16


Träge ließ Alexandra ihren Blick über die Köpfe ihrer Kollegen gleiten. Sie war spät dran gewesen zum Mittagessen, und so hatte sie nur noch einen der unbeliebten Hocker an einem erhöhten Tisch abbekommen, anstatt wie sonst mit ihren Kollegen am Tisch sitzen zu können. Da Matthias den ganzen Tag auf einem Außentermin war, schien niemand daran gedacht zu haben, ihr einen Platz freizuhalten.

Lustlos stocherte sie in ihrem Spinat. Sie hatte sich mehr erhofft von ihrem Artikel, den sie mit Joana zusammen geschrieben hatte, doch der Tag war vergangen, ohne dass sie Rückmeldung bekommen hatte. Auch der nächste Tag verging und die Woche war vorbei und noch immer hatte sie nichts gehört. Sogar Stefan, der am Ende doch etwas nervös geworden war, ob seine Chefs ihm die Planänderung vorwerfen würden, hatte nichts zu hören bekommen. Als wäre es ihnen egal.

Noch einmal schaute Alexandra in die Menge. Jetzt, wo sie an ihn dachte, fiel ihr auf, dass auch von Stefan jede Spur fehlte. Dafür war Katharina im Gewimmel der vielen Redakteure deutlich sichtbar, ihre schwarzgefärbten, langen Haare waren heute zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt und irgendwie schauten mehrere Essstäbchen daraus hervor. Oder vielleicht waren es auch richtige Accessoires für das Haar. Jedenfalls sah man ihr an, dass sie sich viel Mühe gegeben hatte, noch hübscher als sonst zu sein.

„Na, mal wieder in soziologische Studien vertieft?"

Beinahe hätte Alexandra ihre Gabel abgebissen. Verärgert, dass er sich so angeschlichen hatte, wandte sie ihren Kopf zu Stefan: „Hallo auch. Danke für den Schock."

Er grinste breit, während er sein Essenstablett neben ihr abstellte und auf den Hocker rutschte: „Immer wieder gerne."

Misstrauisch starrte sie ihn von der Seite an: „Wollen Sie nicht lieber an einem anderen Tisch sitzen?"

Er gab ihr keine Antwort. Stattdessen entfaltete er seine Papierserviette, legte sie auf den Schoß und begann betont, seine Spagetti aufzurollen. Mit einem Augenrollen widmete Alexandra sich wieder ihrem Essen. Er hatte für ihren Geschmack viel zu viel Spaß daran, sie mit seinem Verhalten zu nerven oder zu irritieren. Um ihm zu zeigen, wie wenig sie sich für sein demonstratives Ignorieren interessierte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Tisch mit Katharina. Neben den üblichen Verdächtigen Joana, Sabina, Chantal und Martin war unter anderem auch ihr Kollege aus der Onlineredaktion, Kevin, und drei weitere Männer, deren Namen sie nicht mehr wusste, mit von der Runde. Katharina aß als einzige in der Runde nur einen Salat, und statt sich mit den Männern zu unterhalten, galt ihre Aufmerksamkeit einzig und allein ihren drei Freundinnen.

„Sie macht das gut, oder?"

Langsam atmete Alexandra aus, schloss die Augen und dann, als sie innerlich bis zehn gezählt hatte, öffnete sie diese wieder und schaute Stefan direkt an: „Sie haben eine unnachahmliche Weise, ein Gespräch zu beginnen."

„Ach, kommen Sie schon, Frau Berger", sagte er schmunzelnd: „Spielen Sie mit. Ich sehe doch, dass Ihr Blick förmlich an Kathi klebt."

Sie schüttelte den Kopf: „Weniger an Katharina als viel mehr an den Männern in der Runde."

Stefan legte sein Besteck zur Seite und schaute für einen Moment konzentriert zu dem Tisch, der mehrere Meter entfernt und durch das allgemeine Geplaudere außer Hörreichweite war. Schließlich nickte er: „Ich verstehe, was Sie meinen. Die Fronten sind klar, aber die Spieler wissen es offenbar nicht."

„So kann man es auch ausdrücken. Ob die armen Kerle wissen, wie wichtig sie für Katharina sind?"

Nachdenklich rieb Stefan sich das Kinn: „Ich bezweifle es. Wenn sie es wüssten, wären sie nicht so versessen darauf, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen."

