12
Ehe Alexandra sich versah, war beinahe ein weiterer Monat ins Land gegangen und das nächste Get-Together, wie es in der Redaktion hieß, stand an. Ihre Probleme mit Katharina hatten sich weitestgehend gelöst. So jedenfalls betrachtete Alex die Situation. Katharina hatte aufgehört, ihr Hilfe anzubieten, und war stattdessen dazu übergegangen, sie zu ignorieren, und nur, wenn andere Leute anwesend waren, zeigte sie sich noch als die gute, herzliche Freundin, die sie so gerne vorgab zu sein. Interessanterweise war Joana bald nach der belauschten Lästerei zu Alexandra gekommen, um einfach so mit ihr zu plaudern. Seitdem unterhielten sie sich immer mal zwischendurch, wenn sie sich auf den Fluren über den Weg liefen. Alexandra vermutete insgeheim, dass es Joana unangenehm war, so in eine Lästerei involviert gewesen zu sein, dass sie nun versuchte, es durch besondere Freundlichkeit wiedergutzumachen. Es war eine beinahe schon süße Geste.
„Kommst du heute Abend auch?"
Völlig aus dem Konzept gebracht starrte Alexandra zu dem benachbarten Schreibtisch: „Was?"
„Na, unser Firmenabend. Kommst du auch?", wiederholte Katharina, als sei Alex schwer von Begriff.
„Ich denke schon."
Kathis Blick wanderte zur anderen Seite des Raumes: „Gehst du mit Matthias?"
Wieder konnte Alex nur überrascht stammeln: „Was?"
„Ob du mit Matthias hingehst. Ihr zwei seid doch neuerdings unzertrennlich."
Mehrmals blinzelte Alexandra. Sie war sich sicher, dass eine bestimmte Absicht hinter Katharinas Worten lauerte, doch noch hatte sie keine Ahnung, worauf sie hinaus wollte. Vorsichtig erwiderte sie: „Keine Ahnung, eigentlich war es nicht mein Plan, mit irgendjemandem zusammen hinzugehen."
„Also, ich gehe mit Stefan zusammen", erklärte Katharina.
Daher wehte der Wind also. Alex begriff augenblicklich. Wieso nur dachte Kathi immer noch, dass sie damit irgendetwas erreichen konnte? Hatte sie nicht deutlich genug gemacht, dass sie kein Interesse an Stefan hatte? Immerhin war er inzwischen der einzige auf diesem Flur, den sie noch siezte, das sollte doch Signal genug sein.
„Schön für dich", murmelte sie achselzuckend.
Genau in dem Augenblick kam ihr Gesprächsobjekt aus seinem Büro. Breit grinsend trat er auf Kathi zu: „Na, meine Schöne, bereit, eine gute Figur an meinem starken Arm zu machen?"
Mit einem Seitenblick auf Alexandra erhob Katharina sich: „An deinem starken Arm macht doch jede Frau eine gute Figur."
Mit einer Verbeugung hielt er ihr tatsächlich seinen Arm hin, damit sie sich unterhaken konnte: „Einige mehr als andere. Oder was meinst du, warum ich mir die schönste Frau in der Redaktion als Begleitung gesucht habe?"
Kathi kicherte albern: „Spar dir deine schönen Worte, du weißt genau, dass die bei mir nicht ziehen. Du lässt mich eiskalt."
„Ah, mein Herz", erwiderte Stefan schmunzelnd. Als habe er sich in dem Moment daran erinnert, dass Alexandra auch anwesend war, drehte er sich zu ihr um: „Was ist mit Ihnen, Frau Berger? Bereit, eine neue Runde soziologischer Studien an Primaten unter Alkoholeinfluss durchzuführen?"
Sie holte tief Luft. Die aufgesetzte Flirterei zwischen ihrem Chef und Katharina war mehr als nervtötend, gerade weil sie wusste, dass die Show, die Kathi ablieferte, vor allem ihr galt. Mit einem zuckersüßen Lächeln, dass ihrer Freundin alle Ehre gemacht hätte, erklärte Alex: „Wer weiß? Vielleicht studiere ich heute Abend auch das merkwürdige Verhalten von Primaten am oberen Ende der Nahrungskette, die vor lauter pinker Zuckerwatte ihre sämtlichen IQ-Punkte eingebüßt haben."
