Kapitel 51

Specialkapitel 3

[Ein gemeinsamer Feind]

~Wir alle machen Fehler, die Frage ist nur wer sie wieder ausbessert~

Alecto trat aus der Arena. Ein weiterer verlorener Kampf, aber sie hatte überlebt und darum ging es schließlich in diesen Spielen. Ums bittere Überleben.

Sie hatte nicht schlecht gekämpft, das war sicher. Sonst hätte die Leiterin ihrem Gegner die Erlaubnis erteilt, sie endlich zu töten, aber Alecto schlug sich nun schon sehr lange durch diese Kämpfe, so lange das sie sich nicht einmal mehr erinnerte wie viel Zeit schon vergangen war, seitdem sie sich freiwillig gestellt hatte und ebenso freiwillig den Platz in der Arena angenommen hatte.

Sie war nicht wie die anderen hier, die ihr Leben bemitleideten, seitdem sie hier drin waren. Sie war nicht wie die anderen, die sogar versuchten das Unmögliche zu schaffen und über die Mauer zu entkommen. Naja. Fast unmöglich, wie ein junger Mann bewiesen hatte.

Aber vielleicht war Alecto einfach nur zu alt für diese Welt, diese Sichtweise. Vielleicht hatte sie einfach schon zu viel erlebt und wollte den Schmerz ertränken. Alkohol hatte irgendwann nicht mehr gereicht, sie wollte sich ablenken aber der Rausch brachte ihr nur eine kurze Zeit, in der sie vergessen konnte, was sie getan hatte. In der sie den Schmerz ausblenden konnte und das funktionierte hier.

In der Arena hatte sie andere Sorgen als der Vergangenheit hinterher zu trauern. Hier musste sie nur an eines denken: Die Zukunft. Solange sie kämpfen konnte, würde sie es tun und auch wenn dieses Leben nun zu ihrem Alltag geworden war. Sie genoss diesen Alltag, in dem sie keine Zeit hatte sich zu sorgen und selbstzubemitleiden. Das hatte in der Arena keinen Platz, genauso wenig wie in Alectos Verstand.

„Guter Kampf, Alecto" meinte ihr Gegner nur als er an ihr vorbeiging und ihr beiläufig auf die Schulter klopfte, als wären sie Arbeitskollegen und in einer gewissen Weise waren sie das auch. Schließlich bezeichnete Alecto diese Kämpfe als ihre Arbeit, ihr Leben und wieso sollten die anderen Kämpfer nicht auch als ihre Kollegen gelten. Rein platonisch. Sie hatte sich einmal verliebt und bräuchte es kein weiteres Mal. Schließlich war es letztendlich immer die Liebe, die alles verdarb.

Statt ihm eine Antwort zu geben, nickte Alecto ihm nur ruhig zu und sah dabei zu, wie er an ihr vorbeiging. Schnell. Hastig. Als hätte er nach diesem Kampf noch etwas zu tun.
Er rannte fast und Alectos schwarze Haare wehten in dem Nachwind, der er erzeugte.

Es hatte sie selbst verwundert das sie gegen ihn, Finian Scott verloren hatte. Mit ihren 1.90 war sie nicht gerade klein, nein. Sie überragte fast alle hier drin, kein Wunder. Sie war muskulös, hatte sehr viel trainiert in den Jahren, die sie nun schon mit den Kämpfen verbrachte. Diese waren auch der Grund der zahlreichen Narben, die auf ihrer fein gebräunten Haut deutlich sichtbar waren. Die blassen Striche der Wunden waren nicht zu übersehen, vor allem weil ihr ganzer Körper davon überseht war. Nur eine einzige hatte sie überdeckt mit einem großen Tattoo, das an ihrer Schulter prangte und so eine wirklich große, hässliche Narbe hinter der schwarzen Tinte verbarg.
Sie hatte grau-braune Augen, volle Lippen und war keinesfalls hässlich, nein. Nur die Narben, diese zerstörten das Bild der Frau, denn sie schnitten durch sie hindurch, wie die Waffen, die sie verursacht hatten. Man hatte nicht einmal Alectos Gesicht verschont und auch dort lief eine weiße Narbe quer über ihr rechtes Auge.

