Kapitel 2
[Der Todesengel]
Die beiden Wachmänner schoben Theseus durch die Gänge im Inneren der Scena.
Seine neu erlangte Wunde brannte wie Feuer und noch immer pragte die Nummer 7030 auf seiner roten Haut. Er hasste dieses Zeichen jetzt schon wie die Pest, auch wenn er sie bald loswerden würde, sobald er starb. Narben blieben nie lange, im Gegensatz zu Erinnerungen.
Sie war ein riesiges Gebäude, eine ganze Stadt hatte Platz in ihr und im Inneren der Mauer waren die Forschungslabore in denen nicht nur die Kräfte getestet, erkannt und eingeteilt wurde, sondern hier schliefen auch noch die Arenakämpfer, die Phoenixe.
Phoenix. Dieser Begriff wurde für sie benutzt. Sie, die neue Generation.
Es gab einen ganz simplen Grund weshalb sie so genannt wurden.
Sie waren aus der Asche und dem Staub der letzten Generation entstanden und zwar stärker und viel besser als die anderen. Aus einem Krieg wiedergeboren worden, wenn man es denn so nennen konnte. Wie bei der Wiedergeburt eines Phoenix. Ein Wesen starb und ein besseres entstieg seiner Asche.
Wäre Theseus nicht von diesem Begriff betroffen würde er es vielleicht als kreativ erachten und er würde den Präsidenten für seine Intelligenz und seinen Einfallsreichtum schätzen, aber in seiner jetzigen Situation war er nur angewidert von ihm.
Er war jetzt schon durch so viele verschiedene, verbundene Gänge gegangen, das er langsam die Übersicht verlor und es schließlich ganz aufgab zu zählen, wie oft er wann abgebogen war.
Es würde sowieso nichts bringen. Ja, vielleicht könnte er die beiden Wachen abschütteln und fliehen aber wie sollte er es aus der Arena schaffen? Das war ein Ding der Unmöglichkeit und bisher hatte es nur ein einziger Mann es jemals geschafft die Mauern der Scena zu überwinden. Jedenfalls hatte er das laut tausenden Geschichten.
Theseus hatte bestimmt schon hunderte verschiedene Varianten dieser Geschichte gehört.
In einer hatte der Mann die Fesseln vor seinem Kampf lösen können, indem er sich selbst geschnitten hatte und er seine Hände so glitschig wurden das er sich befreien konnte.
Andere sagen er hätte die Kraft andere Menschen zu kontrollieren und habe so alle anderen Insassen zu einer Rebellion angestiftet. In dem ganze Chaos war er dann geflohen und unbemerkt auf die Mauern gekommen.
Wieder andere sagten das er das alles geplant habe, vielleicht sogar die Kraft der Vorhersehung habe und so hatte er schon den perfekten Plan bereit gelegt gehabt und war so geflohen. Er hatte seine Hand mit roter Farbe eingeschmiert um danach nur einen Widerstand namens die rote Hand zu gründen.
Theseus glaubte nicht an all diese Geschichten. Er war sich sicher das Casmiel Tripe nur eine Legende war, er diese Geschichten nur erfunden hatte um einen Grund zu haben der Anführer einer Rebellion zu sein.
Glaube war mächtig. Glaube konnte Dörfer bewegen, Berge versetzen. Der Glaube war ein wichtiger Grundbestandteil der Gemeinschaft und man konnte vieles mit Glauben schaffen.
Der Glaube bewegt Menschen zu den dümmsten Dingen, die andere als heldenhaft bezeichnen würden. Er spornt sie an. Wenn Leute an dich Glaube setzt das Endorphine frei und man fühlt sich gut. Deshalb war Glaube ein wichtiger Baustein der Menschen.
Casmiel Tripe. Irgendwie bewunderte Theseus diesen Mann. Mit nur 15 Jahren hatte er einen Widerstand aufgebaut und war der Anführer geworden.
