Kapitel 49 ϟ Egoism

Still - Niall Horan ♪♫

Um mir Ablenkung zu verschaffen, etwas Kontrolle über das, was sich als mein Leben ausgab, zu bekommen und nicht ständig bei Teddy rumzuhocken, traf ich bereits am folgenden Montag, als Teddy sich mal wieder auf den Weg Arbeit machte, eine Entscheidung: Ich brauchte einen Job.

Wie lang meine Quidditchkarriere anhielt, konnte keiner sagen und ich riskierte bestimmt nicht, am Ende ohne Arbeit dazustehen. Außerdem war ich immer noch die Einzige ohne richtige Berufserfahrung. Mich störte es nicht, aber mir ständig Sprüche von Bekannten, Freunden, Interviewern, Thomas Macdonald und völlig mir unbekannten Personen anhören zu müssen, ging mir nicht nur gewaltig auf den Poltergeist, sondern spannte meinen Geduldsfaden immer strammer.

Denn jedes Mal erneut zu versuchen zu erklären, dass ich mein Leben lebte, so lange ich konnte, und nicht das Verlangen spürte, mich einem bestimmten Fachbereich zu verpflichten oder bis ich grau wurde im selben Beruf festzustecken, brachte nichts und kam gerade bei den Interviewern nicht sonderlich gut an. Obwohl mir sowieso keiner richtig zuhörte.

Natürlich war auch mir klar, dass ich nicht ewig Quidditch spielen konnte. Und mir war klar, dass ich mir früher oder später etwas anderes suchen müsste, egal ob Leute dabei an mich glaubten oder nicht. Das Problem war nur, dass ich selbst nicht an mich glaubte.

Doch wie immer, wenn die Situation eigentlich drachenmistig erschien, hatte ich so unverschämt viel Glück, dass ich wieder begann, meinen Tee auf Felix Felicis zu checken. Denn eine Woche später, nach meinem endgültigen Entschluss und dem Ziel, eine Liste zu erstellen, auf der ich jeden in Frage kommenden Job notieren wollte (ich starrte seit einer halben Stunde auf ein blankes Pergament und debattierte, ob ich geeignet für eine Laufbahn in der Vergissmich-Zentrale war und diese Idee als würdig genug erschien, als Erstes auf die Liste aufgenommen zu werden), saß ich neben der dritten Tasse Tee am Küchentisch und hing mit der Nase so dicht über der Tischplatte, dass meine Grundschullehrerin mich auf den Kallisto geschossen hätte. Sie hatte es immer gehasst, wenn ich beim Schreiben mit dem Gesicht auf dem Tisch klebte, und sich auch nie gescheut, die öffentlich kundzutun.

Zum wahrscheinlich zwanzigsten Mal abgelenkt, diesmal beschäftigt auszurechnen, ob meine Muggellehrerin wohl noch lebte, fuhr ich erschrocken zusammen, als Teddy mir plötzlich seine großen Hände auf die Schultern legte. Ich hatte ihn nicht apparieren hören und erlitt wohl den größten Schock meines Lebens, nach dem berühmten Bibliotheksschock (irgendwann würde ich Sydney und Alia rächen).

"BEIM BARTE DES MERLIN, EDWARD!", kreischte ich und sprang vom Stuhl. Mein Herz raste und ich zitterte am ganzen Leib.

"Ach, es gibt also doch noch Menschen, die dich bei deinem richtigen Vornamen ansprechen", bemerkte eine mir unbekannte weibliche Stimme.

"Kas, ich hab Besuch mitgebracht. Ich hoffe, das stört dich nicht."

"Ist ja immer noch deine Wohnung", keuchte ich, lies mich völlig fertig zurück auf den Stuhl sinken und lehnte mich dann zur Seite um zu sehen, wen er mitgebracht hatte, nur um vor Ehrfurcht und Scham fast zu sterben.

Jetzt wünschte ich mir, er hätte mich vorgewarnt. Den ersten Eindruck hatte ich schon mal gehörig vermasselt.

Noch jünger als auf jeglichen Bildern erscheinend und das Haar leuchtend rot stand Ginny Potter vor mir, die Hand zur Begrüßung ausgestreckt. Ich sprang auf meine wackligen Knie und riss dabei fast meinen Tee um. Innerlich verfluchte ich meine ewig währende Tollpatschigkeit.

"Ginevra Potter", lächelte sie mich dennoch an. "Oder, bitte, einfach nur Ginny."

"Kassiopeia Bole", entgegnete ich wahrscheinlich hochrot und schüttelte ihre ausgestreckte Hand mit meinen eiskalten Fingern. "Aber Kassy ist mir weitaus lieber."

"Sternchen, du bist ein Schatz!", rief Teddy plötzlich.