Wie erwartet brach Stefan in schallendes Gelächter aus: „Ein wahrhaft würdiges Studienobjekt. Denken Sie, Ihre Beobachtungen werden heute Früchte tragen?"
Mit einem Blick auf Katharina, die von Sekunde zu Sekunde finsterer dreinschaute, meinte Alex: „Oh, absolut. Heute ist der ideale Tag und ich vermute, wir werden Entwicklungen zu sehen bekommen, die den hochgestellten Primaten noch völlig aus der Bahn werfen. Hoffen wir, dass er kein Schleudertrauma erfährt."
Diese letzten Worte verstand Stefan offensichtlich nicht, doch das kümmerte Alexandra nicht. Sie hatten die ganzen letzten Wochen über immer mal wieder solche kurzen Wortwechsel gehabt, die ihr zugegebenermaßen sehr viel Spaß bereiteten. Dass er trotzdem noch immer sein Flirt-Spielchen mit Kathi trieb, wurmte sie. Er war zu intelligent dafür, befand sie, und irgendwie fühlte sie sich beleidigt davon, dass er Katharinas Gegenwart offenbar so schätzte. Sie wünschte, sie hätte eine verlässliche Quelle, die ihr sagte, was genau zwischen den beiden lief.
Nicht, dass sie sich irgendwie für Stefan interessierte. Aber wenn man einen intelligenten Menschen fand und dann sah, dass er sich gerne mit unintelligenten Menschen umgab, musste man sich doch fragen, was er damit bezweckte, was dahinter steckte. Und so erging es ihr mit Stefan. Seine Intelligenz war zu wertvoll, um an Kathi verschwendet zu werden.
„Ich unterbreche eure wissenschaftlichen Analysen nur ungerne", ging Katharina dazwischen, „aber ich würde gerne nicht als letzte auftauchen. Wollen wir, Stefan?"
„Aber sicher, meine Schöne. Bis später, Frau Berger."
Alexandra hob nur kurz die Hand, um den beiden hinterherzuwinken. Für den heutigen Abend hatte sich Katharina mal wieder in Schale geworfen. Sie war klein und üppig gebaut, was ihre klassische Kleidung bereits immer untermalte: Die Lolita-Kleidchen betonten ihre Oberweite, während sie gleichzeitig lang genug waren, um ihre Beine erst ab den Knien zu zeigen. Alle möglichen Problemzonen wurden so geschickt verdeckt und das Schwarz der Kleidung zusammen mit dem Schwarz ihrer Haare betonte ihr blass geschminktes Gesicht mit dem süßen Schmollmund perfekt. Heute hatte sie eine freizügigere Variante an, ihr Dekolletee lag frei und statt Plateau-Schuhen trug sie matt schimmernde High Heels. Jeder Mann, der auf Frauen mit weiblichen Rundungen stand, würde seine Blicke schwerlich von ihr lösen können. Stefan war der beste Beweis dafür.
Genervt über sich selbst, packte Alex ihre Tasche, um sich selbst auf den Weg zu machen. Sie hatte sich nicht besonders angezogen, denn obwohl sie den Sinn der Veranstaltung verstand, fühlte sie sich trotzdem nicht wohler. Entsprechend wollte sie keine besondere Aufmerksamkeit auf sich lenken. Eine Bluse, eine hochgeschnittene Hose, die bis zu ihrem Bauchnabel ging, und bequeme Schuhe mit leichtem Absatz waren für das Büro ebenso tauglich wie für eine abendliche Trinkrunde. Außerdem fühlte sie sich darin wohl, was für soziale Zusammenkünfte stets ihre oberste Priorität war.
Das Gebäude war beinahe leer, als Alexandra endlich aus dem Fahrstuhl trat. Die meisten ihrer Kollegen waren vermutlich bereits in der nahegelegenen Bar. Ihr konnte es nur recht sein, denn so würde niemand ihr Erscheinen bemerken, sie konnte sich wieder einfach an die Bar setzen und ungestört beobachten.
