskelkater
T a g 5
Heilige Scheiße!, war das erste, was mir in den Sinn kam, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Meine Beine waren furchtbar schwer und meine Arme fühlten sich an, als hätte eine Armee von Hauselfen auf sie eingeschlagen. Das Gefühl wurde nur noch schlimmer, als ich mich langsam aufrichtete und einen Blick auf die Uhr warf. Halb sechs.
Ich unterdrückte ein Stöhnen, als ich aufstand und mich auf den Weg ins Badezimmer machte, wo ich mich erstmal unter die kalte Dusche stellte. Kälte sollte schließlich gegen Muskelkater helfen! Ich musste einen Schrei unterdrücken, als das eiskalte Wasser auf meine Haut traf, doch ich zwang mich dazu, zumindest ein paar Minuten darunter auszuhalten, ehe ich die Temperatur etwas erhöhte und mich um den hygienisch bedingten Teil des Duschens kümmerte.
Nach wenigen Minuten war ich erfrischt, sauber und voller Energie und Tatendrang. Da es noch so früh war, und ich mich noch nicht wirklich hungrig fühlte, beschloss ich meinen Besuch in der Eulerei heute etwas vorzuziehen und erst danach zum Frühstück zu gehen.
Der Gemeinschaftsraum war vollkommen leer als ich die Treppe hinunter gestiegen kam. Ich warf zur Kontrolle noch einmal ein Blick auf das Schwarze Brett und versicherte mich, dass das neue Passwort tatsächlich Calluna vulgaris war, ehe ich durch das Protraitloch kletterte und die Fette Dame mal wieder aufweckte.
„Kannst du mich nicht einmal ausschlafen lassen?", fauchte sie mich an, was ich wie immer gekonnt zu ignorieren wusste. Es war schließlich viertel vor sechs. Es würde sowieso nicht mehr lange dauern, bis auch andere Gryffindors den Gemeinschaftsraum verließen.
Meine Muskeln meldeten sich auch noch schmerzlich zu Wort, als ich durch die Korridore in Richtung Eulerei durchstreifte. Ich konnte nur hoffen, das das schnell besser wurde, aber so wie ich Muskelkater kannte, würde der im Laufe des Tages noch schlimmer werden. Vielleicht sollte ich vor dem Frühstück noch einen kleinen Abstecher in den Krankenflügel machen und Madam Pomfrey nach einem schmerzlindernden Zaubertrank fragen. Allerdings würde ich dann ziemlich sicher wie ein Weichei dastehen, weswegen ich die Idee wieder verwarf. Ich war Arlyn Tidwell, ich würde doch wohl mit einem leichten Muskelkater klarkommen!
Als ich die Treppe erreichte, die in die Eulerei hochführte, konnte ich bereits erfreut feststellen, dass die Bewegung die Schmerzen bereits etwas gelindert hatte. Es wurde immer kälter je weiter ich nach oben ging. Da Eulen nachtaktiv waren, war es noch dazu relativ laut, auch wenn es wahrscheinlich noch deutlich schlimmer sein könnte, schließlich waren die meisten Eulen gerade dabei Morgenpost auszuliefern.
Wie immer wartete meine Sperbereule Kylikki auf mich. Sie hatte ein kleines in Papier eingeschlagenes Päckchen für mich dabei. Obwohl ich sie nicht explizit zu meine Mum geschickt hatte, musste sie ihr von sich aus einen Besuch abgestattet haben, was mich nicht wirklich überraschte.
Ich angelete einen Eulenkeks aus meiner Tasche und gab ihn Kylikki, bevor ich ihr sanft über das Gefieder streichelte und das Päckchen von ihr losband. Mir war von Anfang an klar, was meine Mum mir geschickt hatte, schließlich hatte sie in ihrem letzten Brief geschrieben, dass sie mir mein Tagebuch schicken wollte.
Sie hatte es mir damals zu meinem siebzehnten Geburtstag geschenkt und ich hatte seitdem nicht ein Wort hineingeschrieben. Ich war mir beinahe sicher, dass meine Mum das ebenso gut wusste, schließlich war sie derart neugierig, dass sie auch vor meinem Tagebuch nicht halt machen würde. Wenn ich da jemals reinschreiben sollte, würde ich ganz sicher dafür sorgen, dass ich unsichtbare Tinte benutzte.
