14 ESC
Achtung: Outing
Heute ist für mich einer der wichtigsten Tage im Jahreslauf.
Wichtiger als der Geburtstag der Schwiegermutter oder einer meiner Schwägerinnen. (Das sind allerdings viele Tage)
Heute, am 11. Mai 2024 ist es endlich wieder so weit: Der Eurovision Song Contest (ESC) wird mein Abendprogramm ausfüllen.
Ihr verzieht das Gesicht?
Macht nichts!
Das bin ich gewohnt!
Das steck ich selbstbewusst weg!
Viele Jahre lang war ich wahrscheinlich die Einzige in ganz Deutschland, die dieses Event verfolgt hat, mittlerweile sind wir, glaube ich, schon zu dritt.
Nein, Spaß beiseite. In letzter Zeit hat sich ein regelrechter Hype um das europäische Musikspektakel aufgebaut.
26 Länder haben in zwei Halbfinalen einen Platz für den Hauptact ergattert.
Das heißt, eigentlich nur zwanzig, denn Schweden als Veranstalterland, so wie die Big Five, die größten Geldgeberstaaten Deutschland, United Kingdom, Frankreich, Italien und Spanien, sind gesetzt.
Australien nimmt seit 2015 teil, nicht, weil Europa es unbemerkt annektiert hat, sondern weil des dort so viele Fans des Contest gibt, dass die European Broadcasting Union (EBU) das Land in seine Reihen aufgenommen hat.
Das zweite nicht-europäische Land ist Israel. In diesem Jahr werden Tumulte während des Auftrittes befürchtet.
Interessiert euch nicht?
Mir egal.
Mein Fachwissen muss ich schließlich loswerden.
Da gibt es dann Punkte für gute Recherche.
Für mich ist dieser Abend etwas Besonderes, immer, jedes Jahr.
Nicht, weil ich als Patriotin auf einen Sieg Deutschlands hoffe.
Ich bin keine deutsche Patriotin, sondern eine europäische, oder eine erdliche. Kann man das so sagen? Die allwissende Autokorrektur kennt das Wort nicht, erfinden wir es einfach.
Wer gewinnt, ist mir also vollkommen egal, so lange es unter all den Auftritten einen Song gibt, der mich berührt, anspricht.
Ein Song, der mich dazu bringt, ihn in den nächsten Tagen zwanzigmal auf You Tube anzusehen.
Der aber mit Sicherheit nicht den ersten Platz erreichen wird.
Egal - mir ist dieser Tag etwas wie heilig.
Einmal in der Vergangenheit hatte ich den Sendetermin nicht auf dem Schirm, habe einer Einladung bei Nachbarn zugesagt. War aber nicht schlimm, ich habe die Sendung aufgenommen und bis morgens um vier geguckt.
Ein anderes Mal hatte ich mit meiner Schwester ein Welllnesswochende gebucht, wir saßen auf dem Bett in meinem Hotelzimmer, haben uns eine billige Flasche Rotwein mit Schraubverschluss geteilt und das Laken ordentlich vollgekrümelt. Sie mit Nussschokolade, ich mit Kartoffelchips, während wir mitgefiebert haben.
Besonders speziell war der heilige Termin im letzten Jahr. Wir waren ja für drei Monate in Italien - und der Mai war, deutlich ausgesprochen, saukalt. Nachdem ich zuerst ein wenig traurig gewesen war, dass ich das Musikspektakel nicht ansehen konnte, nachdem mir ein Licht aufgegangen war, dass ja auch Rai übertragen würde, ich ja nicht die Moderatoren verstehen musste, sondern nur die musikalischen Beiträge sehen wollte, ging die Sonne in meinem Herzen auf. Leider nur in meinem Herzen.
So saß ich bei 15 Grad Zimmertemperatur, bekleidet mit Leggins unter den Jeans, gestrickten Socken und Wanderschuhen, Fleecehemd und Fleecejacke, eingehüllt in eine Wolldecke auf zwei Campingstühlen im Wohnzimmer, der Heizlüfter quälte meine Umweltseele.
