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Als Alexandra am Dienstagmorgen zu ihrem Schreibtisch kam, wartete dort bereits Joana auf sie, ein wenig blass, aber offensichtlich wieder gesund genug, um auf Arbeit zu kommen. Lächelnd stellte Alex ihre Tasche ab und begrüßte sie: „Hey, geht es dir wieder besser?"
„Ja, danke", nickte sie: „Ich habe leider Migräne und an manchen Tagen ist es so schlimm, dass ich nichts tun kann."
„Oh weh, das ist nicht schön!"
Alexandra wusste von anderen Frauen, dass Migräne tatsächlich ein großes Problem sein konnte. Wenn man solche Kopfschmerzen hatte, dass der Magen rebellierte, jedes Licht störend war und die Sehnerven völlig überlastet Blitze und Auren an das Gehirn lieferten, war man einfach hilflos.
„Ich kann dir nicht sagen, wie dankbar ich dir bin, dass du für mich mit Stefan zum Ausschuss gefahren bist", erklärte Joana warm: „Es hat mich so geärgert, aber ich konnte gestern einfach nicht."
Beruhigend legte Alexandra ihr eine Hand auf die Schulter: „Ist doch kein Problem. Wir sind schließlich alle ein Team und ziehen an einem Strang. Wenn einer mal ausfällt springt ein anderer ein. Und für mich war es eine tolle Möglichkeit, mal aus der Redaktion rauszukommen."
Joana wirkte ehrlich erleichtert: „Schön, dass du das so siehst. Ich hatte irgendwie Angst, dass du sauer auf mich bist. Vor allem, weil Kathi mir eben erzählt hat, dass du gestern noch eine Stunde länger geblieben bist."
Wie auf ein Stichwort kam Katharina hinter ihrem Schreibtisch hervor und lächelte breit: „Ich hoffe, Stefan hat sich nicht zu sehr schikaniert. Ich habe ihm schon so oft gesagt, dass er nicht von allen Redakteuren denselben Einsatz erwarten kann. Und bei einer Volontärin ist es ja fast schon frech, Überstunden zu fordern."
Joana nickte zustimmend: „Ja, vermutlich ist er es einfach zu sehr gewöhnt, dass ich immer länger bleibe. Ich hoffe, das war nicht zu schlimm für dich?"
Am liebsten hätte Alexandra mit den Augen gerollt bei Kathis Aussage, doch da Joana die unterschwellige Spitze nicht mitbekommen hatte, ignorierte sie es auch und erwiderte stattdessen: „Ach was, so ist das eben in der Zeitungsbranche."
„Du wirst sowas ja vermutlich auch nicht zu oft erleben", stelle Katharina fest, während sie mit ihren Fingern durch ihr Haar fuhr: „Ihr von Online habt ja keine Deadline jeden Tag für den Druck. Falls eure Artikel nicht fertig werden, kommen sie halt eine Stunde später online, das kümmert ja niemanden."
„Achso?", hakte Joana nachdenklich nach: „Ich dachte immer, bei Online sei es besonders stressig, weil es eingetaktete Veröffentlichungszeiten gibt."
Katharina machte nur eine wegwerfende Handbewegung: „Ja, klar gibt es die, aber es ist ja eigentlich egal. Ob das nun eine Stunde früher oder später kommt, das interessiert doch Leser online nicht."
Tief holte Alexandra Luft: „Das ist nicht richtig. Es gibt jeden Tag mehrere Uhrzeiten, zu denen Artikel veröffentlichungsfertig sein müssen. Zum Beispiel die Mittagsveröffentlichung um eins. Zu dem Zeitpunkt machen viele normale Angestellte Pause und scrollen durch Twitter und ihre anderen sozialen Netzwerke. Da müssen die Artikel raus und beworben werden. Ebenso abends um sechs, wo die meistens von der Arbeit heim sind und nochmal ihren Feed checken. Was da später kommt, wird ignoriert, weil es zum nächsten großen Punkt, kurz vor dem Schlafengehen, schon wieder in den Massen anderer Nachrichten verschwunden ist. Wir haben nicht umsonst ein Team von Datenanalysten, die jeden Tag aufs Neue prüfen, ob unsere Artikel gut getimet sind."