Nicht dass ich jemals wirklich Tagebuch führen würde. Um ehrlich zu sein war mein Leben einfach viel zu uninteressant, als dass ich irgendwas davon festhalten sollte. Was war überhaupt der Sinn eines Tagebuches?
Kylikki pickte sanft mit ihrem Schnabel nach meiner Hand. Ich grinste und streichelte sie weiter, während ich mit der anderen Hand in meiner Tasche nach einem Eulenkeks suchte. Kylikki verschlang diesen binnen Sekunden und schien dann vollkommen zufrieden langsam in den Schlaf abzudriften.
Da es mir langsam etwas zu kalt wurde, beschloss ich, den Brief von meiner Mum erst in der Großen Halle beim Frühstück zu lesen, weswegen ich mit einem letzten Blick auf Kylikki wieder die Treppe hinab stieg.
Das Schloss schien zunächst wie leergefegt, doch als ich in die Nähe der Großen Halle kam, bemerkte ich, dass ich bei Weitem nicht die einzige war, die bereits auf den Beinen war. Scheinbar hatte ich doch mehr Zeit in der Eulerei verbracht, als mir bewusst war.
Das Frühstück war bereits angerichtet, doch der Gryffindortisch wirkte noch relativ leer, weswegen ich freie Platzwahl hatte. Ich setzte mich einfach irgendwo in die Mitte und goss mir eine Tasse Tee ein. Daraufhin griff ich nach dem Brief meiner Mum und öffnete diesen.
Wie so häufig enthielt er keine besonders interessanten Informationen. Stattdessen ließ sich meine Mum über die Tatsache aus, dass ich nicht ein Wort in mein Tagebuch geschrieben hatte, was meinen Verdacht bestätigte, dass sie durchaus darin hatte lesen wollen. Schließlich gab sie mir noch ein Update über meinen Cousin Joki, welcher wohl eine Reise nach Italien unternommen hatte.
Ich war noch am Überlegen, ob ich mir die Zeit für eine Antwort nehmen sollte, als sich auf einmal mehrere Personen neben mich setzten. Der Brief wurde mir aus der Hand genommen, was ich mit einem empörten Schnauben quittierte.
„Ach wie süß, Tidwell hat Post von ihrer Mum!", rief Black unglaublich erwachsen. Ich verdrehte nur die Augen. So kindisch, dass ich versuchen würde, ihm den Brief abzunehmen, war ich nun wirklich nicht. Sollte er doch lesen, was darin stand, wirklich bereichern konnte ihn das sowieso nicht.
„Schon mal etwas von Briefgeheimnis gehört?", empörte sich zu meiner Überraschung Tess und riss den Brief aus Blacks Händen, nur um ihn mir mit einem freundlichen Lächeln zurückzugeben.
„Danke", sagte ich und zwang mich ebenfalls zu einem kleinen Lächeln, während ich den Brief in meiner Tasche verschwinden ließ.
Die ganze Situation war befremdlich. Obwohl es in letzter Zeit gruseligerweise sehr häufig vorkam, konnte ich mich einfach nicht daran gewöhnen, beim Essen Gesellschaft zu haben. Die Rumtreiber machten sich augenblicklich über das Frühstück her und beluden sich ihre Teller, während Lily und Tess sich mit deutlich mehr Ruhe wie ich erst eine Tasse Tee eingossen und sich einen Überblick verschafften.
Heute gab es Würstchen, Rührei, Blutwurst, Toast und Porridge. Auch Obst stand etwas weiter von mir entfernt in einer Schale, was wenigstens einen Lichtblick darstellte. Ich war nie ein Fan vom typischen Englischen Frühstück gewesen, doch das schien es auf Hogwarts beinahe jeden Tag zu geben.
„Möchtest du auch?", kam es von meiner rechten Seite, auf der Potter saß. Ich blinzelte ihn verwirrt an, ehe ich seinem Blick auf die Schale in seiner Hand folgte.
Ich rümpfte die Nase. „Urgh, nein, ich esse kein Fleisch!"
