Kapitel 9 ϟ Nervousness

Everybody Hates Me - The Chainsmokers ♪♫

Wieso ich nervös war, wusste ich nicht. Trotzdem stand ich an den Tresen gelehnt, mein einer Fuß wippte auf der Spitze ungeduldig auf und ab und meine Nägel trafen in einem Halben-Sekunden-Takt auf das helle Holz.

Ich wartete auf Madam Pince, da ich noch nicht ganz nachvollziehen konnte, worin die Strafe in unserer Arbeit bestand. Die letzten Tage mussten wir zwar Bücher von dem Tresen weiter vorne einsortieren, aber jetzt lagen keine zwanzig auf der anderen Seite der Platte. Ich fragte mich ohnehin, woher die ganzen Bücherstapel kamen. Die letzten Jahre lagen hier nie so viele Bücher rum, und dass die Erstklässler für das alles verantwortlich waren, hielt ich für etwas überspitzt.

"Ah, Miss Bole, da sind Sie ja. Mr Mendes wartet schon hinten", begrüßte Madam Pince mich sichtlich besser gelaunt als die letzten Tage. Musste wohl an der Teddy-freien-Zeit liegen - was wiederum, wenn man es so ausdrückte, echt mies klang.

"Hinten?", wiederholte ich verwundert.

"Ja, kommen Sie mit", forderte sie mich auf und ich folgte ihr um die Ecke.

Madam Pince führte mich in den Teil, der seit letztem Frühling gesperrt war. Dann seufzte ich und warf meinen Kopf in den Nacken. Jetzt wusste ich auch, woher die ganzen Bücher kamen.

"Wir mussten leider komplett umlagern. Dieser Teil wird lange nicht mehr verwendbar sein, ich hoffe, dass Professor McGonagall sich spätestens zum neuen Jahr darum kümmert."

Um diese Situation zu verstehen, musste man von dem Unfall unserer vier Ravenclaw-Jungs wissen. Der Grund, weswegen Gavin, Vince, Lian und Toby so tief in der Scheiße steckten, war simpler, als er sich anhörte: Sie hatten die Bibliothek gesprengt.

Allerdings war es nicht so, wie man es sich vorstellte: Vier kleine Streber üben nachmittags den Sprengzauber, der gewaltig nach hinten losgeht  - nein. Sie hatten die Ecke tatsächlich absichtlich gesprengt.

Der Auslöser? Eine mega dämliche Wette. Denn dadurch, dass unsere vier kleinen Streber wirkliche Streber waren, wollten sie den Slytherins gegenüber auch mal cool sein, und nach drei Schlucken Feuerwhisky (weswegen Luke übrigens auch echt Stress bekommen hatte) fraßen die vier Gree aus der Hand und feuerten jeder einen ordentlichen Sprengzauber auf die Bücher ab.

Dazu kam, dass sie diesen hervorragend beherrschten und schon die Tür gesprengt hatten, da Madam Pince es bevorzugte, die Bibliothek so abzuriegeln, dass nicht jeder Erstklässler mit Alohomora einbrechen konnte.

Viele Bücher verbrannten komplett, auch die Regale wurden in Asche zerlegt. Die Mauer zersprang und die Steine fielen auf den Rasen, sehr zu Filchs Leidwesen, bevor sie den Abhang runter purzelten. So klaffte die erste Zeit ein riesiges Loch in der Wand und wie es der April an sich hatte, regnete es in Strömen.

Bücher vertrugen sich weder mit Wasser, noch mit Feuer oder Asche oder Ruß oder was Vince noch alles losgelassen hatte. Der Schaden war kaum in Worte zu fassen.

Deswegen hatten die vier auch bis ans Ende des Schuljahres ein neues Hobby: Bücher ersetzen. Dem Schulverweis entkamen sie nur knapp. Laurent hatte mal wieder dafür gesorgt, dass Gree ungeschoren davon kam, auch wenn die ganze Schule wusste, dass sie mit drin steckte.