Tatsächlich war es wie beim Abend vor einem Monat brechend voll in dem Lokal, so dass Alexandra nur mit Mühe den Weg durch die Menschenmenge zur Bar fand. Dort hingegen waren genug Stühle frei, denn niemand wollte sich von der Gruppe trennen und alleine sitzen. Grinsend hängte Alex ihren Mantel an einen Haken, bestellte sich ein stilles Wasser und drehte sich dann um, mit dem Rücken an die Theke gelehnt, um den Raum nach bekannten Gesichtern abzusuchen.
Inzwischen konnte sie die meisten ihrer Kollegen namentlich einem Gesicht zuordnen. Wie sie es nicht anders erwartet hatte, saßen an dem Tisch von Katharina auch Chantal, Martin, Sabine und Joana. Und wo Joana war, da war auch Philipp nicht weit, der sich jedoch angeregt mit Stefan unterhielt, offenbar noch immer zu schüchtern, um seine Angebetete anzusprechen. Amüsiert beobachtete Alexandra, wie Stefan sich immer wieder vorbeugte, um an Philipp vorbei Joana anzusprechen und sie ins Gespräch mit einzubeziehen, doch jedes Mal scheiterte er daran, dass Philipp selbst verstummte, sobald Joana etwas sagte.
Ganz offensichtlich wussten auch alle am Tisch, dass die beiden Interesse aneinander hatten, denn immer wieder kam von Chantal oder Sabine irgendeine Äußerung, die abwechselnd Philipp oder Joana rot werden ließ. Nachdenklich legte Alexandra den Kopf schräg. Obwohl Philipp ebenso wie Stefan ein Ressortleiter war, neidete niemand Joana die Aufmerksamkeit, die sie von ihm erhielt. Sie war die Schüchterne, die Nette, die man in Schutz nehmen musste, die keine Gefahr darstellte, die man für die eigenen Zwecke einspannen konnte. Philipp wiederum war zwar ein Chef, aber weder so gutaussehend noch so locker drauf wie sein Kollege Stefan. Seine steife Art hatte vermutlich ziemlich schnell jegliches Interesse an ihm erkühlen lassen. Für Chantal, Sabine und Kathi war Joana ganz offensichtlich eine Art Projekt, ein Bedarfsfall, der ihnen selbst half, sich besser zu fühlen, weil sie einer anderen Frau unter die Arme griffen.
Warum jedoch Martin mit von der Partie war, verstand Alexandra nicht. Er war alles andere als schlank, ja, aber auf seine Art auch attraktiv. Seine bissigen, sarkastischen Kommentare zeugten von Intelligenz, trotzdem schien eines seiner liebsten Hobbys zu sein, über andere zu lästern oder auf sie herabzuschauen. Mehr als einmal hatte Alex ihn dabei gesehen, wie er einen Spruch gegen Matthias abgelassen hatte, gespickt mit Fremdworten, damit Matthias selbst die Beleidigung hinter den Worten nicht verstehen konnte. Und stets war Kathi zur Stelle gewesen, um herzhaft darüber zu lachen.
Sie war so vertieft in ihre Beobachtungen über Martin gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass Stefan den Tisch verlassen hatte und sich auf dem Weg zu ihr befand. Katharina war offenbar gerade auf der Toilette, zumindest saß sie ebenfalls nicht mehr an dem Tisch, und so hatte er anscheinend die Gelegenheit ergriffen, zumindest kurz mit ihr zu plaudern.
„Du sitzt schon wieder ganz alleine hier rum", stellte er fest, nachdem er sich neben sie auf einen Barhocker gesetzt hatte.
„Ich hatte doch angekündigt, dass ich heute wieder Studien betreiben werde", konterte sie ungerührt.
„So wird das nie was", widersprach er: „Deine eigenen Worte waren es doch, dass man Menschen nicht einschätzen kann, wenn man nicht mit ihnen redet."
Sie grinste ihn breit an: „Mit dir rede ich aber doch ständig. Und du ist heute mein alleiniges Untersuchungsobjekt."
