Kapitel 52 ϟ End

The Hurt Game - The Script ♪♫

[wichtige Anmerkung: my folks, das Kapitel kann zum Ende hin triggernd für selbstverletzendes Verhalten sein. Wenn ihr anfällig für solche Auslösereize seid, lest das Kapitel nicht oder nur in Gegenwart von verantwortungsbewussten Personen. Bei genaueren Fragen zum Inhalt oder wegen anderer Informationen könnt ihr mir jederzeit schreiben]

Ich beschloss, dass der Freitag in Zukunft mein Lieblingstag werden würde - nicht nur, weil das Wochenende vor der Tür stand, sondern weil Melody, wie sich meine Theorie der letzten Woche nun bestätigte, freitags nicht arbeitete.

Nach unserer letzten Begegnung, gestern Morgen, habe ich mich zehn Minuten im Bad eingeschlossen und musste die Tränen zurückhalten. Schließlich hatte ich meine Atmung wieder unter Kontrolle, war jedoch noch so durch den Wind, dass ich mich direkt verlief und schließlich zu spät kam.

Zu meinem Glück war dies jedoch nicht schlimm, da Ginny schon so im Stress war, dass sie keinen Blick auf die Uhr warf, sondern einfach nur froh war, mich zu sehen.

Deswegen sorgte ich dafür, dass ich heute pünktlich erschien. Ginny erwartete mich schon aufgeregt, da sie mir unbedingt das Layout für unseren gemeinsamen Artikel über die Commonwealth-Meisterschaft zeigen wollte.

Eine gesamte Doppelseite, mit mir als Co-Autor. Wir hatten die ganze Woche dran gesessen, die Ausgabe würde am Sonntag erscheinen. Ich hatte schon seit einigen Tagen Schwierigkeiten gehabt, mein Glück zu fassen, doch als ich den ersten Druck sah, verschlug es mit die Sprache. Es sah fantastisch aus. Ginny war so zufrieden, dass sie mich aufgeregt umarmte. Auch für sie war es überwältigend, schließlich handelte es sich um das erste Sportevent dieser Art.

Gemeinsam kritzelten wir Notizen an den Rand, strichen Sätze raus, malten Sternchen an Stellen, wo wir noch etwas hinzufügen wollten, und entschieden, das eine Bild zu verrücken. Schließlich setzten wir unsere Ideen um und ich brachte unsere überarbeitete Version zu dem zuständigen Büro, während Ginny sich um ihre Tagesaufgaben kümmerte.

Auf dem Rückweg begegnete ich Camila, die freudig die Arme ausstreckte.

"Kassy!", lächelte sie mich an und ich versuchte, nicht zu steif zu sein, während sie mich an sich zog. Trotz ihrer hohen Schuhe war ich einige Zentimeter größer. "Endlich treffen wir uns auf der Arbeit! Habe mich schon gefragt, wie lange das noch dauert."

"Ich dachte eigentlich ziemlich lang, immerhin ist es hier riesig", gestehe ich und deute mit einer wagen Handbewegung auf die Treppen, die sich tiefer in den Boden schlängelten.

"Ach, so groß ist es gar nicht", erklärt Camila. "Früher oder später trifft man jeden ständig, wenn es nicht gerade die Alleingänger sind, die nie aus ihrem Büro rauskommen. Aber wo wir uns jetzt endlich begegnet sind - darf ich fragen? Wie ist die Sache mit Shawn?"

Meinen Freunden unsere Lage zu erklären war nicht einfach gewesen, aber es waren meine Freunde und somit Verständnis pur. Camila jedoch ist etwas anderes.

Ich war positiv überrascht worden, zugegeben in diesem Moment erneut. So ganz gewöhnt an ihre plötzlich offene Art hatte ich mich noch nicht und ehrlich gesagt vertraute ich ihr auch noch nicht völlig. Dennoch wäre es ohne sie mit Shawn und mir wohl deutlich anders gelaufen.

"Wir haben geredet", nickte ich. "Es ... ist kompliziert. Also eigentlich nicht. Ich wohne noch bei Teddy, aber wir sehen uns häufig und arbeiten an allem. Es läuft ziemlich gut, würde ich sagen."