Henry hatte sich glücklicher Weise nicht zu dieser Aktion überreden lassen. An diesem Abend war er der absolute Loser, aber bis jetzt hatte er nur aus dieser Entscheidung profitiert.

"Aber ich persönlich", plapperte Madam Pince fröhlich weiter, "bin einiges optimistischer als Argus - ich meine natürlich Mr Filch. Der glaubt nämlich, dass wir keine Unterstützung des Zaubereiministeriums bekommen, wegen der Finanzkrise, die uns angeblich wegen der Muggel bevorsteht. Ich frage mich nur, was die Muggel damit zu tun haben?"

Heute trug Madam Pince eine Brille auf ihrer Nase, durch die sie mich nun neugierig anstarrte. Der Höflichkeit halber lächelte und nickte ich leicht. Die Bibliothekarin ließ sich davon nicht beirren.

"Nun ja, man munkelt, dass der Shacklebolt alt wird. Soll ersetzt werden und raten Sie, wer angeblich zur Debatte steht? Hermine Granger-Weasley! Meiner Meinung nach eine vorzügliche Wahl. Schlaues Mädchen, ich muss es wissen. Und sie wird das Geld schon hergeben. Mrs Granger-Weasley liebt Bücher und diese Schule. Ihr ist bestimmt der Kobold auf dem Dach verrückt geworden, als sie von dieser Aktion erfahren hat. Ich bin mir sicher, dass sie uns bald helfen wird."

Madam Pince hielt inne und ich rannte fast in sie. Wie erstarrt blieb ich wenige Zentimeter vor ihr stehen und sah auf sie herab. Sie war etwas weniger als einen Kopf kleiner als ich und meine Nase hing knapp über ihren Haaren.

"Wir sind da", sagte sie stumpf und trat zur Seite. Dadurch konnte ich mir ein eigenes Bild machen.

Mein Bücherherz blutete.

Die Regale waren bereits ersetzt worden, doch die alten oder das, was davon übrig war, stapelten sich an der Wand.

Die besagte Wand hatte viele Risse und sogar kleine Löcher. Die Steine, die damals gesprengt wurden, mussten wieder zur Mauer zusammengesetzt worden sein, auch wenn es eher notdürftig aussah.

Zwischen hohen Stapeln mit neuen, kaputten und halb zerstörten Büchern saß Shawn im Schneidersitz auf den Boden. Als er mich sah, lächelte er fröhlich und winkte mir zu.

Ich schenkte ihm lediglich ein Lächeln. Eventuell könnte er doch jemand anderen meinen.

Aber als ich mich vorsichtig umdrehte, war da niemand außer Madam Pince, die ihren Zauberstab zog.

"Ihre Aufgabe ist es, zu notieren, welche Bücher fehlen, welche zu sehr zerstört wurden und so nicht mehr repariert werden können und die, die noch heile sind oder nur kleine Kratzer haben, in die Regale zu sortieren. Sie wissen, wie man Bücher repariert?"

Diese Frage kränkte meine Ravenclawseele.

"Ich glaube, das kriegt sie hin", antwortete Shawn grinsend für mich. Ich nickte unterstützend.

"Nun gut. Ich lasse Sie dann alleine. Wenn Sie mich brauchen sollten, finden Sie mich vermutlich vorne. Ich werde die Bibliothek wie gewohnt um acht Uhr schließen, allerdings werden Sie länger arbeiten. Ich denke, gegen neun Uhr kann ich Sie gehen lassen. Mal sehen, wie Sie voran kommen."

Wie gewohnt huschte die kleine Bibliothekarin davon und ich seufzte. Neun Uhr? Ich war tot, Alia würde mich offiziell umbringen.

"Wieso räumen wir das nicht einfach alles mit einem großen Aufräumzauber auf?", warf ich in den Raum.

"Kannst du einen?", grinste Shawn nach wie vor.

