Kapitel 5 ϟ Rumbling

Something Big - Shawn Mendes ♪♫

Am nächsten Morgen wurde ich durch ein energisches Klopfen auf Glas geweckt.

Zunächst verstand ich nicht, was vor sich ging, doch dann entdeckte ich unsere Familieneule Monty vor einem der vier Fenster sitzend. Der Steinkauz pickte mit seinem Schnabel heftig gegen die Scheibe.

Verschlafen sah ich mich um und stellte fest, dass ich mich allein im Schlafsaal befand. Der Blick auf die Uhr verriet mir, warum: Es war schon halb zehn, ich musste anscheinend das Hahnenkrähen verschlafen haben. Das Frühstück war längst vorbei und Monty seine Post nicht losgeworden.

Ich schlug die Decke zur Seite und öffnete das Fenster. Monty flog zusammen mit einer kühlen Brise in den Raum.

Ich band dem Vogel den Brief vom Bein ab, gab ihm ein wenig Wasser und setzte mich aufs Bett, um den Brief zu lesen.

Er war von Mum.

Neugierig öffnete ich ihn, da ich wissen wollte, wieso er jetzt erst ankam. Denn normalerweise war Mum die Erste, die mir morgens gratulierte.

Doch der Inhalt des Briefes ließ meine Aufregung verblassen.

Liebste Kassy,

Du fragst dich sicher, wieso dein Geburtstagsbrief erst jetzt kommt. Ich will dir die Antwort direkt geben: Dein Vater ist außer sich vor Wut. Zuerst kam der Brief deiner Schwester und zwei Tage später erhalten wir einen weiteren Brief, dass du dir ein Zauberduell mit einem Rosier geliefert hast.

Dein Vater konnte noch nicht herausfinden, wer dieser Shawn Mendes ist, aber dass du dir Schwierigkeiten mit Maddox Rosier verschafft hast, macht ihn wirklich sehr wütend. Deswegen verbot er mir gestern, dir deinen Brief und dein Geschenk zu schicken. Ich werde sehen, ob ich es dir in der nächsten Zeit noch senden kann, doch es sieht eher schlecht aus.

Ehrlich gesagt bin auch ich etwas enttäuscht von dir, dass du plötzlich dieses Verhalten an den Tag legst. Wenn du Aufmerksamkeit willst, finde bitte einen anderen Weg. Wenn du deinem Vater eins auswischen willst, dann rate ich dir hiermit, diese Versuche zu unterlassen.

Kassy, das ist wirklich nicht gut. Aber trotzdem alles Gute zum Geburtstag.

Alles Liebe, Mum xxx

Der Brief hatte schneller als ich denken konnte den Weg als zerknüllte Kugel in meinen Rucksack gefunden.

Ich hatte nie, wirklich noch nie, einen Brief von Mum weggeworfen, aber jetzt spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, ihn in den Kamin zu schmeißen.

Ich wollte keine Aufmerksamkeit!

Das letzte, was ich wollte, war Aufmerksamkeit. Ich hasste es im Mittelpunkt zu stehen, denn dann wurde jeder deiner Fehlschritte beobachtet und Leute kritisierten dich, ohne auf sich selbst zu achten.

Und Dad eins auszuwischen hatte ich wirklich nicht nötig. So würde ich mich nur auf sein Niveau heruntergestuft fühlen.

Gut, unter Umständen würde Shawn dafür sorgen, dass ich Aufmerksamkeit bekam. Dann wiederum erhielt ich sie aber nicht wegen mir selbst, sondern weil ich mit Shawn Zeit verbrachte.

Deswegen war meine Entscheidung gestern simpel ausgefallen: Ich würde abwarten.

Ich war wirklich nicht gut im Entscheidungen treffen, weswegen ich den Mittelweg gewählt hatte. In der nächsten Zeit würde ich nichts entscheiden, sondern nur beobachten, um mir ein klares Bild zu verschaffen.

