Kapitel 14
[Der Widerstand]
Der Hubschrauber senkte sich langsam herab und landete versteckt hinter hohen Bäumen mitten in einem Wald. Den ganzen Weg über hatte Theseus nichts gesehen, die Scheiben des Hubschraubers waren stark abgedunkelt und hatten keinen Blick nach draußen zugelassen. Nicht einmal das Licht hatte sie erreicht weshalb sie im Dunkel gesessen hatten.
Kein Wunder. Das hier waren die Helikopter der Arena. Jäger. Sie waren dazu gemacht, schnell zu fliegen und Soldaten schnell und effektiv zu liefern, wo sie gebraucht wurden. Soldaten, die dazu gebraucht wurden, die Phoenixe einzufangen oder zu töten.
Erst als die Türen sich öffneten und das gleißende Licht seine Augen blendete konnte Theseus den Wald erkennen, der sich vor ihm erstreckte und scheinbar der Unterschlupf des Widerstandes war.
Kleine Hütten säumten die Lichtung, in der Mitte brannte ein großen Feuer und ein paar Rebellen schienen darauf gerade ein erlegtes Tier zu braten ebenso wie Gemüse und scheinbar essbare Wurzeln, die einen angenehmen Duft verbreiteten.
Die Hütten waren einfach gebaut, nur das nötigste damit man es ein Dach über dem Kopf nennen konnte. Es waren mehr Unterschlüpfe als richtige Häuser. Sie waren aus Waldmaterial gemacht und verschmolzen so effektiv mit den hohen Bäumen und dem erdigen Gelände.
„Willkommen beim Widerstand" stellte ein junger Mann mit schulterlangen, goldenen Haaren den Ort vor. Nur nebenbei hatte Theseus mitbekommen, dass er wohl Lorcan hieß und er schien der einzige zu sein, der sich wirklich für sie interessierte.
Casmiel war mit Jason gegangen, der Eleanor weggetragen hatte. Vermutlich um ihre Wunden zu versorgen. Mit ihnen war auch Dolores verschwunden, die junge Frau, die Casmiel so stürmisch umarmt hatte. Der Rest hatte sich irgendwie getrennt, sobald sie den Helikopter verlassen hatten. Neulinge schienen keine alltägliche Sache zu sein.
Scheinbar hatte auch Lorcan bemerkt das niemand sonst hier war, um ihnen zu erklären was jetzt mit ihnen passieren würde, weshalb er diesen Job jetzt übernahm und die Neuen mit einem breiten Grinsen im Gesicht ansah.
„Hey erstmal. Willkommen beim derzeitigen Standpunkt des Widerstandes irgendwo im nirgendwo. Wir bleiben nie länger als eine Woche an einem Ort und haben unsere fixen Stationen bei denen wir unregelmäßig unser Lager aufbauen. Aber eigentlich erledigt Cassy das Planen, am besten man mischt sich dabei nicht ein. Ich bin Lorcan Carey und da alle anderen scheinbar vergessen haben, dass ihr neu hier seid, werde ich euch eben die Einführung geben" erklärte er grob und endlich verstand Theseus wieso er den Widerstand noch nie gefunden hatte. Sie wechselten ihren Standpunkt immer wieder in unregelmäßigen Zeitspannen.
„Okay Lorry. Kannst du uns dann mal erklären wie das funktioniert? Mir scheint als wüssten alle genau wohin sie müssten..." fragte Aspen. Sie war vorgetreten und musterte ihre neue Umgebung zugleich misstrauisch als auch interessiert. Eine Mischung aus beidem.
„Natürlich kann ich das, meine Schöne. Wir alle haben unsere Aufgaben, oder wie Casmiel das ganze nennt, unsere Rollen. Es gibt die Köche, der Name sollte eigentlich verraten das sie für das häuten und zubereiten der gefangenen Tiere und der gefundenen anderen Sachen zuständig sind. Die Wächter. Diese sind für die Überwachung zuständig. Sie wechseln sich immer wieder in Halbtags-Abschnitten ab und überwachen das gesamte Gelände rund um das Lager.