"Ich nicht, aber du, dachte ich. Professor McGonagall wird doch wenigstens einen können, oder? Oder Professor Flitwick."

"Madam Pince hat gesagt, dass das zu gefährlich wäre, da die ganzen Bücher gegeneinander schlagen würden. Die neuen haben außerdem noch gar keinen Platz, wo sie hingehören und würden daher nicht reagieren", erklärte Shawn mir.

Ich konnte mir in etwa vorstellen, wie das Chaos aussehen musste: Wie Davinas Versuch von heute Morgen, nur in Groß.

"Alles klar, dann mal los", stieß ich aus, zog meinen Zauberstab und setzte mich zu Shawn auf den Boden. Mit Abstand natürlich.

Eine Zeit lang zauberten und schrieben wir nur. Zwischendurch stand einer von uns auf, um einen Stapel Bücher zu sortieren.

Doch die meiste Zeit herrschte eine unangenehme Stille. Ich persönlich beurteilte sie nicht als solche, aber ich hatte das Gefühl, dass Shawn sie als unangenehm empfand. Das löste auch in mir Unbehagen aus.

Als ich mich versuchte abzulenken, landete ich ziemlich schnell wieder bei dem Patronuszauber. Dann kam mir der Gedanke, dass ich Shawn fragen könnte, ob wir nicht eine Nachhilfestunde auf morgen Nachmittag verlegen könnten, damit er mir Tipps geben konnte.

Aber wie üblich traute ich mich nicht. Lange grübelte ich, wie ich anfangen könnte, aber nichts erschien mir cool genug.

Irgendwann regte ich mich selbst so sehr auf, dass ich beschloss, einfach gerade raus zu fragen. Doch die Wörter blieben mir jedes Mal im Hals stecken.

Innerlich zählte ich bis drei, aber es kam nichts aus meinem Mund heraus. Als hätte jemand einen Langlock auf mich gelegt.

Dazu kam noch mein Herz, welches dermaßen laut gegen meinen Brustkorb hämmerte, dass ich Angst bekam, Shawn könnte es hören.

Das Gefühl der Aufregung war so eklig, dass ich schnell nach einer Maßnahme suchte. Ich musste zuerst einfach so eine Konversation aufbauen.

Noch eine geniale Stärke von mir. Wie fing ich eine normale Konversation an, ohne aufdringlich oder nervig zu wirken? Was, wenn Shawn gar nicht mit mir reden wollte? Sonst hätte er mich doch schon längst angesprochen, oder?

Fragen über Fragen tummelten sich in meinem Kopf und warum auch immer schoss Maddox dazwischen.

Das war doch ein gutes Thema. Nicht zu aufdringlich, aber personenbezogen.

Okay, Kassy, dachte ich ruhig, aber dennoch schlug mein Herz wie wild. Das war auch der Grund, wieso ich im Unterricht nie etwas sagte.

Eins, zählte ich im Kopf. Diesmal würde ich es schaffen. Zwei ...

Meine Hände zitterten leicht und ich nahm schnell die Feder und tat so, als müsse ich sehr beschäftigt etwas aufschreiben.

Drei!

Die Frage blieb stecken. Zum Glück folgte kein Röcheln. Trotzdem regte ich mich über mich selbst auf. Ich wollte doch nur reden, wieso musste es mir mein Körper jedes Mal so schwer machen?

Sonst konnte ich mich mit Shawn wie mit meinen Freunden unterhalten. Wieso war ich jetzt so aufgeregt, wie bei Fremden?

Kassy, du Feigling, jetzt reiß dich zusammen. Du bist kein neugeborener Knuddelmuff, sondern verfluchte sechzehn Jahre alt!

"Was ist jetzt eigentlich mit Maddox?", sprudelte es aus mir heraus. Mein Herz klopfte wie verrückt und ich wünschte mir nur, dass es endlich aufhörte.

Shawn sah sofort hoch, doch in seinem Blick ruhte etwas Fragendes.