Joana nickte bekräftigend: „Ja, sowas habe ich auch schon mal gehört."
Katharina jedoch zeigte sich nach wie vor unbeeindruckt. Ohne Alex anzuschauen, erwiderte sie: „Ach, das ist doch alles gar nicht so relevant. Wenn bei uns ein Artikel vor Druck nicht fertig wird, erscheint er gar nicht in der nächsten Ausgabe. Bei euch kann man ihn immer noch zu einem späteren Zeitpunkt nachschieben."
Seufzend gab Alexandra auf. Ihr war klar, dass Katharina ihr in diesem Punkt niemals recht geben würde, einfach, weil sie auf die Arbeit vom Onlineteam herabsah. Und sie würde vermutlich schon aus Prinzip niemals etwas positiv betrachten, was Alexandra tat. Unverbindlich lächelnd meinte sie: „So gesehen haben wir natürlich keine so feste Deadline, das stimmt."
Nachdem Katharina wieder hinter ihren Schreibtisch gerollt war, fragte Joana leise: „Hast du eigentlich die Onlineversion des Artikel geschrieben?"
Alexandra nickte, während sie ihre üblichen Programme aufrief: „Ja, deswegen war ich gestern noch so lange da. Ich wollte das unbedingt noch für das Bündel um neun fertig machen, aber da ich erst auf die Version von Herrn Winkler warten musste, hat das gedauert."
„Hast du schon die Klickzahlen überprüft?"
„Hatte ich gerade jetzt vor."
Gespannt klickte Alexandra sich durch die interne Statistikseite, bis sie zu den Daten ihres Artikels kam. Verblüfft starrte sie das Ergebnis an: „Wow, das hätte ich nicht gedacht. Der Artikel ist fast zwanzig Prozent besser gelaufen als die anderen Artikel aus der Kategorie."
„Oh, das ist aber eine gute Nachricht", kam es begeistert von Joana: „Du scheinst das ja wirklich zu können."
Grinsend und froh, endlich mal echtes, ehrlich gemeintes Lob von einer Kollegin zu bekommen, schaute Alexandra zu ihr auf: „Tja, ich bin eben bei Matthias in die Schule gegangen. Was Klickzahlen angeht, ist er bei uns der Meister."
„Wobei ja hohe Klickzahlen noch nichts über die Qualität aussagen", mischte sich Katharina direkt wieder ein.
Alexandra schloss die Augen, atmete einmal tief durch, dann öffnete sie sie wieder und schaute zu ihrer Kollegin hinüber: „Das ist natürlich auch richtig."
„Aber totalen Quatsch wollen die Leute ja trotzdem nicht lesen", warf Joana ein: „Ich meine, der Inhalt muss ja stimmen, sonst klicken die Leser nicht."
„Ach, Joana, du bist so ein Schatz", meinte Katharina und lächelte ihre Freundin breit an: „Du bist wirklich eine Perle."
Joana errötete ob des Lobs. Sie stotterte ein leises Danke, dann verabschiedete sie sich, um zu ihrem eigenen Arbeitsplatz zurückzukehren. Kaum war sie außer Hörreichweite, brach es lachend aus Katharina heraus: „Ist sie nicht süß manchmal? Als ob sie noch nie was vom Konzept der Clickbaits gehört hat."
Am liebsten hätte Alexandra ihr gesagt, wie wenig sie davon hielt, direkt in Lästereien zu verfallen, doch natürlich würde Kathi abstreiten, dass sie gelästert hatte. Immerhin hatte sie ja Joana als süß bezeichnet, das konnte man ja nicht als Beleidigung ansehen, und entsprechend war es kein lästern. Stattdessen zuckte sie bloß mit den Achseln: „Nicht jeder ist so digital versiert wie wir, ist doch gut."