Abwarten schloss das heutige Nachsitzen ein, ebenso wie Shawns zukünftiges Verhalten und die Frage, ob er mich in Zukunft in Ruhe ließ.

Bei dem Gedanken ans Nachsitzen fiel mir schlagartig die Uhrzeit wieder ein und als ich auf meine braune Armbanduhr schaute, stieg die Panik in mir hoch.

Zwanzig vor zehn.

Wie ein aufgescheuchtes Huhn zog ich mich schnell an, bewaffnete mich mit meiner Feder, einem Tintenfass und meinen Zauberstab und stürmte aus dem Turm.

Da ich nach fast ganz unten ins Erdgeschoss laufen musste, dauerte mein Weg entsprechend lang, vor allem, da gefühlt jede zweite Treppe beschlossen hatte, die Richtung zu wechseln.

Um kurz nach zehn klopfte ich schließlich an der Tür und trat gleich ein. Filch saß mürrisch an seinem Schreibtisch, vor ihm Shawn, und auf der Seite unter einem nicht gerade stabil aussehenden Wandregal hockten James und Fred Weasley (unverkennbar wegen der leicht rötlichen Haare, trotz des etwas dunkleren Hautteints), gelangweilt Rücken an Rücken gelehnt, und starrten Löcher in die Luft. Maddox Platz war leer.

Von Mrs. Norris war glücklicherweise auch nichts zu sehen.

Ich setzte mich auf den unbequemen Hocker von gestern und fing ohne zu zögern mit dem Abschreiben an. Ich wollte diese doofe Strafarbeit einfach nur hinter mich bringen.

Das Nachsitzen verlief schweigend. Shawn versuchte nicht, mich irgendwie anzusprechen. Er sah mich nicht mal an - er behandelte mich wie Luft.

Das schenkte mir ein wenig Hoffnung, denn auf diese Weise war es wie immer.

Nach knapp zwei Stunden schloss Shawn mit einem leisen Plopp sein Tintenfass, sortierte die getrockneten Karten zurück in die Kästen und stand auf.

Er wandte sich zum Gehen ab und ich beachtete ihn nicht weiter, als er dann doch stehen blieb und sich umdrehte.

"Soll ich dir helfen?", fragte er und zeigte auf meinen gerade angebrochenen zehnten und letzten Kasten.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, danke", sagte ich etwas heiser und hustete leicht. "Ich schaff das schon."

Diese Antwort hätte ich auch jedem anderen gegeben und musste deswegen nicht überlegen. Auch meine Stimme klang völlig gleichgültig, als wäre Shawn nur einer von vielen, die ich einmal und dann nie wieder traf. So, wie es sein sollte.

Shawn sah mich noch eine Weile von der Seite an, ehe er mit einem entschlossenen Blick das Büro verließ.

Vielleicht hatte er es jetzt endlich verstanden.

Kurz nach Shawns Verschwinden wurden auch James und Fred von Filch entlassen und ich saß die letzten zehn Minuten allein im Büro.

Durch Harry Potters sorgfältige Arbeit von vor über fünfzehn Jahren waren viele Karten noch lesbar und ich musste nur wenige überschreiben. (Ich vermutete jene, wo Harry neue Tinte gebraucht hätte, aber zu faul war, seine Feder noch einmal einzutunken.)

Ich steckte die letzte Karte (James Potter, Sirius Black und Remus Lupin. Bestraft wegen Verlassen des Gemeinschaftsraumes nach neun Uhr und Anwendung eines Schockzaubers gegen Lucinda Talkalot. Einmal Nachsitzen und Putzen des Gewächshauses 3 (ohne Magie).) in den Karteikasten Nummer eintausenddreizehn und stand erleichtert auf.

Ich schnappte mir mein Schreibzeug und verließ den kleinen stickigen Raum, ohne mich zu verabschieden und mit dem Schwur, nie wieder hier hin zurückzukehren.

