Kapitel 44
[Nicht nur stille Wasser gehen tief]
~Man sagt Augen wären das Fenster zur Seele aber bei ihm waren es verschlossene Türen~
„Eirene, wir müssen los. Ich danke dir für deine Hilfe, Isaya, aber wir haben zu tun" rief Casmiel durch die Höhle, als er wieder mit schnellen aber anmutigen Schritten an den beiden sehr verwirrten Frauen vorbeischritt und ihnen nicht einmal einen einzigen Blick schenkte. Nein, keine Zeit. Er musste los.
„Sorry Cassy, aber ich habe keine Zeit für dich. Wir müssen nämlich schnell los. Ich muss zu Theseus!" berichtete er schnell noch bevor sich seinen Rucksack auf schulterte und auch Eirene ihren Rucksack zuwarf, den sie etwas ungeschickt fing, aber wenigstens fiel er nicht auf den Boden.
„Cas?" fragte sich doch darauf ließ er sich nicht einmal ein. Er hatte wichtigeres zu tun, schließlich wollte er so schnell wie möglich zu seinem Widerstand zurück. Wenn Theseus sie übernommen hatte, Oh Gott. Es wäre wohl ein Wunder wenn sie noch lebten und das sagte der, der als tot galt.
„Keine Zeit für Fragen, Eirene. Wir haben besseres zu tun!" ermahnte er sie nur nebensächlich und er war schon auf dem Weg nach draußen bevor er bei Isaya stoppte.
„Wo ist sie?" fragte er dann und einen kurzen Moment war sie einfach zu perplex um zu fragen, was er vor hatte. Dann zeigte sie auf den Ort, wo Cassiopeia stand, die ebenso verwirrt aussah wie sie selbst. Kein Wunder, Casmiel musste den Verstand verloren haben.
„Hey Cassiopeia. Ich...ich werde dich wieder sehen. Versprochen. Aber zuerst muss ich mir selbst etwas beweisen. Wir werden uns sehen...tot oder lebendig" versprach er ihr leicht lächelnd, bevor er dann aus der Höhle verschwand und Eirene mit sich zog, sie konnte nichts dagegen tun, sie war einfach zu verwirrt und zu verblüfft um generell auch nur ein einziges Wort zu sagen. Was auch immer Casmiel da tat, sie vertraute ihm es wäre aber dennoch recht freundlich wenn er sie einmal in seine Pläne einweisen könnte, damit sie vielleicht auch ihren Beitrag leisten konnte und sich nicht so unnütz oder gar wie eine Last fühlte.
"Warte!" rief Cassiopeia ihm nach und tatsächlich wurde sie wieder sichtbar. Es war wie ein Befehl für Casmiel und er blieb sofort stehen ohne sich umzudrehen. Seine Muskeln waren angespannt und nur langsam wandte er seinen Kopf um.
Cassiopeia musterte ihn verwirrt und etwas wütend. Die Stirn gerunzelt, Augenbrauen zusammengezogen und den Mund leicht geöffnet. Sie hatte ihren Arm nach ihm ausgestreckt und ließ ihn nun sinken, da sein Gesicht dem ihren zugewandt war.
Als sie ihn so sah, selbstbewusst und vollkommen anders als das jämmerliche Wrack, dass er eben noch gewesen war, blitzte Reue in ihren Augen auf, bevor sie wieder kälter wurden und ihre Emotionen wieder aus ihrem Blick verbannte.
"Ich wollte dir nur sagen, dass du dich erinnern wirst. Und wenn du dich erinnerst, dann will ich, dass du dich nicht hinter einer Mauer versteckst. Ich will, dass du es einmal in deinem Leben raus lässt. Verbanne diese Erinnerungen nicht. Sie sind wichtig" mit diesen kryptischen Worten verblasste Cassiopeia erneut und Isaya war unglaublich verwirrt.
Casmiel nickte nur stumm und zog Eirene, die wie erstarrt gewesen war, wieder mit sich.
Erst dann konnte sie sich aus ihrer Starre lösen und sie riss ihren Arm los, ging aber noch immer neben Casmiel her. Schließlich musste sie mithalten, damit er ihr nicht davon rannte und ehrlichgesagt war sie sich nicht sicher, ob er sie nicht auch einfach alleine lassen würde nur um sein eigenes Ziel zu erreichen. Das war Casmiel Tripe und sie war nur Eirene Helenko, seine unabsichtliche Begleiterin, ohne die er bestimmt schon weiter gekommen war als nur bis hier her. Aber sie würde ihm folgen, denn wer weiß. Vielleicht...irgendwann... Vielleicht konnte Eirene einmal die Heldin sein, die Casmiel vor dem Untergang bewahrte oder vor dem Tod. Vielleicht war sie bewusst ein Teil dieses Duos und nicht etwa Theseus oder sonst jemand. Vielleicht hatte das Universum diesen Weg für sie geplant...
