Kapitel 16
[Die große, weite Welt]
Ketara wurde auf die Straße geworfen und sie konnte sich nicht mehr abrollen. Sie schürfte sich die Knie sowie auch die Hüfte auf und blieb kraftlos liegen.
Man behandelte sie wie einen Müllsack, einen wertlosen Haufen Dreck den man entsorgen will.
Ihr Rücken brannte wie Feuer, ihre Flügel waren nur mehr Stummel. Nichts war mehr wie es einst war und Ketara war nun keine Nummer mehr.
Sie hatten sie freigelassen aus der Arena, was für manche klang wie eine Belohnung aber für sie gab es keine größere Strafe als das Leben. Die Ketten waren gelöst, sie war kein Eigentum der Arena mehr aber frei war sie auch nicht. Sie war gezwungen alleine zu überleben.
Sie war in der Arena geboren worden und dort aufgewachsen. Hatte dort gegessen, trainiert und gelebt. Sie kannte nichts anderes als diesen Ort und hatte derartiges Wissen auch nie gebraucht.
In der Arena hatte sie alles gehabt, was sie benötigt hatte. Essen, ein Dach über dem Kopf und sogar Luxusartikel. Hier war sie nichts. Hier hatte sie nichts. Nur einen Rucksack, den Woo-jung ihr gebracht hatte mit ein bisschen Brot und einer Wasserflasche und einem in schwarze Seide verpackten Packet, das schwer auf ihren Schultern lastete. Es war ein Andenken. Nicht an die Arena, dafür besaß sie Narben, aber ein Andenken an ihre verlorenen Flügel. Es waren ihre sieben Silberfedern, die sie verschießen hatte können. Nun waren sie aus ihrem ehemaligen, schönen Federkleid gezogen und ihr mitgegeben worden. Hohn und Spott. Als mehr galt dieses Geschenk nicht.
Es war eine schmerzvolle Erinnerung an ihre Freiheit, die sie mit einem Mal verloren hatte. Ihr waren die Flügel nicht nur gestutzt wurden, nein, man hatte sie ihr genommen. Sie hingen nun irgendwo als eine Trophäe im Büro der Leiterin. Wurden bestaunt und betrachtet, aber ihre Geschichte nie erzählt.
Das war also das Karma für all die Leben, die Ketara in der Zeit der Arenakämpfe genommen hatte. Das war also der Rachefeldzug des Schicksals gegen sie. Sie hatten ihr alles genommen. Alles.
Aber es brachte nichts vor der Arena, auf einer dreckigen Straße zu sterben. Es würde auch nichts bringen alles was geschehen war zu vergessen und als normaler Mensch zu leben, ein Geschäft zu eröffnen und zu heirate. Es würde ihr nicht helfen über ihren Schmerz hinwegzukommen. Ketara würde nie mehr frei sein.
Also rappelte sie sich auf, erhob sich aus dem Staub und dem Dreck und wischte sich die Hände an ihrem dunklen Kapuzenpulli ab unter dem sich noch immer das hellgraue T-Shirt befand, das sie in der Arena getragen hatte. Am liebsten würde sie es verbrennen mit ihren weiteren Erinnerungen aber es war wichtig sich selbst zu wärmen wenn man auf der Straße lebte.
Ketara würde nirgendwo ein Zuhause finden. Sie war 21 Jahre alt und es gab keine Möglichkeit an Geld zu kommen. Sie müsste ein Geschäft oder einen Stand errichten, bei dem sie Dinge verkaufen konnte. Dazu benötigte sie Geld. Doch sie besaß kein Geld, nur ein Leib Brot und eine Flasche Wasser. Die silbernen Federn könnte sie verkaufen, aber wer wusste wann sie einmal eine gute Waffe benötigen könnte. Deshalb war Ketara machtlos. Sie war nun obdachlos und musste betteln gehen. Die einstige Königin der Arena war ganz hinunter gerutscht und musste auf der Straße leben.