Die obere Hälfte seines Körpers war ziemlich komplett im Kühlschrank verschwunden. Nun tauchte er mit einer Verpackung wieder auf. Ich erkannte sofort das reduzierte Lammfilet, welches ich bei meinem ersten Auftragseinkauf diesen Vormittag mitgebracht hatte - in vollem Bewusstsein, dass Teddy und ich die Gemeinsamkeit teilten, Lammfleisch nahezu zu vergöttern.

"Ich lass dich nie wieder gehen", verkündete er und schloss den Kühlschrank mit seinem Fuß. Hinter der Tür rumpelte es laut, doch Teddy schenkte dem veranstalteten Chaos keine Beachtung. "Du brauchst nicht mehr nach einem Job zu suchen, ich stell dich als persönliche Haushälterin ein."

"Du suchst nach einem Job?", fragte Ginny und setzte sich auf den Stuhl neben mir. "Was ist mit Quidditch?"

Einen Moment war ich aus der Fassung gebracht, dass Ginny mich allem Anschein nach kannte, über meine Laufbahn Bescheid wusste und mit mir redete, als täten wir das schon Jahre. Doch dann fiel mir ein, dass sie ja als Sportjournalistin für den Propheten arbeitete und daher wohl genausten informiert war.

"Ich suche nach etwas nebenbei", erklärte ich. "Sonst geh ich hier ein. Ich kann nicht ewig dem Quaffel hinterherjagen."

"Aber dem Schnatz hinterherjagen könntest du, ich hab schon immer gesagt, dass du auch einen Eins-a-Sucher abgeben würdest", warf Teddy dazwischen.

Ich schüttelte lachend den Kopf. "Oh nein, bloß nicht. Da habe ich wirklich kein Talent für."

Teddy ließ das Kochbuch geöffnet auf dem Tresen liegen, huschte rüber und legte mir beide Hände von hinten auf die Schultern. Er blickte Ginny ernst an und sagte trocken: "Sie lügt."

Ich verdrehte die Augen, Teddy wuschelte mir durch die Haare ohne den Blick von Ginny zu wenden.

"Darf ich dir was zu Trinken anbieten?"

Ginny grinste. "Gerne, ich nehme auch einen Tee."

Teddy nickte freundlich, verschwand zurück zu seinem Rezept und schaltete im Vorbeigehen den Wasserkocher ein. Ich versuchte meine Haare zu richten.

"Aber es stimmt schon ..."

"Siehst du, sag ich ja!" Ich konnte Teddys dämliches Grinsen hören.

"... dass man nicht ewig Quidditch spielen kann!", beendete Ginny ihren Satz und rollte lachend mit den Augen.

Sie streifte sich die Schuhe von den Füßen, legte einen Fuß unter ihren Oberschenkel und zauberte sich eine Tasse und einen Teebeutel aus dem Schrank. Sie schien nicht das erste Mal hier zu sein.

"Mir ging es damals ähnlich", begann sie zu erzählen. "Klar, Quidditch hat Spaß gemacht und ich habe jede Sekunde genossen, aber selbst wenn du Haufen Galleonen scheffelst, keiner nimmt dich für voll, wenn du nur Quidditch spielst."

Wissend nickte ich. "Vor allem, wenn man noch nicht mal zwanzig ist, wenn man anfängt", grummelte ich zustimmend.

"Wem sagst du das", lachte Ginny. Plötzlich fing es laut und zu klappern und sie blickte mit schiefem Gesicht an mir vorbei. "Edward, was machst du da eigentlich? Es ist nicht besonders höflich, seine Gäste hier sitzen zu lassen."

"Kassy ist kein Gast! Sie wohnt hier ...", ertönte es gedämpft aus einem der Küchenschränke, die von der Kücheninsel verdeckt wurden, gefolgt von einem erneuten Klappern. "Und deswegen ist sie auch die Einzige, die mich Edward nennen darf!"

"Das ist ein besonderes Privileg", grinste Ginny und ignorierte den in den Ohren schmerzenden Lärm. "Meine Kinder dürfen es nur an ihrem Geburtstag."

"Man meint, sie wachsen raus!" Teddys Kopf tauchte über der Arbeitsfläche auf. "Aber nein. Du hättest James an seinem Sechszehnten erleben sollen. Edward dies, Edward das, Edward, kannst du nochmal deinen Namen buchstabieren? Ein Glück, dass ich nicht auch ihr Sklave bin."

Ich musste schon die ganze Zeit lachen, doch wie üblich trieb Teddy mir Tränen in die Augen.

"Also wäre ich an deiner Stelle", er zeigte drohend auf Ginny, "äußerst vorsichtig."

"An deiner Stelle, Edward, würde ich aufpassen, wo deine Töpfe hinlaufen", keuchte ich und deutete auf den verzauberten Kochtopf, der auf zwei Stummelbeinen dem Wohnzimmer entgegenlief. Teddy fluchte und stolperte dem Ausreißer hinterher.