Er führte die Jäger der Scena immer und immer wieder hinters Licht, sodass er jahrelang untergetaucht war und nun, zehn Jahre später, noch immer keine Spur zu seinem Aufenthalt gegeben hatte.
Er war Staatsfeind Nummer 1, mit nur 25 Jahren der meistgesuchte Verbrecher, der kriminellste Mann der ganzen Welt.
Er führte eine ganze Armee von Phoenixen an, die meisten waren älter als er selbst und doch folgten sie ihm scheinbar widerstandlos.
Dieser Mann musste allmächtig sein. Er stellte sich einem Gott gleich durch seine Taten, zeigte dem Präsidenten, dass er nicht alle kontrollierte und das alles als ein Kind.
Nicht einmal Theseus, der seit Jahren nach dem Widerstand suchte, hatte sie jemals entdeckt. Nie hatte er einen einzigen Hinweis gefunden und obwohl er der älteste Mensch der Welt war, hatte er noch nie so einen Mann wie Casmiel Tripe kennengelernt. Der, der alle hinters Licht führte, während er sich in das Rampenlicht stellte.
Theseus schüttelte seine Gedanken ab. Er hatte schon viel zu viele Gedanken, viel zu viel Zeit an Casmiel Tripe verschwendet, denn er würde sowieso nie begreifen wie ein kleiner Bengel das alles zustande gebracht hatte, dass man bei seinem Namen erzitterte.
Er würde ihn kennenlernen müssen damit er hinter seine Maske blicken konnte, damit er auch nur Ansatzweise die verrückten, nein, wahnsinnigen Pläne dieses Mannes erfuhr.
Casmiel Tripe würde wohl für immer ein Geheimnis bleiben, eine Legende die ewig Leben würde, genauso wie er selbst.
Theseus war so in seine Gedanken über Casmiel versunken gewesen das er gar nicht bemerkt hatte, das die Wächter ihn in einen klinisch-weißen Raum gebracht hatte, in dem grelles, künstliches Licht leuchtete.
Die Einrichtung war genauso weiß wie auch die Wände und nur ein paar dunkelbraune Fragmente durchbrachen das ständige weiß, das fast schon in den Augen brannte.
Vor Theseus stand nun ein etwas dickerer Mann mit kurzen Stummelbeinen und heller Haut. Seine Haare waren...nun ja...non existent. Er besaß eine glänzende, perfekte Glatze mit nicht einem Härchen darauf.
Genauso glatt wie sein Kopf war auch sein Gesicht weich und haarlos, als würde dieser Mann keine Haare besitzen. Beim näheren betrachten fiel auf, das er tatsächlich keinerlei Haare besaß.
Kein Wimperkranz zierte seine dunkelbraunen, beinahe schon schwarzen Augen. Keine Augenbrauen lagen ober seinen kleinen, schmalen Augen und kein Bart fand sich auf den weichen, dicken Backen des Mannes.
Er war klein, also wirklich klein mit kurzen Beinen und Armen, als würde sein gesamter Körper sich auf seine Körpergröße angepasst hatte und der geschwollene Bauch sah aus, als würde er ein Kind erwarten.
Neben ihm sah Theseus bestimmt aus wie eine Kampfmaschiene. Keine Muskeln, kein harter Ausdruck, nichts gefährliches war an diesem Mann zu erkennen. Nicht einmal einen monotonen Gesichtsausdruck konnte er tragen, denn auf seinen dünnen Lippen lag ein leichtes, fröhliches Lächeln, als würde vor ihm nicht ein Mensch, sondern ein kleiner, niedlicher Welpe stehen, der ich fröhlich anbellt.
„Sie sind wohl eher nicht der Champion" stellte Theseus ironisch fest. Er wusste das dieser fremde Mann nicht der Champion war. Er kannte den Champion bereits, er hatte sie schon des Öfteren im Fernsehen gesehen, wenn die Spiele weltweit ausgestrahlt wurden um noch mehr Geld und Ruhm zu verdienen.