Demonstrativ richtete sie ihren Blick wieder auf ihren Bildschirm, um Katharina zu signalisieren, dass sie keine weiteren Gespräche wünschte. Tatsächlich schien sie den Hinweis zu verstehen, denn die verbleibende Viertelstunde bis zur Redaktionskonferenz blieb sie stumm. Alexandra durchstöberte derweil die Webauftritte anderer Zeitungen nach deren Berichterstattung über die Ausschusssitzung. Für die Medien ging die eigentliche Arbeit jetzt erst los: Politiker würden Stellung nehmen zu dem, was die Presse berichtet hatte, Experten würden sich zu Wort melden, Interessengruppen würden versuchen, ihre Position in den Vordergrund zu drängen. Und für sie als Journalistin war dabei immer relevant, den Überblick zu behalten und auszuloten, welche Ansichten gerade Auftrieb hatten, welche Position am Verlieren war, und eine stetige Einordnung der Geschehnisse für die Leser geben zu können. Sie hatte vor, auf der Konferenz heute anzubieten, weiterhin an der Geschichte mitzuarbeiten, um Joana und Stefan zu entlasten. Sie hoffte, dass nicht aus dem Nichts wieder irgendwelche nichtigen Aufgaben für sie auftauchen würden.
***
„Glückstreffer!", schnaubte Alexandra.
Sie konnte nicht glauben, dass Katharina es tatsächlich geschafft hatte, der Redaktionskonferenz weißzumachen, dass der Erfolg des Onlineartikels nur ein Glückstreffer gewesen sei, und dass Alex in Wirklichkeit noch nicht soweit sei, große Themen zu besetzen.
„Beruhig dich erstmal", kam es beruhigend von Matthias, der sie direkt nach der Konferenz gepackt und auf das Dach des Gebäudes geschleppt hatte. Hier oben gab es eine kleine, fest umzäunte Raucherzone, welche jedoch so gut wie nie genutzt wurde, da man immer erst bis ganz nach oben fahren musste. So waren sie unter sich, Matthias konnte eine rauchen und Alexandra konnte ihrer Wut freien Lauf lassen.
„Beruhigen?", schimpfte sie: „Da gibt es nichts zu beruhigen. Warum verdammt noch mal hören immer alle auf sie? Ich habe gute Arbeit gemacht, und zwar nicht nur gestern, sondern den gesamten verdammten Monat lang. Und jetzt soll ich zu einem Flohmarkt?"
„Ich weiß", sagte Matthias eindringlich: „Ich weiß, das ist unfair, aber wenn du dich aufregst, kommst du auch nicht weiter."
„Flohmärkte werden online gar nicht behandelt! Wir haben null Artikel dazu! Das ist ausschließlich Lokales! Das ist ihr Bereich! Aber nein, die Dame hat zu viel zu tun und braucht jemanden, der den Termin für sie übernimmt!"
Wütend ging Alexandra im Kreis. Sie hatte gestern wirklich geglaubt, es endlich geschafft zu haben. Endlich gezeigt zu haben, dass sie ihr Handwerk wirklich verstand. Ganz offensichtlich hatte Katharina das auch gesehen – und konnte es nicht zulassen.
„Warum haben Philipp und Stefan nichts gesagt?", fragte sie sich laut.
„Keine Ahnung, aber sie haben Kathi ja auch nicht direkt zugestimmt."
Alex machte eine abfällige Handbewegung: „Stefan ... Herr Winkler meinte, er braucht theoretisch keine weitere Hilfe mehr, weil Joana da ist. Und Philipp hat nur gesagt, dass er nichts dagegen hat, meine Arbeitskraft an andere Redaktionen auszuleihen, wenn Not am Mann ist. Das war echt nicht hilfreich."