Alexandra schob ihren Teller von sich. Sie hatte heute sowieso keinen rechten Appetit, und gleichzeitig essen und reden war nicht ihre liebste Beschäftigung. Während sie die Szene an Kathis Tisch weiter beobachtete, fiel ihr plötzlich etwas ein: „Ich habe vor langer Zeit mal einen Film gesehen. Da gab es eine Szene, die darstellt, wie John Nash angeblich auf die Idee zu seinem berühmten Nash-Gleichgewicht kommt. Er sieht in einer Bar eine wunderschöne Frau, der alle seine Freunde den Hof machen. Sie hat noch andere Freundinnen, die können ihr aber nicht das Wasser reichen, und so interessieren sie sich nicht für diese. Zumindest anfangs. Am Ende aber sind alle Männer mit besagten Freundinnen zusammen und die wunderschöne Frau bleibt Single."

Nickend drehte Stefan seinen ganze Körper zu ihr: „Ja, eine der Grundlagen der Spieltheorie. Wenn alle sich klarmachen, dass sie leer ausgehen, wenn sie nach der für sie besten Option greifen, ändern sie ihre Strategie und geben sich mit der zweitbesten Möglichkeit zufrieden, in dem Fall die Freundinnen. So werden alle zufrieden gestellt, ein Gleichgewicht tritt ein."

Begeistert, dass Stefan sofort verstanden hatte, worauf sie hinauswollte, wandte Alexandra sich ebenfalls vollständig ihm zu: „Ganz genau. Ich frage mich, ob unsere Kollegen das auch irgendwann einsehen werden."

„Und Kathi als einzige Single bleibt?", führte er den Gedanken zu Ende. Sein Blick ruhte nach wie vor auf ihrem Gesicht, als gäbe es darin etwas Interessantes zu entdecken. Alexandra zwang sich, ruhig zu bleiben und nicht rot zu werden ob seiner intensiven Musterung. Schließlich fuhr er fort: „Gut möglich. Wobei ich glaube, dass der Fall hier etwas anders gelagert ist als in dem Film. Sie hat ja selbst vermutlich ein Zielobjekt und ist nicht so inaktiv wie die fiktive Dame im Film. Wenn sie es clever anstellt, verkuppelt sie ihre Freundinnen mit den Männern und wickelt selbst ihren Schwarm um den Finger."

Unwillkürlich fragte Alexandra sich, ob Stefan sich bewusst war, dass er besagtes Zielobjekt war. Wenn sie recht darüber nachdachte, befand er sich ebenfalls in einer Position wie die wunderschöne Frau im Film. Schmunzelnd sprach sie den Gedanken aus: „Sie sind ebenfalls wie die Dame im Film, Herr Winkler. Alle Frauen in der Redaktion umschwärmen Sie wie die Motten das Licht, aber Sie sind so unerreichbar. Wenn Sie nicht aufpassen, werden Sie als einziger hier Single bleiben, weil die klugen Frauen erkennen, dass sie nur glücklich werden können, wenn sie sich mit weniger als der besten Wahl zufrieden geben."

Gespielt entsetzt schlug Stefan die Hände über dem Kopf zusammen: „Oh nein! Sie meinen, ich sollte aufhören, jegliche Flirtversuche abzublocken, und mir stattdessen die nächste Frau schnappen, ehe ich leer ausgehen?"

Das brachte Alexandra tatsächlich zum Lachen. Wieder einmal fragte sie sich, warum sie so viel Spaß daran hatte, mit diesem Stefan zu plaudern, wenn sie gleichzeitig so oft einfach nur verwirrt war von seinem Verhalten. Als gäbe es zwei Versionen von ihm, den, der locker und lustig drauf war wie jetzt, und jenen, der in ihre Privatsphäre einbrach, ihr zu nahe kam und versuchte, ihre wohl konstruierten Mauern zum Einsturz zu bringen. Sie mochte den Stefan, den sie jetzt vor sich hatte. Mit ihm konnte sie umgehen.

Mit einer affektierten Geste warf Alexandra ihr blondes Haar zurück und strich sich den Rock glatt: „Nicht die nächste Frau, das wäre ja ich, und ich bin leider nicht für Sie zu haben. Aber die übernächste vielleicht?"