Vielleicht hätte Alecto etwas aus ihrem Leben machen können. Sie hatte Glück gehabt, ihre Kraft hatte keinerlei Einflüsse auf ihr Äußeres und sie war nie wirklich aufgefallen. Im Gegenteil, niemand hatte erwartet das sie es war, die zu der Generation der Phoenixe gehörte, auch wenn sie danach das Tratschen und die Gerüchte gehört hatte. In ihrer damaligen Nachbarschaft war sie als Schande und Ehebrecherin bezeichnet worden, also war es keine große Überraschung das sie auch noch die Schande eines Phoenix trug. Denn etwas anderes erwarteten die Leute nicht von einer Teenie-Mutter. Sie sahen immer nur das schlimmste.

Eigentlich konnte Alecto Gedanken dieser Art recht gut vermeiden, aber dennoch schossen sie ihr immer wieder durch den Kopf und untergruben sie erbarmungslos. Sie hatte keine Chance gegen sie und dessen war sie sich bewusst. Aber Alecto war eine Kämpferin und sie würde immer eine Kämpferin bleiben. Bis an ihr Lebensende. Aber das störte sie nicht. Es war ihre Entscheidung gewesen hier her zu kommen, ihre Freiheit aufzugeben und ihr altes Leben hinter sich zu lassen, ihre alten Fehler.

„Hey Alecto. Du scheinst einmal wieder versagt zu haben. Wie fühlt sich das an, hm? Als eine der Ältesten und Erfahrensten gegen einen kleinen Junge wie Phillipe zu verlieren. Etwas traurig, findest du nicht?" meldete sich eine höhnische Stimme, als Alecto gerade in die Station gehen wollte, die sie mit ein paar anderen bewohnte.

Die Stimme gehörte keinem geringeren als Seoras Caibre. Er war dafür bekannt, das er anderen das Leben in der Vorhölle zur Hölle machte und das musste schon was heißen, denn er war schlimmer als so manche Wache.

Seine Haare waren pechschwarz und sie standen irgendwie nach oben, als würden sie jeglichen Naturgesetzen trotzen. Seine Augen waren eisblau, wie kalte Gebirgsseen und er war groß, fast zwei Meter groß und sah selbst auf Alecto, die nicht wirklich zu den kleinen zählte, herab. Diese zehn Zentimeter, die sie voneinander unterschied, waren eben genug, um so viel größer und bedrohlicher zu wirken.

„Kannst du dein pubertäres Verhalten nicht einen Moment abstellen und ein wenig Respekt zeigen? Ist das denn so schwer, Seoras?" fragte sie nur entnervt. Heute war der Tag schon schlimm genug, er musste jetzt nicht auch noch dazu kommen und die Probleme, die Alecto auch ohne Seoras hatte, voran schieben.

„Nö. Ich liebe es dich zu nerven, Alecto" erwiderte er nur frech und sie verdrehte ihre Augen. Gott, war sie etwa auch so schlimm gewesen, als sie noch neunzehn Jahre alt war? Hoffentlich nicht, denn sonst müsste sie sich bei so einigen Leuten entschuldigen.

„Hör zu, Seo. Ich will keinen Streit mit dir anfangen. Das ist nutzlose Verschwendung meiner Energie, die ich noch brauche um Kämpfe zu gewinnen. Also halt deine Klappe und geh einfach" seufzte Alecto genervt und sie wollte sich an Seoras vorbeidrängen, doch er hielt sie mit seinem Arm auf und grinste sie hämisch an, sodass sie seine Schadenfreude förmlich spüren konnte.

„Nein, nein, nein, Prinzessin. So läuft das hier nicht. Es ist langweilig hier zu sein und alle Kämpfe zu gewinnen. Sobald ich diese Eira geschlagen habe, werde ich die neue Nummer 1, nur Eira steht noch zwischen mir und meinem Sieg" meinte er nur triumphierend als hätte er Eira schon längst besiegt.