"Sorry, was? Du hast zu schnell gesprochen."

Klasse Kassy! Das auch noch!

Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Ich konnte nur hoffen, dass ich nicht rot wurde.

"Was jetzt - " Ich musste husten, da mein Hals plötzlich staubtrocken war und das folgende Wort erneut stecken blieb.

"Sorry", entschuldigte ich mich und versteckte mich unpassender Weise hinter meinen Haaren, damit Shawn mich nicht sah. "Was jetzt ... mit Maddox ist."

Und nach drei Jahren hat Kassy Bole auch endlich was zu Stande gebracht, herzlichen Glückwunsch. Darauf wäre nicht mal ein Flubberwurm stolz.

"Rosier?", nahm Shawn die Frage glücklicher Weise interessiert auf. "Keine Ahnung. Muss auf jeden Fall mächtig Ärger am Hals haben. Camila hat erzählt, dass seine ungesagten Zauber wohl Aufmerksamkeit erregt haben und jetzt hat seine Familie eine Untersuchungskommission am Hals. Ich persönlich hoffe ja, dass sie ein wenig mehr finden."

Ich runzelte die Stirn. "Du meinst sowas wie schwarze Magie?", hakte ich nach.

Shawns Mund verzog sich zu einem zufriedenen Lächeln.

"Ich meine genau schwarze Magie, ja", bestätigte er. "Du müsstest die Rosiers doch kennen, oder? Als Bole?"

Falsche Richtung, Shawn, ganz falsche Richtung, schoss es mir durch den Kopf. Doch das hätte ich ihm nie gesagt.

"Ja, schon von ihnen gehört ..."

Natürlich kannte mein Vater die Rosiers. Deswegen war er auch so ausgetickt, als er von der Sache erfahren hatte.

Danach trat wieder die Stille ein. Ich hatte es nicht geschafft, Shawn nach der Nachhilfestunde zu fragen.

Noch eine Konversation meinerseits würde ich nicht hinbekommen, damit war meine Chance vertan.

Mein zweites Ich beschimpfte sich gerade selbst für diese Dummheit, als Shawn anfing zu reden: "Ich hab gehört, ihr schmeißt heute Abend 'ne Party bei uns im Gemeinschaftsraum?"

Ich nickte und wollte ihm gerne mehr erklären, damit keine Missverständnisse entstanden, aber ich kannte meinen Hals.

Also krächzte ich ein "Reparo", hervor, räusperte mich und antwortete: "Party kann man das aber nicht nennen, wir treffen uns nur mit ein paar Freunden und feiern unseren Geburtstag."

Zwei Stapel angesengte Bücher schüttelten ihre Verbrennungen ab. Zufrieden strich ich sie von der Liste.

"Unseren Geburtstag? Wer hatte denn noch Geburtstag?", fragte Shawn neugierig. "Warte, ich helf dir."

Ich war aufgestanden, um die heilen Bücher in die Regale zu stellen. Shawn sprang auf und nahm sich einen Stapel.

"Alia hat heute Geburtstag", klärte ich ihn auf. "Deswegen passt mir die Strafarbeit auch gar nicht."

Nebeneinander stellten wir die Bücher in die Regale und ich spürte die angenehme Wärme, die Shawn ausstrahlte. Ich selbst schwitzte immer noch den Kaltschweiß der Aufregung, der mich frösteln ließ.

"Das verstehe ich. Ich hab übrigens Dave und Lewis gebeten, euch nicht zu verpetzen. Du weißt schon, weil ihr bei uns seid und nach neun nicht in euren Gemeinschaftsräumen", ließ Shawn mich wissen und ich glaubte, so etwas wie Stolz aus seiner Stimme zu hören.

"Das ist ..." Toll, was sollte ich antworten? Das ist schön für dich? Wieso erzählte er mir das? Damit konnte ich nicht umgehen!

"Das ist echt cool von dir", sagte ich schließlich, als meine Pause zu groß wurde.