Eigentlich hatte ich nicht die geringste Lust, den ganzen Weg nach oben zu laufen und meine Sachen wegzubringen, um ihn danach zum Mittagessen wieder runter zu laufen.

Aber da es erst in zwanzig Minuten Essen gab, erkämpfte ich mir langsam den Weg bis in den Schlafsaal.

Dort bepackte ich meinen Rucksack mit allen möglichen Büchern, die mir beim Lernen helfen könnten (den Aufsatz in Kräuterkunde hatten wir übrigens tatsächlich aufbekommen).

Dann schlenderte ich den Weg zurück nach unten, auf welchem ich Tori traf.

Sie teilte mir mit, dass Alia mit Lewis und Olivia auf dem Quidditchfeld trainierten (Davina und Ivy schauten mit Büchern in der Hand beim Spiel zu) und daher erst später essen würden.

Ich war froh, dass sie mich nicht geweckt und zum Mitspielen überredet hatten, denn es nieselte schon den ganzen Vormittag leicht und ich hasste Nieselregen.

Tori und ich gingen allein zum Mittag.

In der großen Halle entdeckten wir Teddy, der bei seinen Freunden saß und uns zuwinkte.

Ich bewunderte Teddy sehr dafür, dass er es schaffte, gleichzeitig so viele Freunde zu haben und sich um sie zu kümmern. Bei Quidditchspielen, Zugfahrten und Hogsmeadeausflügen verbrachte er die Zeit meist mit uns.

Uns schloss Tori und mich ein, ebenso wie Alia und Katie.

Lil war damals wie ich von Tori auf dem Gang des Hogwarts-Expresses aufgegabelt worden ("Ihr saht so hilflos aus!").

Ich hatte nie rausgefunden, wie Katie in die ganze Sache gerutscht war, denn sie ging weder in unseren, noch in Teddys Jahrgang und hatte noch einen Haufen anderer Freunde. Doch auch sie saß oft und gerne bei uns.

Aber wenn es um den Unterricht und das Essen ging, blieb jeder bei sich. Alia, Katie und ich kannten Teddy auch bei Weitem nicht so gut, wie Tori es tat. Durch ihre Familien waren sie zusammen aufgewachsen und ich glaubte fest daran, dass es das war, was uns alle zusammenhielt.

An Wochenenden allerdings waren wir freier als zwischen dem Unterricht und deswegen setzten wir uns teilweise alle an einen Tisch (zu oft wurde das Durcheinanderbringen der nach Häuser sortierten Sitzordnung aber auch nicht geduldet). Heute ging ich mit an den Gryffindortisch, an dem auch Katie saß.

Wir setzten uns zu ihr und ihren beiden Freundinnen. Das Gesprächsthema drehte sich immer noch um das Zauberduell im vierten Stock. Wie ich zu meiner Erleichterung feststellte, hielt sich nach wie vor ein dichter Nebel darum, was wirklich geschehen und wer beteiligt war.

Die Fakten waren, dass Shawn und Maddox gekämpft hatten, aber sowohl der Gryffindor als auch der Slytherin schwiegen über Einzelheiten. Neben Olivia und Henry wusste tatsächlich niemand, dass ich ebenfalls mit drin steckte.

Die beiden schwiegen nach meiner Bitte auch. Davina und Ivy konnte ich andrehen, dass ich einen Streit zwischen Erstklässlern geschlichtet hatte und der Rest interessierte sich schlichtweg nicht für mein Zuspätkommen.

Leider wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es ans Licht kam. James und Fred hatten mich beim Nachsitzen gesehen, irgendein Slytherin oder Ravenclaw würde früher oder später meine Verspätung mit dem Duell in Verbindung bringen oder Shawn und Maddox würden endlich reden.

Doch noch genoss ich mein Versteckspiel und würde dafür sorgen, dass es so lange wie möglich geheim blieb.