Der Boden unter ihren Füßen war noch immer pechschwarz, die ehemaligen Hütten waren nicht mehr da, sie waren im Feuer untergegangen und verbrannt genauso wie der Rest der Lichtung. Noch immer hatten sich Wolken vor den Himmel geschoben, der hinter diesem undurchlässigen Grau bestimmt in ein wundervolles blau getaucht war, doch die Wolken gaben einfach keinen Blick darauf frei. Sie erinnerten an Casmiels Maske, die auch das wunderschöne Blau hinter diesem tristen Grau versteckte, das langsam aber sicher zu seinem Gesicht wurde. Und wie jeder wusste bedeuteten Wolken Regen...oder auch einen Sturm. Niemand, wirklich niemand, will den Sturm namens Casmiel begegnen...niemand sollte ihm jemals begegnen.
Das war diese Sache mit Antihelden. Man konnte sich nie sicher sein wann sie im Glanz ihrer Heldentaten erstrahlten und wann sie von den dunklen Wolken der Boshaftigkeit überdeckt wurden. Man konnte sich nie sicher sein ob sie nun für ihre Taten belohnt oder bestraft werden sollten und irgendwie hatte Eirene die Sorge, das Casmiel ein solcher Antiheld war.
Er würde schließlich nicht sein Leben geben nur damit andere überlebten. Er würde nicht freiwillig Schmerzen erfahren nur um andere davor zu beschützen. Casmiel war eigensinnig und egoistisch, sein eigenes Leben war wichtiger als das von Millionen wenn nicht Milliarden Menschen und er würde sich immer für sich selbst entscheiden, niemals für das Richtige. Er war kein Anführer geworden, weil er ein Zeichen für all die angsterfüllten Phoenixe dort draußen setzten wollte, er war Anführer geworden um Aufmerksamkeit zu bekommen, die Berühmtheit des Jahrzehnts oder gar des Jahrhunderts zu werden und dieses Ziel hatte er erreicht. Würde das aber genug sein? Nein. Vermutlich nicht.
Was würde Casmiel nach diesem Krieg tun? Irgendwie konnte sich Eirene nicht vorstellen das er zurück in das normale Leben ging, mit seinem Mann oder seiner Frau seine Kinder großzog und ein normales Leben führte. Er würde wohl immer diese ständige Gefahr, den Nervenkitzel und die Alpträume suchen, denen er doch eigentlich entgehen sollte um endlich zu heilen. Denn das brauchte er eigentlich. Heilung. Er musste seine Wunden endlich verheilen lassen und auch wenn deutliche Narben zurück bleiben würden, wären diese nur ein Zeichen dafür, das er überlebt hatte. Aber...wollte er denn überhaupt überleben? Wollte er in dieses normale Leben zurückkehren oder würde er sich selbst in Gefahr bringen und vielleicht sogar die alten Fehler ausgraben nur um etwas von dieser Spannung zu erleben, die er bereits jetzt zu vermissen schien, wenn er es so eilig hatte, zu Theseus zu kommen.
„Cas!" rief Eirene ihm hinterher während sie mit schnellen Schritten an seinen Fersen hing und versuchte, möglichst normal zu gehen. Für Casmiel schien dieser schnelle Schritt ein normales Tempo zu sein, denn seine Schritte waren elegant und anmutig wie immer während Eirene hinter ihm her stolperte und sich bemühte, nicht zu fallen, weil sie schnelle aber zugleich sehr große Schritte machte.
„Nein, wir können keine Pause einlegen. Wir müssen so schnell wie nur möglich zu Theseus und den anderen. Wenn ich mich recht entsinne, sind sie beim Wasserfall untergekommen und ich irre mich niemals wenn es um so etwas geht. Also musst du mir wohl oder übel vertrauen, Eirene" die Worte flossen so schnell aus seinem Mund, das Eirene genau zuhören musste, um keines zu verpasse, aber es war schwer ihm zu lauschen und dabei auch noch schnell zu gehen. Eigentlich sollte sie das Multitasking, das gerade aus gehen und zuhören bestand meistern, Eirene war eine talentierte Heilerin, sie hatte genug Erfahrung und hatte mehrere Praktika in mehreren verschiedenen Krankenhäusern ablegt, aber dennoch machte es ihr Probleme. Durch diese hatte sie nun mehr als genug Empirie. Aber das bedeutete nicht das sie in jeder Lebenslage eine Antwort hatte und schon gar nicht das sie sich auch dann auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren konnte.