Er lehnte sich mit einem Ellbogen auf die Theke und stützte sein Kinn auf seiner Hand ab: „So? Und was haben deine Untersuchungen bisher ergeben?"
„Mmmmh", machte sie, während sie so tat, als müsste sie angestrengt nachdenken: „Bisher konnte ich kein auffälliges Verhalten feststellen. Unser Primat vom oberen Ende der Nahrungskette legt wie immer Platzhirschgehabe an den Tag und markiert sein Revier rund um die attraktivste Frau der Runde."
Mit ernster Miene, die nur durch seine zuckenden Mundwinkel betrogen wurde, sagte er: „Oh nein, ich bin aufgeflogen? Wie hast du bemerkt, dass ich das Revier um dich herum als meins markieren wollte?"
Alexandra rollte mit den Augen: „Nicht um mich. Um Katharina."
Sie war sich nur zu bewusst, dass Stefan auf der Ebene keinerlei Interesse an ihr hatte. Er sollte gar nicht erst versuchen, ihr irgendetwas anderes weißmachen zu wollen, das würde nur peinlich für ihn enden.
Doch er sah das offenbar anders: „Dann sind deine Studien aber ziemlich schlecht. Ich markiere nicht Kathi, sondern dich."
Rasch nahm Alex einen Schluck aus ihrem Wasserglas. Sie wünschte, er würde sie nicht so direkt anflirten. Sie fühlte sich machtlos dagegen, nicht nur, weil er so gut aussah und intelligent war, sondern auch, weil sie es einfach nicht gewohnt war. Angriff war die beste Verteidigung, beschloss sie schließlich: „Ich hoffe sehr, dass du nicht vorhast, mir ans Bein zu pinkeln wie ein Hund, der seinen Lieblingsbaum markiert."
„Nein, auf solche niederen Akte bin ich nicht angewiesen. Meine bloße Anwesenheit in deiner Nähe reicht schon aus, um alle anderen Konkurrenten zu verjagen. Mein Charisma reicht, um mein Revier zu markieren."
Betont stöhnte Alex auf: „Ja, ja. Du bist ein toller Hecht. Aber leider muss ich deine Traumwelt zerstören, deine Anwesenheit hält leider niemanden davon ab, sich zu mir zu setzen. Das schaffe ich schon ganz alleine."
„Du kennst aber auch kein Mitleid mit mir, was?", erwiderte er gespielt verletzt: „Na schön. Erzähl mir lieber, was deine Beobachtungen sonst so ergeben haben."
Entspannt lehnte Alexandra sich zurück, beide Ellbogen hinter sich auf die Theke gestützt, und schaute wieder zu Martin und den anderen Frauen hinüber: „Ich habe mich eben gefragt, wie diese merkwürdige Konstellation zustande gekommen ist."
Stefan folgte ihrem Blick: „Du meinst Martin und seine Hühner? Tja, das ist der guten Kathi zu verdanken."
Neugierig drehte sie ihren Kopf zu ihm: „Okay? Inwiefern?"
Überrascht bemerkte Alexandra, dass Stefan plötzlich sehr dicht neben ihr saß, beinahe dicht genug, damit ihre Schenkel sich berührten. Sie fragte sich, warum ihr vorher nicht aufgefallen war, wie nah er ihr gekommen war. Oder hatte er unbemerkt von ihr den Barhocker verrückt? Kopfschüttelnd rief sie sich zur Ordnung. Das war gerade unwichtig.
„Als Katharina vor einem guten Jahr hier angefangen hat, waren Chantal und Martin ziemliche Einzelgänger. Ich glaube, die meisten in der Redaktion kamen mit seiner sarkastischen Art nicht klar. Und dass er so ein Nerd ist, hilft ihm auch nicht unbedingt weiter. Und Chantal kann ziemlich aggressiv werden, wenn sie sich angegriffen fühlt, weswegen die meisten sie lieber gemieden haben. Mit Martin hat Kathi sich auf Anhieb verstanden, immerhin ist sie auch so ein Nerd wie er. Und weil sie selbst gut austeilen kann, hatte sie keine Angst vor Chantal. Ich glaube, Chantal ist ihr so dankbar, dass sie sich nicht hat vertreiben lassen, dass sie deswegen jetzt an ihr hängt. Und über Kathi haben die beiden dann Sabine näher kennengelernt, die nun wirklich eine Seele von Mensch ist."
