2 Mann backt
Ich liege mit einem geschwollenen Fuß, den ich schonen soll und der in einen grauslich nassen Kühlverband eingewickelt ist, bibbernd auf dem Sofa unter einer Wolldecke.
Ich bin fix und alle, der Besuch beim Orthopäden mit MRT, Röntgen und langen Wartezeiten hat mich umgehauen.
Eigentlich möchte ich nur ein wenig lesen, auf dem Handy – wieder einmal.
Mein Mann möchte backen. Die Semmeln sind aus, das heißt, dass sein Leben in ernster Gefahr ist.
Ich muss vielleicht anmerken, dass er ein absolut liebevoller, pflegeleichter Ehemann ist, der klaglos beinahe den gesamten Haushalt schmeißt – Ausnahme Kochen und Backen.
In Coronazeiten habe ich begonnen, Brot und Semmeln zu backen, mittlerweile zehn verschiedene Sorten. Dadurch hat sich bei ihm eine starke körperliche und seelische Abhängigkeit entwickelt. Er isst Backwaren zu allem: Zu Kartoffeln wie Nudeln, zu Spätzle, Gnocchi oder Reis. Manches Mal hatte ich das Gefühl, das Brot wäre die Hauptspeise für ihn, seinem verklärten Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
Nach dem Urlaub bin ich noch nicht zu mehr als Semmeln backen gekommen, und heute Morgen hatten wir die letzte verzehrt. Also er. Ich hatte ein Hotdog-Brötchen in den Tiefen der Gefriertruhe gefunden, hatte ihm weiß gemacht, dass ich nichts lieber aß.
„Ich mach das ganz alleine. Ich kann das. So schwer wird es schon nicht sein!" versichert er.
Ich nicke gottergeben.
„Du musst mir nur sagen, was ich machen muss!"
Klar! Er könnte natürlich auch das Rezept lesen.
„Also!" kommt mein erstes Kommando. „580 Milliliter lauwarmes Wasser."
„Wie? 580 Milliliter?"
Was antwortet man auf diese Frage?
„Na, 580 Milliliter eben! Im Messbecher!"
„Sag das doch gleich!"
Wo sollte man sonst Wasser abmessen?
„Ich habe jetzt 620 Milliliter!" verkündet er stolz.
„Dann gieß 40 Milliliter ab!"
„So genau muss das bestimmt nicht sein!"
Ich atme tief durch. Wenn er meint! Ist sein Teig, der dann an den Händen kleben wird.
„Und jetzt?"
„Einen Würfel Hefe aus dem Gefrierfach ins Wasser werfen."
„Aus dem Gefrierfach? Haben wir keine frische?"
„Nein!"
„Und warum nicht?"
„Weil ich nicht gewusst habe, dass du heute backen willst, weil wir immer tiefgefrorene verwenden."
„Die ist bestimmt nicht so gut wie frische."
Der Fachmann spricht.
„Das macht keinen Unterschied! Mache ich seit Corona immer so."
„Was nicht heißt, dass es gut ist! Das sind lebende Kulturen, die können das Einfrieren nicht unbeschadet überstehen!"
„Und was ist mit Trockenhefe?" halte ich dagegen.
Im Augenblick fehlt ihm eine Antwort, aber ich bin sicher, dass er später im Internet recherchieren wird, um mir die Unmöglichkeit meiner Theorie zu erklären.
Ich ärgere mich, dass ich nicht vor ihm auf die Idee gekommen bin. ChatGPD hätte sicher Argumente gefunden, um mich zu unterstützen.
Murrend holt er einen Würfel aus der Gefriertruhe, versucht das Papier abzuziehen.
„Kurz unter warmes Wasser halten!" rate ich.
„Dann taut sie ja auf!"
„Soll sie ja! Irgendwann!" Wenn alle Diskussionen geführt sind, hat sie vielleicht eine reelle Chance dazu.
„Und jetzt?"
„Warten, bis die Hefe aufgetaut ist."
„Wie lange dauert das?"
„Bis sie eben aufgetaut ist!"
„Wie merke ich das?"
Langsam denke ich, er nimmt mich auf den Arm. Der Mann ist schließlich hochintelligent.
„Wenn keine feste Materie mehr im Wasseruniversum zu sehen ist!" Vielleicht versteht er diese Sprache besser.
„Alles klar!"
Habe ich es doch geahnt.
Die Wartezeit nutzt er durchaus geschickt. Zwei Backbleche mit Backpapier belegen, mit Mehl bestäuben, das Holzbrett vorbereiten.
Da hat er wohl bei mir schon ein paarmal zugesehen.
„Wie viel Mehl?" fragt er schließlich. Muss ich erwähnen, dass das Rezeptblatt vor seiner Nase liegt?
„Ein Kilo! Zwei Pfund! Tausend Gramm!" antworte ich, weil ich alles auswendig weiß.
Die Spitze hat er verstanden, holt die Waage und eine Schüssel.
„In einem Paket ist ein Kilo." erinnere ich ihn.
„Ich wiege lieber nach."
Okay! Wer beim Wasser großzügig ist, muss beim Mehl akribisch genau sein. Ist wohl männliche Logik. Vielleicht aber auch nur die Logik meines Mannes.
„Ha!" tönt es aus der Küche. „Wusste ich es doch! 997 Gramm!" Er geht in Richtung Speisekammer.
Er will aber jetzt nicht ein weiteres Paket wegen drei Gramm aufmachen, oder?
Er will!
