Prolog ϟ ONSET

On My Own - Ross Lynch ♪♫

Es war voll, es war stickig, es war laut. Viele Menschen wuselten überall herum, die aufgeheizte Luft hing dick unter der Decke und erschwerte das Atmen und die Rufe des Abschieds, die Gespräche und die Willkommensschreie rollten mit mächtiger Gewalt an den steinernen Wänden hoch und brachen wie eine Flutwelle auf die Massen und mich herab.

Mit gesenktem Kopf schob ich meinen Gepäckwagen über den vollen Bahnsteig. Er rasselte, wenn die Räder über die Steinbodenkerben ruckelten. Neben mir gingen meine Eltern.

Das Leuchten in den Augen meiner Mutter entfiel mir nicht. Sie musste es vermisst haben, hierher zu kommen. Die Augen und Gesichtszüge meines Vaters dagegen sagten das aus, was sie immer taten: Desinteresse. Obwohl seine Augen nicht hin und her zuckten, gierig, alles aufzunehmen, was sie erblicken konnten, sprachen sie Bände.

Würde er mir diese eine Sache nicht immer wieder einprägen wollen, wäre er gar nicht hier, sondern womöglich bei meiner kleinen Schwester geblieben, die Zuhause bei unseren Nachbarn verweilte.

"Da vorne sind die Bahngleise neun und zehn", sagte ich und deutete auf die Wand.

"Ach, da sind wir schon. Willst du mit mir zusammen durchlaufen?"

Vage nickte ich. Mein Vater verdrehte die Augen. "Sind wir hier im Kindergarten? Was sind das für Sperenzchen? Das ist nur ein dummer Durchgang, kein Grund, eine große Sache daraus zu machen."

"Für dich vielleicht nicht, Lucian, aber für Kassy schon", nahm Mum mich in Schutz. Aufmunternd lächelte sie mir zu.

"Dann macht aber schnell und passt auf, dass die Muggel euch nicht sehen."

"Es ist voll Dad, da kriegt das niemand mit", flüsterte ich und Mum drückte meine Hand.

"Komm", forderte sie mich gut gelaunt auf und gemeinsam gingen wir auf die Wand zu. Mein schwarzer Umhang flatterte durch die Gegend und ich musste aufpassen, dass er sich nicht zwischen meinen Beinen verfing.

Obwohl ich wusste, dass sie nachgab, zuckte ich leicht, als der Gepäckwagen die Wand berührte. Doch wie erwartet verschwand der Wagen in ihr, dicht gefolgt von Mum und mir. Es wurde kurz kalt um mich, aber direkt darauf angenehm warm.

Wir waren am Gleis neundreiviertel angekommen. Mum schob den Gepäckwagen zur Seite und im nächsten Moment kam Dad aus der Wand.

Gemeinsam liefen wir zum Zug. Der weiße Dampf des Hogwarts-Expresses hing unter der hohen Decke und obwohl es noch voller war, erdrückte die Atmosphäre einen nicht.

"Lucian, geh du doch schon zu Gregory. Kassy und ich bringen ihr Gepäck weg und kommen dann", sagte Mum. Dad nickte und verschwand im Gewusel.

"Komm, Kassy."

Ich folgte Mum durch die Massen. Sie blieb bei einem jungen Mann stehen, der meinen Koffer vom Gepäckwagen schweben ließ und meine Tasche in die Hand nahm.

"Soll die mit zu deinem Koffer oder willst du sie mitnehmen?", fragte er mich.

Unsicher sah ich zu Mum hoch, die die Hand nach der Tasche ausstreckte. "Wir nehmen sie mit, danke."

Mum reichte mir die Tasche und wir drängten uns wieder durch die Menschen zu Dad.

Es dauerte eine Weile, bis wir Dad gefunden hatten, aber schließlich war er nicht mehr zu übersehen. Es lag weniger an ihm, mehr an Gregory Goyle, ein Freund meines Vaters.

Ich mochte Gregory nicht. Er war groß, ausdruckslos, langweilig und definitiv nicht der Hellste. Dad kannte ihn von der Arbeit. Ich war mir sicher, dass Dad ihn nicht freiwillig als erste Wahl angesprochen hatte, aber so hohl Gregory auch war, hatte er trotzdem Kontakte, die mein Vater begehrte.

"Und das ist eure kleine Kassy", begrüßte Gregorys Frau, Christina, mich überschwänglich. Sie schien mir nicht ganz so blöd zu sein, aber sie hatte Gregory geheiratet und das sagte fast alles aus.