"Das freut mich so für euch", strahlte Camila. "Ich würde liebend gern noch länger mit dir quatschen, aber ich muss weiter. Was hältst du davon, wenn wir uns nächste Woche zum Essen treffen?"

Mittwoch war einiges geplant, mich lies das bevorstehende Stresslevel bereits jetzt unruhig schlafen und ich hatte mir den Abend eigentlich für Zeit alleine freigehalten.

"Das wäre toll", sagte ich dennoch und ertappte mich dabei, wie ich es auch so meinte. Lag es daran, dass ich die veränderte Camila tatsächlich sympatisch fand? Oder hatte sie sich gar nicht groß verändert und war genauso wie immer, ich nur vorher zu ignorant gewesen, dies zu sehen? Hatte ich deswegen ein schlechtes Gewissen und wollte es beruhigen?

Ich dachte zu viel nach, so viel stand fest.

"Großartig. Was hältst du von Mittwoch? Ich schau vormittags einfach bei euch im Büro vorbei, in Ordnung?"

"Klingt gut", war alles, was ich noch sagen konnte. Genervt schob ich meine nervösen Gedanken beiseite.

"Dann bis nächste Woche", flötete Camila, wackelte auf den hohen Absätzen klackernd davon und winkte mir über die Schulter.

"Bis nächste Woche ..."

Dann verschwand sie um die Ecke und ich machte mich auf den Weg zurück ins Büro, wo ich mich für den üblichen Rundgang vorbereitete, ihn durchführte und mich dann hinter den Schreibtisch klemmte.

Ich sortierte gerade ein paar abgeheftete Artikel, als Ginny herumfuhr. "Meine Güte, es ist schon zehn nach zwei! Feierabend für heute, das haben wir uns verdient."

"Bist du dir sicher?", hakte ich nach. "Ich bin gleich fertig, sonst bleibt das bis Montag hier liegen."

"Kein Problem, es ist jetzt Wochenende, auch für mich", grinste Ginny, die jedes zweite Wochenende arbeiten musste. "Komm, auf mit dir."

Seite an Seite verließen wir das Gebäude und verabschiedeten uns vor der Tür. Ich wollte fast reflexartig disapparieren, als mir einfiel, dass Mum mich zum Essen abholen wollte. Wie aufs Stichwort knurrte mein Magen und ich lief die Straße hinunter.

Obwohl ich schon fast zwanzig Minuten zu spät war, entdeckte ich von Mum keine Spur. Weitere fünf Minuten verstrichen, als sie endlich um die Ecke geschossen kam.

"Entschuldige, Kassy, ich musste noch was Wichtiges erledigen. Schön, dich zu sehen."

"Hm", antwortete ich, nicht mehr ganz so begeistert darüber, nicht direkt nach Hause gehen zu können. "Wo wollen wir denn Essen gehen?"

"Ich kenne da ein ganz tolles Restaurant in der Wardour Street, die Besitzer sind die Eltern einer Kollegin. Aber wir müssen vorher noch schnell ins Ministerium, ich muss noch Unterlagen abgeben."

Mein Magen verdrehte die Augen, doch ich stimmte zu, Mum zu begleiten. Ich war nur äußerst selten im Ministerium und fand es irgendwie spannend, mehr als nur die öffentlich zugänglichen Bereiche zu sehen.

Wir benutzten das Flohnetzwerk und liefen kurz darauf die Eingangshalle hinunter. Ich fand die dunklen Steine etwas bedrückend, doch die Menschen, die fliegenden Memos und die herrschende Wärme machten es irgendwie lebendig und gemütlich.

Alles gierig aufnehmend folgte ich Mum zu einem der Fahrstühle. Es standen fünf weitere Ministeriumsangestellte mit uns in dem kleinen Käfig. Ich achtete nicht darauf, wohin wir fuhren, da ich wie gebannt an den Lippen zweier Hexen hing, die sich leise über die Planung der Commonwealth-Meisterschaft unterhielten.