Alex nickte verstehend: „Und Sabine hat Joana ins Spiel gebracht, die so schüchtern ist, dass sie von alleine niemals mit Leuten wie Katharina oder Chantal zu tun gehabt hätte."
Er grinste schief: „Korrekt. Joana ist echt ein Schatz, ich kann dir gar nicht sagen, wie großartig ich ihre Arbeit finde. Und sie hat echt Krallen, wenn es um ihre Geschichten geht, das traut man ihr gar nicht zu. Anders überlebt man aber bei uns in der Politik-Redaktion auch nicht."
„Ich erinnere mich. Als du sie mir vorgestellt hast, hast du auch schon so von ihr geschwärmt, dass Philipp ihr direkt zu Hilfe geeilt ist, um die holde Jungfrau zu verteidigen", meinte Alex schmunzelnd.
„Ach, Philipp sollte lieber selber mal ein paar Komplimente bringen", erwiderte Stefan aufgebracht: „Es wird langsam echt lächerlich."
Alexandra ließ ihren Blick wieder über die Tischrunde gleiten: „Ich weiß nicht, ob Sabine und Chantal da so hilfreich sind."
„Ich verstehe, was du meinst. Wie soll man sich in Ruhe kennenlernen, wenn alle einen verkuppeln wollen und jede winzige Aktion mit Argusaugen beobachten?"
Lächelnd schaute sie ihren Chef an. Dafür, wie arrogant er sich gerne in der Redaktion gab, zeigte er doch ein erstaunliches Maß an Einfühlungsvermögen für seine Mitmenschen. Obwohl sie ihn nun schon einen Monat kannte, stellte sie doch immer wieder fest, dass es Moment gab, in denen er ihr mehr als nur sympathisch war. Und direkt im nächsten Augenblick war das wieder dahin, weil er sich über irgendjemanden lustig machte. Meistens über Matthias.
„Wenn du öfter Männer so anlächelst wie jetzt gerade mich, muss ich wohl doch mal mein Revier deutlich sichtbar markieren."
Der leise, raue Tonfall von Stefans Worten riss Alexandra aus ihrer nachdenklichen Betrachtung. Hatte sie gerade wirklich so dämlich gegrinst, wie er ihr unterstellte? Und was meinte er überhaupt mit seinem Revier? Hitze schoss ihr in die Wangen, als sie bemerkte, wie nah er ihr inzwischen gekommen war. Kaum ein Zentimeter trennte ihre Schenkel noch voneinander und irgendwie hatte er seinen Arm so geschickt auf der Theke abgelegt, dass seine Hand beinahe ihren Rücken berührte. Ohne, dass sie es mitbekommen hatte, war er in ihren persönlichen inneren Kreis eingedrungen. Die Hitze ihrer Wangen breitete sich im Rest ihres Körpers aus. Atemlos gab sie zurück: „Dein Revier?"
Ein Lächeln spielte um seine Lippen, das Alex deutlich signalisierte, dass ihm ihre Reaktion auf seine körperliche Nähe aufgefallen war. Mit einer unmöglichen Selbstverständlichkeit erwiderte er: „Natürlich mein Revier. Oder denkst du ernsthaft, ich überlasse dich einfach so Matthias?"
Er konnte das nicht ernst meinen. Alexandra war sich sicher, dass Stefan nur seinen Scherz mit ihr trieb. Immerhin hatte er doch irgendeine Art von Beziehung mit Katharina laufen. Und er kannte sie doch gar nicht, sie arbeiteten erst einen Monat zusammen. Diese aggressive Aufdringlichkeit war zu haltlos, als dass sie ihm auch nur eine Sekunde geglaubt hätte. Vielleicht hatte ihn ja sogar Kathi auf sie angesetzt? Zuzutrauen wäre es ihr. Es wäre ein hübscher Spaß, wenn er sie vor aller Augen bloßstellen könnte.