Leicht peinlich berührt stellte Potter die Schüssel mit der Blutwurst weit weg von mir, was mich fast zum lachen gebracht hätte. Woher hatte er auch wissen sollen, dass ich mich vegetarisch ernährte?
„Wow, dich hätte ich nie für den tierlieben Typ gehalten", kommentierte Black erstaunt, weswegen ich ihm am liebsten eine runtergehauen hätte.
„Wenn du einmal gesehen hast, in welchen Verhältnissen diese Tiere leben, dann würdest du auch kein Fleisch mehr essen. Außerdem ist es einfach widerlich und abartig Leichenteile zu essen", verteidigte ich mich und versuchte den restliches Schwall an Argumenten zurückzuhalten, der in mir aufkam.
Black schnaubte nur genervt, während Lily mich interessiert anblinzelte. „Und wie lange isst du schon kein Fleisch mehr?", fragte sie.
„Seit etwa fünf Jahren, glaub ich", erwiderte ich. So wirklich die Augen geöffnet hatte mir nämlich die damalige Freundin und jetzt Ehefrau meines Cousins Joki, welche eine indische Hexe war. Laut ihren Erzählungen verzichteten die meisten Inder auf Fleisch und allgemein Tierprodukte, da diese schwer verdaulich waren und den Körper krank machten, mal ganz abgesehen von den im Buddhismus und Hinduismus verbreiteten moralischen Werten. Joki war damals auch zum Vegetarismus über gewechselt und da Joki schon immer eine Art Vorbildfunktion für mich hatte, tat ich es ihm einfach nach.
„Interessant", bemerkte Lily, doch so interessant sie es auch zu finden schien, weitere Fragen hatte sie nicht, denn sie lud sich etwas Toast und Rührei auf ihre Teller.
„Peter, kannst du mir vielleicht einen Apfel geben?", wandte ich mich an den nettesten Rumtreiber, welcher mich freundlich anlächelte und den besten Apfel aus der Schale vor sich heraussuchte, ehe er ihn mir reichte.
„Danke", sagte ich und biss genüsslich hinein.
„Du hast übrigens gestern ganz schon was ins Rollen gebracht, Tidwell", sprach mich Black schon wieder an. Na das würde ja noch ein entspanntes Frühstück werden. „Wir mussten nach dem Abendessen nochmal zu McGonnagall ins Büro, um mit Schnieffelus und Co. zu sprechen. Und da ist Avery herausgerutscht, dass Schnieffelus tatsächlich etwas in meinen Trank am Freitag getan hat, was zu der Explosion geführt hat — du weißt schon, das mit den Warzen und so."
Ich nickte, fragte mich aber innerlich, warum er mir das erzählte.
„Er darf jetzt drei Tage lang Nachsitzen", verkündete Black nun voller Stolz und mit einem Mal verstand ich, warum sein Animagus der eines Hundes war, denn er sah mich an, als würde er zur Belohnung gerne hinterm Ohr gekrault werden.
„Schön für dich?", erwiderte ich leicht verstört über meine eigenen Gedanken und nahm einen weiteren Biss aus meinem Apfel. Zu meiner Freude, seufzte Black nur genervt, schüttelte leicht den Kopf und fing ein Gespräch mit Peter an. Potter wiederum diskutierte mit Lupin über irgendwelche Bands, die mich absolut nicht interessierten. Wenn sich Tess und Lily nun untereinander unterhalten hätten, wäre alles super gewesen und ich hätte meine Ruhe gehabt. Aber nein, die liebenswürdige Lily Evans musste natürlich die arme und einsame Arlyn Tidwell in ihr Gespräch einbeziehen. Es war zum Kotzen!
„Sag mal, ist zwischen dir und Hailee alles in Ordnung?", fragte Lily ernst. Ich versteifte in meiner Bewegung und sah sie fassungslos an. Wer bei Merlins pinken Boxershorts gab ihr das Recht, solche Dinge zu fragen? „Ich mein ja nur, sonst schaust du immer bei ihr vorbei und Marlene hatte da sowas von einem Streit erwähnt."