"Tut mir leid, dass wir einfach so reingeplatzt sind", entschuldigte Ginny sich auf einmal. "Ich habe Teddy heute Mittag getroffen und durch Zufall hatten wir beide früher frei, weswegen er mich kurzfristig auf ein spätes Mittag-, frühes Abendessen eingeladen hat. Er hat nur leider vergessen zu erwähnen, dass er schon Besuch hat."

Ich lief rot an. "Er hat nicht gescherzt, als er sagte, ich wohne hier", gestand ich mit fiebernden Wangen. "Es ist eine lange Geschichte und mir wäre es am liebsten, wenn sie erst mal in der Wohnung bleibt."

Aus dem Wohnzimmer schallte lautes Geklapper und Teddys Rufe, die auf eine Auseinandersetzung mit dem Topf hindeuteten.

"Verstanden." Ginny lächelte leicht, doch sogleich rutschte es langsam davon. "Gibt es Probleme mit Shawn?"

Ich erstarrte. Bitte was? Woher -

"'Tschuldige", murmelte Ginny verlegen. "Das muss total komisch für dich sein, du kennst mich ja gar nicht. Geht mich auch nichts an. Harry hat nur einiges über dich erzählt ..."

"Moment", fiel ich ihr ins Wort. Kurz zog ich in Erwägung zu träumen, doch Teddys schimpfende Wortwahl würde mir nicht mal im wachen Zustand einfallen. "Sie ... Mr Potter hat von mir erzählt?"

Ginny lachte leicht auf. "Harry, Kassy, bitte. Schieb die Höflichkeiten beiseite. Ja, er hat von dir erzählt, und alles scheint wahr zu sein - bescheiden, höflich und humorvoll wie beschrieben. Shawn hat eng mit Harry zusammengearbeitet und eure Beziehung ist ja kein Geheimnis. Außerdem schwärmt Shawn in den höchsten Tönen von dir, Harry behauptet, er hätte nie ein schlechtes Wort über dich verloren ... Ich frage mich, was er wohl über mich alles so erzählt. Na ja, keiner der beiden scheint gelogen zu haben, denn das, was ich durch die Medien erfahren durfte und jetzt sehe, trübt mein Bild kein Stück. Ein Jammer, dass wir uns noch nicht auf beruflicher Ebene begegnet sind."

Ich konnte nicht fassen, was gerade passierte. Ginny Potter saß neben mir in Teddys Küche und erzählte mir, mich zu kennen und anscheinend auch noch zu mögen. Weil Shawn - ausgerechnet, natürlich, Shawn - von mir geschwärmt hatte?

Unsere Beziehung hatte uns wohl weiter getragen, als ich dachte. Interviews, Poster, Autogramme - von wegen. Ich stand eigentlich gar nicht in Kontakt mit Menschen, die nicht zu Arbeitskollegen oder Freunden zählten, weshalb ich nie in im vollen Bilde war, was meinen Ruhm und meine Reichweite anging. Das hier waren die Auswirkungen allem, was gerade passierte. An einem Küchentisch, dessen Besitzer soeben den Kampf gegen einen wild gewordenen Topf gewonnen hatte.

"Shawn und ich haben momentan unsere Probleme, ja, aber ich glaube, es gibt nichts , was nicht geklärt werden kann."

Zustimmend nickte Ginny und schlürfte an ihrem Tee. "Puh, Teddy! Kaufst du immer noch dieses Abflussgebräu?"

"Es ist grausam, oder?!" Verständnisvoll breitete ich die Arme aus, froh, endlich jemanden auf meiner Seite zu wissen. "Er trinkt das jeden Morgen, ich hab schon nach drei Tagen genug davon gehabt. Bis an mein Lebensende."

Reflexartig zog ich meinen Zauberstab und tippte auf den Rand Ginnys Tasse. Sogleich veränderte sich die Farbe von dreckigem Waschwasser zu einer warmen Kaffeefarbe.

"Nein, Kas, nicht schon wieder!" Teddy hechtete mit dem strampelnden Topf zu uns. "Wenn ich dich hier Vollzeit einstellen soll, dann darfst du das nicht mehr machen!"

Ginny strahlte über das ganze Gesicht. "Brauchst du nicht, Edward."

"Wieso nicht, Ginevra?"

"Weil ich Kassy soeben eingestellt habe. Also, vorausgesetzt du möchtest, Kassy."

Perplex starrte ich von Ginny zu Teddy, der mich ebenso ratlos anblickte und dem krakeelenden Topf einen Hieb mit dem Ellbogen verpasste.

"Ich bin schon länger auf der Suche nach einem Praktikanten", erklärte Ginny. "Und du hast dich gerade als das bewiesen, was ich anstrebe."

"Als ... Praktikantin beim Propheten?"

