Kapitel 35

[Ein neuer Anfang]

Theseus hatte die Höhle wieder betreten und sah sich um. Der vierte Tag war angebrochen, er hatte nicht geschlafen und man konnte ihm die tiefen, dunklen Augenringe ansehen, die er von dieser Nacht hatte, in der er nur auf den See gestarrt hatte und still nachdachte. Es war eine lange Nacht gewesen, doch seine Gedanken hatten ihn gezwungen wachzubleiben. Wie schaffte Casmiel das?

Er wünschte sich Casmiel Fähigkeit zu besitzen, einfach keine Augenringe zu bekommen, egal wie wenig Schlaf man erhielt und wie wenig Ruhe man erhalten hatte. Zwar schien sie nicht wirklich nützlich, aber vielleicht hätte er dann weniger mitleidige und fragende Blicke von seinen Freunden und Kameraden erhalten. Weniger Fragen, ob es ihm gut ging und ob er etwas brauchte. Einfach weniger Aufmerksamkeit. Doch nicht nur er sah so aus.

Auch Casmiels Selbstmordkommando, wie Theseus es seit dem Ausbruch aus der Scena genannt hatte, sah nicht wirklich ausgeschlafen aus. Vor allem Eleanor, die normalerweise immer aufmerksam und etwas grimmig aussah, wirkte niedergeschlagen und verträumt, während sie einen unbekannten Punkt in der Höhle fixierte und ihre Gedanken daran festband.
Jason und Lorcan wirkten beide etwas neben der Spur. Sie saßen nebeneinander und Lorcan verflocht immer wieder ein paar Bänder miteinander und knüpfte sie wieder auf nur um erneut damit zu beginnen. Jason schien nachzudenken und angestrengt zu überlegen was er jetzt tun sollte, nachdem Casmiel Tripe gestorben war.
Alessia sah ebenso müde aus wie die anderen und auch ihr Blick war glasig. Sie hatte wohl geweint, wie so viele andere auch. Zwar ließen es sich die meisten nicht anmerken, aber man konnte die roten Augen sehen, die angeschwollenen Lider und die verklebten Wimpern, die auf alte Tränen schließen ließen. Theseus beobachtete gerne und viel, diese Details halfen ihm, eine Person besser kennenzulernen aber irgendwie hatten diese Details bei Casmiel gefehlt. Sie hatten nicht existiert und waren nur eine Illusion gewesen, obwohl man so viel aus ihm herauslesen hätte können. Seine Maske war einfach zu perfekt gewesen, zu gut um sie zu durchschauen und das Offensichtliche herauszufiltern.

Theseus gesellte sich zu den anderen und ein paar sahen auf, lächelten ihn schwach an und sahen wieder weg, als würden sie seinen Blick nicht länger ertragen können, da er sie an Casmiel erinnerte obwohl sie sich genauso glichen wie das weite Meer und die harte Erde.

Er ignorierte diese Blicke und tat das, was er schon zuvor hätte machen sollen. Theseus stellte sich auf einen Tisch und sofort richteten sich alle Augenpaare auf ihn und musterten ihn interessiert. Normalerweise stieg man nicht einfach auf einen Tisch und verkündete etwas, das war Casmiels Aufgabe gewesen.

„Hey..." begann er seine Rede und seine Stimme brach. Was tat er hier eigentlich? Er war ein niemand, ein nichts. Er war kein Anführer, nicht dafür gemacht im Mittelpunkt zu stehen und dann auch noch sinnvolle Sätze zu bilden aber er musste es tun. Theseus wusste nicht wieso, aber er hatte so ein Gefühl das er genau hier stehen musste, genau hier und Casmiel Tripe noch einmal die letzte Ehre erweisen sollte. Er musste es einfach tun, schließlich hatte er es sich verdient.

„Ich...ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung was ich hier tue" er schnaubte belustigt aus. „Ich weiß noch nicht einmal was ich überhaupt hier mache. Vor zwei Tagen wurde mir offenbart das ich ein Teil einer verdammten Prophezeiung bin, der Sick Boy. Dann ist Cas auf die bescheuerte Idee gekommen in die Scena einzubrechen und mich da raus zu holen, ohne das er wusste wer ich überhaupt war. Er hat es einfach getan weil er wusste, das er es machen musste. Ich weiß das wir alle auf ein Wunder hoffen, das Cas hier durch die Tür kommt, uns alles mitleidig mustert und auslacht weil wir um ihn weinen obwohl er nicht tot ist aber...diese Wunder geschehen nicht. Wir müssen weitermachen, auch wenn Casmiel jetzt nicht mehr hier ist und uns nie wieder anführen wird." sein Blich wanderte unterbewusst zu Azrael, der ihn ermutigend anlächelte und Theseus lächelte zaghaft zurück. Dieses Lächeln sagte ihm, das er etwas richtig machte...hoffentlich.

