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Mit grimmig verzogenen Lippen ließ Alexandra sich an einem beliebigen Tisch in der Cafeteria nieder, in der Hoffnung, dass sich niemand zu ihr setzte. Katharina hatte in der Redaktionskonferenz erklärt, dass sie ihr gerade die Grundlagen für Pressemitteilungen beibrachte, und darüber waren alle so begeistert gewesen, dass sämtliche nebensächlichen Pressemitteilungen auf ihrem Schreibtisch gelandet waren. Es war offensichtlich, dass niemand diese Arbeit machen wollte, und die Entschuldigung, die sie als Volontärin, die noch eingelernt werden musste, lieferte, um diese Arbeit abzuwälzen, war allen nur zu willkommen. Alle hatten Katharina ihr Lob dafür ausgesprochen, dass sie sich so gut kümmerte. Und so hatte sie die letzten drei Stunden nichts anderes getan, als Artikel mit drei Sätzen Inhalt zu schreiben. Ihre Laune war so mies, wie sie nur sein konnte.

„Hey, Schätzchen, warum sitzt du hier so allein?"

Natürlich wurde ihr Wunsch nicht erhört. Erwartungsvoll stand Matthias mit seinem Tablett in der Hand vor ihr am Tisch, als wäre es selbstverständlich, dass sie jede Mahlzeit mit ihm einnahm. Seufzend legte sie ihre Gabel wieder hin: „Ich will heute lieber alleine essen. Kümmere dich einfach nicht um mich."

„Ne, so läuft das nicht", widersprach er und setzte sich einfach ohne Einladung zu ihr: „Wenn du schlechte Laune hast, musst du unter Leute gehen, damit du auf andere Gedanken kommst."

„Das mag dir helfen, aber ich ticke da anders", versuchte sie zu erklären, doch in dem Moment kamen ihre beiden Chefs mit Katharina und einer anderen, ihr noch nicht namentlich bekannten Kollegin an den Tisch.

„Wieso sitzen wir heute hier?", wollte Herr Baumann wissen, doch keiner zögerte, sich an den Tisch zu setzen.

„Weil ich heute hier sitzen will", erklärte Matthias seelenruhig.

Am liebsten hätte Alexandra ihren Kollegen umgebracht, doch da sich ihre beiden Chefs nun mit am Tisch befanden, zwang sie ein freundliches Lächeln auf ihre Lippen und bemühte sich um höfliche Konversation: „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht, oder?", richtete sie das Wort an die blonde Frau, die neben Herrn Baumann Platz genommen hatte: „Ich bin Alexandra, die neue Volontärin."

Ein schüchternes Lächeln erschien auf dem Gesicht ihrer Kollegin: „Ich bin Joana. Ich bin Teil der Politik-Redaktion."

„Lassen Sie sich nicht von ihrem schüchternen Auftreten beeindrucken, Frau Berger", mischte sich direkt Herr Winkler ein: „Sie tut immer ganz lieb, aber wenn unsere gute Joana an einer Geschichte dran ist, zeigt sie Zähne. Sie ist unser bester Spürhund für politische Intrigen."

Überrascht blickte Alexandra zu der Schönheit hinüber. Das hätte sie von dieser Frau tatsächlich nicht erwartet. Joana hingegen lief prompt rot an: „Du machst mir immer zu viele Komplimente, Stefan. Als mein Chef solltest du vorsichtig sein damit."

„Das sehe ich auch so", stieg Herr Baumann energisch mit ein: „Wenn du zu freizügig mit Komplimenten bist, kommt noch jemand auf falsche Ideen."

Augenblicklich breitete sich Schweigen am Tisch aus. Joanas Gesicht wurde noch roter und Herr Baumann, der offenbar erst jetzt registriert hatte, wie seine Worte klangen, tat es ihr nach. Nachdenklich legte Alexandra den Kopf schräg. Das war eine interessante Beziehung, die sie definitiv im Auge behalten wollte.

„Bei Stefan muss man da doch gar keine Sorgen haben", durchbrach Katharina die Stille: „Es wissen doch alle, dass er nur Augen für mich hat."

„Oh angebetete Kathi, dieser ergebene Diener dankt, dass du zu seiner Ehrenrettung gekommen bist", flötete Stefan und sofort brach der ganze Tisch in Lachen aus.

„Welche Ehre?", konterte Matthias: „Wir wissen doch alle, was für ein Frauenheld du bist, du alter Charmeur."

„Wie kannst du so etwas sagen?", gab der entrüstet zurück: „Noch dazu in der Anwesenheit von Frau Berger. Was soll sie nur von ihren Chefs denken, wenn solche Gerüchte verbreitet werden?"

Alexandra versuchte, ein Schmunzeln zu unterdrücken, doch das misslang. Grinsend meinte sie: „Keine Sorge. Ich bin niemand, der Gerüchten Glauben schenkt. Ich halte mich lieber an das, was ich mit meinen eigenen Augen sehe. Ich brauche keinen Matthias, um zu wissen, wenn ich einen Frauenheld vor mir habe."

Ein triumphierendes Johlen erklang von Matthias, während der als Frauenheld bezeichnete Mann gespielt verärgert den Mund verzog: „Das kann ja heiter werden, wenn eine Volontärin so von ihrem Chef denkt."