"Klar! Direkt an meiner Seite, kannst es auch persönliche Assistentin nennen, aber ich finde, das hat immer so einen Hauselfen-Beigeschmack. Die Stelle wird auch bezahlt."

"Aber ...", stammelte ich unbeholfen. "Ich kann doch gar nicht schreiben."

Ginny zog beide Augenbrauen hoch. "Sternchen", sagte sie schmunzelnd und blickte aus den Augenwinkeln zu Teddy (der den Topf nun vollends unter Kontrolle gebracht hatte), "wenn jeder Mitarbeiter bei uns Schreiben können müsste, wären wir nicht mal mehr halb so viele. Außerdem habe ich ein, zwei Aufsätze aus deiner Schulzeit und den Bericht aus Australien gelesen. Ich habe meine Kontakte überall, vor allem im Sportzweig. Ich sehe dort großes Potential. Sehr großes. Teddy hat recht, es gibt keinen Grund, so bescheiden zu sein. Und im Gegensatz zu all den anderen, die sich beworben haben, hast du keinen Stock im Arsch. Kannst du dir vorstellen, es gibt immer noch Leute, die nicht normal mit mir reden können, weil sie mich für berühmt oder so halten."

Das genau dies die gesamte Zeit der Fall gewesen war und ich mir nicht erklären konnte, wieso auch nur ein vernünftiges Wort meinen Mund verlassen hatte (an diesem Punkte überprüfte ich meinen mittlerweile kalten Tee ein zweites Mal), verschwieg ich unter höchstem Geheimhaltungsgrad.

"Ich ... äh .... kann ich drüber nachdenken?", fragte ich vorsichtig.

Ich war mir plötzlich ziemlich unsicher, ob es gesetzlich verboten war, ein Angebot von Ginny Potter auszuschlagen. Allein nicht sofort zuzusagen, kam mir wie eine Straftat vor.

"Aber natürlich", versicherte Ginny mir professionell. "So lange du willst. Stimmt nicht." Sie kratzte sich an der Schläfe. "Ich brauche deine Antwort spätestens Freitag, sonst muss ich doch diese Melody Macdougal einstellen."

"Ich mach's", schoss es sofort aus mir heraus.

Teddy, der hinter Ginny stand, grinste so breit, dass ich mir sicher war, er benutzte seine Metamorphmaguskräfte. Vor allem, als sein Kopf plötzlich rund und die Haare lang und blond wurden. Verdattert über meinen schnellen Sinneswandel blickte Ginny mich kurz schräg an und drehte sich zu Teddy um, der in Binnen Sekunden wieder wie ganz der Alte aussah. Sie schaute erst fragend, zuckte dann aber mit den Schultern und setzte das freche Grinsen auf, welches ihr Gesicht so viel jünger erscheinen ließ.

"Großartig! Du fängst Montag an, Ort und Zeit lasse ich dir per Post zukommen, ebenso den Vertrag. Es reicht, wenn du ihn Montag mitbringst."

"Ich bin toll, Sternchen, nicht wahr?", schaltete Teddy sich wieder ein. "Du rettest mein Leben, ich deins. Und du darfst noch bei mir wohnen. Das gibt 'nen Bonus."

"Ah ja, Edward", lachte ich.

"Du hast ihm das Leben gerettet?", fragte Ginny neugierig. "Das wird ja immer besser."

"So kann man es nicht ausdrücken ..."

"Lustige Geschichte", überschallte Teddy mich.

"Gar nicht lustig!" Empört verschränkte ich die Arme. "Das war ein Drachenmisttag und genaugenommen alles Shawns Schuld."

"Was?"

Teddy wurde so ruhig, dass der Topf still aus seinen Armen sprang und wieder ins Wohnzimmer sprintete. Teddy schien es nicht zu interessieren und ich wurde unsicher, ob er gerade wirklich enttäuscht oder geschockt war. Er setzte sich neben Ginny und verschränkte die Arme auf dem Tisch.

"Die Geschichte würde ich jetzt auch gern hören. Shawn mein Leben gerettet? Soweit kommt es noch, dass ich unserem Headboy was schuldig bin."

Ginny bekam gerade noch so das Ende der Geschichte meines denkwürdigen Tages mit, als sie eine Eule von McGonagall erreichte. Während sie den Brief öffnete und überflog, diskutierte Teddy mit mir, dass ich theoretisch auf Drogen gewesen war und definitiv immer noch ich ihm das Leben gerettet hatte.

Ginny unterbrach Teddys vielsträngige Argumention mit der Kurzfassung der Nachricht: James, ihr ältester Sohn, hatte Professor Goldsteins Büro in Brand gesetzt und gemeinsam mit Fred Weasley - Toris Cousin - und Scorpius Malfoy - Teddys Neffe zweiten Grades - den benachbarten Gang geflutet und dabei diverse Leben gefährdet, unter anderem das ihres anderen Sohnes Albus und seiner Cousine Rose Weasley.