Der kleine Mann fing an lauthals loszulachen und er hielt sich seine Hand vor den Mund, die von seinem viel zu langen Robenärmel überdeckt war.
„Oh nein, mein Junge. Wo denken Sie denn nur hin? Mein Name ist..." doch weiter kam der Mann nicht denn ein dunkler Schatten nahm Theseus' Sicht ein und er wandte seinen Blick ab nur um gegen das grelle Licht zu blicken und eine Silhouette einer Frau zu erkennen, mit gewaltigen Engelsflügeln.
Der Mann war verstummt und er betrachtete die Silhouette unterwürfig, fast schon ängstlich. Er wurde noch kleiner in ihrer Anwesenheit und trat mehrere Schritte von Theseus weg, als würde er der Fremden Platz machen.
„Irrelevant" beendete die Fremde den Satz von dem Mann und langsam konnte man mehr als nur ihre Umrisse erkennen.
Vor Theseus stand die mit Abstand schönste Frau die er in seinem Leben getroffen hatte.
Sie hatte dunkelbraune, leicht lockige Haare, die schön gekämmt über ihre schmale Schulter fielen. Ihre Augen leuchteten hellgrau, im Schein des künstlichen Lichts und sie strahlten eine gewisse Intelligenz aus, die Theseus noch nie zuvor gesehen hatte.
Ihr Gesicht besaß scharfe Züge, ihre Nase war klein und spitz sowie auch ihre eher anliegenden Ohren es waren.
Sie hatte eine melodische Stimme, sie würde bestimmt eine grandiose Sängerin abgeben und ihre Lippen waren voll. Kurz gesagt: sie war atemberaubend schön.
Theseus hatte sie noch nie real gesehen, nur im Fernsehen doch dort war ihm ihre wahre Schönheit niemals aufgefallen.
Vielleicht war es auch das Lächeln, das sie trug. Irgendwie war es schön und wirkte echt aber zugleich auch kühl und distanziert, als wäre es nur eine Fassade, eine Maske die sie trug.
„Ketara Arayuma. Es freut mich sehr deine Bekanntschaft zu machen" meinte Theseus ohne eine Miene zu verziehen. Ihr Lächeln zwang ihn auch zu Lächeln, auf wenn es nur ein kleines Schmunzeln war.
„Du scheinst mich zu kennen, aber ich kenne dich nicht" stellte sie nur kühl fest und Theseus wusste: Ihr Lächeln war nicht echt. Auch wenn es ehrlich wirkte, auch wenn es atemberaubend auf ihren Lippen aussah, es war nicht echt.
„Theseus. Theseus Rendall" nannte er seinen Namen.
Es war kein Geheimnis, es war kein besonderer Name. Theseus hatte sich diesen Namen selbst gegeben sowie er es jedes Jahrhundert mindestens einmal tat. So entkam er erstens dem System und zweitens gestaltete das die Jahre spannender, in denen er eine vollkommen neue Figur im Spiel des Lebens spielte. Er tat das schon so lange, das er seinen wahren Namen, seine wahre Identität vergessen hatte.
„Ich habe noch nie von dir gehört, Neuling" meinte sie nur unbeeindruckt. Ihre Augen blitzten jedoch interessiert auf und irgendwie hatte Theseus das Gefühl das sie genau wusste welchen Respekt, welche Angst er vor ihr hatte. Denn die hatte er ganz bestimmt und zwar berechtigt.
Er hatte gesehen wie Ketara einen Menschen in Sekundenschnelle das Leben aushauchte und wie gleichgültig, manchmal sogar belustigt ihr Gesichtsausdruck war. Jeder hatte Respekt vor ihr, selbst die, die niemals gegen sie in einer Arena kämpfen müssen. Bis vor kurzem hatte er auch gedacht, dass er niemals gegen sie kämpfen müsse, geschweige denn sie überhaupt kennenlernen würde. Doch hier war er, sein Leben hassend und sich selbst fragend, was er falsch gemacht hatte.