Ketara glaubte an nicht viel, Gott und all der andere Schwachsinn lag ihr fern, aber sie glaubte an das Rad des Lebens. Wenn man ganz oben war, auf die weite Welt herabblicken konnte und befehligen konnte, erinnerte man sich nicht mehr an das Leben dort unten und man wollte immer mehr. Man verlangte immer mehr und es schien nie so gut zu sein, wie man unten immer geglaubt hatte.
Wenn man ganz unten war, wünschte man sich immer das Leben dort oben, das man nie vergaß. Es gab immer die Erinnerung an die schöne Zeit, die man dort geführt hatte und was man alles erreichen konnte.
Doch man stieg immer weiter hinauf, mit jedem Schritt den man machte löste man jemanden, der gerade ganz oben sein Leben genoss, ab und kam dem Ziel immer näher. Man stieg das Rad des Lebens hinauf bis zu Spitze an der man dann langsam wieder runter stieg und von einem neuen Menschen, der ganz unten war, abgelöst wurde.
Man musste egoistisch sein um das Rad des Lebens zu verstehen. Man durfte nicht daran denken das man jemand anderem das Leben dort oben verdarb. Man durfte nur an sich selbst denken und an die eigenen Vorteile. Es war ein Fluch, aber daran glaubte Ketara.
Sie sah sich um. Die Straße war menschenleer und ein kühler Wind ließ sie frösteln. Die Wolken hatten sich über die gesamte Stadt gezogen und sagten Regen voraus, das konnte Ketara riechen. Die Luft war erfüllt von dem Duft nach nassem Gras und Blättern obwohl es noch nicht einmal geregnet hatte. Ein betörender Duft, wie Ketara fand.
In der Arena hatte es immer nach Blut und dem süßlichen Duft der verdorbenen Leichen gerochen. Nach Schweiß und den verschiedenen Personen, gegen die Ketara kämpfen musste. Jetzt konnte sie endlich wieder riechen wie die Welt wirklich riechen sollte.
So startete also ihr Leben auf der Straße. Ungewiss was sie finden würde, was da draußen war.
Ihr ganzes Leben lang hatte sie dort verbracht. Schweiß und Blut gegeben. Tränen vergossen, Erinnerungen gewonnen und sie wieder verloren.
Die Zeit in der Arena hatte sie verändert. Sie hatte mehr Narben als sie zählen konnte. Sie war eine Mörderin, eine Auftragskillerin. Vielleicht könnte sie diesen Job auch in der Stadt ausüben, wenigstens etwas in dem sie gut war.
Schwach stolperte sie vorwärts. Einen Fuß vor den anderen aber dennoch kam es ihr schwerer vor als erwartet. Es war, als würde ihren Rückenschmerzen auch in ihre Beine laufen und sie würde jeden Moment umkippen.
Ketara musste sich an der dreckigen Wand abstützen und durchatmen. Der Schmerz durchzog ihre gesamten Glieder und es war, als würde ihr Rücken brennen. Sie war schwach, unnütz, wertlos. Ihr Flügel waren das einzige, das ihr einen Wert gegeben hatte und nun waren sie weg.
Sie bohrte ihre Fingernägel in den Dreck, der sich gleich darin verfestigte. Sie wollte fühlen wie sich die Welt dort draußen anfühlte, wollte erleben was normale Menschen erlebten.
Sie verstand die Taten der Leiterin nicht. Sie hatte nicht verloren, dieser Casmiel Tripe hatte sie ausgetrickst. Er hatte sie abgelenkt während einer seiner Gefolgsleute ihr ein Messer in den Bauch gerammt hatte. Es war ein unfaires Spiel gewesen, es galt nicht.
Doch die Leiterin sah das anders. Für sie war Ketara nun nur mehr Abfall und Eira war die neue, offizielle Nummer 1 in der Arena, der neue Champion. Nie hatte sie gegen Ketara gewonnen und dennoch stieg sie auf in die höheren Reihen, bezog ihre Luxussuite und lebte ihr Leben. Es war unfair und nicht nur das. Es war ungerecht.