„Aha!", rief er aus und klatschte in die Hände: „Sie geben also zu, dass Sie selbst auch gerne eine wunderschöne Frau wären, die am Ende leer ausgeht, weil die Männer sich mit geringerem begnügen!"

„Oh nein, da haben Sie mich aber fürchterlich missverstanden. Ich habe nur gesagt, dass ich für Sie nicht zu haben bin. Jeder andere Mann ist mir herzlich willkommen."

„Mensch!", schimpfte Stefan: „Was mache ich denn nur falsch? Sagen Sie mir, holde Maid, was muss ich tun, um Ihr Herz zu erobern?"

Prustend hielt Alexandra sich die Hand vor den Mund. Ihr Chef wurde tatsächlich von Sekunde zu Sekunde alberner und sie hatte definitiv zu viel Freude daran. Dafür, dass ihr Montag so trübe gestartet war, amüsierte sie sich gerade prächtig. Schelmisch grinsend verkündete sie: „Zunächst müssten Sie aufhören, Stefan Winkler zu sein."

Getroffen fasste er sich an die Brust: „Ah, das saß. Ich kann doch nicht aus meiner Haut. Gibt es keine andere Möglichkeit?"

Gespielt ernst schüttelte sie den Kopf: „Nein, das tut mir leid. Aber wenn Sie sich für eine andere Frau interessieren, ich bin mir sicher, diese würden Sie auch so nehmen, wie Sie sind."

Und plötzlich war er wieder da, der andere Stefan. Der Stefan, der ihr zu nahe kam und sie verunsicherte. Aus dem Nichts heraus beugte er sich vor, ließ sein Knie absichtlich gegen ihren Schenkel streifen, und sagte mit leiser Stimme: „Es gibt hier keine andere interessante Frau. Nur dich."

Hitze schoss durch Alexandras Körper, auch in Regionen, die am Arbeitsplatz definitiv unangebracht waren. Peinlich berührt presste sie ihre Schenkel zusammen und vergrub ihre Hände in ihrem Rock. Warum musste er so ein Spielverderber sein? Warum musste er die gute Stimmung zerstören?

Sie zwang sich, ihren Zustand nicht zu zeigen, sondern auf der spielerischen Ebene zu bleiben: „Ach, Herr Winkler, was Sie immer reden. Passen Sie nur auf, am Ende glaubt Ihnen noch jemand."

Doch er ging nicht darauf ein. Sein Blick blieb ernst, sein Oberschenkel presste sich noch mehr als zuvor an ihren, und irgendwie hatte seine Hand einen Weg auf ihre niedrige Rückenlehne gefunden. Er spielte immer dasselbe Spiel. Als ob er genau wusste, wie sehr er sie mit Körpernähe aus dem Konzept brachte. Die Hitze zwischen ihren Beinen nahm zu. Sie kannte diese Signale ihres Körpers nur zu gut, und wenn sie sich woanders befunden hätte, nicht an ihrem Arbeitsplatz, nicht in einer so hellen, öffentlichen Umgebung, mit einem anderen Mann, der gerne genauso gutaussehend und intelligent sein durfte, aber nicht ihr Chef, dann wäre sie dem Verlangen nur zu gerne gefolgt.

Sie seufzte. Selbst wenn Stefan seine Annäherungsversuche ernst meinte, sie konnte unmöglich darauf eingehen. Dass er sich vermutlich zumindest Katharina gegenüber auch schon so gezeigt hatte, bestärkte sie nur in ihrer Ablehnung. Er war ein guter Kerl und wann immer sie ihn bisher in seine Schranken gewiesen hatte, hatte er auch brav einen Rückzieher gemacht. Das war leider auch nicht immer selbstverständlich.

„Da ist sie wieder, die total verschüchterte kleine Alexandra", seufzte Stefan. Als habe er ihre Gedanken gehört, richtete er sich auf und entferne sich aus ihrer unmittelbaren körperlichen Nähe.

Sie schluckte. Sie war nicht schüchtern. Sie hatte nur einfach Probleme damit, ihre Reaktionen unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig höflich zu bleiben. Grimmig schaute sie ihn an: „Wenn du deinen geballten Charme einsetzt, schrumpfte jede Frau in sich zusammen. Das sollte dir langsam klar sein."

