6 Haare
"Haare sind ein Sumpfgewächs und wachsen nur auf Wasserköpfen." Einer der Lieblingssprüche meines überaus charmanten ersten Ehemannes.
Beim siebenundachzigsten Mal konnte mich das nicht mehr verletzen, denn der Neid sprach aus ihm, wie ich mittlerweile verstanden hatte.
Gut, ich habe viele Haare, dicke Haare, die auch noch ausgesprochen schnell wachsen.
Und ich habe Locken. Nicht diese sich wundervoll gleichmäßig kringelnden Dinger, die über die Schultern rieseln, sondern störrische, in alle Richtungen stehende Gebilde.
Mit vierzehn hatte ich die Dinger so satt, dass ich mir einen rappelkurzen Mecki schneiden ließ. Meine Eltern waren wenig begeistert, aber Eltern einer Vierzehnjährigen sind äußerst selten begeistert.
Danach wurden Friseure zu meinen Hassmenschen. Ich entschuldige mich bei allen Vertreter dieser Berufsgattung, 99 Prozent sind sicher sehr begabt und bemüht, aber ich bin immer an das eine Prozent geraten.
Ein Zahnarztbesuch war immer einem Salonbesuch vorzuziehen, denn bei ersterem war der Ärger vorbei, wenn ich die Praxis verließ, beim zweiten fing er erst an.
Wie oft hatte ich die Figaros gebeten, die Haare durchzustufen, auf dem Oberkopf kürzer zu schneiden, um meinen Kopf etwas zu formen.
Immer hatte ich nur unverständiges Schütteln des Hauptes wahrgenommen, und die Worte gehört: "Das geht nicht! Wir brauchen einen Übergang."
Dann kam Corona. Die Salons hatten geschlossen, meinen Haare wuchsen und wuchsen. Als ich nichts mehr von der Welt wahrnehmen konnte, hatte mein Mann Erbarmen.
Mit dem Langhaarschneider seines Rasierapparates machte er sich ans Werk - und was soll ich sagen? Er hat meine Traumfrisur zustande gebracht.
Auf dem Oberkopf eine ganze Menge an lustigen Stifteln und dananch eine deutlich ausgedünnte Mähne.
Damit hatte er natürlich einen Nebenjob, nicht lukrativ - also, nicht finanziell, eher ideell - den er auch nach Corona nicht mehr loswurde.
Im September war es dann wieder einmal so weit - Haareschneiden war angesagt.
Was ich allerdings nicht bedacht hatte, war der Umstand, dass er tagelang die Büsche und Bäume im Garten gestutzt hatte.
Was heißt gestutzt?
Nahezu vernichtet würde es besser treffen.
Ich war am Computer, musste lesen, schreiben, Kommentare beantworten.
Als ich den Garten betrat, war er eigentlich weg.
Ein paar Äste der mühsam großgezogenen Kirschlorbeerhecke waren übrig geblieben, der majestätische Ahorn auf ein Viertel geschrumpft, die Tuje - wo war die Tuje?
Jetzt zu maulen hatte wenig Sinn. War sicher auch gut, wenn wir die Nachbarn wieder einmal zu Gesicht bekamen.
Aber dann musste unbedingt noch das Haareschneiden sein. Meine Gehirnsynapsen schwiegen, sahen die drohende Gefahr nicht.
Ein Blick in den Spiegel nach getaner Arbeit zeigte, dass er mich wohl mit dem Kirschlorbeer verwechselt hatte, oder mit dem Ahorn? Zum Glück nicht mit der Tuje.
Aber Haare wachsen ja wieder - und meine tun es zu meiner Beruhigung sehr schnell.
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