Die Heiler, von denen es nicht gerade viele gibt, sind für die Medikamente und die Behandlung von Kranken oder Verletzten zuständig. Eirene leitete diese Abteilung.
Die Sucher sind zum jagen der Tiere und finden der essbaren Dinge zuständig. Ab und zu pflanzen sie auch eigene Gemüsepflanzen und Obstbäume an damit wir Abwechslungsreiche Mahlzeiten zu uns nehmen.
Zu guter Letzt gibt es noch die Späher. Sie rücken jeden Tag einmal aus um auf Jägersuche zu gehen. Manche verwirren sie mit falschen Fährten, andere bekämpfen sie. Es kommt immer darauf an wer als Späher gewählt wurde" erklärte Lorcan und währenddessen zeigte er auf Menschen oder Hütten.
Theseus prägte sich alle Abteilungen, oder Rollen, gut ein. Er wollte wissen wie dieser Widerstand es schaffte unbemerkt zu bleiben und den Jägern immer einen Schritt voraus zu sein. Dieser Ort, diese Rollen. Sie konnten nicht der einzige Grund sein. Organisation war schließlich nicht alles.
„Und für was bist du zuständig?" fragte Aspen weiter. Sie schien ebenso wie Theseus mehr über diesen Ort herausfinden zu wollen.
Lorcan lächelte verschmitzt.
„Ich bin eigentlich Koch. Casmiel hat eigentlich noch nie eine Mission angeführt. Er bleibt immer hier, in Sicherheit. Schließlich ist er der Strippenzieher. Er hält die Fäden in der Hand und bestimmt wo wir wann zuschlagen werden, wenn wir überhaupt aktiv einschreiten. Normalerweise rennen wir weg" überlegte er laut. Das hieß also das an dieser Mission etwas anders gewesen war. Irgendetwas hatte Casmiel bezwecken wollen, nur was?
„Er kommt normalerweise nicht mit? Wieso dieses Mal?" fragte Robb nach, der scheinbar wieder die Sprache gefunden hatte. Er war im Hubschrauber nur stumm dagesessen und hatte sich kaum bewegt. Wie eine Statue.
„Ich weiß es nicht aber dieser Ausflug war generell...nicht Casmiel-Gemäß. Für gewöhnlich versammelt er nicht alle auf der Lichtung, spricht nicht wie ein richtiger Anführer und motiviert alle einen Ausbruch vorzubereiten. Was auch immer dieser Azrael ihm gesagt hat, es bedeutet nichts Gutes..." überlegte Lorcan laut und er verlor kurz sein breites Grinsen. Doch dieses fand er schnell wieder und er klatschte tatkräftig in die Hände.
„Ihr müsst müde und hungrig sein. Ich bringe euch dann mal in die Gemeinschaftshütte. Dort schlafen die Neuen erst einmal bis zum Ritual. Sie ist leer, also solltet ihr alle genügend Platz haben" berichtete er dann und ohne auf sie zu warten ging er voraus.
Lorcan hatte recht. Theseus konnte vielleicht nicht sterben, aber er war fertig. Seine Glieder, vor allem seine Arme, schmerzten von dem Klettern auf die Mauer, sein Schädel dröhnte wie ein Schwarm Bienen und sein Magen rumorte vor Hunger. Er wollte sich einfach ausruhen und diese höllischen Momente in der Arena vergessen.
Er fragte nicht einmal nach, was dieses Ritual eigentlich war. Er war zu müde um zu denken und nicht einmal das besorgte ihn. Er wiegte sich in Sicherheit, hier bei dem Widerstand der schon seit Jahren unentdeckt blieb. Hier musste er einfach einen Moment den Kopf ausschalten und sich auf seine menschliches Bedürfnisse konzentrieren.
Als sie in der Hütte angekommen waren, interessierte er sich nicht einmal dafür wie klein und ungemütlich sie war. Er legte sich nur in eine der Hängematten, die von der Decke herunter hingen und schlief bald darauf ein.
Seine Umwelt verschwand langsam um ihn herum, er hörte nicht und sah nicht mehr. Theseus schaltete einfach alles aus und gab sich der Dunkelheit hin, die sich um ihn legte wie ein tiefschwarzer Mantel.