Ginny wurde umgehend zur Schule gebeten und reagierte darauf, entgegen meiner Erwartung viel ruhiger und nur mit einem tiefen Seufzer. So konnte sie, besonders zu Teddys Bedauern, der ein neues Hobby im Einladen von Gästen gefunden hatte, nicht zum Essen bleiben, und benutzte Teddys Kamin, um nach Hogwarts zu reisen ("Ich appariere nicht - ich habe das Gefühl, ich brauche für den kommenden Abend alle Kraft, die ich kriegen kann.")

Teddy verweilte jedoch nicht sehr lang in Trübsal und lud kurzfristig Jusrus ein, der auch mit seiner mittlerweile offiziellen Freundin Stella vorbei kam. Während Teddy sie in Empfang nahm, begab ich mich mit erhobenem Zauberstab auf die Suche nach dem davongelaufenen Topf.

Eine halbe Stunde später kochten in dem von mir eingefangen und endgültig ruhig gestellten Topf die Kartoffeln im Zauberertempo und ich saß mit Stella und Jusrus am Küchentisch und musste mich zusammenreißen, nicht an der Wunde meines Fingers herumzuspielen. Der Topf hatte nicht nur Beine, sondern auch noch versteckte Fangzähne entwickelt, mit denen er mich allen Ernstes gebissen hatte.

Stella war die Zweite heute, die meinen Bericht lobte und erneut blieben wir beim Thema Quidditch hängen. Da es normalerweise mit das Einzige war, worüber Leute mit mir redeten, nervte es mich, doch heute unterhielt ich mich ganz gerne. Da ich Spielerin und sie Managerin der Arrows war, gab es in diesem Bereich natürlich nicht viel Neues auszutauschen, doch sowohl Stella als auch Jusrus wollten alles über Australien wissen, was ich erzählen durfte.

"Oh, ich wünschte, ich könnte gleich mit nach Australien! Jus, stell dir das mal vor, das erste Spiel der ersten Commonwealth-Meisterschaft jemals! Nur als Zuschauer wäre das unvergesslich ... vielleicht geben ich meinen Job bei den Arrows einfach auf, um für das Auftaktspiel nicht hier festzusitzen."

Ich schnaubte. "Das kannst du nicht machen, wir brauchen dich!", sagte ich entschieden.

"Du bist doch eh nicht da", grinste Stella, "du spielst in Australien. Du Glückliche."

"Du darfst doch auch da sein, nur eben die erste Woche nicht."

"Und dafür hasse ich die Arrows so sehr", jammerte Stella und verschränkte beleidigt die Arme. "Ich glaube ich kündige echt." 

"Stell dir mal deinen Dad vor", gluckste Jusrus. "Wenn du die Arrows aufgibst. Der bringt ich um."

"Oder versucht mich zu überreden, zu Puddlemere United zu kommen."

"Auch möglich. Und bringt dich danach um, damit er deine Karte für die CM bekommt."

Stella lachte. "Definitiv."

"Hast du was von Evan gehört?"

Die Frage verließ meinen Mund, ehe ich etwas dagegen tun konnte.

"Ich meine ...", schob ich hinterher und blickte Jusrus zögernd an. "Wie es ihm mit seinem neuen Job geht, meine ich. Ich ... hab schon lange nichts mehr von ihm gehört."

Jusrus lächelte leicht und zuckte mir den Schultern. "Evan redet ja auch nicht so viel über seinen Job. Verständlich, ist ja auch nicht das einzig Wahre, aber ich glaube, ihm gefällt's. Er hat alle Prüfungen bestanden, gerade so, und hat jetzt seinen 3-Jahres-Vertrag durchgekriegt."

Als würde ich wissen, wovon wer sprach, nickte ich wissend und stand dann auf, um Teddy bei Tischdecke zu helfen. Jusrus hatte mit keinem Wort erwähnt, als was Evan arbeitete, weil er davon ausgegangen war, dass ich Bescheid wüsste. Ein komisches Gefühl der Schuld nistete sich in meinem Bauch ein.

Nach dem Essen bedankten Stella und Jusrus sich ausgiebig bei Teddy und seltsamerweise auch bei mit. Dann entschuldigten sie sich, dass sie schon gehen mussten, weil sie Jusrus' Schwester Ginger noch in der goldenen Eule treffen wollten, eine neue Bar für Zauberer, die in Camden eröffnet hatte. Dann schlug Teddy vor, dass wir doch mitkommen könnten. Und dann starrten mich alle an.

"Wir, ... ich ...", stotterte ich und suchte fieberhaft nach einer Ausrede. "Meine Mutter hat mir einen wichtigen Brief geschrieben, wegen der Bundimun-Plage in unserer Wohnung."