Matthias zog an seiner Zigarette und stieß dann den Qualm in Ringen aus: „Das eigentliche Problem ist doch unser großer Chef. Wenn der Herr Chefredakteur nicht so einen Schiss hätte, dass eine Volontärin ihm das Geschäft versaut, würde er nicht so leicht auf Kathis Einflüsterungen hören."
„Wozu bin ich denn da?!"
Wütend vergrub Alexandra ihre Hände in den Manteltaschen. Sie hatte wirklich versucht, sich zu verteidigen, doch es war so offensichtlich gewesen, dass der Chefredakteur Kathis Worten Glauben schenkte, dass nichts mehr zu machen war.
„Was ist überhaupt Kathis Problem mit dir?", fragte Matthias plötzlich.
Überrascht schaute Alex ihn an. Sie hatte ihm tatsächlich nie genauer erzählt, was zwischen ihr und Katharina vorgefallen war. Jetzt jedoch war sie in genau der richtigen Stimmung, um sich all die jahrelang angestaute Wut vom Leib zu reden.
„Sie hat mir mal einen Kerl ausgespannt."
Jetzt war es Matthias, der überrascht aussah: „Aha? Irgendwie klang es eher so, als ob es andersrum passiert wäre. Wieso hasst sie dich, wenn sie dir Unrecht getan hat?"
„Weil es nicht ganz so einfach ist", Alex seufzte tief, dann ließ sie sich gegen einen der Metallstreber der Absperrung sinken: „Im ersten Semester, da war dieser Kerl, Frederik. Genau mein Typ. Lange Haare, irgendwie ungepflegt, ziemlich cool drauf. Hat in seiner Freizeit Gitarre in einer Band gespielt. Wir haben uns durch Freunde kennengelernt und verstanden uns ziemlich gut. Er war so der Typ, der immer gerne mit Mädels flirtet, sonst aber alleine bleibt. Ich war jung und er war der erste Kerl, der mal mit mir geflirtet hat. Natürlich hab ich mich direkt in ihn verliebt."
„Ich kann immer noch nicht verstehen, warum die Jungs aus deiner Schule dich nicht mochten", unterbrach Matthias sie.
Alex zuckte nur mit den Achseln: „Ich war halt nicht cool. Naja, jedenfalls im zweiten Semester habe ich dann Katharina kennengelernt. Sie saß in einer Vorlesung zufällig neben mir. Es war quasi Liebe auf den ersten Blick zwischen uns. Wir waren beide Frauen, die wenig auf typisches Tussi-Gehabe geben. Sie war schon damals so eine Gothic-Lolita, wie sie heute auch noch ist, nur dass sie natürlich in der Uni noch viel mehr so Zeug anziehen konnte als hier am Arbeitsplatz. Das fand ich cool. Und sie hat echt viel in unsere Freundschaft investiert, hat mich überall hin mitgenommen, mir Geschenke zum Geburtstag und zu Weihnachten gemacht. Sowas hatte ich in der Schule nicht. Durch mich hat sie auch Frederik kennengelernt."
„Ich sehe, wo das hinführt."
„Ne, tust du nicht", schnaubte Alex ungeduldig: „Frederik hat wie gesagt in einer Band gespielt. Eine Rockband, die auch manchmal ein bisschen Richtung Gothic ging. Freddie fand Katharina von Anfang an echt klasse. Sie haben immer öfter mal Sachen nur zu zweit gemacht, obwohl er nie was nur mit mir gemacht hat. Ich war natürlich echt eifersüchtig, aber ändern konnte ich es auch nicht. Und es war ja auch nicht so, als ob Katharina was dafür konnte. Oder wissen konnte, dass ich was von ihm will, das hab ich ihr nämlich nie gesagt."
„Aber?"