In diesem Moment schwor Ketara etwas. Sie schwor Rache gegen Casmiel Tripe, die Leiterin und Eira. Sie schwörte Rache gegen Theseus Rendall und die Frau, die ihr das Messer in den Bauch geschossen hatte. Sie schwor Rache gegen die gesamte Welt, gegen alle die atmeten und durch deren Lungen die Luft flog. Sie wollte Rache.
Sie wollte an die Spitze zurück, den Thron zurückerobern und über alles und jeden regieren. Sie würde nicht zusammensacken weil sie keine Flügel mehr hatte, sie wollte höher fliegen als jemals zuvor. Sie würde das Rad des Lebens stoppen und für immer ganz oben bleiben. Niemand würde sie jemals besiegen können. Niemals.
Doch zuerst würde sie ihr Königreich aufbauen müssen. Sie würde Gefolgsleute um sich scharen und mit ihnen die Welt regieren. So würde sie Casmiel Tripe und die Scena besiegen. Ein neues Zeitalter würde beginnen. Das Zeitalter der gefallenen Engel.
„Was macht eine solche Schönheit in einer dreckigen Gasse ganz alleine?" fragte eine Stimme hinter ihr und es war ein Mann, der nicht wirklich vertrauenswürdig aussah.
Er hatte braune Haare, die wohl einmal mit Gel zurückgestrichen waren aber nun verwuschelt und fettig wirkten, grüne Augen, die Ketara hungrig musterten wie ein Löwe seine Beute und ein dreckiges Grinsen. Der Alkohol stank aus seinem Mund heraus und Ketara rümpfte angeekelt die Nase. Der Typ war bis oben hin zu.
„Lass mich" meinte sie nur kühl und sie wollte weiter gehen. Ihr war nicht zu flirten zu Mute und sie wollte einfach hier weg, weg von den hohen Mauern der Arena an denen sie herabgestürzt war.
Er packte grob ihr Handgelenk und zog sie näher zu sich sodass nur mehr eine kleine Lücke zwischen ihnen befand. „Niemand spricht so mit mir" knurrte er leise und Ketara durchbohrte ihn mit einem tödlichen Blick.
„Hey. Sie sagte, du sollst sie in Ruhe lassen" meldete sich eine Stimme hinter dem Mann und Ketara erkannte eine neue, andere Gestalt. Eine Frau mit dicken, leicht lockigen, rot-orangen Haaren, die geschickt in einen losen Dutt gesteckt waren. Eine Strähne davon war zu einem kleinen Zopf geflochten und er hing aus der Haarpracht heraus. Ihre Haut war blass doch ihre Wangen schienen ein wenig rötlich zu sein, rötlicher als bei anderen Menschen.
Sie hatte tiefe, dunkelbraune Augen die fast schwarz erschienen und eine kleine, runde Nase. Ihre Lippen waren dicker und im Moment zu einer grimmigen Miene verzogen. Sie trug Ketten, an einer war ein Stoffbeutel befestigt in dem wohl irgendetwas drin war und die andere war am Hals anliegend. Ihre Kleidung war ebenso interessant. Es war ein oranges Top, das mehr mit bräunlichen Farben spielte während ihre Hose in ein dunkles, eindeutiges Braun gefärbt war. Darüber trug sie eine lange Jacke, die über ihre Knie reichte und mit kunstvollen Stickereien benäht war. Sie selbst war wunderschön, wie Ketara fand und bei genauerem Betrachten fiel ihr ein weitere, dickerer Zopf auf, der mit den restlichen Haaren in den Dutt gebunden war.
„Was willst du denn jetzt?" fragte er abschätzig aber die fremde Frau ließ sich nicht darauf ein, sondern trat noch einen Schritt nach vorne.
