Kapitel 37
[Immer wieder Tripe]
Icarus betrat die Wohnung und schleppte die Taschen mit sich. Sie waren definitiv schwer, aber die Zeiten in der Arena hatten ihn stark gemacht.
Seine Wunden waren wieder verheilt, auch wenn er noch immer schreiend in der Nacht aufwachte, weil er Alpträume von der Leiterin hatte, wie sie auf ihn herab sah und ihr Urteil fällte. Er träumte von Kyros, wie er das Messer an seinen Flügeln ansetzte und sie einfach wegnahm, als wären sie nicht zuvor ein Körperteil von Icarus gewesen.
Kalea war dann immer an seiner Seite, hielt ihn in ihren Armen, damit er sich nicht selbst verletzten konnte und sang ihm etwas vor, damit Icarus schlafen konnte und dafür war er ihr dankbar.
Zwar schlief er nicht viel, auch wenn Kalea sich die größten Mühen gab, ihm einen normalen Schlafrhythmus anzutrainieren, doch er hatte einfach Angst. Angst vor der unfassbaren Stille, der Dunkelheit, die ihn umgab wie einen Schleier, wie früher seine Flügel ihn umgeben und beschützt hatten. Nur das die Dunkelheit ihn nicht beschützte, sondern schadete.
Sie erinnerte ihn an Kyros, den seltsamen Mann, ganz in schwarz gekleidet wie die Nacht. Diese grausige Narbe von seinem Mundwinkel bis zu seinem Ohr. Dieser Gedanke ließ ihn frösteln und beinahe hätte er den Einkauf fallen lassen.
„Ica? Bist du das?" rief Kalea durch die Wohnung als Icarus durch die Tür trat und den Einkauf nicht gerade geräuschlos fallen ließ und seine Arme entlastete. Aber etwas war anders. Normalerweise fragte Kalea nicht, ob er es war. Sie kannte seine Schritte, seine Bewegungen. Sie kannte ihn wie niemand sonst, wieso also sollte sie das fragen?
„Ja, ich bin es. Wo bist du?" fragte er laut damit seine Stimme durch die ganze Wohnung schallte doch die Antwort blieb aus. Sofort klingelten die Alarmglocken in seinen Ohren und er zog eine seiner silbernen Federn, die er immer in seiner Manteltasche versteckte, den Kalea ihm geschenkt hatte.
Jetzt aber schlich er ganz leise, vollkommen leise, durch die Wohnung und sah sich um. „Kalea?" rief er ein weiteres Mal um von seinen wahren Taten abzulenken, als würde sie vergessen haben wie gefährlich die Welt für einen wie ihn war. Einen Phoenix.
„Ketara Arayuma, die tote Nummer 1. Endlich treffen wir uns" meldete sich eine Stimme hinter ihm und er zuckte bei seinem früheren Namen zusammen. Langsam drehte sich Icarus um und er sah in die kalten Augen eines Mannes. Er hatte pechschwarze Haare, die in leichten, krausen Locken über seine Augen fielen, die die Farbe von dunklen Ozeanen trugen, etwas kaltes, vollkommen emotionsloses lag in ihnen.
Sein Gesicht war kantig, aber es war nichts gegen das von Casmiel Tripe. Ein leichter Drei-Tage-Bart fand sich auf seinen Wangen und der Oberlippe, aber er schien sich zu pflegen. Seine Nase war etwas krumm, sie war bestimmt schon einmal gebrochen worden aber er sah immer noch gut aus.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie und wo ist Kalea?" fragte Icarus ruhig und kalt, aber seine Stimme hob sich ein wenig als er Kalea erwähnte. Er war sich sicher, sie gehört zu haben, wo war sie also?
„Kalea geht es gut, sie ist bei einem meiner Leute" er schnipste einmal mit seinen nicht behandschuhten Fingern und sofort kamen noch zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau, in den Raum die Kalea festhielten. Sie war geknebelt und gefesselt, schien aber eher wütend als verängstigt zu sein.
„Sie hat nichts getan, lasst sie los!" zischte Icarus und er trat einen Schritt nach vorne, doch der Mann hob plötzlich eine Waffe gegen ihren Kopf, sodass Icarus stehen blieb und ihr Blick immer wieder von dem fremden Mann zu Kalea huschte an deren Kopf nun der Lauf einer Waffe lag.
Sie atmete tief ein und aus. Sie wollte selbstsüchtig sein, aber sie konnte es nicht. Kalea hatte so viel für sie getan, alles. Sie war es gewesen, die ihn so akzeptiert hatte, wie er eben war. Anders. Er konnte sie nicht einfach aufgeben.
„Gut. Was wollt ihr?" fragte er ruhiger, sein Blick blieb nun auf dem Mann liegen, der die Waffe aber noch immer nicht sinken ließ. Er hielt sie gegen Kaleas Kopf und Icarus erkannte, das der Mann abdrücken würde, wenn er auch nur eine Sache falsch machen würde. Er sah es in seinen dunkelblauen Augen, die seltsam glänzten. Er kannte dieses Glänzen, nur woher?