Cas trug Eleanor in die Hütte von Eirene die zugleich auch als Krankenstation fungierte. Dort legte er sie auf eines der bequemen Betten. Normalerweise verwendeten sie Hängematten da sie leichter zu verstauen und tragen waren aber für die Kranken hatten sie ein Möbelgeschäft überfallen und ein paar Betten sowie Schränke mitgehen lassen.
Diese Hütte war eine der schönen Exemplare. Überall hingen oder standen Pflanzen die bunte Blüten trugen und die Luft in einen betörenden Duft verwandelten. Zudem standen überall noch Bilder, ein paar waren auch mit Nägeln an der Wand befestigt und es existierten scheinbar alle Möglichkeiten zu zeichnen und zu malen. Ein paar waren sehr realistisch gezeichnet, andere waren nur scheinbar wahllos mit Farbe beschmiert und mit Sprenkeln verziert. Manche waren eine Mischung und andere zeigten wiederum Momente aus dem Alltag aber allesamt strahlten etwas aus, das Casmiel nur bei einer einzigen Person jemals gefühlt hatte. Heimat.
Er fühlte sich wohl zwischen all dem Chaos, den ganzen Blumen und den Bilder wie Zuhause, obwohl er nie wirklich ein richtiges Zuhause gehabt hatte.
„Ich hole Desinfektionsmittel, Verbände und Medikamente" sagte Eirene ernst und sie klang nicht wirklich so, als würde sie auf eine Anweisung von Casmiel hören. Das war auch gar nicht nötig.
Eirene war hier die Heilerin, sie wusste wie das funktionierte und Cas vertraute darauf, das sie Eleanor nicht schaden würde. Dafür hätte sie auch keinen Grund.
Eigentlich könnte Eirene das ganze schneller und vor allem effizienter lösen. Sie könnte einfach ihre Kraft, die Kraft der Heilung, an Eleanor anwenden und sie so von den ganzen Schmerzen befreien. Doch Ellie wollte das nicht. Sie wollte nicht das Eirene ihre Kraft an ihr einsetzte und das reichte um sie davon abzuhalten. Auch wenn sie jetzt mehr Arbeit hatte, auch wenn sie jetzt vermutlich Nächte lang wach bleiben würde um neben Eleanors Bett zu sitzen und abzuwarten bis sie aufwachte, Eirene würde niemals etwas tun was ein anderer nicht wollte. Das war nicht ihre Art.
Währenddessen saß Cas neben ihr und betrachtete ihre Wunden. Ihre Hand war verbrannt, die Haut pellte sich ab und sie war glühend-rot. Ein tiefer Schnitt am Oberschenkel. Er vermutete das sie auch mehrere Prellungen und vielleicht sogar eine gebrochene Rippe hatte, aber das konnte er jetzt noch nicht sagen. Eirene würde diejenige sein, sie sie untersuchen und behandeln würde.
„Du bist nicht ohne Grund auf dieser Mission gewesen, habe ich recht?" fragte Eirene nach einigen Momenten der Stille.
Cas wandte seinen Blick von Eleanor ab und musterte Eirene, die nun mit den nötigen Sachen wieder neben ihm saß und die Hose ein wenig über der Wunde am Oberschenkel wegriss um das Desinfektionsmitten sachte darüber zu leeren.
„Was meinst du?" fragte er nach. Gab es nicht immer einen Grund hinter jeder einzigen Entscheidung die man traf? Man tat nichts ohne Grund, es besteht immer ein Hintergedanke der sich im Kopf festgepflanzt hatte.
Sie warf ihm einen kurzen neckischen Blick zu und fuhr dann fort: „Du verlässt das Lager nie, für keine Mission. Das ist normalerweise die Aufgabe der Späher. Aber dieses Mal bist du mitgegangen und hast ein Team aus verschiedenen Leuten zusammengestellt die normalerweise nicht als Späher arbeiten. Was war dieses Mal anders?"
Sie band einen Verband um die Wunde und stoppte so die Blutung. Dann wandte sie sich der Verbrennung zu. Eine schwere Angelegenheit. Wenn Eleanor Pech hatte, hatte was auch immer diese Wunde ausgelöst hatte ihre Nerven erwischt und ihre Hand würde gelähmt sein. Das bereitete Eirene Sorgen. Eleanor war eine Kämpferin, aber ob sie diesen Kampf überstehen würde war eine andere Sache.