Nichtsdestotrotz hatte Christina leider Recht, groß war ich nicht wirklich. Mum war auch eher klein. Das hieß allerdings noch lange nicht, dass ich es mochte, so genannt zu werden.

"Hallo Christina!" Mum streckte die Hand aus und schüttelte Christinas freundlich. "Wo ist Nico? Wie geht es ihm?"

Innerlich schüttelte ich mich. Nico war noch schlimmer als Gregory. Während Letzterer nämlich den Platz von zwei Menschen einnahm, war Christina spindeldürr. Es war einfach nicht mehr schön, wie ihre Schlüsselbeine aus ihrer fahlen Haut hervortraten. Und Nico war die perfekte Mischung - er hatte fettige braune Haare, die ihm vor den Augen hingen, einen verpennten Blick, er war kein Spargel aber auch keine Kartoffel. Ein gut genährter Spargel.

Und die Motivation, die er ausstrahlte, entsprach in etwa der meines Vaters: Sie riss den noch so schönsten Sommertag in den Abgrund.

"Nico ist schon im Zug, war ganz aufgeregt. Kassy sollte sich auch schon auf den Weg machen, es ist kurz vor elf."

"Oh, so spät schon? Hast du alles, Schatz?", fragte Mum mich hektisch und strich die Schultern meines Umhangs gerade.

Ich nickte. "Koffer, Tasche, Geld. Alles da."

"Ach Kassy, ich werde dich so vermissen!" Mum umarmte mich und ich klammerte mich mit meinen Finger an ihren dünnen Pullover.

Ich freute mich auf Hogwarts, hatte die gesamten Sommerferien von nichts anderem geträumt, aber ich würde Mum schrecklich vermissen.

Natürlich war es, wie Mum sagte, ein Neuanfang. Ein sehr guter Neuanfang, aber dennoch hart.

"Du schaffst das schon", flüsterte Mum mir in meine leicht gelockten braunen Haare und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. "Ich weiß, dass du es schaffst."

Sie hatte Tränen in den Augen und ich lächelte sie an. Irgendwie würde ich es schon schaffen.

"So Anne, jetzt lass mich nochmal mit Kassy reden", unterbrach Dad uns und zog Mum weg.

"Lucian, muss das jetzt sein?", beschwerte Mum sich, aber Dad stellte sie mit einem Handwinken ruhig und drängte mich von den Goyles weg, an die Mauer des Bahnsteigs.

"Hör mir mal zu, Kassy", begann er und ich wusste schon genau, was kommen würde, "es ist jetzt ganz wichtig, was ich dir sage. Wenn aus dir später mal was werden soll, dann musst du nach Slytherin kommen. Das ist wichtig, verstehst du? Nur so kommst du später im Ministerium durch meine Kontakte zu einer hohen Position, verstanden?"

Ich nickte, doch sah Dad nicht in die Augen. Mein Blick war nach unten gesenkt und ich trat vorsichtig mit meinem einen Schuh auf die Kante des anderen.

"Sehr schön. Schreib mir gleich, wen du als Freunde in Betracht ziehst und ich werde sie überprüfen lassen. Ach, und - sei nett zu Nico, aber halt dich fern von ihm. Wenn er nur ansatzweise so blöd ist wie Gregory, dann schränkt er dich nur ein."

Mit dieser Anweisung konnte ich leben. Dad nahm seine Hände von meinen Schultern und führte mich zurück zu den anderen.

"Kassy, schnell, es ist eine Minute vor elf!", hetzte Mum mich, schnappte nach meinem Umhang und schob mich zu einer der vielen Türen des scharlachroten Hogwarts-Expresses.

Die Menschentraube hinter uns schloss die Sicht zu Dad und Mum nahm augenblicklich meinen Kopf in die Hand. Sie strich mir eine Strähne hinters Ohr, hob mein Gesicht leicht an und schaute mir tief in die Augen.

"Egal was Dad gesagt hat, hör nicht auf ihn. Geh in das Haus, welches dein Herz dir sagt. Such dir deine Freunde nach deinem Bauchgefühl aus. Tu das, was dich glücklich macht. Mach Fehler, das ist wirklich nicht schlimm, im Gegenteil, du lernst aus ihnen. Und Kassy, bitte pass auf dich auf. Du bist clever und gutherzig, lass dich nicht ausnutzen."

"Ja Mum, ich passe auf, versprochen."