„Okay! 1000 Gramm! Das kann ich jetzt in die Hefebrühe rühren?"
Ich würde die Küchenmaschine vorziehen, aber ein Mann braucht so etwas nicht.
Muskelkraft ersetzt Fliehkraft.
„Fertig!" verkündet er eine ganze Weile später, während der ich ihn nur hin und wieder etwas ächzen gehört habe.
Dieser Teig ist ein sehr zäher Teig! Auch mit 40 Milliliter Wasser zu viel.
Alarmlichter leuchten in meinem Kopf auf. „Hast du Salz und Backmalz dazugegeben??" frage ich vorsichtig.
Er stürzt aus der Küche. „Davon hast du nichts gesagt!" mault er.
Habe ich schon erwähnt, dass das Rezeptblatt vor seiner Nase lag? Ja, habe ich!
„Steht im Rezept!" weise ich jegliche Schuld von mir.
„Und jetzt?" Etwas verunsichert sieht er mich an. „Muss das noch sein?"
„Sollte es schon!"
„Das mach ich dann aber mit der Maschine! Der Teig ist ja zäher als Beton!"
Zum Glück geht er zurück in die Küche, sieht mein Grinsen nicht.
Ich bin mir nicht sicher, ob sich 20 Gramm Salz und 12 Gramm Backmalz noch in dem Teigbrocken verteilen lassen, aber richtig schlimm wäre das Fehlen auch nicht.
„Dann heize ich jetzt den Herd vor!" beschließt er. „Auf wie viel Grad?"
Kurz überlege ich, ob und wie ich ihm klar machen soll, dass wir Heißluft 200 Grad mit zusätzlicher Unterhitze brauchen.
Lieber wühle ich mich unter meiner Decke hervor, humple in die Küche, drehe an den beiden Schaltern.
„Hättest du mir auch sagen können!" mault er etwas beleidigt. „Ich muss das lernen!"
Kurz überfällt mich Panik. Soll das heißen, dass er ein neues Hobby zu finden in Begriff ist?
Oder hat der Arzt ihm etwas mitgeteilt, was er mir verschwiegen hat? Was mich in Zukunft hindern wird, Brot und Semmeln zu backen?
Ich schiebe meine Ängste beiseite, als er den Teig auf das Brett kippt.
„Was machst du?" frage ich vorsichtig.
„Die Semmeln formen?"
„Äh! Der Teig muss gehen!"
„Wohin?" Dass das ein Scherz war, kapiere ich schnell.
Er kratzt den Betonklops zurück in die Schüssel.
„Deckel drauf, ins heiße Wasserbad!" kommandiere ich.
Wenn das „Warum?" nicht gekommen wäre, wäre ich enttäuscht gewesen.
Ich atme dreimal tief ein und aus, mein Fuß pocht, mein Kopf auch.
„Weil Hefeteig Wärme braucht, um schneller aufzugehen!"
„Ich habe noch nie gesehen, dass du die Schüssel in heißes Wasser gestellt hast!" Es braucht mehr, um ihn zu überzeugen.
„Weil ich sonst mehr Zeit habe, weil sonst meistens die Sonne scheint oder der Ofen beheizt ist!"
„Ah, drum stellst du die Schüssel immer auf die Terrasse oder auf den Ofen!" Hatte ich schon erwähnt, dass er hochintelligent ist? Hatte ich!
Ich bereue noch einmal, dass ich nicht im Internet recherchiert hatte, um den Gärvorgang der Hefe zusammen mit Wasser und Mehl unter Wärmeeinfluss wissenschaftlich erklären zu können.
Womöglich wären die Teiglinge jetzt schon im Backrohr.
„Ich könnte das auch mit dem Föhn machen!" denkt er laut. „Oder dem Heizlüfter?"
„Kostet Strom! Der Backofen frisst schon genug!"
Damit habe ich ihn. Nicht vorzustellen, dass, wenn er wie jeden Morgen den Zählerstand abliest, ein paar Watt mehr als normal an Backtagen verbraucht worden wären. Oder Megawatt, oder was weiß ich. Ich verstehe davon nichts.
Der Schüsseldeckel ploppt auf, ich würde noch ein wenig warten, will es aber heute ganz einfach hinter mich bringen – ganz egal, was später aus dem Herd kommt.
„Du kannst anfangen!" erkläre ich und sehe gerade noch, wie er das Ceranfeld mit Mehl bestäubt. Zu fragen, warum, habe ich nicht mehr die Kraft.
Müde sinke ich auf das Sofa. Habe ich ihm jetzt gesagt, dass die geformten Semmeln mit Salzwasser bepinselt werden sollten und danach mit Sesam und Mohn bestreut?
Habe ich die Backzeit erwähnt? Aber, die steht ja auf dem Rezeptblatt! Allerdings steht da so manches!
Also wälze ich mich noch einmal hoch, beginne meinen letzten Vortrag.
„Weiß ich alles! Steht doch da!"
Als ich wieder aufwache, duftet es herrlich nach frischgebackenen Semmeln. Auf dem Esszimmertisch stapeln sich auf zwei Gittern 24 runde Dinger, die schon Ähnlichkeit mit Semmeln haben.
Doch!
Durchaus!
Zwar ohne Mohn und Sesam, etwas dunkel, aber, hm, sicher genießbar.
Daneben ein stolzer Kerl, der sie anhimmelt, sie immer wieder in die Hand nimmt, an ihnen riecht.
Ich nehme mir vor, morgen kein einziges kritisches Wort zu verlieren, sie lobend zu genießen.
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