Sie rutschte von ihrem Barhocker und griff nach ihrer Tasche: „Du bist zu nahe, Stefan. Nur, weil wir hier in einer zwanglosen Umgebung sind, heißt das nicht, dass du leichtfertig über höfliche Umgangsformen hinweg sehen kannst."
Ein merkwürdiges Glitzern trat in seine Augen und für einen Moment schien er sich noch weiter zu ihr beugen zu wollen. Doch dann war der Augenblick vorbei. Er richtete sich auf, fuhr sich lässig durch sein Haar und zog seinen Arm von der Theke: „Dass du immer so steif sein musst. Ich wollte nur einen Scherz machen."
Das wusste sie natürlich. Es wäre auch unmöglich gewesen, dass er auch nur ein Wort ernst gemeint hatte. Trotzdem fand sie den Scherz unangebracht. Mit einem strengen Blick stemmte sie eine Hand in die Hüfte: „Ich sage das zu deinem besten, Stefan. Sei vorsichtig mit deinen Scherzen. Ein weniger rationaler Mensch als ich hätte deine Signale vielleicht falsch verstanden. Du solltest nicht leichtfertig mit deinem Charme spielen, gerade als Chef."
Er stieg ebenfalls von seinem Barhocker hinab, ehe er unbeeindruckt zurückgab: „Ein emotionalerer Mensch als du hätte die Situation vielleicht richtig gelesen."
Als Antwort rollte sie nur mit den Augen. Gerade eben hatte er zugegeben, dass es nur ein Scherz gewesen war, und nun stellte er es doch wieder als Ernst hin? Wem wollte er hier etwas vormachen?
Aus den Augenwinkeln registrierte sie, dass Katharina an ihren Tisch zurückgekehrt war und ganz offensichtlich nach Stefan Ausschau hielt. Ihre Stimmung sank. Sie hatte keine halbe Stunde hier durchgehalten, doch sie wollte wirklich nicht noch länger bleiben. Kühler als geplant sagte sie: „Dein Date sucht nach dir. Du solltest dich wieder um sie kümmern."
Er schaute nicht mal zu dem Tisch hinüber: „Kathi ist nicht mein Date."
Genervt hob Alex beide Augenbrauen: „So? Das sieht sie aber offensichtlich anders und du hast dir allen Anlass dazu gegeben. Also sein ein Mann und kümmere dich um sie."
Die Arme vor der Brust verschränkt beobachtete er, wie sie nach ihrem Mantel griff und ihn anzog. Finster fragte er: „Du willst echt schon gehen? So wirst du nie Teil der Redaktion, Alex. Setz dich zu uns und hör auf, dich hinter irgendwelchen schwachsinnigen soziologischen Beobachtungen zu verstecken."
Entschlossen wickelte sie ihren Schal um sich: „Andere Leute tauchen auch nie hier auf. Und? Macht da jemand ein großes Drama draus? Nein. Ich zeige mein Gesicht, reicht das nicht aus? Wieso muss ich mich unbedingt mit meinen Arbeitskollegen anfreunden?"
„Du hast Angst, hab ich Recht?", flüsterte er ihr zu. Er trat direkt vor sie und beugte sich ein wenig zu ihr herab, damit sie seine leisen Worte über den Lärm hinweg verstehen konnte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken ob seiner erneuten, unwillkommenen Nähe.
„Angst?"
„Ja, Angst. Du hast erkannt, dass Kathi und ihre Clique in unserer Redaktion den Ton angeben, und weil du Kathi nicht magst, denkst du, dass sie dich ausschließen wird, wenn du versuchst, dich uns anzuschließen. Also schließt du dich lieber selbst aus, damit du der Gefahr entgehst, von Kathi blamiert zu werden. Aber soll ich dir was sagen? So ist sie nicht. Ich hab dir von Martin und Chantal erzählt, damit du verstehst, was Kathi für ein Mensch ist. Sie kümmert sich gerne um andere. Sie hat dir ja auch direkt von Anfang an geholfen. Spring über deinen Schatten."