„Ein sehr weiser Mann sagte einmal zu mir, das ich niemals alleine bin, egal wer von mir geht, wer auch immer meine Seite verlässt. Denn es gibt eine Gruppe von unkoordinierten, spontanen und risikofreudigen Idioten, die immer hinter mir stehen wird, egal was passiert" Er sah in die Runde und ein paar Mienen hellten sich bei seinen Worten etwas auf. „Schuldig" meinte Lorcan sogar, als er das mit der Gruppe von Idioten hörte und es gab ein paar Lacher von den anderen.

„Ich weiß, ich bin kein Casmiel Tripe, ich bin nicht einmal ein Anführer. Verdammt, ich bin nicht einmal ein Theseus Rendall, ich bin irgendjemand der seinen eigenen Namen nicht einmal mehr kennt weil er so viele andere hatte. Aber zeigt nicht genau das, das wir alles sein können? Ich war einmal der Meinung das Liebe und Freundschaft eine Schwäche wäre, das es klüger ist sich zurückzuziehen und nur mit sich selbst zu leben, aber das war ein Fehler. Ich durfte in den Genuss eurer Freundschaft kommen und für das bin ich mehr als nur dankbar. Also werde ich euch etwas zurückgeben. Ich kann weder Casmiel noch Eirene zurück bringen, ich kann das Geschehene nicht ungeschehen machen aber ich kann eines: Ich kann euch anführen und die Prophezeiung erfüllen, wie auch immer sie auch gehen mag. Ich kann euch durch den Krieg in den Frieden führen und ich verspreche bei der heiligen Dolores das ich mein bestes geben werde, damit ihr irgendwann wieder ein normales Leben führen könnt. Ein normales Leben wie jeder von uns es gerne hätte" beendete er seinen Vortrag und er lächelte in die Runde. Etwas leiser fügte er noch hinzu:
„Ich hoffe ihr kämpft an meiner Seite..."

Aspen stand auf, sie hatte ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen und sie sah Theseus fast schon wie eine stolze Mutter an. „Ich bin dabei" schrie sie dann und immer mehr stiegen in ihr Rufen ein sodass am Ende die gesamte Höhle bebte und vibrierte.

Theseus konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Er hatte es geschafft. Er hatte den Grundstein eines jeden Sieges gelegt: Hoffnung. Ohne sie hatte man bereits verloren und Casmiel war eben die Hoffnung des Widerstand gewesen. Jetzt würde es aber anders sein. Jetzt würde nicht eine einzige Person die Hoffnung verkörpern, sondern eine ganze Armee.

Natürlich war es schrecklich, was passiert war. Casmiel führte diesen Widerstand seit zehn Jahren, er war ein Held und eine Legende gewesen für die, die ihn nicht wirklich kannten und nur in den zahlreichen Medien gesehen hatten, aber er war ein Gesicht gewesen. Das Gesicht der Hoffnung, des Mutes und der Zielstrebigkeit. Er war das Gesicht von all denen, die nicht weiterhin als eine Minderheit gelten wollten, sondern mit allen anderen gleichgestellt werden wollten. Alles, die für Gleichberechtigung standen und ihre Hände dafür des Öfteren verbrannten.

„Hast du schon eine Idee was wir machen, Theseus oder stürzen wir uns a'la Casmiel einfach ins Abenteuer und hoffen das wenigstens einer einen Plan hat?" fragte Aspen ihn dann frech grinsend und das Rufen verstummte mit einem Mal. Theseus war schließlich nicht Casmiel Tripe, er hatte keine wahnsinnigen Ideen, die irgendwie doch funktionierten weil sie durchdacht waren. Er hatte keine seltsamen Einfälle, die jedem am Ende den Arsch retteten. Er war nicht Casmiel Aradeon Tripe, er war Theseus Rendall. Ein frisch-gebackener Anführer ohne Erfahrung.

„Wir werden sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Propaganda. Jeder denkt jetzt Cas wäre tot, aber wie können sie sich sicher sein? Also werden wir Casmiel Tripe wieder ins Leben zurück bringen. Er ist vielleicht tot, aber nicht für uns. Er wird in uns weiterleben, in diesem Widerstand. Die rote Hand ist noch nicht verloren, sie wird niemals fallen, denn ihr Anführer wird unsterblich sein" beschwört er nur geheimnisvoll und alle Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Sie schrien gerade zu nach Antworten und Theseus würde sie ihnen geben.
„Lasst uns einen Rat einberufen. Wir müssen einen Krieg planen" verkündete er und erneut riefen alle auf. Doch dieses Mal riefen sie nicht nur irgendwelche Wörter. Sie riefen einen Namen. Theseus' Namen.


Dieses Kapitel ist ein wenig kurz aufgefallen, aber ich wollte euch nicht länger warten lassen. Die nächsten werden länger, versprochen. 
~Reeves 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top