Warm wurde es nicht, weil wir nicht überrissen hatten, dass durch den - übrigens unbrauchbaren - offenen Kamin jedes Wärmegrad, das der Heizer erzeugte, entfleuchte.
Der Rotwein wärmte auch nicht wirklich, erst der Tee mit Rum, den der beste aller Ehemänner mir servierte, taute mich ein wenig auf.
Zum Glück.
Denn der Wettbewerb war zwar unspektatulär wie immer, Deutschland wurde wieder Mal Letzter, aber ich habe Marco Mengoni, den Italiener, der den vierten Platz belegte, entdeckt.
Sein Song "Due Vite" gehört seitdem zu meinen Alltime-Favorites.
Den Text habe ich mir im Internet schon ein paarmal übersetzen lassen, ich verstehe ihn zwar immer noch nicht, aber das ist egal.
So, das war 2023, mal sehen was 2024 bringt.
Eine gute Flasche Wein steht bereit, Erdnussflips in Kugelform (ganz neu auf dem Markt) und Zwiebelringe (also auch so Maiszeug, keine richtigen) ebenso.
Mein Mann wird auf den Dachboden verbannt, nein, er geht freiwillig, denn er hat sehr sensible Ohren.
Dort wird er malen oder eine Terra X Sendung ansehen, oder einfach schlafen.
Ich werde mich schütteln bei fürchterlichen Auftritten,
- werde einen Block in Händen halten, auf dem ich meine Favoriten notiert habe,
- werde Salziges und Fettiges in mich hineinstopfen (auf das Abendessen hatte ich verzichtet)
- werde mich furchtbar aufregen, wenn östliche und skandinavische Nachbarstaaten im Kreis abstimmen, wofür die westlichen und südlichen immer zu blöd sind (oder zu ehrlich?)
- werde auf Punkte von Österreich und der Schweiz hoffen, die wieder nicht kommen,
- werde mich wundern, warum unser Kandidat seit dem Vorentscheid nicht wenigstens ein paar Pfund abgenommen hat (Nein! Kein Boddyshaming! Aber ... naja ... das Auge hört halt mit),
- werde von Song zu Song auf eine wunderbare Überraschung hoffen, die meinen Ohren schmeichelt,
- werde genießen, dass Peter Urban, der immerwährende deutsche Sprecher, der zunehmend mehr an der Kleidung und den Formen der weiblichen Teilnehmerinnen interessiert zu sein schien als an den musikalischen Darbietungen, ersetzt worden ist
- werde vielleicht meinem Mann, wenn er gegen ein Uhr morgens sein Exil verlässt und fragt: "Na, wie wars?" antworten können: "Wir sind nur Vorletzte geworden."
Morgen werde ich dann auf das Frühstück verzichten, weil mir noch immer schlecht ist von all dem Knabberzeug, und ich werde mich auf nächstes Jahr freuen, auf diesen wichtigen Tag im Mai.
Aktuelle Eilmeldung: Gerade habe ich in den Nachrichten gehört, dass der niederländische Sänger ausgeschlossen wurde, weil er ein weibliches Mitglied des Produktionsteams angegriffen hat. Wie blöd kann man denn eigentlich sein? Aber - Hut ab vor der Konsequenz der Organisatoren.
Nachtrag
Boa! Die Schweiz hat gewonnen! Glückwunsch, @brunoheter ! Falsch gedacht!
Wir haben drei Punkte aus der Schweiz bekommen! Der pure Wahnsinn! Unser Dank wird euch ewig nachschleichen und euch nie erreichen!
Von Österreich haben wir natürlich keine Punkte bekommen, das war ja klar.
ABER WIR SIND ZWÖLFTE VON 25 GEWORDEN!
Und Österreich Vorletzte!
Ist zwar nicht wirklich wichtig für das Weltgeschehen, aber es schadet auch nicht.
Vor allem, weil die Länder Europas Deutschland nicht mehr ignorieren.
Es gab dieses Mal auch deutlich weniger Nachbar-Stimmen, habe ich das Gefühl.
Die Auftritte waren teilweise ziemlich bizarr, haben mich eigentlich von den Songs angelenkt.
Also, schön wars trotzdem - bis zum nächsten Jahr.
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