Alexandra zitterte. Was Stefan da sagte, war absolut ins Schwarze getroffen. Natürlich machte sie absichtlich einen Bogen um Kathi und ihre Freunde. Sie hatte keine Lust zu versuchen, Freundschaften zu schließen, weil sie ahnte, dass das nicht lange halten würde. Sich zu öffnen, um dann fallen gelassen zu werden, tat weh. Das hatte er verdammt richtig eingeschätzt. Es war beinahe unheimlich, wie gut er sie verstand.
Nur dass er sich im Falle von Katharina irrte.
Ihre Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit und selbst, wenn sie sich anfangs freundlich geben würde: Früher oder später würde Kathi dafür sorgen, dass sie ganz tief in der Gunst ihrer Kollegen fallen würde. Und darauf hatte Alexandra einfach keine Lust.
Unfreundlich gab sie zurück: „Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst. Stell nicht Vermutungen über Menschen an, die du offensichtlich so wenig kennst."
„Alex ...", setzte er an, doch weiter kam er nicht.
Matthias hatte sich aus der Menge an tanzenden Leuten am anderen Ende des Lokals gelöst und war zu ihnen gekommen: „Macht Stefan dir Ärger?"
Beschützend legte er einen Arm um sie. Alexandra lächelte ihn dankbar an, doch sie verneinte: „Kein Ärger. Nur eine Meinungsverschiedenheit. Und die kann ich für mich selbst ausfechten, vielen Dank."
Stefans Miene verdüsterte sich: „Du kommst natürlich genau richtig, Hahn. Immer zur Stelle, um die Jungfrau in Nöten zu retten. Ist das deine Vorstellung von einer Beziehung zwischen Frau und Mann? Dass sie die Schwache ist, die immer gerettet werden muss? Das ist echt so lächerlich."
„Was ist denn dein Problem, Mann?", schoss Matthias zurück und baute sich vor Stefan auf.
„Ich hab kein Problem", schnaubte Stefan nur. Ehe Alex reagieren konnte, stampfte er zu dem Tisch mit Kathi zurück, wo er schon sehnlich vermisst worden war.
Fragend schaute Alex zu Matthias hoch: „Hahn?"
Er entspannte sich sichtlich: „Mein Nachname. Ich hab mich dir sogar vorgestellt, als wir uns kennengelernt haben, erinnerst du dich nicht mehr?"
Sie errötete leicht: „Sorry, ich bin nicht so gut mit Namen."
„Ah, nicht schlimm", meinte er und machte eine wegwerfende Handbewegung: „Erzähl mir lieber, was Stefan von dir wollte."
Alexandra zog die Stirn kraus: „Kommst du mit raus? Ich wollte gerade gehen und in meinem dicken Mantel ist es hier drinnen viel zu warm."
„Klar, da kann ich direkt eine rauchen."
Nachdem die Lokaltür hinter ihnen zugefallen war, holte Alex tief Luft und erklärte: „Stefan ... Herr Winkler ist der Meinung, dass ich mich selbst ausgrenze. Er wollte mich dazu bringen, mit an seinen Tisch zu kommen, um Katharina eine Chance zu geben."
Langsam stieß Matthias den Rauch seiner Zigarette aus: „Daher weht der Wind. Kein Wunder, dass du so finster dreingeschaut hast."
„Er glaubt mir nicht, dass sie mich nicht mag. Er denkt, ich mag sie nicht und würde ihr deswegen Unrecht tun."
„Jo, klar, ich würde über meine Freundin auch nicht schlecht reden", meinte Matthias abfällig: „Nur eben blöd für dich."
„Sind sie denn tatsächlich zusammen?", hakte Alexandra überrascht nach.
„Ach, wer steigt da schon durch", erwiderte er achselzuckend: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kathi mit einem Kerl in die Kiste steigt und ihn dann nicht an sich kettet. Offiziell ist da ja nichts, aber es ist schon auffällig, wie extrem er unter ihrer Fuchtel steht."
Ihre Laune näherte sich dem Gefrierpunkt. Sie sollte aufhören, über ihren Chef nachzudenken, vor allem in dieser Beziehung. Er war der Ressortleiter für Politik, er war intelligent und durchschaute fast alle soziale Interaktionen schnell. Das war schon mehr als genug Wissen über ihn.