„Schön. So können wir doch miteinander reden, wie normale Menschen" meinte der Mann nur und er lächelte Icarus an, als wäre er seine Beute. Seine ganz persönliche Trophäe, die er sich nur mehr schnappen musste. Aber Icarus war keine Trophäe. Er war schon viel zu lange ein Spielzeug von anderen, er würde nicht zulassen das noch einmal zu werden...aber für Kalea? Für Kalea würde es das tun.
Das schallende Lachen des Mannes weckte ihn aus seinen Gedanken und er wurde wieder konzentriert. Er musste alles im Blick behalten, alles beobachten. Er durfte nichts mehr verpassen aber wieso war dieser Mann so unfassbar verwirrend?
„Tut mir leid das ich zu dieser unfassbar unpassenden Stelle lachen muss, ich finde es nur unfassbar interessant das vor mir tatsächlich der Todesengel, Ketara Arayuma steht. Einfach unfassbar" lachte er überheblich, seine beiden Gefolgsleute blieben stumm. Sie schienen generell keine Gefühle zu haben, leer zu sein denn sie rührten sich nicht.
„Das ist nicht mein Name. Ich heiße Icarus" zischte er nur empört. Sein toter Name. Er wollte ihn nicht mehr hören. Es erinnerte ihn an sein altes Ich, das er eigentlich vergessen wollte doch scheinbar holte ihn die Vergangenheit immer wieder ein.
„Oh ich weiß. Kalea hier hat mir schon so einiges erzählt, sie ist nicht so stark wie sie aussieht" säuselte er ruhig während er mit seinen Fingern an Kaleas Wangenknochen entlangstrich und sie Icarus entschuldigend ansah.
Wie gern hätte er seine Feder geworfen, die sich in seine Hände bohrte. Wie gerne hätte er diese verdammten Mistkerl umgebracht und wäre mit Kalea geflohen, aber da gab es so einige Probleme. Er sah nicht aus wie ein dummer, einfältiger Mitarbeiter, nein. Er wirkte mehr wie ein sehr guter Stratege. Er hatte dieses Treffen geplant, alles. Er hatte die Fäden in der Hand und Icarus war nur seine Puppe, die sich in diesen Fäden verfangen hatte.
„Sie kennen mich, aber ich nicht Sie" Icarus bemühte sich seine Stimme normal und nicht so gereizt klingen zu lassen, wie er eigentlich war. Er wollte dieses Mann sterben sehen durch seine Hand, wie so manche Menschen. Aber er tat Kalea weh und diese Sünde musste mit dem Tod betraft werden. Niemand tat Kalea weh solange Icarus noch existierte.
„Oh, bitte verzeih. Solche Kleinigkeiten vergesse ich nur allzu gerne. Mein Name ist Atlas. Atlas Tripe" stellte er sich mit seiner charmanten Stimme vor und nun wusste Icarus woher er diese Augen kannte, dieses Gesicht.
Casmiel Tripe, der Mann, der ihr ganzes Leben mit nur ein paar Worten verdorben hatte. Der Mann, der ihr alles genommen hatte. Sie hasste ihn noch immer, egal was Kalea sagte. Er war Schuld an ihrem Leid, ihrem Leben, das sie nicht einmal mehr leben nennen wollte.
„Tripe. Das hätte ich mir denken können" spuckte sie höhnisch, denn etwas anderes konnte sie nicht. Dieser Name brachte einen Würgereiz in ihr hervor und sie würde diesem Mann am liebsten ins Gesicht kotzen, so angewidert war sie von ihm und seiner Sippe.
„Oh. Du scheinst meinen aller liebsten Cousin, Casmiel, kennengelernt zu haben. Ja...ich kann ich auch nicht leiden. Er ist eben wie ein schwarzes Schaf inmitten von weißen Drachen. Eine einzige Enttäuschung" seufzte Atlas und kurz schien er abwesend zu sein.
„Ich kann mir nicht vorstellen das du ein Drache wärst. Du bist viel zu erbärmlich für ein solch majestätisches Tier. Du hast keine Macht, auch nicht über mich" höhnte Icarus weiter. Sie hatte keinen Respekt vor Atlas. Er war nur ein Mann mit viel Geld und einer weltweit bekannten Familie, der Cousin eines Mörders und eines Rebellen, den Icarus einmal bewundert hatte. Er war nur ein Schmarotzer, der sich in dem Ruhm und dem Geld anderer suhlte. Er selbst hatte nichts mit dem Erfolg der Familie Tripe zu tun. Er war nur Dreck.
Jedoch reagierte Atlas nicht so, wie Icarus erwartet hatte. Das schien im Blut der Tripes zu liegen, diese Unvorhersehbarkeit. Diese geheimnisvolle Ader, die Seele, die diese wunderschönen Augen verbargen.
Er schnalzte nur missbilligend mit der Zunge und schüttelte fast schon enttäuscht den Kopf.