Ohne eine Ahnung, in welchem Stockwerk wir uns befanden, hechtete ich Mum hinterher, aus dem Fahrstuhl einen Gang hinunter, durch zwei Torbögen, einen weiteren Gang entlang und schließlich um die Ecke durch eine doppelflügelige Tür aus undurchsichtigem Glas.

Was mich dahinter erwartete versetzte mich in Überraschung. Ich wusste nicht, ob es ein Empfang sein sollte, der wie eine Party wirkte, oder eine Party, die an einen Empfang erinnerte. In beiden Fällen stellte sich mir die Frage - zu welchem Anlass?

Ich entdeckte viele junge Gesichter, sogar sehr viele, die ich kannte. Mum schob sich selbstsicher durch die Menge, anscheinend ein genaues Ziel vor Augen. Im Hintergrund spielte leise Musik, die man jedoch wegen der angeregten Gespräche nicht hörte. Es wurde getrunken, gegessen, gelacht und diskutiert.

Plötzlich lief ich an Evan vorbei, der mich aus dem Augenwinkel entdeckte und mir freundlich zulächelte. Er unterhielt sich mich Max Cauldwell - welcher sich so verändert hatte, dass ich ihn kaum wiedererkannte. Hinter Max, weiter weg im Raum auf einem dunkelblauen Sofa, entdeckte ich Katie.

Verdutzt blieb ich stehen und wollte Mum Bescheid geben, dass ich schnell Hallo sagen gehen wollte, doch dann bemerkte ich, mit wem Katie sich dynamisch unterhielt: Nate Kennedy. Ich blinzelte zweimal, doch das Bild änderte sich nicht. Was zur Hölle ging hier vor sich?

Ich hechtete Mum hinterher und stieß dabei fast mit einem Jungen zusammen. Er schien etwas jünger als ich zu sein, aber nicht viel. Mit einem ganz leichten Akzent rief er: "Hey, pass auf!", und seine blonden Haare verschwanden in der Menge.

Nun blieb ich etwas länger stehen und sah dem Jungen verdattert nach. Er kam mir unheimlich bekannt vor, doch ich konnte mich bei bestem Willen nicht entsinnen, wo ich ihn schon mal gesehen haben könnte. Hogwarts war es sicher nicht gewesen, ich kannte die Jahrgänge dicht über und unter mir gut.

Kopfschüttelnd drehte ich mich wieder um, nur um leicht panisch festzustellen, dass ich Mum verloren hatte. Ich spürte die richtige Panik meine Arme hinaufkriechen und mich zurückversetzt in die unangenehmen Momente meiner Kindheit, wann immer ich Mum beim Einkaufen verloren gegangen war.

Nur, dass das hier kein Supermarkt war. Und ich erwachsen. Was jedoch nicht an der Panik änderte. Hier waren zu viele Menschen, ich wusste nicht mal genau, was das hier war, und nun war ich auch noch auf mich allein gestellt.

Suchend blickte ich mich um und atmete erleichtert aus, als ich Mum ganz in der Nähe entdeckte. Kein Supermarkt. Keine Kindheitspanik. Ich war erwachsen, verflucht, keine elf mehr.

Erleichtert lief ich in ihre Richtung, blieb doch zum dritten Mal wie angewurzelt stehen, als ich realisierte, mit wem sie sich unterhielt.

Mein Innerstes war wieder elf.

Jetzt hätte ich es bevorzugt, alleine in der Menge herumzuirren, doch es war zu spät. Aubriana MacDougal hatte mich entdeckt und begrüßte mich freundlich. Gequält stolperte ich auf sie zu und sah meine zweite Befürchtung - ihre jüngste Tochter, Melody MacDougal, auf einem der blauen Sofas sitzend. Zu allem Überfluss unterhielt sie sich auch noch mit ihrer älteren Schwester Willow, die ich noch nie hatte ausstehen können.

Sofort wurde ich mit Fragen bombardiert, die ich alle versuchte so freundlich und kurz wie möglich zu beantworten. Es war zu viel. Viel zu viel. Ich war überfordert, ich fühlte mich Mel und Willow ausgesetzt. Ich wollte nicht in dieser sehr seltsamen Konstellation bestehend aus Mel und unseren Müttern in einem Raum voller junger fremder Menschen sein. Ich wollte nach Hause. Sofort.