Teddy, der hinter Jusrus und Stella stand, zog skeptisch die Augenbrauen hoch und sein Blick sagte deutlich: Keine gute Ausrede. Als ob du oder Shawn euch nicht selbst mit einem Zauberstabwink drum kümmern könntet. Und als ob deine Mum dir schreibt.

"Ich wollte ihr da noch drauf antworten, kann ja nicht ewig bei Teddy bleiben."

Jetzt verschränkte Teddy die Arme und sein Blick verdunkelte sich. Er wollte wissen, weshalb ich nicht mitkommen wollte - gleichzeitig war ich mir ziemlich sicher, dass wir beide die Antwort kannten. 

Zu viele fremde Menschen. Wollten mich Stella Jusrus und Ginger wirklich dabeihaben? Nein, wohl eher nicht. Reine Höflichkeitsfrage. Zu viele Blicke. Zu viele Gedanken, ob ich gut genug war, mit ihnen abzuhängen. Vor allem, wenn sie mich gar nicht da haben wollten. Das Risiko von Fragen. Aufmerksamkeit. Zu viele Gedanken, ob mich Leute auslachen könnten, für was auch immer. Zu viele Menschen.

Man könnte meinen durch meine Karriere hätten solche Ängste verbessert, doch eigentlich wurden sie nur verschlimmert.

"Dann wohl nur wir drei", verkündete Jusrus und klopfte Teddy beim Aufstehen auf die Schulter. Er wirkte ... nein. Nein, das bildete ich mir ein. "Gehen wir, Ginger wartet bestimmt schon."

Stella umarmte mich zum Abschied und betonte, wie schade sie es fände, dass ich nicht mitkommen konnte. Sagte sie das aus Anstand oder weil sie es wirklich so meinte? Ich kannte Stella schon lang und durch die gemeinsame Arbeit der letzten Monate ziemlich gut. Sie hatte nie den Eindruck erweckt, mich nicht zu mögen. Sonst hätte sie mir bestimmt auch nie das Testspiel vor anderthalb Jahren organisiert, oder?

Und Jusrus hatte auch nicht genervt von mir gewirkt. Er war doch sogar auf meine Einladung hin zu unserer Spaß-Quidditchrunde gekommen. Allerdings war das auch anderthalb Jahre her.

Weder Jusrus noch Stella schienen durch meine Anwesenheit heute gestört gewesen. Wir hatten uns wirklich gut unterhalten und ich hatte mich nicht mal unwohl gefühlt, trotz anfänglicher Aufregung.

Nun sahen beide wirklich irgendwie enttäuscht aus (ganz zu schweigen von Teddy). Und Ginger hatte ich ewig nicht mehr gesehen, obwohl wir uns immer gut verstanden hatten.

Ich brauchte mich nicht zu wundern, nichts über Evan zu wissen, wenn ich nicht dafür sorgte, Dinge zu erfahren. Drachenmist, was andere über mich dachten. Estelle Wood und Jusrus Gold hatten mich eingeladen, etwas mit ihnen zu unternehmen. Leute, zu denen ich immer aufgesehen hatte. Ich spielte Quidditch bei den Arrows und in der Nationalmannschaft, hatte schon mehrere Interviews gegeben und mein Poster hin an Alias Kühlschrank. Wieso interessierte es mich, was andere über mich dachten? Objektiv betrachtet hatte ich mein Leben nicht komplett in den Sand gesetzt.

"Wisst ihr was?"

Wie die Frage an Jusrus über Evan vorhin sprach ich sie einfach aus, bevor ich eine Rückzieher machen konnte. Manche Leute musste man zu ihrem Glück zwingen und ich gehörte dazu. Ich zwang mich zu meinem eigenen Glück.

"Der Brief kann warten, ich habe morgen den ganzen Tag Zeit. Wenn es ... okay für  euch ist, komme ich doch mit."

Zu meiner großen Überraschung erschien ein Lächeln auf Jusrus' Gesicht.

"Aber klar doch!", freute Stella sich und führte mich zu meinen Schuhen. "Sonst hätten wir dich doch nicht gefragt! Das wird ein super Abend."

"Geht doch, Sternchen", flüsterte mir Teddy im Vorbeigehen ins Ohr.

Ohne es zu wollen oder verhindern zu können, breitete sich ein stolzes Grinsen auf meinem Gesicht aus.

Es fühlte sich gut an. 

So selbstbewusst ich in Teddys Wohnung noch gewesen war, es wurde bis auf das letzte Häufchen niedergeschlagen, als wir vor der Tür der goldenen Eule standen. Es hatte so viel von einer Bar wie Saiph Sinn für Grammatik.

Es ähnelte mehr dem, was man wohl als "Club" bezeichnete. Schon von draußen war die Musik so laut, dass ich mir nur vorstellen konnte, wie stark der Schutzzauber sein musste, damit die vorbeischlendernden Muggel sich nicht mal nervös umschauten, sondern einfach weiterliefern.