„Wir müssen wohl etwas Geschichte trainieren, meine Liebe" tadelte Atlas sie, während er seine Waffe an einen seiner zwei Gehilfen weitergab, der sie wieder gegen Kaleas Kopf drückte. Sie sah ganz blass aus, ihre Augen tränten und sie sah Icarus flehend an, der aber nur Augen für seinen Gegenüber hatte.
„Das Wappentier der Tripes ist ein Drache, ein schöner, silberner Drache auf dunkelblauem Grund. Mein Vater, Achill Tripe ist der große Bruder von Charon Tripe, Casmiel Tripes Vater. Ich bin Atlas Tripe. Besser gesagt Atlas Charon Tripe, benannt nach meinem Urgroßvater und meinem Onkel, einem der reichsten Männer der Welt. Mein Vater, Achill, leitet eine besondere Firma, du kennst sie bestimmt denn sie stellt alles aus Metall her. Dann ist da noch meine Tante, Rosetta Tripe. Sie sollte dir jedoch besser bekannt sein als Miss Wight, die Frau des Präsidenten. Kleiner Plottwist zwischendurch. Du siehst also, meine Familie regiert die Welt und somit regieren wir auch dich, kleine Ketara" seine Stimme war ruhig und tief, fast schon melancholisch, aber Icarus ließ sich davon nicht verwirren. Sie hasste diesen Mann bereits jetzt mit jeder Faser ihres Körpers.
„Mein Onkel Charon besitzt den Untergrund, dir besser bekannt als, warte wie nennt ihr das?" Er drehte sich zu einem seiner Gefolgsleute, der nur mit seinen beiden massigen Schultern zuckte und sich dann wieder auf Kalea konzentrierte.
„Mafia. Genau. Danke Garrett" beendete er seinen Satz schließlich seufzend bevor er sich wieder zu Icarus drehte und sie mit diesem dreckigen, verdammt charmanten Lächeln ansah.
„Und was hat das alles mit mir zu tun? Ich werde nur ungern in Ihr Familiendrama miteinbezogen" erwiederte er nur genervt seufzend. Er hasste diese Arroganz, die er auch schon bei Casmiel beobachtet hatte. Er hasste diese „Ich-bin-besser-als-ihr-alle"-Masche und er hasste Atlas Charon Tripe. Er hasste jeden einzelnen Tripe.
„Oh, du hast viel damit zu tun. Mein Onkel hat mich gebeten dich zu ihm zu bringen und das mache ich auch. Du musst wohl irgendetwas mit ihm zu tun haben, denn scheinbar will er dich lebend" erklärte Atlas ruhig bevor er der Frau, die bisher nur daneben gestanden war, zu nickte und sie zu Icarus ging. Er überlegte sich zwar sich zu wehren, die Frau mit seiner Feder zu erstechen und dann auch noch Atlas und seinen anderen Mann umzubringen, aber er sah wieder in Kaleas Augen, die ihn flehend musterten und Icarus ließ die Feder fallen und legte seine Hände gegen seinen Hinterkopf.
„Können Sie mir dann wenigstens versprechen das es Kalea und ihrer kleinen Schwester gut gehen wird? Ich werde ihnen folgen, freiwillig und ich werde auch tun was Charon auch immer von mir will aber bitte...lassen Sie die beiden aus dem Spiel" bat Icarus Atlas nur ruhig. Es hatte keinen Zweck ihn weiterhin anzufauchen und auszulachen. Zu verhöhnen und zu nerven. Er hatte gewonnen.
Irgendwie hatte Kalea es geschafft sich aus dem Knebel zu winden und sie schrie: „Nein. Icarus, das darfst du nicht machen. Ich habe dich doch gerade erst bekommen!" flehte sie und es brach Icarus das Herz seine beste Freundin so aufgelöst zu sehen, aber er schaffte es dennoch sie irgendwie anzulächeln auch wenn es ein trauriges und schwaches Lächeln war.
„Mach dir keine Sorgen um mich, Kalea. Kümmer dich um Asha, sie braucht dich mehr als du mich" wies Icarus ihr ruhig an und die fremde Frau legte Ketten um seine dünnen Handgelenke. Sie zurrte sie fest, zu fest und Icarus zischte schmerzerfüllt auf. Die Frau hatte ihre Haut eingeklemmt und die Ketten lagen zu fest um ihre Gelenke, aber sie blieb stark für Kalea.
„Kümmer dich um die anderen und am besten vergisst du mich. Icarus hat nie existiert" Ein metallischer Geschmack bildete sich auf seiner Zunge als er diese Worte sprach.
„Vergiss mich einfach" bat er erneut bevor Atlas in die Hände klatschte und der Mann Kalea einfach auf den Boden stieß und ihre Ketten löste.
Kalea wollte Icarus nach, doch sie war zu schwach. Sie blieb einfach weinend am Boden liegen und betete. Sie betete zu allen Göttern die es gab das Icarus gesund zu ihr zurück kommen würde. Gesund und vielleicht sogar glücklich. Sie wünschte sich nur das er lebte...für sie.
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