17 Café Vielfalt

Heute möchte ich euch eine kurze Geschichte erzählen.
Keine, die euch zum Lachen bringt.

Vielleicht nicht einmal zum Schmunzeln.

Aber eine, die euch vielleicht ein wenig glücklich macht, so wie sie mich heute glücklich gemacht hat.

Eine, in der sich ein Kreis für mich geschlossen hat.

Der Tag hatte ganz gut begonnen.
Wir wollten zum ersten Mal in diesem Jahr eine richtige Radtour machen.

Für die Oberpfalz war Wärme gemeldet, ohne Unwetter.

Die Akkus der Räder waren geladen, die Reifen aufgepumpt, die Satteltaschen befestigt.
Da erreichte uns ein Telefonanruf – ein wichtiger Termin in der Stadt musste wahrgenommen und unsere Pläne mussten verschoben werden.

Nachdem der unangenehme Teil erledigt war, wollten wir dem Tag noch etwas Schönes abgewinnen und in ein Café gehen.

Da erinnerte ich mich an eine Sendung im BR über besondere Cafés in Bayern. Vor Monaten war da unter anderem vom Café Vielfalt in Regensburg berichtet worden. Das Besondere daran ist, dass es mitten im Evangelischen Zentralfriedhof liegt. Schon lange wollte ich da mal hin, denn neben diesem Friedhof bin ich aufgewachsen.

Nur eine Mauer trennte den Garten des Reihenhauses von den letzten Ruhestätten.

Gäste hatten sich immer wieder gegruselt, worauf meine Mutter entgegnet hatte: „Das sind die ruhigsten Nachbarn."

Die kleine alte Villa, in der das Lokal untergebracht ist, hatte ich noch nie gesehen und steht mitten in dem riesigen Friedhof. Die wenigen Freiplätze waren besetzt, also betraten wir den verwinkelten Innenraum. Ungefähr zehn Tische mit Stühlen und Bänken, einer in einer hübschen Nische, eine kleine Theke mit Kuchenvitrine und Kaffeemaschine. Alte Fenster, die den Blick auf viel Grün und Grabsteine frei gaben.

Hinter dem Tresen standen junge Frauen und Männer in einheitlicher Kleidung, die eines gemeinsam hatten: Sie alle zeigten Zeichen eines Handicaps, einer Behinderung – die meisten Trisomie21 – und sie alle lächelten glücklich, sich gegenseitig an und auch die Gäste.

Ein junger Mann kam an unseren Tisch: „Was darf ich Ihnen bringen?"

Unsere Wünsche kreuzte er mit einem Folienstift akribisch auf einer Karte an. Blitzschnell standen Kuchen und Cappuccino vor uns.

Da erst entdeckte ich die Visitenkarten in einem kleinen Holzkästchen, und wir erfuhren, dass das Lokal von der Lebenshilfe getragen wird.

Auf der Speisekarte fanden wir mehr Informationen: Junge Leute erhalten in diesem Ausbildungsbetrieb die Chance, im Dienstleistungsbereich Erfahrungen zu sammeln und sich weiterzuentwickeln.

Sehen Sie es uns nach, wenn wir uns die Zeit nehmen, die wir brauchen", las ich mit etwas feuchten Augen, weil ich nun mal so nah ans Wasser gebaut habe.

Das Motto, das über allem dort steht, sollte für uns immer und überall gelten: „Es ist normal, anders zu sein!"

Als dann auch noch ein Musiker begann, drei Handpans (Kuppeltrommeln aus Metall, könnt ihr googeln, ich habs auch getan) sphärische Klänge zu entlocken, waren wir mehr als froh, dass die Radtour nicht geklappt hat.

Manchmal scheint das Schicksal so ganz eigene Pläne mit einem zu haben.

Ach ja! Ein Kreis hat sich geschlossen für mich, hatte ich am Anfang erwähnt.

Als ich mit meinen Eltern in dieses Reihenhaus neben dem Friedhof gezogen bin, war ich zwölf Jahre alt.

Kurz nach dem Einzug, an einem Ferientag im August, lag ich wie so oft auf einer Liege im Schatten einer großen Fichte und las.
Eine laute tiefe Stimme, etwas langsam und schleppend, riss mich aus meiner Fantasiewelt: „Hallo! Ich bin Chrrrristian! Wer bist du?"

Mein ängstlicher Blick fiel auf einen Riesen mit dem freundlichsten Grinsen im Gesicht, das ich je gesehen hatte.

Von diesem Tag an verbrachten wir viel Zeit miteinander, wenn er von seiner Arbeit in der Behindertenwerkstatt, in der er Lastautos zusammenbaute, nach Hause kam.

Bis das Schicksal zugeschlagen hatte, sein Vater in Paris – dort war er immer wieder einmal als Fremdenführer tätig gewesen - von einem Raser überfahren worden und gestorben war.

Die Familie musste das Haus aufgeben und Chrrrrristian verschwand aus meinem Leben.

Ich hatte lange nicht mehr an ihn gedacht – bis ich die ONC-Novelle geschrieben habe, und er sich in meine Gedanken zurückschlich – mein Bernie.

Mein Mann und ich standen an der Mauer, die den Garten meiner Jugend und frühen Erwachsenenjahre vom Friedhof trennt, und ich erzählte ihm von dem freundlichen Riesen.

Ich hoffe, es geht ihm gut.


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