Nicht nur, dass mein Puls sich beschleunigte, ich Schweißausbrüche bekam und alles anfing, leicht zu zittern - hinzu kam noch, dass ich langsam spürte, wie meine Atmung immer wieder aussetze und ich unauffällig nach Luft schnappen musste.

Nein, ich war nicht elf. Das hier war viel schlimmer.

Willow tat ganz interessiert daran, was ich denn so in meiner Praktikumsstelle machen musste. Natürlich war sie sauer, da ich Mel den Job vor der Nase weggeschnappt hatte - was Mel ihr mit Gringotts-Sicherheit geflüstert hatte. Das Problem war, dass unsere Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte und Willow mich ebenfalls nie hatte leiden können.

Mir war zwar schon schlecht, aber ich musste die Wahrheit sagen, sonst fanden sie es anders heraus. Meine Mum schien wieder mit Mels Mum Aubriana in Kontakt zu stehen, falls sie es jemals nicht getan hatten, und früher oder später würden sie meinen Namen unter dem Artikel lesen.

"Wir schreiben momentan an der Sonderausgabe über die CM - die Commonwealth-Meisterschaft ..."

"Wir wissen, was die CM ist", sagte Willow leicht abschätzig und gluckste fies. Zu meinem Erschrecken stellte ich fest, dass Mum sich mit Aubriana unterhielt und mich damit mit Mel und Willow alleine ließ.

"Klar, ja ... es ist ein doppelseitiger Artikel, an dem Ginny und ich die ganze Woche gearbeitet haben."

Mir wurde immer wieder schwarz vor Augen. Ich blinzelte. Es war absolut keine gute Idee gewesen, das zu sagen, aber ich konnte mich nicht mehr darauf konzentrieren, Ausreden zu suchen. Sonst klappte ich vor den Augen aller anderen zusammen. Was war bloß los mit mir?

"Ginny?", wiederholte Willow überrascht.

"Ginny Potter", erklärte Mel gelangweilt. "Hab ich dir doch erzählt."

Sie kratzte an ihren Nägeln herum und versuchte, ein Stückchen mit ihren Zähnen abzubeißen.

"Ach, stimmt. Na, da scheinen sich ja zwei gefunden haben", grinste Willow hämisch. "Manchmal braucht man wohl nicht viel können."

Ich verstand diese totsichere Beleidigung nicht, wischte ihr jedoch das Grinsen aus dem Gesicht, als ich sie darauf hinwies, dass es " zu können" hieß.

Willow blickte Mel an und ich gewann etwas an Fassung. Zumindest konnte ich halbwegs sicher stehen. Meine Atmung ging rasselnd. Willow versetzte mir den nächsten Schlag: "Sag mal, Kassy, welche Note hattest du eigentlich in deinem Kräuterkunde UTZ?"

Ich schluckte. Mel fing an zu grinsen.

"Melody konnte gar nichts erzählen, weil sie nichts von dir gehört hat. Dabei interessiert es mich, wie deine Ergebnisse ausgefallen sind, schließlich warst du immer so ehrgeizig."

"Ich habe ein E in Kräuterkunde", antwortete ich gespielt gelassen. Sofort sah ich Mels Augen aufblitzen und sie setzte sich aufrechter hin. "Aber in den restlichen Fächern nur Os."

Es war nicht meine Art, so anzugeben, und bis auf meine Freunde und Arbeitgeber wusste auch kaum jemand über meine Abschlussnoten bescheid, aber ich brauchte das jetzt, um hier durchzukommen. Ich musste mich an irgendwas klammern, das mich über Wasser hielt.

"Ach, das ist ja schön. Hat sich das ganze Lernen wohl gelohnt."

Willow lächelte zu mir hoch, doch Mel stieß sie sanft mit dem Ellbogen an, um ihre Aufmerksamkeit zu kriegen.

"Na ja, man sieht ja, wohin es Kassy gebracht hat. Quidditch und ein Praktikum. Gute Noten sind eben nicht alles, das hab ich schon immer gesagt."

Mel zeigte eine Reihe perfekter Zähne und Willow entgegnete: "Stimmt."