Tatsächlich war Seoras zur Nummer 2 aufgestiegen. Er hatte es von Platz 16 zu dieser hohen Nummer geschafft als Ketara Arayuma gestorben war und nun kämpfte er mit Eira um den ersten Platz. Alecto hoffte sogar er würde gewinnen. Dann hätte sie nicht mehr so viel mit ihm zu tun.

Eines musste man Seoras jedoch lassen. Er war alles andere als schwach, im Gegenteil. Er war einer der stärksten Phoenixe in der Arena, die Alecto kannte und in den Jahren hatte sie viele andere Phoenixe kennengelernt darunter auch Asperia Salem.

„Was willst du?" fragte sie entnervt, als wäre er nichts weiter als ein kleines Kind. Mehr war er auch nicht für sie. Ein kleines Kind, das vielleicht besser war als sie, aber dennoch nicht älter, nicht erfahrener. Die Jahre in der Arena hatten Alecto eines beigebracht: Werde niemals die Nummer 1.
Bisher waren sie alle gestorben oder einfach verschwunden und selbst ein Blinder könnte diese Indizien erkennen. Irgendwann wurde der ständige Sieg langweilig und etwas musste passieren. Die Nummer 1 wurde besiegt, getötet und vergessen. Das war der ewige Kreislauf der Arena und niemand schien diesem System zu entkommen.

Nein, nicht einmal Casmiel Tripe, der zwar der Arena entkommen war, aber nicht dem System.
Seine Schwester war, genauso wie Seoras jetzt, die Nummer 2 gewesen und hatte noch einen einzigen Kampf der Entscheidung vor sich: Den gegen Eira.
Ob sie ihn gewonnen hätte oder nicht wusste niemand. Sie war stark, wusste wie man kämpfte und andere Strategien schnell beseitigte, aber sie starb in der Nacht vor eben diesem Kampf während sie zusammen mit ihrem Bruder floh.

Alecto erinnerte sich genau daran. Sie war mit Cassiopeia in einem Zimmer gewesen und hatte die leisen, tapsenden Schritte ihrer zarten Füße gehört und ja, sie war wirklich gut darin leise zu sein, aber Alecto war wach gewesen und hatte gesehen, das sie sich aus der Station schlich.
Kurz darauf war auch Alecto dem kleineren, jüngerem Mädchen nachgegangen und hatte gesehen, wie sie sich mit Casmiel getroffen hatte um abzuhauen. Das war vielleicht eine halbe Stunde vor ihrem Tod und Alecto hatte nichts getan, nur dabei zugesehen, wie sie in den sicheren Tod liefen.

Seoras riss sie mit seinen nächsten Worten aus ihrem Tagtraum und zurück in die reale Welt, die sie kurz verdrängt hatte.
„Ich will dich eigentlich nur nerven, Kleine" erwiderte er lässig, aber Alecto verdrehte nur die Augen. Sie würde diesem Angeber gerne die Nase brechen, aber das würde nicht gut für sie ausgehen. Sie hatte keine Chance gegen den arroganten Mistkerl.

„Gut. Du hast dein Ziel erreicht. Kann ich jetzt bitte gehen?" fragte sie während sie dieses Bitte passiv-aggressiv betonte und erneut versuchte die Barriere, die aus Seoras Körper bestand, zu überwinden, wenigstens ein wenig zu brechen, sodass ihre Chancen stiegen. Doch das taten sie nicht. Der große Kerl stand noch immer bedrohlich über ihr und grinste sie an, als würde ihm die Welt gehören und ein kleiner Teil der Welt tat das tatsächlich.

Vor Eira hatte man Angst, vor Seoras hatte man Angst.
Vor Eira nahm man sich in Acht, Seoras versuchte man zu imponieren.
Vor Eira drang kein Wort über die Lippen, bei Seoras versuchte man mit Worten seine Freundschaft zu gewinnen.

Sie waren so unterschiedlich, aber beide waren auf einem guten Weg zu gewinnen und auf den ersten Platz der Spiele zu steigen. Sie beide waren unfassbar geschickt, talentiert und stark und beide schienen nur ein Ziel vor Augen zu haben.