Ich starrte sie weiterhin ungläubig an. Dachte sie jetzt etwa, dass wir Freunde wären? Darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Und genau deswegen stand ich auf, legte meinen angebissenen Apfel auf meinen leeren Teller und verließ die Große Halle, allerdings nicht ohne Tess „Lily, das kannst du doch nicht einfach fragen!" zischen zu hören. Und wie Recht Tess damit hatte. Allein bei diesem Frühstück hatte sie einige an Sympathiepunkten gesammelt, vielleicht war sie doch nicht so übel, wie ich zuvor angenommen hatte.
Die Tatsache, dass ich bis auf den halben Apfel nichts zu mir genommen hatte, ignorierte ich gekonnt. Eine ausgefallenen Mahlzeit würde mich wohl schon nicht umbringen und zur Not kannte ich ja dank Dedalus den Weg zur Schulküche.
In der ersten Stunde stand Zauberkunst mit den Ravenclaws an, was mir mehr als Recht war. Normalerweise wartete ich immer auf die Stunden, die ich zusammen mit Hufflepuff hatte, damit ich Zeit mit meinen Freunden verbringen konnte, doch heute war mir gar nicht danach. Allein der Gedanke daran, nach Zauberkunst neben Hailee in Verwandlung zu sitzen, gefiel mir gar nicht.
Hailees Worte hatten sich in mein Gehirn eingebrannt, dass realisierte ich erst, als ich vor dem Zauberkunstklassenzimmer ankam. Es gibt mehr als vier Schubladen. Meine gesamte Schulzeit war ich wütend darüber gewesen, in die angeblich falsche Schublade gesteckt worden zu sein. Doch was, wenn Hailee Recht hatte und all dieses Drama um die vier Häuser nichts über eine selbst aussagte. Warum konnte ich nicht stolz darauf sein, eine Gryffindor zu sein? Warum konnte ich mein Haus nicht wertschätzen und versuchen, meinen Beitrag zu leisten? Vielleicht hatte ich mich von Anfang an geweigert ein Teil der Gemeinschaft zu sein und mir so alles verdorben.
Ich lehnte mich an die Wand und glitt an ihr hinab, bis ich auf dem kalten Steinboden saß. Je mehr ich darüber nachdachte, desto schlechter fühlte ich mich für mein Verhalten gegenüber Lily und den Rumtreiber. Sie gaben sich anders als ich Mühe, mich einzubeziehen. Und ich war einfach nur ein trotziges Arschloch, das sich die sarkastischen Kommentare nicht verkneifen konnte.
Wenn sich alles um dich herum ändert, solltest du wenigstens im Klaren darüber sein, wer du selbst bist.
Hailee hatte es nett gemeint. Hätte sie nur gewusst, dass mich das alles noch mehr durcheinander bringen würde. Ich war Arlyn Tidwell, eine schrecklich sarkastische, verlogene und arrogante Idiotin, die alle Menschen von sich stieß und in Schubladen steckte. Dies war eine Erkenntnis, die mir absolut nicht gefiel, doch ich hatte auch keine Ahnung, wie ich mich jetzt, wo ich schon so tief in der Scheiße saß, noch verändern sollte. Was ich brauchte, war eine komplett neue Chance, ein neues Leben unter anderen Umständen und bevor ich das machen konnte, musste ich die letzten Monate auf Hogwarts durchstehen. Sobald ich meine Ausbildung begann, konnte ich endlich neu anfangen!
Und genau zu diesem Punkt wollte ich kommen und ich konnte dies nur erreichen, wenn ich Rosiers verdammte Mutprobe am Donnerstag überleben würde. Deswegen musste ich mich auf alles vorbereiten, also zog ich mein Zauberkunstbuch aus der Tasche und fing an, darin zu lesen.
Als sich langsam die anderen Schüler vor dem Klassenzimmer sammelten, war ich heilfroh, dass sich niemand die Mühe machte, mich anzusprechen, schließlich brauchte ich meine Ruhe.
Erst als die Tür aufging und sich die Schülermassen in Bewegung setzten, sah ich auf und mir wurde bewusst, dass ich nun langsam aufstehen sollte. Mein Hintern war eiskalt und meine Muskeln erinnerten mich schmerzhaft an die gestrigen Strapazen.
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