Cool. Du mich auch, Kassy. Peinlicher ging es nicht, oder? Cool! Oh Merlin!

Das war auch gleichzeitig der Konversationskiller. Auf cool konnte Shawn natürlich nicht antworten. Kassy, du dämlicher Bowtruckle!

Nach drei weiteren Bücherstapeln hatte ich keine Lust mehr auf diese beknackte Stille und überlegte nicht lang.

"Sag mal, wegen der Nachhilfestunden", begann ich.

Shawn sprang sofort drauf an und ich dankte mir selbst für den Schritt. Jetzt sollte es leicht gehen.

"Ja, was ist damit?"

"Wir wollten noch genaueres Besprechen, wegen der Zeit", fand ich stockend nicht ganz so dumme Wörter. "Und der Ort ... wäre auch nicht schlecht."

"Ach, genau. Bibliothek geht ja nicht, also war ich schon bei McGonagall" - wow, sowas nannte man engagiert - "und habe das mit ihr geklärt. Wir können den Alte Runen Klassenraum benutzen, der ist um die Zeit frei. Wir wollten uns doch dienstags in der Freistunde treffen?"

"Genau, aber da hätte ich noch eine Sache ... vielleicht - "

"Shawn!"

Nicht ernsthaft!, brüllte ich fast laut. Ich stand so kurz vor dem Ziel und dann kam - wer überhaupt?

Ich sah ebenso wie Shawn auf. Von hinten wackelten schlanke ein Meter sechzig auf echt hübschen Beinen auf uns zu.

Camilas Haare wehten leicht nach hinten und wenn sie nicht schwarz gewesen wären, hätte ich sogar auf Veela-Vorfahren getippt.

Wäre genug Selbstbewusstsein vorhanden, hätte mein Blick sie vermutlich durchbohrt, aber ich traute mich (natürlich) nicht und sah nur auf das Pergament vor mir.

Meine Wut ließ ich ab, indem ich sie in mich hinein fraß und Camila in Gedanken lauter Beleidigungen an die perfekt gestylte Frisur warf.

Auf ihre Haare war ich wirklich eifersüchtig. Ihre Strähnen lagen wenigstens vernünftig und glänzten sogar im Fackelschein. Wie meine dagegen aussehen mussten, konnte ich mir nur vorstellen: Ungekämmte dunkelbraune Locken, die mich wie eine Vogelscheuche aussehen ließen.

"Hi, Camila", lächelte Shawn die Lateinamerikanerin an.

Ha! Er lächelte sie genau wie mich an, also war ich niemand Besonderes. Das war sehr gut, so würden meine Fehler nicht gravierend sein und Shawn wollte einfach nur besser in Zauberkunst werden. Das musste ich unbedingt Teddy erzählen.

"Hey, und hi ... Kassy, richtig?", sprach Camila mich an.

Als hätte mich eine Doxy gebissen, riss ich den Kopf hoch. Meinte sie mich?

"Äh ... ja, Kassy. Hi."

Dann sah ich wieder nach unten. Noch ein Satz, der mega peinlich war. Große Klasse, es wurde immer besser.

Doch mir fiel auf, dass es furchtbar unhöflich wirken musste, wenn ich so reagierte. Ich brauchte nicht auch noch einen schlechten Ruf (oder einen noch schlechteren, wer wusste schon, was Dave alles behauptet hatte).

Also tat ich so, als hätte Camila mich aus der Arbeit geholt und ich müsse nur kurz was auf der Liste kontrollieren, um danach wieder aufzusehen und mir ein Lächeln aufzuzwingen.

"Madam Pince schickt mich, euch zu sagen, dass ihr jetzt gehen könnt. Anscheinend habt ihr genug gemacht."

Hätte ich hier allein gesessen, wäre ich mir zu hundert Prozent sicher gewesen, dass Camila mich reinlegen wollte, aber dadurch, dass sich Shawn zu meiner Rechten befand und Camila diesen wohl nie ärgern würde, vertraute ich ihrer Aussage.