Das reichte mir. Es gab mir den Rest. Man konnte die beiden nicht ändern. Man konnte niemanden in dieser Familie ändern, sie würden für immer alles so drehen, dass es sie in gutem Licht dastehen lässt.

"Na ja, Kassy hat ja auch noch Zeit."

Wir erschraken alle drei und blickten hinter die Sofalehne, auf der Abby, Mels älteste Schwester, sich abstützte und lächelte - ein echtes Lächeln.

Abby habe ich immer gemocht. Sie trug deutliche Züge ihrer Familie in sich, doch ihr Gerechtigkeitssinn war ausgeprägt und sie sah die Dinge häufig rational. Ich habe noch nie gewusst, ob sie mich sonderlich mochte oder ich einfach eine Freundin ihrer Schwester war.

"Muss sich ja nicht jeder gleich in einen Beruf stürzen", fuhr sie fort. "So welche Erfahrungen zu sammeln ist gut, ich hätte mir auch gewünscht, das zu machen, anstatt gleich die Ausbildung anzufangen."

Mel und Willow wirkten, als hätte das Gespräch vorher nicht stattgefunden. Die finsteren Blicke auf ihren Gesichtern sprachen Bände. Sie fanden es gar nicht lustig, dass ihre Schwester sich auf meine Seite schlug.

"Stimmt", lächelte ich zurück. Es war ein gezwungenes Lächeln, aber nur, weil mein Körper noch immer austickte und ich zu gar nichts mehr fähig war. "Ich hab noch viel Zeit, und Erfahrungen heißen ja nicht umsonst so."

"Du hast also fast nur Os in den UTZen gehabt?", fragte Abby mich interessiert. "Welche Kurse hast du belegt?"

"Das normale Set, und dann noch Alte Runen und Arithmantik", erwiderte ich. Das erste Mal seit dem Beginn dieser gnadenlosen Wendung fand Luft den Weg in meine Lungen.

"Ah, Arithmantik hatte ich auch. Wie ging es Professor Fitzpatrick nach der Sache mit ihrer Tochter?"

Und plötzlich fand ich mich in einer Konversation mit Abby wieder, über Mel und Willows Köpfe hinweg. Ich schwitzte zwar noch, und mein Magen drohte seinen nicht vorhandenen Inhalt auf dem Teppich zu verteilen, aber ich konnte wieder stehen, atmen und sehen.

Irgendwann, es waren keine weiteren drei Minuten, mischte Mum sich für wenige Sekunden ein und begann unsere Verabschiedung.

"Melody würde sich total freuen, wenn ihr beide euch mal wieder trefft", bemerkte Aubriana zu meinem Fluch noch. "Habt ihr schon was ausgemacht?"

"Nein, aber das sollten wir echt dringend."

Ich starrte Mel an. Sie wirkte wieder ganz normal, so als würde sie wirklich wollen, und zwar nicht, um mich in den Kessel zu hauen. Was war nur mit diesem Mädchen los?

"Ich muss mal sehen, wie sich das einrichten lässt", begann ich mit meiner Ausrede. "Ich habe momentan mit dem Job", ich betonte dies besonders, damit Mel vielleicht wieder wütend auf mich, aber dafür normal werden würde, "und dem Quidditchtraining viel um die Ohren. Nebenbei will ich bald umziehen, das könnte schwierig werden."

"Melde dich einfach, wenn du mal Zeit hast", sagte Melody leise und lächelte schüchtern.

Das war der Punkt, an dem die Panik wieder einsetzte, schlimmer als vorher. Alle starrten mich an und ich nickte nur. Ich konnte mich nicht erinnern, ob ich es schaffte, mir noch ein Lächeln aufzuzwingen.

Mum sagte noch einmal auf Wiedersehen und folgte diesmal mir zum Eingang hinaus. Sobald wir außer Hörweite waren, fuhr sie mich an, was das denn sollte, und fing dann an, darüber zu reden, dass sie es so schade fand, dass Mel und ich nicht mehr befreundet waren, weil wir uns doch immer so gut verstanden hatten und dass ich mir wirklich Mühe geben sollte, sie bald zu treffen.