Wenn sie in einem OP stand oder ähnliches, dann waren ihre Gedanken nur auf eines fokussiert: Überleben. Zwar war nicht sie es, die in Lebensgefahr schwebte, aber sie hatte eine große Menge Empathie. Manche würden sagen sie hat zu viel davon, aber nein. Für Eirene war es sogar zu wenig. Sie konnte sich selbst in Tote Menschen einfühlen und verstehen, wie erlösend das Ende für sie sein musste, aber dennoch wollte sie es selbst noch nicht erleben.
Sie konnte sich in jeden hineinfühlen, nur gab es da ein paar Ausnahmen. Casmiel Tripe und Theseus Rendall waren zwei davon. Eirene war nicht in der Lage, denselben Schmerz wahrzunehmen wie es Theseus getan hatte. Schließlich war sie nicht unsterblich und trug zu ihrem Glück nicht diese erdrückente Last, die wohl auf Theseus' Schultern ruhte, obwohl er das nicht mehr wollte. Sie verstand das er keine Lust mehr auf dieses Leben hatte, das schon viel zu lange so eintönig und langweilig verlief. Er kannte das alles schon, für ihn war es nur ein weiterer Krieg den er so oder so gewinnen würde, weil ein Ende nicht für ihn existierte.
Und dann war da noch Casmiel. Der Typ, der diese unfassbaren Schwingungen aussendete, die Eirene nicht einmal beschreiben konnte, weil sie so einzigartig waren. Besonders. Sie konnte sie nicht beschreiben, weil sie diese Aura nur bei Casmiel wahrnehmen konnte, bei niemanden sonst. Sie konnte ihn nicht durchschauen, er öffnete sich einfach nicht egal wie sehr sie versucht eine Bindung zu ihm aufzubauen, immer wieder blockte er ab, ignorierte ihre Versuche. Seine Augen waren keine Fenster, sie waren getönte Scheiben, die nicht einmal einen einzigen Lichtstrahl durch sich hindurch ließen Sie waren keine Fenster, sie waren eiserne Mauern, die jedem noch so freundlichen Blick kalt entgegen traten. Sie waren wie ein Block beim Volleyball, der den Ball einfach an den Händen der Gegner abprallen ließ, weil sie zu weit in die Höhe ragten und somit dem Angreifer den Weg versperrten. Casmiels Augen waren keine Fenster, die einen Blick in seine Seele zuließen, sie waren Türen, die mit allen Schlössern der Welt versperrt war und der Schlüssel war nicht mehr existent.
Eirene hatte fast schon Angst vor diesen Augen, die sie stechend musterten. Dieses wilde dunkelblau, die die stürmische See zeigten, wenn man sich in ihnen verlor. Man konnte das Knarzen des morschen Holzes eines Schiffes hören, das laute Rauschen der Gischt und die starken Winde, die die Flaggen des Schiffes zum Wehen brachten. Man konnte hören, wie die Wellen brachen und immer wieder gegen den hölzernen Schiffsbauch schlugen, als würden sie um Einlass bitten, doch niemand ließ sie hinein, weil das das Ende bedeuten würde. Man konnte das rege Treiben auf dem Schiff hören, die eiligen Schritte weil man scheinbar überall gebraucht wurde, nur nicht an der Stelle, an der man gerade war. Es war, als würde alles gegen das Schiff und dessen Mannschaft sein, als hätten sich alle Götter gegen sie verschworen. Es war, als würde die Natur selbst versuchen das Schiff zu kentern und es an den Boden des Meeres zu ziehen, damit es eins wurde mit dem Untergrund. Jede Welle konnte die letzte sein und das Schiff mitsamt der Besatzung verschlucken.
Ein Blick in Casmiels Augen war kein Blick in seine Seele. Ein Blick war ein Schritt in eine andere Dimension. Man verschwand in eine andere Welt, die eigentlich nicht existieren sollte. Eine Welt, die alles sein konnte, sogar das Ende der Welt.
Ein Blick in Casmiels Augen war nicht nur ein Blick in zwei Ozeane, es war ein Blick in eine andere Realität, die nur in den Gedanken eines jeden schlummerte und durch diese Flamme in den beiden dunkelblauen Augen entfacht wurde. Alle Sinne wurden mit diesem einen Blick aktiviert, alle Gefühle umspielten die Seele und es war beinahe unmöglich sich nicht in diesem tiefen Meer zu versinken, die Wellen zogen einen einfach mit und meist wurde man einfach in das eiskalte Wasser geschmissen, gegen das das Nordmeer eine warme Temperatur hatte. Es war eiskalt, aber genau dieser Sprung war es, der einen in das Leben zurückholte und irgendwie furchtbar beruhigend war.
Man sagt, Augen wären das Fenster zu Seele aber bei ihm waren es verschlossene Türen und diese Türen wollte Eirene knacken...um jeden Preis.
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