Er nahm ihren Teller, stellte ihn zu seinem auf das Tablett und stapelte dann beide Tabletts übereinander. Er schaute sie nicht an, als er sich erhob und erwiderte: „Im Gegenteil. Die normale Reaktion ist, dass mir die Frau die Kleider vom Leib reißen will."

Sie schnaubte nur: „Selbst wenn ich das wollte, würde ich das kaum hier mitten in der Cafeteria tun, oder?"

Mit einem breiten Grinsen drehte er sich zu ihr um und schaute auf sie hinab: „Ah, daher weht der Wind. Falscher Ort, falsche Zeit. Alles klar. Mein Fehler. Ich werde dafür sorgen, dass wir das nächste Mal ungestört sind, okay?"

Erleichtert, dass Stefan von sich aus wieder auf die lockere Eben übergegangen war, rutschte Alexandra von ihrem Hocker runter, um ihn zur Tablettrückgabe zu begleiten: „Klar, jederzeit. Ich mag Aufmerksamkeit von gutaussehenden Männern. Aber ich übernehme keine Garantie für einen Korb, werter Herr Winkler. Mit dem verletzten Stolz und geknickten Ego müssen Sie in einem solchen Falle selbst klarkommen."

„Alles klar, das verstehe ich dann mal als direkte Aufforderung", warf er ihr über seine Schulter zu: „Beschweren Sie sich nicht über die Folgen, Sie haben das selbst über sich gebracht."

„Ich wiederhole mich: Beschweren Sie sich nicht über ein verletztes Ego am Ende."

Ein wenig dümmlich vor sich hin grinsend schlängelte Alexandra sich durch die Cafeteria zurück zum Großraumbüro, während Stefan nach Philipp Ausschau hielt. Es hatte sie erleichtert, dass Stefan diesmal so schnell und ohne großen Aufstand seinen Flirtversuch aufgegeben hatte. Vielleicht würde es ihr irgendwann gelingen, ihm das vollständig abzugewöhnen, zumindest ihr gegenüber. Falls er sich kooperativ zeigte, könnte sie ihm eventuell sogar ein generelles Recht auf Duzen einräumen.

Sie kicherte. Vielleicht sollte sie ihm das direkt sagen? Das wäre gewiss genug Anreiz für ihn, immerhin schien sein Lebenssinn darin zu bestehen, ihr das Siezen abzugewöhnen. Und ihr Lebenssinn hatte die letzten Wochen darin bestanden, ihm störrisch Steine in den Weg zu legen. Aber wenn sie das Duzen als Preis ausnutzen konnte, um ein für alle Mal jenen Stefan, der sie so verunsicherte, aus der Welt zu schaffen, war sie bereit, sich von ihm öffentlich duzen zu lassen.

***


Es sollte eine Woche vergehen, ehe Stefan seine Drohung wahrmachte. Alexandra hatte fast schon wieder vergessen, dass sie ihm die Erlaubnis gegeben hatte, das Flirten noch einmal in einer weniger öffentlichen Umgebung zu probieren. Sie schwitzte gerade über den Schlusszeilen eines Artikels, der mit dem letzten Paket des Tages um neun Uhr ausgehen sollte, und war sich dabei gar nicht bewusst geworden, dass der Rest der Redaktion bereits Feierabend gemacht hatte. Das Großraumbüro lag verlassen da.

Bis auf Stefan.

Erst, als sie endlich den letzten Punkt gesetzt hatte, fiel Alexandras Blick auf die kleine Uhr in der rechten Ecke des Bildschirms. Es war beinahe schon acht Uhr und sie hatte nichts davon mitbekommen. Sie ließ ihren Blick über die leeren Schreibtische gleiten, während sie sich mit einem genüsslichen Gähnen streckte. Ja, sie war weit nach Feierabend geblieben, aber der Tag war erfolgreich verlaufen und sie hatte einen weiteren eigenständigen Artikel verfassen dürfen.

„Na, endlich fertig?"

Überrascht blickte sie zur Tür, die in das Büro der Ressortleiter führte. Da stand tatsächlich Stefan, wie immer mit seinem zerzausten Haar und der unordentlichen Kleidung, die Arme vor der Brust verschränkt, und musterte sie mit einem gefährlichen Grinsen. Augenblicklich fühlte Alexandra sich wie ein Kaninchen im Blickfeld eines Fuchses.

„Sie sind noch hier", stellte sie fest.