"Komm her, meine Kleine."

Mum zog mich wieder in ihre Arme. Nach einer Weile hob sie mich hoch und setzte mich auf der Metallstufe der Tür ab.

Die Schaffner pfiffen, der Hogwarts-Express dampfte und ein schrilles Pfeifen dröhnte aus dem Schornstein.

"Schreib mir, ja? Schick mir eine Eule, wenn Dad bei der Arbeit ist, in welchem Haus du bist! Ich bin stolz auf dich, Kassy. Du schaffst das!"

Der Zug kam ins Rollen und ich hielt mich an der geöffneten Tür fest.

"Lass dich nicht runterziehen, verschenk dein Vertrauen nicht und hör nicht auf die Älteren, such dir deinen eigenen Weg!"

"Auf Wiedersehen, Mum! Grüß Saiph von mir!", rief ich, da der Zug sich nun in eine schnellere Bewegung setzte.

"Werde ich, auf Wiedersehen, Kassy! Bis Weihnachten! Schreib mir!"

"Mach ich, Mum!"

Ich winkte ihr. Sie winkte zurück, doch ich sah es nur noch kurz. Der Zug dampfte aus dem Bahnhof und ließ Mum und die anderen Eltern kleiner werden. Sie wirkten bald nur noch wie Spielzeugfiguren.

Ich hatte mächtig Angst vor dem, was mich erwarten würde. Doch ich ging mit Zuversicht in diesen Neuanfang, denn es war meine Möglichkeit, nochmal von vorne anzufangen.

Selbstsicher wollte ich die englische Luft ein letztes Mal einatmen und dann in den Zug gehen, als ich am Umhang gepackt und in den Gang gezogen wurde.

"Das reicht jetzt aber! Das ist gefährlich, komm schon, rein!"

Ein großes hübsches Mädchen hatte mich in den Zug gerissen und machte nun die Tür zu. Ihre langen braunen Haare waren mit blauen Strähnen durchzogen und sie wirkte ziemlich elegant, was mir irgendwie Angst einjagte.

"Oh, entschuldige bitte. Ich dachte, du wärst einer von den Flints. Die machen nur Ärger! Aber wie ich sehe, bist du eine Erstklässlerin? Tut mir leid. Hi, ich bin Stella."

Sie lächelte mich an und ich grinste zurück. "Stella wie Stern?", fragte ich sie.

"Fast, eigentlich Estelle, aber den Namen mag ich nicht so gerne", gestand sie.

"Achso, ich finde ihn trotzdem schön. Ich bin auch - "

Plötzlich knallte es laut und der Flur des Waggons hinter Stella wurde stockduster.

"Oh, ich bringe diese Geschwister um! Tut mir leid, ich muss das klären, man sieht sich bestimmt!"

Damit drehte sie sich um, riss die Waggontür auf und rief: "Instant-Finsternispulver? - Echt jetzt? - Das ist mindestens zehn Jahre alt!"

Die Tür knallte zu und ich zog erschrocken die Augenbrauen hoch. Ich hielt es für besser, vorsichtshalber in diesem Waggon nach einem Abteil zu suchen.

Ich schob die Tür auf und wurde von anderen Schülern durch die Gegend geschubst. Still ließ ich es über mich ergehen und versuchte, Blicke in die Abteile zu erhaschen.

Schließlich wurde hinter mir eine Abteiltür aufgerissen und ein älterer Schüler von draußen schubste mich aus Versehen hinein.

Hochrot fing ich meinen Sturz ab und drehte mich um. Fünf Jungen starrten mich neugierig an. Sie wirkten älter als ich.

"'Tschuldigung, ist hier noch frei?", fragte ich mit trockenem Hals.

"Für dich? Nein", sagte einer der Jungs und machte mit seiner Hand eine scheuchende Bewegung.

"Hey, Dave, wieso denn nicht?", fragte der braunhaarige Junge, der neben ihm saß. Er schaute mich an und unsere Augen trafen sich. Seine waren genauso braun wie meine eigenen. Etwas in meinem Magen piekte mich und mir wurde schlecht. Schnell schaute ich weg.

"Weil unser Abteil voll ist, hier ist kein Platz für Erstklässler, und schon gar nicht für Mädchen. Mach 'ne Florfliege, Kleine."

Erschrocken konnte ich mich zuerst nicht bewegen, bis der Junge energisch in die Hände klatschte und ich schnell aus dem Abteil hechtete.