„Aber. Irgendwann hab ich bemerkt, dass die anderen Bandmitglieder, mit denen ich vorher gut klarkam, nicht mehr so richtig viel Interesse an mir zeigten. Und auch die anderen Freunde, die ich so hatte. Ich hab mir gesagt, dass ich mir das nur einrede. Und dass ich ja Katharina habe, die immer noch fast rund um die Uhr bei mir war. Im Sommer zwischen vierten und fünften Semester haben dann alle mal eine große Gartenparty bei Freddie gemacht, aber ohne mich. Ich habe das nur durch Zufall danach erfahren. Da war mir dann klar, dass irgendwas im Busch ist, gerade weil Katharina da war, aber sie mir nichts gesagt hat. Stellt sich raus, sie hat all meinen Freunden gegenüber ganz subtil fallen lassen, dass ich was von Freddie will und auf sie eifersüchtig sei und sie deswegen manchmal schlecht behandle."
„Was du natürlich nicht getan hast."
„Nein, ich zeige meine Eifersucht eigentlich nicht. Zumindest nicht durch zickiges Gehabe. Stellt sich raus, sie hat Freddie gesagt, er solle lieber auf Abstand zu mir gehen, wenn er nicht auch was von mir will, damit er keine falschen Signale sendet und mich damit verletzt. Sie hat da wirklich gut die gute Freundin gegeben, die sich um ihre beste Freundin sorgt."
„Ja, das kann sie gut", bestätigte Matthias, der sich inzwischen eine zweite Zigarette angezündet hatte.
„Das Problem an der Sache war natürlich, dass Katharina auch was von Freddie wollte. Und sie war sich wohl ziemlich sicher, dass er auch was von ihr will, weil sie immer häufiger bei ihm übernachten durfte, im selben Bett. Davon habe ich erst später durch einen anderen Kumpel erfahren. Nachdem Freddie dann ein halbes Jahr lang keine Anzeichen gegeben hat, wurde es Katharina offenbar zu viel. Sie hat ihn zu Weihnachten in die Ecke gedrängt und verlangt, dass er ihre Beziehung endlich öffentlich macht. Zu dem Zeitpunkt hatte sich meine Freundschaft zu ihr schon im Sand verlaufen. Oder besser, sie hat mir gesagt, dass es ihr schwer fällt, mit mir befreundet zu sein, wenn ich die ganze Zeit eifersüchtig bin, sobald sie auch nur ein Wort mit Freddie wechselt."
Alte Gefühle kamen in Alexandra hoch. Sie wusste noch ganz genau, wie sie sich bei dem Gespräch gefühlt hatte. Wie viel Hass plötzlich in ihr gewesen war, weil sie sich von der einen Person, der sie vertraut hatte, so verraten gefühlt hatte. Sie hatte Katharina gegenüber nie ihre Eifersucht gezeigt, sie hatte nie etwas gesagt. Sie hatte sich so unfair behandelt gefühlt, und gleichzeitig war sie natürlich so eifersüchtig gewesen.
Mit zitternder Stimme fuhr sie fort: „Offenbar hat Freddie aber nicht so reagiert, wie Katharina das erwartet hatte. Er war wohl völlig überrascht von ihrem Interesse."
„Nicht der hellste, dieser Freddie, oder?", unterbrach Matthias erneut.
Darüber musste Alexandra tatsächlich lachen: „Rückblickend betrachtet hast du da wohl recht. Er war nicht dumm, aber ziemlich blind für seine Mitmenschen. Für ihn gab es nur die Musik. Naja, fast. Nachdem er Katharina einen Korb gegeben hat, hab ich nämlich einen Anruf von ihm erhalten. Das musst du dir mal vorstellen, ein halbes Jahr lang höre ich nichts von ihm oder seinen Freunden, und dann ruft er plötzlich an. Entschuldigt sich und erklärt mir, dass er Angst hatte, aber dass er sich wohl in mich verliebt hat."