Bunte Lichter blitzten ab und zu aus den Fenstern, die sonst von tanzenden Menschen besiedelt wurden. Teddy musste meinen geschockten Gesichtsausdruck bemerkt haben, dann Augen verdrehend legte er mir eine Hand auf den Rücken und schob mich vorwärts. Widerwillig stolperten meine Füße Jusrus und Stella nach.

Wieso hatte ich nochmal zugestimmt? Ich wusste, ich wusste es eigentlich besser. Dies war der Grund, weswegen ich zu Hause bleiben bevorzugte.

Die Luft wurde sofort erdrückend heiß und so stickig, dass ich rückwärts hinausgelaufen wäre, hätte Teddy mich nicht wie ein Fahrrad mit beiden Händen auf meinen Schultern vorwärts geschoben. Als hätte man mich in einen Pool voll dickflüssigem warmen Wachs geworfen versuchte ich, Luft zu bekommen und meine Gliedmaßen normal zu bewegen.

Mein gesamter Körper war angespannt und ich ließ meinen Blick auf dem Boden ruhen. Es waren zu viele Menschen hier. Einer würde mich sicher erkennen. Und mich dann auslachen. Oder anfangen zu lästern, weil ich zu jung zum Quidditchspielen war.

Kassy, rief ich mir in Erinnerung, die Welt dreht sich nicht nur um dich. Komm runter.

Wir mussten uns über die gesamte Tanzfläche kämpfen, bevor Stella Ginger an einem kleinen Tisch in einer Nische entdeckte. Ich sah jetzt auch das erste Mal die Bar, an der - zu meinem Schock - Luke Bell mit zwei Hauselfen zu seiner Unterstützung Cocktails mixte. Als wir uns an der Bar lang an den anstehenden Gästen vorbeidrängelten, grüßte er uns mit einem Nicken.

"Lupin, lang nicht mehr gesehen! Gold, Stella ... Oh, Bole. Gute letzte Saison!"

Mehrere Köpfe drehten sich nun zu uns um. Mir wurde so heiß, dass es sich anfühlte, als würde mein Kopf explodieren. Glücklicherweise schob Teddy mich immer noch an und eh ich mich versah, lag ich in Gingers Armen, die sich über Teddy und mich als Überraschungsgäste sehr freute.

Dann wurde ich auf die Bank gesetzt und an die Wand geschoben. In der Ecke fühlte ich mich um einiges wohler und zu meiner Lebensrettung befand sich der kleine Tische an einem Fenster, welches einen Spalt geöffnet war. Kalte Luft strömte hinein und ließ den Schweiß unter meinen Augen trocknen.

Ich atmete tief durch. Solange ich hier sitzen bleiben konnte, würde ich den Abend irgendwie überleben. Ich hatte schon mal keine Blicke im Nacken kleben, dank der soliden Wand hinter mir, die und vom Nachbartisch trennte, und konnte die Tanzfläche gut beobachten, auf der auch keiner zu uns rüber sah.

Siehst du, sag ich ja. Du interessierst niemanden.

Nervös erlaubte ich meinen Schultern die Verspannung zu lösen. Dafür bekam die Innenseite meiner Unterlippe mal wieder die volle Aufmerksamkeit und schon bald spürte ich die Unebenheiten der mit den Zähnen abgebissenen Haut deutlich.

Ich hörte auf und konzentrierte mich auf das Gefühl von Shawns Kette an meinem Fußgelenk. Es war verrückt, wie ich nach allem immer noch Sicherheit fühlte, wenn ich an die Kette dachte und das, wofür sie stand.

Ginger schien bereits etwas angetrunken zu sein und erzählte uns freudig, wen sie schon alles gesehen hatte. Es befanden sich überraschen viele alte Mitschüler hier, die auch ich kannte, wie Lian Harris oder Dorothy Stevens. Ich war nicht so erpicht darauf, sie zu treffen, vor allem weil die Gefahr bestand, auf Melody zu stoßen, die sich so eine Gelegenheit sicher nicht entgehen lassen würde.

Daher lehnte ich es ab, Teddy auf seine Nachfrage zur Bar zu begleiten, um Getränke zu besorgen. Ich wollte weder aufstehen, noch was trinken - oder gar in eine Unterhaltung mit Luke verwickelt werden.

"Ist hier immer so viel los?", fragte ich Ginger, nachdem Teddy in der Menge verschwunden war. "Es ist mitten in der Woche. Müsst ihr nicht auch morgen arbeiten?"

"Klar", antwortete Ginger breit lächelnd, "aber deswegen muss ich nicht auf Spaß verzichten. Die haben hier nur einmal in der Woche und am Wochenende offen und sind so der einzige Schuppen, wo man sich als unter Vierzigjährige amüsieren kann. Die meisten trinken nichts und gehen spätestens um zwei nach Hause. Wenn du dann direkt ins Bett fällst, kommst du gegen sieben noch ganz gut hoch. Viele nehmen sich aber auch den morgigen Tag frei."