Die Tür ließ ich offen stehen und während ich in den nun etwas weniger vollen Gang stolperte, hörte ich noch, wie der Junge mit Dave diskutierte.

"Hey", sprach mich plötzlich ein Mädchen von der Seite an. Schon wieder zuckte ich zusammen.

"Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken."

Ich sah hoch - im wahrsten Sinne des Wortes, das Mädchen war riesig - und musterte sie. Ihr langes glattes blondes Haar hatte einen unverkennbaren Stich ins rötliche und sie schüchterte mich mit ihrem perfekten Aussehen dermaßen ein, dass ich nervös an dem Saum meines Umhangs spielte.

"Suchst du noch ein Abteil? Du kannst mit zu uns kommen, wir haben noch einen Platz frei. Ich bin Victoire, aber du darfst gerne Tori zu mir sagen."

"Ich bin ... Kassy", murmelte ich und räusperte mich.

"Kommst du mit?", fragte sie mich. Ich konnte kaum etwas sagen, deswegen nickte ich nur. Mein Hals fühlte sich nach wie vor trocken an.

"Super", freute Tori sich, "es geht hier lang."

Sie führte mich ein Stück zurück und schob dann eine Tür auf.

"Rein mit dir!"

Schüchtern betrat ich das Abteil und sofort schauten alle vier Insassen mich an. Victoire ließ sich auf der rechten Seite in die Polster fallen und zeigte gegenüber von sich auf den freien Platz.

Langsam schloss ich die schwere Tür und setzte mich.

"Leute, das ist Kassy", stellte Tori mich vor. "Ich hab sie auf dem Gang aufgesammelt. Kassy, das sind - Leute, stellt euch selbst vor."

Tori grinste und verschränkte frech die Arme.

"Hast du meinen Namen vergessen, oder was?", fragte der Junge neben Tori spitz. Sein Haar war dunkelbraun, doch die Spitzen verloren sich in einem giftgrün.

"Wie könnte ich deinen Namen vergessen, Teddy? Krieg du erst mal deine Haare in den Griff, sonst lassen deine Freunde dich nicht in den Gemeinschaftsraum, weil sie denken, dass du ein Slytherin bist."

"Tori, verschreck doch Kassy nicht. Also Kassy, ich bin Teddy Lupin, drittes Jahr, Hufflepuff", betonte Teddy und grinste Victoire frech an.

Neben Teddy saß ein braunhaariges Mädchen mit einer Brille, die Teddy freundschaftlich mit ihrer Schulter anstieß. "Ich bin Katie. Zweites Jahr und Gryffindor."

Sie nickte mir freundlich zu und ich lächelte zurück.

Als niemand was sagte, schaute Katie zu dem Mädchen, das ihr gegenüber saß. Diese blickte mich an und sagte dann: "Alia, erstes Jahr."

"Und ich bin Melody", sagte die dunkelblonde neben mir, ehe ich Alia antworten konnte. "Melody MacDougal. Auch zweites Jahr, das wird super. Reinblut, nur so. Du?"

"Freut mich", sagte ich leise. "Äh ... Halbblut. Aber ist nicht wichtig, oder?"

"Absolut nicht", mischte Victoire sich ein und warf Melody einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. "Und damit wir alle Unklarheiten aus dem Weg räumen, Halbblut, Halbblut" - Tori zeigte zuerst auf sich und dann auf Teddy - "Muggelgeborene" - sie zeigte auf Katie - "und ebenfalls Halbblut, oder?"

Alia nickte und schaute dann wieder aus dem Fenster.

"Sehr schön - und jetzt", Tori klatschte in die Hände, "wird gesnackt. Wer hat Hunger?"

"Ich", meldete Teddy sich blitzschnell zu Wort. Katie verdrehte lachend die Augen. "War klar, dass du jetzt schon wieder Nahrungsmangel hast", warf sie ihm vor.

"Immer", grinste Teddy und zwinkerte mir zu. "Man muss sich bedienen, bevor das Beste weg ist."

ϟ          ϟ          ϟ

Das war nun also der Prolog. Wie findet ihr's bis jetzt?

Es ist ein kleiner Einstieg in die Story, enthält aber wichtige Details, auch was die Beziehungen zwischen den Charakteren angeht.

Was haltet ihr von Kassys Dad?

Und wie findet ihr Kassys neue Freunde? Habt ihr schon einen Lieblingscharakter?

Next Update ⥋ 01.09.2017 (Friday)

[27.08.2017]

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