Ich hätte Mum am liebsten angeschrien, dass ich das alleine entscheiden konnte und dass, nur weil sie sich gut mit den MacDougals verstand, ich das nicht auch tun musste. Doch ich brachte keinen Ton heraus. Mir ging es schrecklich.

So schlimm habe ich mich seit Jahren nicht gefühlt. Es ärgerte mich, dass es wirklich immer Melody war, die diese Gefühlszustände bei mir auslöste. Das machte es nur schlimmer.

Ich konnte nicht mit meiner Mum zum Essen gehen. Keine Chance. Ich musste nach Hause, mich verkriechen, weinen. Sonst, das spürte ich genau, würde sich wieder eine Blockade aufbauen. Und das musste ich unter allen Umständen vermeiden.

"Mum, ich glaub, mir geht es nicht so gut", unterbrach ich ihren nostalgischen Monolog über die Sommerferien nach meinem dritten Jahr, die Melody zum Teil bei uns verbracht hatte.

"Du wirkst auch ein bisschen blass, Schätzchen. Ist alles in Ordnung?"

Erneut brodelte Wut in mir auf. Sie redete mit mir, als sei ich ihre Tochter. Das war ich, aber nicht auf diese Weise. Sie sprach, als sei nie was gewesen oder alles würde jetzt genauso sein wie früher. Nichts war wie früher.

"Nein, ich glaube, ich sollte besser nach Hause gehen. Tut mir leid ..."

"Ach, Kassy, das ist schon in Ordnung. Soll ich dich bringen? Brauchst du irgendwas?"

Das letzte, was ich brauchte oder wollte, war Mum, die mich nach Hause brachte. Ich musste allein sein, und zwar dringend.

"Nein, ist schon gut, Mum. Ich ... Teddy ist noch im Büro, aber er müsste jetzt auch bald Schluss haben, ich gehe einfach mit ihm."

"Bist du dir sicher?"

Ich atmete tief durch, damit ich nicht laut wurde.

"Ja", sagte ich dann mit fester Stimme.

Mum verabschiedete sich noch langgezogen von mir, doch ich nickte nur. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte mich verkriechen. Ich brauchte diese Zeit alleine so dringend.

Dummerweise bestand Mum letztendlich doch darauf, mich zumindest zu Teddys Etage zu begleiten. Also musste ich mich in einen kleinen Fahrstuhl - ich war mir sicher, dieser war viel viel kleiner als der von vorhin - schleppen lassen.

Irgendwann stieg ich aus, ohne Ahnung, wo ich mich befand, und beobachtete Mum, wie sie mir durch das Gitter zum Fahrstuhl winkte.

Konnte ich so tief unter der Erde apparieren? Hatte ich überhaupt genug Nerven dafür? Vielleicht sollte ich mir einen ruhigen Ort suchen und erst mal wieder runter kommen. Hier musste es doch irgendwo Toiletten geben.

Ich torkelte los, um eine Ecke, mein Körper sich weigernd, jemanden zu fragen. Doch das brauchte ich auch nicht, denn im nächsten Moment entschied ich mich schlagartig um. Ich wollte nicht mehr alleine sein.

Es gab eine Person - die gab es schon immer - die mich aus diesen Zuständen befreien konnte. Die mich verstand, die einfach da war. Und als Shawn um die Ecke kam, hob sich das Gewicht von meiner Brust und mein Mund gehorchte mir wieder, während mein Verstand sich um ihn wickelte.

Er sah unglaublich gut aus. Seine Arbeitskleidung passte noch viel besser in die Umgebung, vor allem neben seinen fünf Kollegen, mit denen er unterwegs war. Er schien eine wichtige Unterhaltung verwickelt zu sein, denn er diskutierte heftig mit einem der fünf, Doch fast so, als hätte er meine Anwesenheit gespürt, sah er auf und blieb sofort stehen.

Dann rannte er auf mich zu und strich mir über die Schultern. "Kassy, hey, was machst du denn hier?"

"Ich ... lange Geschichte. Können wir reden?"

"Was? Jetzt?"

Schwach nickte ich. Shawns Stirn legte sich in Falten.

