20 Jagdsaison
Die Jagdsaison ist eröffnet.
Keine Angst: Ich schieße nicht auf Niederwild, nicht auf Rotwild, Damwild, Schwarzwild.
Ich schieße gar nicht.
Eigentlich bin ich auch nicht die Jägerin, sondern die Gejagte.
Meine Widersacher lauern auf mich im Hinterhalt, überall, immer.
Wenn ich töte, dann nur aus Notwehr.
Gestern hat mich die erste Feindin in diesem Sommer erwischt. Ohne Vorwarnung hat sie angegriffen, kein Laut hat mich gewarnt.
In die rechte Stirnhälfte hat sie mich gestochen, innerhalb von Minuten mutierte ich zum Einhorn - asymmetrisch und ganz und gar nicht rosafarben.
Da wusste ich, die Schonzeit war wieder einmal vorbei.
Die Schnaken, Mücken, Moskitos sind zurück.
Das bedeutet: Keine kurzen Hosen, T-Shirts, nackte Füße am Abend mehr – auch nicht in tropischen Nächten.
Dafür stichsichere Hosen, Socken, Blusen – ja, das besitze ich alles.
Seit letztem Sommer sogar ein Netz, das man über einen Hut hängen kann und das Gesicht schützt.
Hübsch ist anders, aber ein verschwollenes Auge sieht auch nicht prickelnd aus.
Das erste habe ich mir auf einem Campingplatz in Bibione eingefangen, beim Abspülen in der Gemeinschaftsküche. Ich wusste ja schon immer, dass Hausarbeit für mich gefährlich ist.
Am nächsten Morgen war das rechte Auge komplett zu, einäugig torkelnd wurde ich von meinem Mann zu einem Touristenarzt gebracht.
Der verschrieb Cortisontabletten und eine Salbe, nach drei Tagen konnte ich stundenweise die Sonnenbrille abnehmen, ohne zu riskieren, dass Kinder schreiend vor mir wegliefen.
Das zweite Mal erwischte es mich in Cecina, ich zeigte in der Apotheke die Tablettenpackung, bekam aber nur eine Cortisonsalbe. Doch sie wirkte, ebenfalls nach drei Tagen sah ich wieder zweiäugig. Letztes Jahr dann in den Marken war es nach dem großen Regen wieder einmal so weit. Mein Mann brachte mich in ein kleines Provinzkrankenhaus, der etwas betagte Arzt inspizierte mein Auge, fragte: „Wann war?"
„Gestern", antwortete ich.
„In drei Tage ist vorbei", versicherte er und döste weiter unter den schattigen Arcaden.
Und er hatte recht. Auch ganz ohne Cortison: In drei Tage war die Schwellung vorbei!
Zu Hause ist alles einigermaßen erträglich, wir sind bestens ausgestattet. Fliegengitter an den Fenstern, ein- und abbaubare an den wichtigsten Zimmertüren, ein großes Moskitonetz über dem Bett, das gegen ganz einfallsreiche Viecher heruntergerollt werden kann.
In Italien ist das dann schon problematischer. Zwar gibt es immer häufiger Fliegengitter an den Fenstern, aber wegen der Hitze ist es schwierig, bei geschlossenen Türen zu schlafen.
Und diese Viecher sind hochintelligent und erfinderisch. Eine Sekunde nicht aufgepasst, schon darf ich mich eine Nacht lang an dem melodischen „sssssss" erfreuen.
Natürlich nur ich. Mein Mann hat noch nie eine Mücke interessiert, dabei sind das doch immer die Weibchen, die stechen. Die brauchen das Blut, um ihre Eier legen zu können. Und ich soll die Population am Leben erhalten? Mir doch egal, wie die ihren Nachwuchs ernähren!
Das Schlagwort „süßes Blut" kann mich auch nicht im Geringsten trösten, wenn ich mit Beinen wie eine Leprakranke durch Urlaubsorte flaniere, wenn ich am ersten Tag sicherheitshalber den Ehering abnehme, weil mich mit Sicherheit bis zum Abend eine Patschhand erwartet, die zweimal so dick ist wie normal.
Wenn wir Glück haben, gibt es in einem Ferienhaus Balken im Schlafzimmer, an denen man das Moskitonetz befestigen kann. In unserem letzten Domizil war das nicht der Fall, das wussten wir schon im Voraus, also haben wir uns zwei Popup-Schutzzelte besorgt, in die man eine Matratze legen kann.
Dumm nur, dass das Bett eine durchgehende hatte, zwei auf zwei Meter. Blieb nur der letzte Rettungsanker, diese Sticker für die Steckdose, die Gift abgeben.
Wohl ist einem dabei natürlich nicht, aber manches ist einfach alternativlos.
Wie sah also so ein Urlaubstag aus, nachdem wir die Kälte und Tristesse im Mai, die täglichen Gewitter im Juni überstanden hatten, und uns im Juli die gnadenlose Hitze beinahe in die Knie zwang?
Aufstehen, rasend schnell ins Bad flitzen (etwas, das meinem Naturell sowas von entgegen steht), nach dem Duschen anziehen, alle freien Stellen der Haut mit Antimückenspray zukleistern, vor allem das Gesicht. Bäh!
Küsse gab es da eher selten.
Apropos: Spray.
Habt ihr schon mal versucht, einen Unterschenkel mit einer Düse einzunebeln? Dann seid ihr um einiges akrobatischer als ich. Ich muss die Flüssigkeit in die Hand schütten und mich dann einreiben.
Aber ich begreife schon das Geschäftsmodell dahinter. Beim Sprayen geht mindestes die Hälfte in die Luft, die Flasche ist doppelt so schnell leer.
Dann also in die Küche, frühstücken. Schmeckte alles etwas bitter.
Wieder ins Bad, Schmierzeug abwaschen, Sonnencreme auftragen, ins Auto rasen, bevor die Mücken meine Schutzlosigkeit wahrnahmen.
Nach dem Tag am Strand wieder duschen und zukleistern, vor dem Schlafen abwaschen, eincremen, ins Bett flitzen, Giftsticker anschalten, Ohren spitzen, aufatmen.
Hat mich dann doch mal eine besorgte zukünftige Mücken-Mutter erwischt, hilft Hitze. Viele Nächte habe ich in Urlauben schon damit verbracht, Löffelchen in kochendem Wasser zu erhitzen und auf Stiche zu pressen.
Dann entdeckte ich den elektronischen Hitzestift, da kann ich wenigstens liegen bleiben.
Dadurch ist mein Leben deutlich leichter geworden.
Das meines Mannes allerdings nicht, das Ding piepst nach jedem erfolgreichen Hitzeschuss – warum auch immer. Schließlich gibt es auch ein optisches Signal – das grüne Licht geht aus. Würde ja genügen.
Nun stürzen sie sich also auch hier in Deutschland auf mich – und wir wohnen nicht einmal in einem Hochwassergebiet. Mein ganzes Mitgefühl gehört denen, die nach den ganzen Schäden jetzt auch noch mit der Schnaken-Invasion leben müssen.
Ich hoffe von ganzem Herzen, ihr seid gut gerüstet für den Kampf.
Und vergesst nicht: Es braucht kein Cortison.
„In drei Tage ist vorbei!"
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