Der Blick auf die Uhr verbesserte alles, denn es war viertel vor acht.

Schnell sammelte ich mein Zeug zusammen und sprang auf.

Dabei fühlte ich mich jedoch so dämlich, dass ich schnell wieder einen Gang runter fuhr.

Camila stand so elegant neben mir, dass ich wie ein angetrunkener Wichtel wirken musste. Ich atmete durch und tat so, als wäre nichts gewesen.

"Ich geh dann mal, du weißt ja wieso. Man sieht sich", verabschiedete ich mich von Shawn.

"Aber klar", lächelte Shawn mich an. Es war das gleiche Lächeln wie bei Camila, ich war mir sicher.

"Tschau, Camila", hängte ich noch hinterher, um nicht unhöflich zu wirken.

"Auf Wiedersehen, Kassy", winkte sie mir zu, doch die aufgesetzte Fröhlichkeit war nicht zu übersehen.

Das interessierte mich jetzt aber herzlich wenig, denn ich kam, wenn ich mich beeilte, noch pünktlich zu unserer kleinen Party.

Die Party war tatsächlich eher klein geplant, auch wenn Teddy gern übertrieb. Im Prinzip waren es nur wir sieben, und Teddy, Henry und ich versuchten unter den Gryffindors nicht aufzufallen.

Im Prinzip. Allerdings hielt Teddy nicht sonderlich viel von Prinzipien.

Obwohl es quasi eine Höchststrafe war, das Passwort zu verraten, hatte Alia es mir heute Morgen gesagt, da ich ohnehin nichts Böses im Sinn hatte. Zumindest jetzt noch nicht.

Als die fette Dame zur Seite schwang, nachdem sie mich äußerst widerwillig nach dem Kennwort gefragt hatte, dröhnte mir bereits die Musik entgegen.

Ich kletterte durch das Portraitloch und kurze Zeit war es dunkel, da das Bild hinter mir sich wieder schloss. Dann wurde ich von bunten Lichtern erschlagen.

Auf dem Kaminsims thronte ein Radio, aus dem mit voller Kraft die Schwestern des Schicksals tönten. Das Feuer im Kamin wechselte mit dem Beat die Farbe und unter der Decke schwebten leere Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung Packungen, die in allen Farben leuchteten und Punkte gegen die Wände strahlten.

Der rot-goldene Gemeinschaftsraum war trotz geöffneter Fenster stickig. Es war so eng, man konnte nicht mal mehr einen Kniesel schwingen. Überall tanzten Gryffindors aller Altersklassen auf dem Teppich, auf den roten Sesseln und sogar auf den Tischen. Einige ältere Schüler grölten zu dem Hit Do The Hippogriff, den sogar ich noch kannte, und die jüngeren Schüler sahen dem Spektakel aufgeregt zu.

Zuerst überforderte mich die Situation ein wenig, da ich damit nicht gerechnet hatte. Ich fühlte mich in dieser Menschenmenge furchtbar unwohl, doch ich hielt es aus, da ich sicher sein konnte, dass mich niemand beachtete.

Ich hielt es für das beste, Tori, Alia, Katie, Henry oder Teddy zu finden, damit einer mir erklären konnte, was passiert war. Denn das hier war garantiert komplett eskaliert - und es war gerade mal acht Uhr abends.

Mit eingezogenem Kopf drängelte ich mich vorsichtig durch eine Reihe schwitzender Viertklässler, die ausgelassen einen seltsamen Tanz vorführten. Es wunderte mich ziemlich, dass keiner der Gryffindors einem Lehrer Bescheid gesagt hatte, denn es gab immer Spielverderber.

Nachdem ich zwei taumelnden Sechstklässlern ausgewichen war, sprang mir die Antwort ins Auge: Die einzigen beiden Schülerinnen, die wahrscheinlich ohne die getroffenen Maßnahmen unweigerlich zu Professor McGonagall gestratzt wären, standen regungslos an der Wand und versuchten etwas zu sagen, doch aus ihrem Mund kam kein Wort.