„Oooh, ein Happy End", freute sich Matthias: „Und kein Happy End für die arme Kathi."
Alexandra schüttelte energisch den Kopf: „Nein, kein Happy End. Zu dem Zeitpunkt hatten sich meine Gefühle für ihn nämlich ziemlich gedreht. Ich konnte nicht glauben, dass jemand sich so von Katharina manipulieren lassen würde. Ich hatte nur noch Verachtung für ihn übrig. Für ihn, und alle meine so genannten Freunde, die mir einfach den Rücken gekehrt haben. Und weißt du, was das Beste daran war? Kurz vor meinem Abschluss hat sich einer meiner Kumpels gemeldet und mir die ganze Sache erzählt. Offenbar hat sich Katharina mal im betrunkenen Zustand über mich lustig gemacht. Wie naiv ich doch bin. Und dass ich nicht gesehen hätte, dass sie nur mit mir befreundet gewesen war, um an Freddie ranzukommen. Sie war nämlich mit Freddie auf dieselbe Schule gegangen, aber in eine Parallelklasse, und er hatte sie nie bemerkt. Sie war schon ewig verliebt und hat irgendjemanden gesucht, über den sie ihn kennenlernen konnte. Und das war halt ich."
Matthias stieß langsam den Rauch seiner Zigarette aus: „Aber auch ein sehr netter Freund, der dir das alles so detailliert erzählt hat, oder?"
Alexandra grinste gequält: „Tja, der wollte sich auch bloß an ihr rächen. Offenbar hat er versucht, bei ihr zu landen, und wurde unfreundlich abserviert. Also hat er sich jemanden gesucht, der sich für all ihre Intrigen interessieren könnte, und das war eben ich. Nur dass ich nicht, wie er erhofft hat, irgendetwas unternommen habe, sondern einfach ... naja, weggegangen bin. Katharina war einer der Gründe, warum ich nach dem Studium erstmal diverse Praktika und Auslandsaufenthalte gemacht habe für ein Jahr. Einfach mal weg von allen, weg von Leuten, die mich kennen. Und seitdem bin ich Gruppen und ihren Dynamiken gegenüber auch noch skeptischer als zuvor."
Matthias drückte seine zweite Zigarette aus und warf sie in den Aschenbecher. Unsicher, was er von der Geschichte hielt, beobachtete Alexandra ihn. Eigentlich hatte sie das Ganze für sich behalten wollen, immerhin lag es in der Vergangenheit und es ging niemanden außer sie und Katharina etwas an. Und doch. Sie war so wütend und so verzweifelt, sie musste einfach ihre Gefühle rauslassen und wenigstens einem anderen Menschen erzählen, was für ein schlechter Mensch Katharina war.
„Tja", sagte Matthias schließlich: „Wenn ich sie nicht so wenig mögen würde, würde ich glatt sagen: arme Kathi."
Entsetzt starrte Alexandra ihn an: „Bitte?"
Er grinste: „Sie hat offensichtlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dir einen Kerl auszuspannen, aber der wollte trotzdem lieber dich. Sie kann einem fast leidtun, oder? Ich meine, das muss doch furchtbar anstrengend sein, die ganze Zeit Intrigen zu spinnen."
So hatte Alexandra das noch nie betrachtet. Sie hatte sich immer nur als Opfer gesehen, aber dass Katharina tatsächlich einen nicht unerheblichen Teil ihrer Zeit investiert hatte, nur, um dann am Ende doch zu scheitern, war tatsächlich ein wenig komisch.
„Und schau nur", fuhr Matthias fort, „dasselbe passiert gerade wieder."
„Dasselbe?"
Spielerisch boxte er ihr gegen die Schulter: „Ach, tu doch nicht so. Ich sehe doch, was da zwischen dir und Stefan läuft. Gib's zu, du duzt ihn ja inzwischen sogar. Glaub nicht, das hätte ich nicht bemerkt."