„Geht dir ziemlich an die Nieren, was?", erkundigte sich Matthias vorsichtig.
Sie zuckte hilflos mit den Schultern: „Ich weiß auch nicht. Herr Winkler ist halt eigentlich ein intelligenter Mann. Ich verstehe nicht, wieso er das manipulative Wesen von Kathi nicht sieht."
„Bist du eifersüchtig?"
„Oh, jetzt komm du nicht auch noch damit!", fuhr Alexandra ihn wütend an.
Abwehrend hob er beide Hände: „Sorry, sorry, ich wollte dich nicht angreifen."
Augenblicklich tat Alex ihre hitzige Reaktion Leid: „Ach, du kannst gar nichts dafür. Aber Kathi hatte mir genau das letztens auch schon unterstellt und seitdem reibt sie mir ständig unter die Nase, wie toll sie sich mit Herrn Winkler versteht. War quasi eine der ersten Sachen, die sie zu mir gesagt hat. Dass ich bitte nicht wieder böse werden soll, dass sie den Mann abkriegt."
„Wieder?", hakte Matthias nach.
Ertappt legte Alex sich eine Hand auf ihren Mund. Das hätte sie nicht sagen sollen. Die Geschichte mit Katharina lag in der Vergangenheit und es reichte schon, dass sie ständig Andeutungen deswegen machte. Sie musste nicht das ganze Drama um Frederik ausgraben.
„Lange Geschichte, vielleicht ein Andermal", beeilte sie sich zu sagen. Matthias sah nicht überzeugt aus, doch er ließ die Sache auf sich beruhen. Alexandra ahnte, dass er früher oder später noch einmal darauf zurückkommen würde. Aber wer wusste schon, was die Zukunft brachte. Vielleicht würde er sich als guter Freund erweisen, dem sie die ganze tragische Geschichte tatsächlich erzählen konnte.
„Lass den Kopf nicht hängen", sagte Matthias leise. Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, warf diese dann in den nebenstehenden Aschenbecher und zog Alex dann einfach so in eine Umarmung: „Die Welt geht nicht unter, nur weil jemand wie Kathi existiert. Es gibt auch noch Menschen wie mich."
Sie gab sich einen Ruck und erwiderte die Umarmung. Kaum hörbar flüsterte sie in seine Brust: „Menschen wie du sind echt Gold wert."
„Das hab ich genau gehört!", witzelte er und ließ sie wieder los: „Wenn du es dir anders überlegst, ich bin durchaus noch zu haben!"
„Haha, Witzbold!", entgegnete sie gespielt genervt: „Ein Korb ist dir wohl nicht genug?"
„Doch, eigentlich schon. Aber hey, ich bin Single, du bist Single, da kann ich ruhig mal sagen, dass das Angebot noch steht. Man kann mich auch nächteweise haben."
Unwillkürlich entwich Alex ein Kichern: „Du bist einfach unfassbar. Okay, wenn ich mal wirklich einsam fühle in der Nacht, sag ich dir Bescheid, aber du musst zum Frühstück wieder verschwunden sein. Ich bin ein Morgenmuffel und vor meiner ersten Tasse Kaffee eine Gefahr für alles Lebende um mich herum."
„Deal!", willigte Matthias ebenfalls lachend ein.
Kopfschüttelnd, aber mit besserer Laune als zuvor, verabschiedete Alexandra sich von ihm. Sie war froh, dass er immer da war, wenn sie eine Aufmunterung brauchte. Es war schon erstaunlich, dass Stefan es mit schöner Regelmäßigkeit schaffte, ihr die Laune zu verderben. Wobei er das eigentlich nur tat, wenn Kathi ins Spiel kam. Die schlechte Aura der Frau schien auch ihre Mitmenschen zu befallen. Aber sie hatte jetzt schon einen Monat überlebt, sie würde das auch in Zukunft schaffen. Und vielleicht, irgendwann, wenn Stefan mal aufhören würde, ihr bei jeder Gelegenheit im privaten Rahmen so auf die Pelle zu rücken, könnte sie entspannt mit ihrem Chef umgehen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top