„In der Tat", gab er zurück, ehe er sich gemächlich in Bewegung setzte und zu ihr rüber schlenderte.

Plötzlich wurde sich Alexandra der Tatsache, dass es absolut leer und still in der Redaktion war, mehr als bewusst. Die Redakteure von der Nachtschicht, die wie immer die nationalen und internationalen Nachrichten über Nacht im Auge behalten sollten, würden erst in frühestens einer Stunde kommen. Normalerweise war um diese Zeit niemand mehr hier.

Und noch bevor Stefan sie an ihrem Schreibtisch erreicht hatte, erinnerte Alex sich an ihre Unterhaltung. An ihre herausfordernden Worte. Ein nervöses Flattern ergriff ihren Magen, doch statt die Flucht zu ergreifen, schaute sie einfach nur zu, wie Stefan an ihren Schreibtisch herantrat und sich ganz selbstverständlich an ihre Tischplatte lehnte, beide Hände neben sich abgestützt.

Sein Blick wanderte ihre Figur hinab und wieder zurück hinauf zu ihrem Gesicht. Ein Zucken um seine Mundwinkel zeigte, dass er ihre Panik bereits sah: „Na, Frau Berger, warum denn so nervös?"

Rasch erhob sie sich von ihrem Stuhl. Wenn sie diese Schlacht schon kämpfen musste, wollte sie wenigstens halbwegs auf Augenhöhe mit ihm sein. In einem Versuch, völlig ruhig zu wirken, begann sie, ihre Notizzettel zusammen zu sammeln und einzupacken: „Ich wüsste nicht, warum ich nervös sein sollte. Höchstens ein wenig spät dran."

Seine große Hand legte sich auf ihre, als sie gerade nach ihrem Kugelschreiber greifen wollte. Gänsehaut breitete sich auf ihrem Arm aus und ließ die kleinen Härchen zu Berge stehen. Alex verfluchte diese offensichtliche Reaktion ihres Körpers – musste er immer so verräterisch sein?

„Nicht nervös, aber bei der geringsten Berührung so eine heftige Reaktion zeigen?", zog Stefan sie auf und rückte noch näher an sie heran: „Ich glaube, Sie belügen sich selbst."

Er war ihr zu nahe. Sie konnte die Wärme spüren, die sein Körper verströmte, und sie wusste, wenn sie sich jetzt umdrehte und zu ihm aufblickte, wären ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Sie meinte, beinahe seine Brust an ihrem Rücken spüren zu können, als hätte er sich ebenfalls über den Schreibtisch gebeugt. Zitternd legte sie beide Hände flach auf der Tischplatte ab. Sie musste sich aus dieser Situation befreien, sofort, sonst würde sie etwas sehr, sehr Dummes tun.

„Haben Sie sich eigentlich schon einmal mit einer Klage wegen sexueller Belästigung konfrontiert gesehen?", fragte sie so lässig wie möglich.

Augenblicklich verkrampfte sich die Hand, die immer noch auf ihrer ruhte: „Soll das eine Drohung sein?"

Vorsichtig, um nicht noch mehr Körperkontakt zu riskieren, drehte Alexandra sich zu ihm um, ein Stück nach hinten gebeugt, um Abstand zwischen ihre Gesichter zu bringen: „Wenn es mir hilft, dass Sie mich in Ruhe lassen, dann ja."

Seine freie Hand legte sich unter ihr Kinn und zwang sie, ihm direkt in die Augen zu schauen: „Empfindest du mein Verhalten wirklich als Belästigung? Habe ich deine Reaktionen so falsch gelesen?"

Mehrere Atemzüge lang starrte sie ihn einfach nur. Er war wirklich ein unmöglich attraktiver Mann, und die Selbstsicherheit, die in seinem Verhalten lag, förderte das nur noch. Alexandra hatte sich schon oft genug auf Männer eingelassen, einfach nur, weil sie attraktiv waren und ihr der Sinn nach einer heißen Nacht stand. Aber das war während der Uni gewesen, als sie hoffnungslos in Freddie verliebt war und ihr Herz nach ein wenig Trost gesucht hatte. Als sie frei war, sich keine Gedanken machen musste über Konsequenzen am Arbeitsplatz. Damals hatte sie gewusst, dass sie diese Männer vermutlich nicht länger als bis zum Ende des Semesters kennen würde. Doch hier, mit Stefan, war die Sache einfach anders. Er war ihr Chef und wenn es gut lief, wollte sie nach dem Volontariat weiter hier arbeiten. Eine Affäre, selbst ein Onenightstand könnte das ruinieren.