"Ich ... das ist gerade ganz ganz schlecht. Kann ich - heute Abend vorbeikommen oder so? Ist es wichtig?"

Jetzt war ich der festen Überzeugung, mich übergeben zu müssen. Es fühlte sich an, als würden meine Adern sich viel zu fest zusammenziehen. Mein Blut hatte nicht mehr den Hauch einer Chance zu zirkulieren. Nichts von der eben erlangten Kontrolle war noch da.

"Du bist ein wenig blass, alles in Ordnung?"

Nicht er auch noch.

"Ja - nein - ich ... Shawn, ich würde wirklich gerne mit dir reden, ich brauche ..."

"Hey, Mendes, kommst du, oder was?", rief einer von Shawns Kollegen.

"... ich brauche ...", flüsterte ich.

"Ja ja", entgegnete Shawn.

"Dich jetzt, bitte."

"Sofort! Oh, tut mir leid Kassy, was hast du gesagt?"

Ich erstickte. Ich wusste nicht genau an was, doch ich war mir sicher, jetzt war alles vorbei.

"Gibt's hier ein Badezimmer?", schaffte ich es zu fragen.

"Ja, den Gang hier runter und dann links. Ist wirklich alles okay?"

Ich hatte nie gesagt, dass alles okay war. Ich hatte das Gegenteil gesagt. Von allen Momenten in meinem Leben hatte ich Shawn noch nie so gebraucht wie jetzt. Und wie schon so oft war er so nah und doch so fern.

"Wir sehen uns morgen?"

"Ach ja!" Shawn schlug sich gegen die Stirn. "Das geplante Treffen. Ich versuche, es zu schaffen, versprochen. Nur jetzt ist diese blöde Feier dazwischen gekommen, die alle Pläne durcheinander bringt. Aber ich gebe mein bestes, versprochen. Sonst am Sonntag, bei Merlin, okay?"

Ich schaffte es nicht, mit okay zu antworten. Shawn nahm mein ausdrucksloses Starren wohl als Antwort genug und drückte mich schnell, küsste mich kurz auf die Stirn und dann auf den Mund.

"Hab dich lieb."

"Ich dich auch", antwortete ich automatisch und realisierte in Trance, wie Shawn sich mit seinen Kollegen in einen Fahrstuhl quetschte und verschwand.

Ich hätte ihn gebraucht. So sehr. Doch jetzt war er weg, seinem Job nachgegangen, nicht wissend oder nicht wissen wollend, was in mir vorging.

Er sagte zwar, Liebe bedeutete Schmerz, aber ich glaubte nicht, er meinte solche Art von Schmerz.

Shawns Anweisungen folgend fand ich das Bad meinem Zustand zu urteilen ziemlich schnell. Ich stellte mich vor den Spiegel, stützte mich an dem goldenen Waschbecken ab und sah mich an. Ich sah schrecklich aus.

Und dann prasselten die Erinnerungen auf mich herab. Jedes Wort, welches Melody je an mich gewandt hatte, das eine Narbe hinterlassen hatte. Jeder Seitenhieb, jede Demütigung, jeder Vertrauensbruch. All die kleinen positiven Momente, verschlungen von den negativen.

Es war unausweichlich. Melody hatte mich ohne mein Wissen gebrochen. Ich würde womöglich nie über irgendwas hinwegkommen. Es würde für immer da sein, für immer die Panik hervorholen. Mich in die Knie zwingen. Mir all die Sachen sagen, die ich versuchte, so krampfhaft zu vergessen.

Es war egal, auf wie vielen Postern ich zu sehen war, es gab Tage, da sah ich in den Spiegel und hasste das, was mich zurück anstarrte. Ich hasste, wie es aussah, wie es redete, wie es sich verhielt. Es spielte keine Rolle, wie viele Autogramme und Interviews ich gab, es gab Tage, da lag ich im Bett und wollte nicht aufstehen, weil ich keinen Sinn mehr in irgendetwas sah. Weil ich einfach müde war.

Alles, was ich erreicht hatte, spielte keine Rolle, denn es gab immer Menschen, die es dem Erdboden gleich machten. Für immer die Melody in meinem Kopf, die mir zuflüsterte, dass ich es nicht allein geschafft hatte. Dass es Glück gewesen war. Dass es nichts wert war.