Aber nicht Alecto. Alecto ließ sich nicht täuschen.
Eira war kein normaler Phoenix. Auch wenn sie ihre Fähigkeit sehr selten nutzte, war sie viel zu stark um natürlich zu sein. Sie war kein Werk von Mutter Natur, nein. Sie war gemacht worden von der Arena.

Alecto kannte die Skandale. Die Scena hatte früher versucht, die Kräfte der Phoenixe auf normale Menschen umzuleiten. Damals gab es nicht sehr viele ihrer Sorte, sie waren Raritäten. Aber scheinbar waren alle Versuche gestorben, bei dem Versuch die Kräfte auf sie überzuleiten. Scheinbar hatte keiner Überlebt. Aber Alecto glaubte nicht daran. Eira hatte überlebt, Eira war nur ein gelungenes Experiment. Nicht mehr und nicht weniger.

„Du bist so niedlich wenn du wütend wirst" lachte Seoras fast schon mitleidig, als er auf Alecto herabsah und der älteren Frau durch die Haare wuschelte, als wäre sie nur ein kleines Kind, aber eigentlich wollte Alecto einen Kampf wenn möglich vermeiden. Seoras war der Typ von Mensch, der wusste wie man Worte einsetzen musste, damit man einen Gegner dazu zwang anzugreifen. Danach war alles ganz einfach. Er war dann in der Lage, die genaue Strategie eines Gegners herauszufinden, aber nur wenn sie angriffen. Sollte er der Angreifer sein, war es ihm unmöglich den Gegner zu durchschauen. Aber es gab Ausnahmen. Diese Ausnahmen mussten sehr starke Phoenixe oder Menschen sein, die ihre Gedanken, Gefühle und Ideen so verschließen konnte, das Seoras gegen verschlossene Türen schlug und nicht in die Gedanken eines anderen eindringen konnte, egal wie sehr er es versuchte.

Alecto hatte es versucht. Sie hatte meditiert, versucht ihre Gedanken vollkommen zu versperren und so Seoras Taktik zu umgehen, aber diese Aufgabe war schwerer zu meistern als gedacht. Man musste wohl sehr viel trainieren, um diese Hürde zu überspringen und Alecto war nicht gut genug. Noch nicht.

„Ich bin nicht niedlich und jetzt lass mich endlich weitergehen" erwiderte sie nur mit einem drohenden Unterton, den man deutlich in ihrer sowieso schon etwas tieferen Stimme hören konnte. Die Stimme war eine Waffe und damit meinte Alecto nicht die Worte, die sowieso das mächtigste der Welt waren, wenn man sie richtig beherrschte, aber niemand beherrschte sie wirklich. Nicht einmal Seoras, der aber auf dem richtigen Weg dazu war.

Nein, Alecto meinte generell den Klang der Stimme, den man hören konnte. Es war schwer, die Stimme so zu kontrollieren, da sie selbst in furchterregenden Situationen ruhig und gelassen, vielleicht sogar amüsiert war. Aber Alecto konnte in ihre Stimme immer eine Art Drohung legen. Es waren versteckte Warnungen, aber sie erfüllten meistens den Zweck, den sie damit beabsichtigte. Andere wissen zu lassen, das sie zu weit gegangen waren und lieber schnell rennen sollten, bevor noch jemand auf die Ideen kam, sie einfach umzubringen.

Aber Seoras hatte eine große Liebe. Die Gefahr. Deshalb zog er Alecto so gerne auf, auch wenn es gefährlichere Gegner gab. Es ist wohl eine Art Hass-Liebe zwischen den Beiden, denn insgeheim liebten sie es, sich gegenseitig vollkommen wahnsinnig zu machen. Das war etwas, das sie niemals zugegeben hätten. Soares war nur ein Arsch und Alecto nur ein Opfer, doch wer weiß. Vielleicht würden sie einmal aus Gegnern zu Freunden werden und gemeinsam gegen den wahren Feind kämpfen, für den sie trainierten. Den Tod. 

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