Nach einer halben Stunde war ich pappsatt und wir quatschten noch ein wenig - was bedeutete, dass die anderen erzählten und ich zuhörte -, da sah ich Alia mit den anderen Ravenclaws reinkommen. Sie steuerten unseren Standardplatz an meinem Haustisch an.

"Ich sag den anderen kurz hallo, treffen wir uns nachher in der Bibliothek?", fragte ich Tori und stand auf.

"Aber klar, um drei bei den Quidditchbüchern", lächelte sie mich an.

Ich ging rüber an unseren Tisch, an dem auch Sydney plötzlich aufgetaucht war, und setzte mich neben Lil. Sie trug ihren Umhang, da dieser vorgeschrieben war, über einer normalen Hose und einem Pulli. Beide normalen Kleidungsstücke, sowie ihr Gesicht und ihre Haare waren feucht und ein wenig dreckig. Auch Sydney, Henry und Olivia sahen mitgenommen aus.

"Und? Erfolgreich trainiert?", fragte ich schmunzelnd.

"Kassy!", begrüßte Davina mich, bevor Alia antworten konnte. "Wo warst du denn gestern Abend noch so lange, wir haben auf dich gewartet! Wir dachten, du machst noch was mit uns wegen deines ... Geburtstaaags!"

Davina machte eine rhetorische Pause, ehe sie das letzte Wort langzog und fast durch die ganze Halle brüllte.

Zu meinem Glück wusste niemand, dass ich gemeint war.

"Tut mir leid", entschuldigte ich mich. "Ich ... war anderweitig beschäftigt. Und wir wollten doch an Alias Geburtstag zusammen feiern."

Alia nickte begeistert.

"Wir haben dich heute Morgen schlafen lassen, weil du erst so spät zurück kamst. Ich hoffe, das war okay", fügte Olivia hinzu und ich nickte nur.

"Es war zwar ein scheiß Wetter, aber im Allgemeinen hat meine Leistung in der letzten Woche nicht abgenommen", kam Lil zurück zum eigentlichen Thema.

"Das ist doch super, hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre", grinste ich.

Ich wollte gerade von dem Plan erzählen, nachher mit Tori zu lernen, als Alice sich zu uns setzte.

Alice Powell war ein Jahr über uns und wie ich ebenfalls Vertrauensschülerin. Sie hatte lange blonde Haare und war spindeldürr. Ihr Gesicht hingegen ähnelte mehr einem Knallrümpfigen Kröter, der gegen die falsche Wand am King's Cross Bahnhof gerannt ist.

Ich mochte sie wirklich nicht, denn sie hielt sich für schlau, obwohl sie sich nur an dem Wissen anderer bediente. Auswendig lernen konnte sie, aber das eigenständige Denken schien bei ihr nicht veranlagt zu sein.

Fragend sah ich zu Henry. Er schaute genauso fragend zurück, was bedeutete, dass auch er nicht den blassesten Schimmer hatte, wieso Alice sich plötzlich zu uns setzte.

Sie fing sofort an, über Verwandlung zu reden, was vom Thema her völlig aus der Luft gegriffen war. Oder um es mit den Worten meiner Schwester auszudrücken: "Total random, echt strange, was die damit einfach so voll out of line anfängt."

Für mich hieß das, mich leise mit Alia zu unterhalten, während sie so schnell wie möglich aß. Alice war wirklich mehr als komisch und wir wollten uns nicht an dem Gespräch beteiligen - unsere Meinung interessierte sie womöglich nicht mal, da sie nur Olivia und Davina ansah und von uns gar keine Notiz nahm.

Als Lil fertig gegessen hatte, verließen wir die große Halle Hals über Kopf. Henry blieb bei Sydney, die ihr Mittag noch nicht beendet hatte.

Unsere Wege trennten sich im vierten Stock; Lil ging in ihren Schlafsaal, um sich umzuziehen und ich suchte jetzt schon die Bibliothek auf.