Außerdem reagierte ihr Körper viel zu stark auf seine Nähe. Sie hatte keine Kontrolle darüber und das machte ihr Angst.

„Sie sind immer noch mein Chef", flüsterte sie atemlos: „Ich hätte meine herausfordernden Worte vielleicht nicht sagen sollen. Wenn ich damit Hoffnungen geweckt habe, tut mir das leid."

Sein Griff um ihr Handgelenk verstärkte sich: „Ist das deine Ausrede?"

Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie stark ihr Verlangen ist, einfach zu schmelzen, sich an ihn zu schmiegen und zuzulassen, dass er tat, was auch immer er tun wollte. Es fühlte sich gut an, dass er aus seinem Begehren keinen Hehl machte. Doch es war eben auch nicht mehr als das: Begehren. Sie holte tief Luft, schob seine Hand von ihrem Kinn weg und erwiderte: „Das ist keine Ausrede. Im Gegensatz zu Ihnen scheine ich noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte zu sein und verstehe die Implikationen Ihrer Annäherungsversuche. Ich schätze Sie wirklich, Herr Winkler, als Ressortleiter und als Menschen, aber meine Arbeit ist mir zu wichtig, als dass ich irgendein Risiko eingehen will, das eine kurze Affäre unweigerlich mit sich bringt."

Abrupt ließ er sie los und fuhr sich mit beiden Händen durch sein Haar. Sein Blick zeugte von Frustration: „Du bist der verdammt noch mal sturste Mensch, der mir je begegnet ist. Wie kann man aus einer so simplen Sache nur so etwas Kompliziertes machen?"

Schnaubend packte sie ihre Sachen in die Tasche: „Sex ist niemals simpel."

„Eigentlich schon", gab er zurück: „Immerhin ist das eine der wenigen Sachen, die wir schon konnten, bevor wir wussten, was Feuer ist."

„Das ist jawohl die abgedroschenste Phrase überhaupt", sagte Alexandra mit einem Augenrollen: „Wenn man keine größeren Denkfähigkeiten hat, ist Sex vielleicht simpel. Aber erstens ist er dann auch langweilig, und zweitens ist das leider weder bei mir, noch bei Ihnen der Fall. Wenn mein Gehirn mir Nein sagt, dann führt daran kein Weg vorbei. Das ist die eigentliche simple Sache an dieser ganzen Situation."

„Ich kann gegen deinen verdammten Verstand einfach nicht gewinnen", stellte Stefan fest, doch er sah dabei deutlich weniger enttäuscht aus, als Alexandra erwartet hatte.

„Stellt mein Korb jetzt ein Problem für unsere zukünftige Zusammenarbeit dar?", hakte sie nach, als sei es nur eine unbedeutende Nebensache: „Immerhin hatte ich Sie gewarnt, dass ich nicht für Ihren verletzten Stolz verantwortlich zu machen bin."

„Nein, Frau Berger", erklärte er voller Inbrunst: „Ich schätze Sie weiterhin als gute Kollegin und Mitarbeiterin. Machen Sie sich darum keine Sorgen."

„Na dann ist ja gut."

So schnell sie konnte, zog Alexandra ihren Mantel an und verließ die Redaktion. Stefan folgte ihr nicht, doch erst, als sich die Fahrstuhltüren hinter ihr geschlossen hatten, wagte sie es, erleichtert aufzuatmen. Das war eindeutig zu knapp gewesen. Wie oft hatte sie als Studentin davon geträumt, eines Tages heißen Sex im Büro zu haben, ein schneller Quickie mit dem Kollegen, ohne dass jemand davon wusste. Natürlich hatte sie nie wirklich daran geglaubt, dass sich diese Chance je auftun würde. Dass nun ausgerechnet ihr Chef nach all seinen Flirtversuchen so offensichtlich genau das vorgeschlagen hatte, war ihr nicht geheuer. Träume und erotische Fantasien sollten lieber im Bereich jenseits der Realität bleiben. Sie war noch nicht bereit, ihren Verstand zu verlieren.

Und erst recht wollte sie nicht ihr Herz verlieren.



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