Verlegen schaute Alexandra auf ihre Finger: „Da läuft gar nichts zwischen uns. Und ich duze ihn nur außerhalb der Redaktion."
„Was? Was ist denn das für ein merkwürdiges Versteckspiel?"
„Eigentlich nicht wirklich ein Versteckspiel", entgegnete Alexandra: „Es hatte schon seine Gründe. Wobei ich zugeben muss, dass ich inzwischen durchaus Spaß dran habe, Stefan immer wieder an das Siezen zu erinnern. Das scheint ihn nämlich mächtig zu ärgern."
„Ich entdecke ganz neue Seiten an dir", stellte Matthias lachend fest: „Offenbar bist du in der Lage, Stefan aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das schafft auch nicht jeder. Hut ab."
Stolz grinste Alexandra ihn an, doch dabei fiel ihr Blick auf die Kirchturmuhr in der Ferne. Fluchend richtete sie sich auf: „Wir haben uns total verquatscht. Ich wette, in der Redaktion werden wir schon vermisst. Und ich muss zu diesem dämlichen Flohmarkt."
Matthias ging ihr voraus und zog die schwere Sicherheitstür, die zurück ins Innere führte, auf: „Ach, als ob irgendjemand da unten sich wirklich um uns kümmert. Und dein Flohmarkt läuft nicht weg. Manchmal muss man sich auch Frust von der Seele reden, um wieder befreit arbeiten zu können. Das ist auch wichtig."
Mit schnellen Schritten eilte Alexandra vor ihm die Treppen hinunter: „Da hast du recht, aber ich kenne gewisse Leute, die vermutlich nichts lieber täten, als mich wegen Faulheit beim Chef zu verpfeifen."
Kurz bevor sie die Tür vom Treppenhaus zu ihrer Etage aufzog, hielt Matthias Alexandra noch einmal zurück. Er legte ihr beide Hände auf die Schultern und beugte sich tief zu ihr runter, um ihr auf Augenhöhe direkt ins Gesicht sehen zu können: „Alex. Die Welt dreht sich nicht um Kathi. Und auch, wenn es so scheinen mag, Kathis Welt dreht sich nicht um dich. Atme. Entspann dich. Du musst wirklich lockerer werden."
Tief holte Alexandra Luft. Sie wusste, er hatte recht. Seit sie hier Katharina wieder begegnet war, schien kaum ein Tag zu vergehen, an dem sie nicht über ihre ehemalige Freundin nachdachte. Sie hatte gehofft, ignorieren würde helfen, doch trotz all ihrer Anstrengungen brauchte es nur einen hämischen Kommentar hier oder eine kleine Handlung da, und sofort war ihr lodernder Hass auf Katharina wieder da und sie wurde blind. Sie sollte sich wirklich eine Scheibe von Matthias abschneiden, der offenbar gänzlich unberührt blieb von Katharinas Sticheleien und Provokationen gehen das Onlineteam.
„Danke", flüsterte sie: „Du bist echt ein toller Kerl. Die Welt braucht mehr von dir."
Er richtete sich auf und wuschelte ihr durch ihre Haare: „Wie gesagt, wenn du mal nachts einsam bist, du hast ja meine Nummer."
Gespielt böse schaute sie zu ihm auf. Er konnte nicht lange ernst bleiben, doch wenn er mal einen Augenblick der Ernsthaftigkeit hatte, dann war er wirklich ein einfühlsamer Mensch. Sie konnte schon jetzt spüren, wie ihr ein Gewicht vom Herzen fiel, einfach nur, weil sie all ihre Frustration und angestaute Wut mit ihm hatte teilen können.
Sie würde einfach versuchen, in Zukunft nicht so paranoid und verschüchtert auf Katharina zu reagieren. Das tat vermutlich ihrem eigenen Seelenleben auch besser.
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