Zwinkernd erwidere Alexandra: „Deswegen ist ja auch zum Glück Herr Baumann mein direkter Chef und nicht Sie. Ich bin also in sicheren Händen."

Matthias hatte doch Recht gehabt: Ihre Laune war dank der Anwesenheit anderer Menschen deutlich gestiegen. So sehr sogar, dass sie tatsächlich den Mut gefunden hatte, ein paar Scherze auf Kosten ihrer Vorgesetzten zu machen. Die entspannte Atmosphäre, die an diesem Tisch und generell in der Redaktion herrschte, ließ sie lockerer werden und zeigte ihr, dass sie nicht in jeder Sekunde auf ihre Äußerungen und Handlungen bedacht sein musste. Vielleicht konnte sie es nächste Woche ja wagen, nach anderer, anspruchsvollerer Arbeit zu fragen.

***


Zurück an ihrem Schreibtisch spähte Alexandra misstrauisch zu Katharina hinüber. Sie hatte während des Mittagessens plötzlich angefangen, ihr schräge Seitenblicke zuzuwerfen, doch gesagt hatte sie nichts. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, irgendetwas falsch gemacht zu haben.

„Ich hoffe, das steht nicht wieder zwischen uns."

Vollkommen verwirrt richtete Alexandra sich auf: „Was meinst du?"

Unwillig verzog Katharina den Mund: „Wie damals."

Für ein paar Sekunden versuchte Alexandra, irgendeinen Sinn in diese Worte zu bekommen, doch sie verstand einfach nicht, worauf Katharina hinaus wollte: „Ich weiß wirklich nicht, was du meinst."

Ihre Freundin lachte, doch es klang nicht ehrlich: „Oh, ich bitte dich. Du hast mir damals die Freundschaft gekündigt, weil der heiße Typ sich in mich verliebt hat."

Das war zwar nicht wirklich das, was damals passiert war, aber das spiele für den Moment keine Rolle. Selbst wenn Katharina das so sah, was hatte es mit der jetzigen Situation zu tun? Ungeduldig hakte sie nach: „Kannst du einfach sagen, was du sagen willst?"

Sie hatte tatsächlich den Nerv, mit den Augen zu rollen, als würde sie zu einem begriffsstutzigen Kleinkind sprechen: „Ich meine natürlich Stefan. Ich hoffe, du hasst mich nicht wieder, nur weil wir uns gut verstehen."

„Äh ... was?"

„Oh, tu doch nicht so, Alex!", fuhr Katharina sie an, nun offensichtlich wirklich genervt: „Es sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass du auf ihn stehst. Wie du ihm heute Mittag schöne Augen gemacht hast. Und ich sehe jetzt schon, dass du mir wieder vorwirfst, ich hätte ihn dir ausgespannt. Ich kann nichts dafür, dass er mich mag! Okay?"

Mit aufgerissenen Augen starrte Alexandra ihre Kollegin an. Ihr fielen keine Worte ein, die sie auf diese Anschuldigung hätte sagen können. Es war so dermaßen aus der Luft gegriffen, dass es einfach nichts zu sagen gab. Grimmig klappte sie den Mund wieder zu. Wenn sie jetzt sagen würde, dass sie kein Interesse an Herrn Winkler hatte, würde Katharina das nur als Beweis sehen. Wenn sie gar nichts sagte, wäre das ebenfalls ein Eingeständnis der Schuld. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie absolut kein Interesse daran, überhaupt über diese Sache nachzudenken. Sie hatte Besseres zu tun, als ihre Energie darauf zu verschwenden, diese Situation möglichst harmonisch zu lösen.

Seufzend rieb sie sich ihre Stirn. So lächerlich es auch war, sie musste einen Weg finden, das aus der Welt zu schaffen. Sie waren nicht mehr in der Uni, sondern an einem Arbeitsplatz. Sie würden weiterhin gemeinsam arbeiten müssen. Zögerlich erklärte sie: „Ich weiß, dass Herr Winkler dich mag."

Ein triumphierender Ausdruck erschien auf Katharinas Gesicht: „Dann ist ja gut. Alle wissen, dass das zwischen Stefan und mir nur eine Frage der Zeit ist, und ich will nicht, dass das zwischen uns steht. Ich meine es echt nur gut mit dir, Alex, das verstehst du doch, oder?"

„Natürlich, Kathi", nickte sie und betonte den Spitznamen, den alle für Katharina zu nutzen schienen: „Du hilfst mir hier sehr und ich bin dir dankbar."

Zufrieden mit sich und der Welt widmete Katharina sich wieder ihrem Bildschirm zu, während Alexandra aufstand und zur Toilette ging. Sie musste so schnell wie möglich mit echter Arbeit für das Online-Team anfangen. Katharina war in der Lokalredaktion, wenn sie erstmal Aufgaben für Online übernahm, wäre sie nicht mehr gezwungen, ständig mit ihr zu reden.

Unzufrieden mit allem stürzte Alexandra sich in die Arbeit, nachdem sie von der Toilette zurückgekehrt war. Wenn alle der Meinung waren, dass sie heute Pressemitteilungen bearbeiten sollte, dann würde sie sich dem fügen. Sie musste nur abwarten, dann würde man ihr schon echte, richtige Arbeit zuteilen. Immerhin war dies ihre erste Woche. Sie musste nur Geduld haben.



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