Ich wollte mir die Haut abreißen, weil es sich schlimm anfühlte, wie sie sich anfühlte. Ich wollte mir nicht in die Augen sehen, weil es sich schlimm anfühlte, wie ich mich fühlte. Ich wollte auf den Boden sinken, doch ich konnte nicht, denn ich wusste, dass ich nie wieder aufstehen würde.

Es wurde zu viel. Es musste aufhören. Es tat weh, aber ich konnte es nicht loswerden. Ich konnte es nicht nach außen tragen, ich -

Bevor ich richtig verstand, was ich getan hatte, spürte ich schon die heiße Spitze meines Zauberstabs an meiner Hüfte. Es brannte. Es brannte wie Feuer, denn das war es, doch es half. Zuerst spürte ich kaum was, doch dann setzte der Schmerz ein und ich krümmte mich. Es brannte so sehr, doch jetzt tat es woanders weh.

Erleichtert fing ich an zu weinen. Jetzt brannte es dort so sehr, dass ich nicht mehr an Mel denken konnte. Es tat so gut, nicht mehr daran denken zu müssen.

Ich steckte den Zauberstab weg und zog meinen Umhang zu. Die Stelle, an die der Stoff auf die Wunde rieb, brannte so stark, doch es trieb nur mehr Tränen aus mir und somit auch mehr Schmerz. Pure, ehrliche Erleichterung setzte ein und ich konnte wieder klar denken.

Die Arbeit, Quidditch, meine Familie, meine Freunde, Shawn, das alles wurde zu viel. Ich konnte nicht in allem perfekt sein. Ich musste in meinem Job abliefern, wollte aber meine Freunde nicht vernachlässigen.

Und dann noch Mel. Ich war kaum noch wütend, eher genervt, dass sie einfach immer wieder in meinem Leben auftauchte und ich sie nicht hinter mir lassen konnte. Wie sie wie der Rest der Welt mit angehaltenem Atem dasaß, sich das Maul zerriss und mit höchster Konzentration darauf wartete, meinen nächsten Fehltritt zu beobachten.

Das erste Mal spürte ich diesen unglaublichen Druck auf mir sitzen, seine Krallen in meinen Rücken und Lunge grabend.

Aber jetzt, ganz kurz, war dieser Druck weg gewesen. Wie ein kleines Ventil, aus dem langsam die Luft entweichen konnte. Es fühlte sich gut an. Normal.

Und dann wurde mir klar, was ich eben getan hatte. Voller Schock fror ich kurz in meiner Haltung ein und strich dann vorsichtig über die Brandwunde. Ich zuckte zurück. Es tat weh.

Eigentlich wollte ich es bereuen. Was tat ich hier? Was war aus mir geworden? Wie konnte ich es soweit kommen lassen? Es war falsch. Aber ich konnte eines nicht bestreiten: Es half.

Zum zweiten Mal traf mich ein sehr sehr bitterer Gedanke:

Shawn sagte zwar, Liebe bedeutete Schmerz, aber diesmal war ich mir sicher: Er meinte nicht solche Art von Schmerz.

ϟ               ϟ                ϟ

Selbstverletzung ist keine Lösung. Es hilft nicht. Falls ihr davon betroffen seid und Hilfe sucht, redet mit einer Person eures Vertrauens oder mit ausgebildeten Personen, die ihr zum Beispiel hier erreicht: www.telefonseelsorge.de

This is intense, I know, I'm sorry. Aber das musste sein. Ich hoffe, ich habe euch mit dem Kapitelnamen nicht zu sehr erschreckt. Es ist nicht das letzte Kapitel, allerdings kann ich die noch kommenden an einer Hand abzählen.

Ich lasse das mal so stehen, aber wenn ihr reden wollt, könnt ihr mir jeder Zeit per DM schreiben.

Oh, und Happy Birthday to the one and only Mr. Shawn Mendes himself. Have a good one.

Gehabet euch wohl.

Bis demnächst, Amelie :)

Next Update ⥋ 14.08.2020 (Friday)

[08.08.2020]

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