Währenddessen zog Ketara eine ihrer silbernen Federn und durchtrennte ohne lange zu überlegen den Arm des Mannes sodass sie sich ohne weitere Probleme von ihm lösen konnte und ihn von sich stieß. Er sank schreiend zusammen und unbeeindruckt stieg sie über seine jämmerliche Gestalt.
Sie blieb noch einmal kurz stehen, drehte sich ein weiteres Mal um und stach ihre bereits blutige Feder durch seinen Kopf woraufhin er tot zusammensackte.
Für einen Moment waren ihre Schmerzen vergessen und halbwegs gerade ging sie die Gasse entlang. Die Fremde starrte den schreienden Mann noch kurz an und folgte Ketara dann ohne weiterhin einen Blick für ihn zu vergeuden.
„Du hast einfach so die Hand von diesem Mann abgeschnitten und ihn danach getötet" stellte sie scheinbar erst jetzt fest. Ketara beachtete sie nicht einmal.
„Ja habe ich. Na und? Er hat mein Handgelenkt gepackt" war ihre einfache Antwort. Die Schmerzen krochen wieder durch ihre Glieder und die Fremde fing sie gerade rechtzeitig auf um sie auf den Boden abzusetzen und genauer zu mustern.
„Es geht schon" versuchte Ketara die Fremde zu überzeugen aber deren Blick verriet ihr das sie ihr nicht glaubte. Toll. Die Probleme schienen sie zu verfolgen und niemals loszulassen. Sie war in einem ewigen Kreislauf der Probleme gefangen.
„Dir geht es nicht gut. Du blutest am Rücken und zwar stark. Ich sehe es mir genauer an" wies die Fremde ihr an und sie hob ihren Pullover sowie ihr T-Shirt an um sich die Wunde näher zu betrachten. Ketara konnte sie nicht früh genug davon abbringen und sie konnte die beiden Stüpfe ihrer fehlenden Flügel sehen, die erneut zu bluten begonnen haben.
„Oh Gott..." keuchte sie und sie ließ den Pullover wieder über die Wunde fallen. Sie sah Ketara wieder an und musterte sie mit ihrem Blick genauestens.
„Du bist Ketara Arayuma" stellte sie geschockt fest, „die frühere Nummer 1"
Bei der Erinnerung knurrte Ketara nur. „Toll. Danke das du mich an mein Versagen erinnerst" Sie machte Anstalten aufzustehen aber die Frau drückte sie nur wieder nach unten sodass sie hilflos wieder zurücksank.
„Die Nachrichten haben gesagt du seist tot. Wir haben deine Leiche gesehen" erklärte sie ihr und Ketara legte fragend den Kopf schief. Sie war ihres Wissens nicht tot, sie fühlte sich noch relativ lebendig auch wenn sie sich nicht sicher war ob sie es wirklich noch lange sein würde, aber noch lebte sie. Eine Leiche hatte sie auch nie gesehen. Seltsam.
„Ich sollte eigentlich der lebende Beweis sein das ich nicht tot bin" fauchte sie abschätzig aber die Fremde ließ sie noch immer nicht gehen. Sie hielt sie unten, mit dem Kopf auf ihrem Schoß.
„Was ist mit deinen...deinen Flügeln passiert?" fragte sie Ketara und Tränen bildeten sich in ihren hellgrauen Augen. Sie wollte nicht daran denken was Kyros ihr angetan hatte, welchen Schmerz sie erlitten hat.
„Nichts, was dich interessiert. Ich kenne nicht einmal deinen Namen" knurrte sie nur, doch ihre Stimme zitterte merklich. Die Erinnerung war schon über ihrem Kopf zusammengebrochen, hatte sie in die Tiefe des Meeres gerissen. Mitgenommen in unendliche Weiten.
Die Fremde lächelte leicht und sagte: „Mein Name ist Kalea und jetzt kannst du mir alles erzählen"
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