Petrificus Totalus und Langlock. Unheimlich einfach, aber mindestens genauso wirksam.

Ich tat so, als hätte ich die beiden nicht gesehen, denn mein schlechtes Gewissen meldete sich unweigerlich. Auch als ich an den drei Erstklässlern vorbei kam, die mit geschlossenen Füßen von der Decke baumelten, schluckte ich ein wenig. Womöglich war ich die einzige in diesem Raum, die nicht unter Alkoholeinfluss stand.

Mit ausgefahrenen Ellenbogen kämpfte ich mich weiter durch. Zwei riesige Jungs aus meinem Jahrgang traten zur Seite und dann sah ich Teddy - auf dem Tisch tanzend.

Auf den Stühlen daneben sangen und tanzten Alia und Katie mit ihm. Tori stand auf dem Boden und jubelte zu den Dreien hoch. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Cousine Molly, ihrer Schwester Dominique, Lewis, Henry und zu meiner großen Überraschung auch Sydney.

Das Hufflepuffmädchen hatte ich nicht erwartet. Doch als ich mich in ihrer Nähe umsah, bemerkte ich auch die Anwesenheit von Olivia, Davina, Ivy, Alice, Nate, Kieran, Isabelle und Weena.

Auf den zweiten Blick entdeckte ich weitere Hufflepuffs und Ravenclaws, sogar einige Slytherins - Gree stand bei Dave und auch Dorothy lachte mit ihnen, doch von Melody fehlte glücklicher Weise jede Spur.

Ich wusste nicht richtig, ob ich lachen oder weinen sollte. Es sah furchtbar lustig aus, wie meine Freunde angetrunken auf den Stühlen tanzten und aus vollem Halse sangen, andererseits tanzten sie angetrunken auf den Stühlen, sangen aus vollem Halse und waren wahrscheinlich für dieses Chaos verantwortlich.

Mit mulmigem Gefühl ließ ich die letzten Meter, die mich von Tori trennten, hinter mir. Ich atmete tief durch, dann tickte ich ihr an die Schulter.

Meine erste Aufforderung bekam sie anscheinend nicht mit und ich tickte sie erneut an. "Tori!"

"Hm?", reagierte sie. "Kassy! Endlich! Warte, ich besorg dir was zu trinken!"

"Nein!", stoppte ich sie sofort und hielt sie am Arm fest, da sie schon im Begriff war, den Feuerwhisky zu suchen.

Von meinem Vater wusste ich, dass das Zeug hart einschlug, vor allem, wenn man es das erste Mal in großen Mengen und kurzer Zeit trank. Doch die Wirkung hielt nicht lang an, wenn man sie nicht verlängerte. Ich konnte also nur hoffen, dass Tori bald wieder klar im Kopf werden würde.

"Kassy, du Spielverderberin! Was ist los mit dir? Sei doch nicht so verklemmt! Wow!", rief sie aus voller Kehle und jubelte, da Teddy soeben einen Backflip vom Tisch gemacht hatte.

Schockiert riss ich die Augen auf. Ich hatte Teddy noch nie einen Backflip machen sehen, er hätte sich alle Knochen brechen können.

Als ich mich umdrehte, war Tori bereits verschwunden und ich seufzte. Hier würde ich nicht weiter kommen, also versuchte ich es bei Teddy.

Dieser feierte nicht das erste Mal und ich war fest überzeugt, dass es bei ihm mehr die Laune und der Charakter als der Alkohol war.

"Teddy!"

Teddy blieb stehen, drehte sich um und als er mich als die Quelle des Rufes identifizierte, hellte sich seine Miene noch weiter auf, wenn das möglich war.

"Kassy! Da biste ja! Willste was trinken?"

"Wieso fragen das alle?"