Casmiel überlegte. Eirene war vertrauenswürdig, aber er wusste nicht ob sie wirklich schon von der Nachricht erfahren sollte. Laut der Legende würde der Krieg anfangen. Der Krieg zwischen Phoenix und Menschen, Generation gegen Generation. Leben gegen Tod.
„Manchmal ist eine wahnsinnige Idee von Nöten um aus dem tristen Alltag zu entkommen und in ein Abenteuer zu springen" meinte er nur leicht lächelnd.
Es war nicht ganz die Wahrheit. Sein Alltag langweilte ihn, aber das tat alles, wenn er es zu häufig machte. Er war ein Genie, er brauchte Abwechslung und wenn diese nicht bestand machte er sich eben selber welche. So war er einfach. Sprunghaft und frei.
Doch das war nicht der Grund wieso er diese Mission gestartet und auch noch begleitet hatte. Er wollte den Sick Boy als erster sehen, sich überzeugen das er wirklich existierte und Azrael kein Verrückter war der ihm irgendwelche Geschichten aufgetischt hatte.
Eirene schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben auch wenn sie nicht wirklich überzeugt wirkte. Cas war ein meisterhafter Lügner, aber in den fünf Jahren, die Eirene und er sich kannten, hatte sie ihn langsam durchschaut.
Er verzog keine Miene wenn er log, sah einem genau in die Augen, trug sein charmantes Lächeln und war einfach perfekt wie immer doch etwas war falsch. Er hatte kurz gezögert.
Wenn Casmiel die Wahrheit sagen würde, würde er nicht zögern. Er sprach alles frei heraus, auch wenn es eine Person beleidigte.
Aber Eirene wollte ihn nicht konfrontieren. Es konnte schwer sein die Wahrheit zu sagen, vor allem wenn man eine Person schützen wollte und manchmal war dafür eine Lüge von Nöten. Das verstand Eirene gut. Sie war zwar eine ehrliche Person, aufrichtig und gut, aber manchmal waren kleine Lügen entscheidet für die zukünftigen Entscheidungen.
Einen kurzen Moment trat Schweigen zwischen die Beiden und niemand sagte ein Wort. Eirene erkannte das Cas' Augen nicht wie gewöhnlich vor Elan leuchteten, sie waren matt und es lag nicht nur am düsteren Licht, das kaum durch die Fenster drang. Er war müde, das sah man ihm auch an. Zwar hatten seine Augen wohl die außergewöhnliche Fähigkeit nur sehr dezente Augenringe zu besitzen, jedoch war sein Blick müde, seine Lider schienen schwer wie Steine zu sein und sein Fokus lag nicht in dieser Welt. Er träumte sich weg.
„Du solltest schlafen, Casmiel. Ich schaffe das hier alleine" versicherte sie ihm ruhig und sanft, um ihn nicht sofort aus seinen Tagträumereien zu scheuchen. Er würde niemandem helfen wenn er weiterhin wach bleiben würde. Er musste ausgeruht sein damit seine Gedanken klar waren.
„Ich brauche keinen Schlaf. Ich kann noch mindestens drei Tage aushalten" murmelte er leise, seine Augen halbgeschlossen ins Nichts gerichtet. Eirene wusste das er es hasste zu schlafen, aber irgendwann brauchte der Körper eben seine Ruhe und eine Pause von seinen ständigen Arbeiten und den ständigen Gedanken.
Sie warf Eleanor einen Blick zu und sah dann wieder zu Casmiel bevor sie aufstand, ihm hoch half und ihn aus der Krankenhütte brachte in seine eigene. Dort legte sie ihn in sein Bett und deckte ihn zu.
„Gute Nacht, Casmiel" wisperte sie ihm noch zu.
Er schien so müde zu sein das er nicht einmal mehr bemerkt hatte wie sie ihn in das Bett geschafft hatte und ihm sanft einen Kuss auf die Stirn gab bevor sie den Raum verließ und zurück zur Arbeit ging.
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