Von dem Gang, auf dem Shawn mich umgerannt hatte, ließ sich schon von Weitem Lärm vernehmen. Als ich um die Ecke bog, stach mir zuerst das schwarze Loch an der Wand ins Auge. Maddox hatte es immer noch nicht entfernt - wenn das Mal keinen Ärger gab.

Doch direkt danach erregte etwas anderes meine Aufmerksamkeit.

Vor mir johlten und grölten etwa fünfzehn Schülerinnen und Schüler, die ich in die dritte und vierte Klasse einordnete. Zwei Jungs warfen sich etwas zu und mit jedem Fang brach eine neue Welle des Geschreis aus.

Beim näheren Betrachten erkannte ich, dass es sich bei den beiden Jungs um Jayden Harding, den kleinen Bruder von Sydney, und Anthony Bell, den kleinen Bruder von Luke, handelte. Unter den Zuschauern identifizierte ich unter anderem Alias Schwester Jenny (die überraschender Weise eine Slytherin war) und Dominique und Molly Weasley: Toris Schwester und ihre Cousine.

Seufzend schaute ich auf meine linke Brust. Dort war das Vertrauensschülerabzeichen befestigt, was mir in den ersten fünf Tagen mehr Leid als Freude zugefügt hatte. Es schimmerte in dem Licht der Fackeln leicht und das große V auf dem blau-bronzenen Hintergrund ließ mich erneut seufzen.

"Was tut ihr da?", fragte ich laut und trat auf die Masse zu.

Das war ja ein super Anfang. Als ob man nicht sehen würde, was sie taten.

"Was soll das werden, wenn es fertig ist?", schob ich hinterher und stöhnte innerlich auf. Wie bescheuert war ich eigentlich?

"Wir spielen", antwortete Jayden frech.

Damit hatte ich meine Autorität verspielt.

"Jetzt nicht mehr", sagte ich bestimmend. "Fangzähnige Frisbees sind in Hogwarts verboten."

Ich streckte die Hand in Anthonys Richtung, der enttäuscht zwischen der Frisbee und mir hin und her sah.

"Los jetzt", forderte ich ihn auf. "Ich weiß genau, dass ihr die Regeln kennt."

"Gib sie der Spielverderberin nicht", warf Jenny, Lils Schwester, ein.

"Gib sie mir, und ihr kommt mit einer Verwarnung davon. Sonst verteile ich Strafarbeiten an euch alle", drohte ich.

Meine aufkommende Panik schluckte ich runter. Ich mochte nicht, was ich hier tat, aber es war meine Pflicht. Ich wollte nur diese blöde Frisbee haben und dann verschwinden. Die Blicke der Dreizehn- und Vierzehnjährigen machten mich nervös.

"Los, Tony", sagte Jayden genervt und verschränkte die Arme.

Anthony ließ die Schultern nach unten sacken und hielt mir die Frisbee hin.

"Danke", sagte ich erleichtert und wollte danach greifen, als Anthony sie im letzten Moment wegzog.

Die umstehenden Schüler fingen an zu lachen, Jayden am lautesten.

Mir stieg die Hitze ins Gesicht und meine Atmung verdoppelte das Tempo. Aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

"Haha, sehr witzig", sagte ich matt. "Aber jetzt gib sie her oder du schreibst drei Seiten Pergament über die Beschaffung und Verwendung von Bezoaren im Mittelalter."

Zum Ende hin wurde meine Stimme immer höher und schneller, aber jetzt schien Anthony mich endlich ernst zu nehmen und übergab mir die Frisbee tatsächlich.

Erleichterung machte sich in mir breit. Ich wollte, definitiv gegen meinen Willen, noch eine letzte Ansage machen. Sie sollten jetzt alle schleunigst verschwinden und sich nicht nochmal erwischen lassen.

Aber bereits bevor ich einatmen konnte, wurde ich unterbrochen.