"Das is 'ne Party, Sternchen, das macht man so", antwortete er.

"Teddy, seid ihr völlig übergeschnappt? Wie konnte das so eskalieren?"

"Eskalieren? Was is hier eskaliert? Das is 'ne suuuper Stimmung!"

"Akira Llewellyn und Enya Whisp lehnen verzaubert an der Wand und drei Erstklässler hängen von der Decke!"

Teddy entfuhren kurz die Gesichtszüge, doch dann fing ihn die Stimmung wieder auf. "Genial! Levicorpus war zur Zeit meines Vaters ein riesen Hit! Obercool, dann kann uns ja nich mal jemand verpetzen!"

"Edward!", fuhr ich ihn an. "Glaubst du ernsthaft, dass das hier noch lange klappt? Madam Pince schmeißt in fünf Minuten alle aus der Bibliothek, da ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Eve oder Malcom hier auftauchen!"

Teddy verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die ihn aussehen ließ, als würde er wahrhaftig nachdenken. Dann biss er sich auf die Unterlippe und zog die Nase kraus.

"Vielleicht haste recht...", setzte er an.

"Das vielleicht kannst du dir sparen, das weißt du", schnitt ich dazwischen.

"Scheiße ja, du hast recht", stöhnte er. "Das hier is das totale Chaos, aber ich kann auch nich viel machen. Tori is angeschlagen, Katie auch und Alia is bis oben dicht, mit der kannste gar nichts mehr anfangen."

"Wie konnte das denn überhaupt passieren? Ich dachte, wir wollten uns nur in eine Ecke setzten und ein bisschen quatschen?"

Das altbekannte Grinsen schlich sich zurück auf Teddys Lippen und er wurde rot. "Das is so 'ne Sache, war vielleicht 'n klitzekleiner Unfall ..."

"Kassy!", quietschte Alia und rannte auf mich zu, während sie immer noch die letzte Silbe meines Namens lang zog.

Mit voller Wucht schmiss sie sich in meine Arme und ich fiel fast um. "Lil", keuchte ich, "du bist echt schwer."

"Heavy on wire, defininitiv", lallte sie und grinste breit. "Ich bin sooo froh, dass du jetzt endlich da bist! Wie war dein Date mit Shawnie?"

"Lil, das war kein Date", widersprach ich.

"Das", betonte sie und hob den Finger, "sehe ich anders."

"Das ist schön für dich. Wie viel hast du getrunken?"

"Nich viel, ech nicht. Nua so 'n paaaar Feuerwhisky, ein, swei, drei oda meha Gläser Met und so ein Zeug, das hat Evan mitgebracht. Heist Bacardi Gold oda so. Geiles Zeug!"

Ich runzelte die Stirn. Evans Mutter kam aus Russland, daher vertrugen er und sein älterer Bruder Elay ziemlich viel. Doch dass mein Cousin tatsächlich Alkohol mit geschmuggelt hatte, machte mich ein wenig sprachlos.

"Das gibt Ärger...", murmelte ich fassungslos.

"Sicher?", hakte Teddy nach. "Vielleicht haben wir ja Glück und kriegen jetzt alles beendet."

"Was? Wieso?", rief Alia empört und kuschelte sich an meinen Arm.

"Teddy, wie gesagt: Das mit dem vielleicht kannst du echt vergessen", wiederholte ich mich. "Das gibt mächtig Ärger."

Ich war eine Ravenclaw; Ich hatte recht.

Denn Professor McGonagall war zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Weg hier her.

ϟ          ϟ          ϟ

Das gibt tatsächlich mächtig Ärger, was?

Ich würde nur zu gerne eure Theorien hören, wie das so eskalieren konnte und wie sich unsere Friends aus der Affäre ziehen wollen :D

Ich freue mich unglaublich auf eure Kommentare zum nächsten Kapitel!

Bis demnächst, Amelie :)

Next Update ⥋ 10.10.2017 (Tuesday)

[05.10.2017]

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