„Das wundert mich nicht aber ich habe schon viel von dir gehört, Ketara" meinte er noch immer relativ ruhig. Er durfte sich seine Angst nicht anmerken lassen.
Angst konnte eine Kampf schnell entscheiden. Angst war ein Druckmittel, ein mächtiges Druckmittel und wenn man sie zeigte, hatte man bereits verloren.
„Jeder hat von mir gehört. Ich bin die verdammte Nummer 1 in der Arena, es wäre ein Wunder wenn Sie nicht schon von mir gehört hätten" meinte sie nur unbeeindruckt.
Andere hätten sie vielleicht als Arrogant eingeschätzt, aber nicht Theseus. Er wusste das Ketara sich Arroganz nicht leisten konnte. Sie kannte nur ihre Stärken und ihre Schwächen sehr gut. Sie wusste wann sie gewonnen hatte und wann sie verlor. Ketara war die Geborene Kämpferin.
„Ist es nicht schwer mit der ganzen Aufmerksamkeit, die man als Nummer 1 eben bekommt?" fragte er sie ehrlich. Er hasste es im Mittelpunkt zu stehen, ein weiterer Punkt warum er diese Kämpfe verabscheute. Er fühlte sich einfach unwohl wenn all die Blicke auf ihn gerichtete waren, wenn all die Aufmerksamkeit ihm galt und jeder seiner Schritte gemustert und analysiert wurden.
Lieber blieb Theseus im Hintergrund, versteckt hinter den Kulissen. Er beobachtete lieber alle anderen als das er der war, der beobachtet wurde.
Durch das beobachten fand er viel mehr über die Leute heraus. Sie machten unterbewusst mehr Fehler als man dachte. Ihre Gestik, ihre Mimik, all das gab ihm Hinweise wie die Person hinter der Maske war, wie die Person wirklich war. Das war es, was Theseus wirklich wichtig war. Die wahre Person, das ehrliche Gesicht, das man so oft hinter Masken und Fassaden verbarg.
Ketara war eine Person, die ihr gesamtes Leben hinter einer Maske verbarg, die schon so lange eine Fassade baute, dass sie gar nicht mehr wusste wie sie war, wenn diese zerbrechen würde.
Sie war wie eine Vase aus Glas die schon so oft am Boden zerbrochen ist und sich selbst wieder zusammengebaut hatte, dass sie sich zwischen Kissen und Decken verbarrikadiert hatte um kein weiteres Brechen zu riskieren.
Sie wiegte sich in Sicherheit während sie innerlich immer mehr zerbrach ohne es zu merken und da würde auch keine Barrikade aus Pölstern mehr helfen.
„Nein. Ich liebe die Aufmerksamkeit, das Rufen" sie kam ihm gefährlich nahe und Theseus spannte sich an, „die Angst" hauchte sie in sein Ohr während ihr Lächeln sich in ein kaltes Grinsen verwandelte.
Gerade wollte Theseus sie zu Boden werfen und sie festnageln, als eine weiche Stimme aus dem Hintergrund ertönte und ihn wieder in die Realität holte.
„Mister Rendall, Miss Arayuma. Sie müssen sich zum Kampf wappnen" meinte der dicke Mann, dessen Name Theseus noch immer nicht mitbekommen hatte.
„Danke Woo-jung" meinte Ketara zuckersüß ohne den Blick von Theseus zu nehmen.
Sie machte eine elegante Drehung und schlenderte mit ausgefallenen Schritten Richtung ihres privaten Zimmers.
„Wir sehen uns dann, Theseus" säuselte sie noch bis das gleißende Licht sie verschluckte und ihre Silhouette langsam verschwand.
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