"Bole, gibst du mir bitte die Frisbee?"

Stalkte der Typ mich?

"Nein danke, Mendes, ich brauche deine Hilfe nicht", antwortete ich provozierend.

Dafür hätte ich mich schon wieder ohrfeigen können. Allein bei dem Gedanken, was Jayden, Anthony und ihre Freunde jetzt von mir denken mussten.

"Bole, sofort."

Etwas in Shawns Gesichtsausdruck jagte mir dermaßen Angst ein, dass ich ihm die Frisbee zuwarf. Sein kaltes Gesicht erinnerte mich ein wenig an den Umgang mit Maddox.

Shawn fing das Spielzeug geschickt auf und schaute dann die Kleinen an.

"Bell", schnauzte er grob und starrte Anthony wütend an. "Zwanzig Punkte Abzug!"

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Was war in ihn gefahren?

"Harding!" Shawn drehte sich zu Jayden. "Strafarbeit! Acht Rollen Pergament über Koboldaufstände!"

Ich wollte etwas sagen, aber ich traute mich nicht. Ich schämte mich dafür, doch ich wollte mich nicht erneut vor den Kleinen blamieren.

Ich hätte heulen können für meine Feigheit. Und sowas war Vertrauensschüler ...

Vielleicht hatte mein Vater recht und ich war wirklich eine Schande für die Familie. Ich konnte noch nicht mal ein paar aufmerksamkeitsgeile Viert- und Drittklässler vor einer ungerechten Strafarbeit von einem total irre gewordenen Schulsprecher schützen.

"An alle anderen Gryffindors, Weasley, Creevey, Weasley, Jordan und Potter!"

Erst jetzt sah ich, dass James sich hinter seiner Cousine Molly versteckt hatte.

"Jeweils zehn Punkte Abzug für euch!"

"Shawn, bist du völlig irre?", meldete Anthony sich zu Wort.

"Bell, Klappe hab ich gesagt!", brüllte Shawn. Die Kleinen wie auch ich zogen die Köpfe ein. "Nochmal zwanzig Punkte Abzug für Widerworte!"

Es reichte, Shawn war komplett übergeschnappt. Was wollte er damit bezwecken? War er wirklich so wütend auf mich? Aber was brachte es ihm, wenn er dafür sein eigenes Haus bestrafte? War er von einer anderen Sache genervt und wollte den Druck ablassen?

"Und der Rest, ihr schreib alle zwei Seiten über Acrumantulagift!"

Shawn reckte die Nase in die Höhe und stolzierte zuerst an Jayden und dann an Anthony und mir vorbei. Er behandelte mich wie Luft, aber obwohl er mich nicht ansah, erkannte ich etwas in seinem Blick.

Da stank etwas gehörig, denn das war definitiv nicht der Shawn, der mich nach meiner Ansage gekränkt angesehen hatte.

Die Kleinen musterten mich wütend. Ich konnte ihnen nicht übel nehmen, dass sie mir die Schuld in die Schuhe schoben. Ich hätte wirklich etwas sagen müssen, auf mich hätte Shawn vielleicht gehört.

Aber ich stand mir wie üblich selbst im Weg - ich hatte es nicht geschafft, über meinen Schatten zu springen.

Die Kleinen zerstreuten sich in ihre Gruppen und verschwanden in alle Richtungen.

Mich in Grund und Boden schämend setzte ich meinen Weg zur Bibliothek fort. In der verabredeten Ecke saß noch niemand.

Ich ließ mich in einen der Sessel fallen und schlug das Buch für ungesagte Zauber auf. Ich brauchte ein wenig, aber schließlich hatte ich die Seite gefunden, wo ich stehengeblieben war, und vertiefte mich völlig in die Theorie.

Eine gute Ablenkung von meinem Versager-Trip.

Nach einiger Zeit trudelte Tori mit Alia im Schlepptau ein. Sie setzten sich zu mir und wir fingen an, unsere Hausaufgaben zu machen.

Irgendwann stießen Katie, Henry und Sydney ebenfalls zu uns.

Die folgenden zwei Stunden waren mit Hausaufgaben, Klagen über Hausaufgaben und gelegentlichem Klatsch und Tratsch gefüllt.

Solange, bis uns alle plötzlich ein lautes Geräusch aus den Büchern hochschrecken ließ.

"Mr. Lupin!", rief Madam Pince empört und hechtete zwischen den Regalen auf unserer Höhe auf den Eingang zu.

"Sorry, Madam Pince, aber das ist wirklich wichtig!", tönte Teddys Stimme von weiter weg.

Automatisch fing ich breit an zu grinsen.

Da ich bereits ahnte, dass Teddy gleich unsere volle Aufmerksamkeit verlangen würde, legte ich Tausendundeine Heilpflanze beiseite und machte es mir in dem Sessel gemütlich.

"Leute", trällerte Teddy schon aufgeregt von weitem und hüpfte gut gelaunt auf uns zu.

"Sonnenschein", grinste Tori und klappte den Deckel von ihrem Buch zu.

"Es - gibt - Neuigkeiten!", verkündete Teddy feierlich und stemmte die Arme in die Seiten.

Das breite Grinsen wurde, wenn es möglich war, noch breiter und Teddy erinnerte mich an einen kleinen Jungen am Weihnachtsmorgen.

Als der Hufflepuff eine Zeit lang schwieg, verstanden auch Katie und Alia das Zeichen und legten, obwohl Teddy nicht nur unsere, sondern auch die Aufmerksamkeit aller in Hörweite sitzenden anderen hatte, ihre Bücher seufzend ganz aus der Hand.

"Danke. Ihr seid die Ersten, die es erfahren. Also, Neuigkeiten!", fuhr Teddy fort.

"Neuigkeiten wie die Teddy-Neuigkeiten, die kein anderer kennt?", fragte Lil.

"Exakt!", antwortete Teddy stolz.

"Und woher willst du wissen, dass wir sie noch nicht kennen?", fragte Katie nach.

"Ganz einfach Kaytlin, weil ich weiß, dass ich der Einzige der ganzen Schule bin, der es weiß."

"Du bist schwul?", warf ich ein.

Die anderen brachen sofort in Lachen aus und krümmten sich in den Sesseln, vor denen Teddy mit einem vorwurfsvollen Blick stand, nach wie vor die Arme in der Hüfte.

"Nein, aber fast so interessant", grinste er jedoch schließlich.

"Du bist lesbisch!", quiekte Tori.

Alia konnte sich nicht mehr halten und rutschte vom Sessel. Das ließ sogar Teddy auftauen und er vergrub lachend sein Gesicht in den großen Händen.

"Also bitte, Mr. Lupin!", fauchte Madam Pince hinter einem Regal.

Nachdem Lil sich zurück auf ihren Platz gesetzt hatte, beruhigten auch wir uns wieder.

"Also, was denn jetzt, Lupin?", kicherte Tori.

Teddy stieß hochkonzentriert die Luft aus, als bereite er sich auf den Startschuss des schwedischen Besenrennens vor.

"Lesbisch?", fragte Katie kleinlaut.

"Knapp daneben", grinste Teddy aufgeregt. "Ich bin Schulsprecher!"

Da wusste ich, was faul war. Shawn hatte ohne Zweifel Scheiße gebaut und ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht ganz unschuldig bleiben sollte.

ϟ          ϟ          ϟ

Jetzt bleibt nur die Frage - wer steckt Tiefer in der Scheiße, Kassy oder Shawn?

Oder Teddy, weil er zu laut rumgebrüllt hat? xD

Was sagt ihr zu dem Brief, den Kassy von ihrer Mum bekommen hat?

Ich freue mich sehr auf eure Kommentare, bis demnächst, Amelie :)

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[18.09.2017]

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