Ich bekam das Gefühl, dass Ginger schon einige Male der wenigen offenen Tage hier gewesen war und auch den einen oder anderen Tag Urlaub genommen hatte.

"Außerdem ist das noch die Anfangsphase, wo es alle ausprobieren wollen. Die Eule hat erst seit Neujahr offen und Eintritt am Wochenende kostet Geld."

Ich nickte nur, da meine Worte ohnehin in der plötzlich umschwingenden Musik untergegangen wären. Der Bass brummte so laut, dass ich ihn überall spüren konnte. Mein Herzschlag arbeitete durcheinandergebracht dagegen und mir wurde etwas schlecht.

Viel Zeit mich darauf zu konzentrieren hatte ich allerdings nicht. Die junge Frau tauchte so schnell aus dem Nichts auf und ließ sich mit einer lauten Begrüßung neben mich fallen, dass ich zum zweiten Mal an diesem Tag aus allen Wolken fiel und mein Herz kurz stehenblieb, bevor es wieder wie wild alles andere als im Takt schlug.

Glücklicherweise bemerkte meine Gesellschaft nichts, da ich durch die Federung des Lederbezugs der Bank etwas nach oben katapultiert wurde und ohnehin alle Augen auf Camila lagen.

Sie hatte sich verändert - ich wollte es kaum zugeben, doch sie war noch schöner geworden.

"Jusrus, Ginger! Estelle, richtig?"

"Stella - "

"Stella! Und Kassy! Hiii!"

Man merkte ihren Alkoholpegel deutlich. Als sie mich plötzlich umarmte, setzte mein Überlebensinstinkt ein und mein Körper dachte, sie würde mich erwürgen wollen. Allerdings schien er sich weder für fight noch für flight entschieden zu haben, sondern eher für freeze und fright. Jeder Muskel war eingefroren.

Doch Camila erwürgte mich nicht. Ich hätte ehrlich gesagt nicht mal erwartet, dass sie sich überhaupt an meinen Namen erinnerte.

"Schau dich an! Du bist noch hübscher geworden! Wo ist Shawn?"

Wenn die Panik sich noch nicht voll entfaltet hatte, dann tat sie es spätestens jetzt. Von wegen Kampf oder Flucht, das hier war mein Tod. Es wurde tausendmal heißer. Meine Schultern verkrampften sich nach vorne und ich widerstand dem Drang, meine Knie auf die Bank zu ziehen oder gleich unter dem Tisch zu verschwinden.

Vergeblich versuchte ich Luft zu holen. Es war, als steckte ein Strohhalm in meinem Hals. Das einzige Objekt, durch das ich atmen konnte. Oder eben nicht.

Obwohl es niemand tat, fühlte es sich an, als würden mich alle Gäste anstarren und sich ihren Teil denken. So gut ich vielleicht meine Beine zurückhalten konnte; mit den Tränen klappte es nicht. Hätte ich Luft bekommen und mich bewegen können, würde genau das passieren, was ich gerade am meisten wollte: Losheulen.

Es ärgerte mich. Ich hatte gedacht, es wäre besser geworden, doch dann gab es immer wieder Tage wie diese; an denen ich nichts tun konnte. Wo mir gut zureden nichts half. An denen ich besser hätte zu Hause bleiben sollen.

Ich bereute meinen Entscheidungswechsel zu tiefst. Ich hätte zu Hause bleiben sollen. Ich hatte es gewusst: Ich hätte zu Hause bleiben sollen.

Ein weiterer Nachteil an meinem Gehirn bestand darin, dass ich zu schnell dachte. Es konnte keine Sekunde vergangen sein, als ich es irgendwie zustande brachte, hervorzupressen: "Ich bin mit Teddy hier."

Danach wurde es noch schlimmer. Ich konnte meine Schnappatmung nicht verstecken und meine Augen füllten sich mit Tränen. Camilas Gesichtsausdruck fiel und ich erkannte, wie meine Aussage eben geklungen haben muss. Der Gedanke an die Falschaussage über Teddy ließ mich wirklich alles auf einen Schlag vergessen.

"Also - nein. Nicht so. Teddy und Tori sind noch zusammen, nur Tori ist momentan wegen der Arbeit in den USA und ich wohne zurzeit bei Teddy und dann sind wir heute Abend spontan hier her gekommen. Als Freunde."

Camila stieß ein "Ahhh!", aus und lächelte in die Runde.

Die Panik kam wieder hoch, aber ein Großteil verwandelte sich nun in Peinlichkeit. Es lief auf dasselbe hinaus. Ich wollte hier weg. Aber ich konnte nicht. Und diese Aussicht half nicht sonderlich.

"Also seid du und Shawn noch zusammen?" Zu mehr als einem verkrampften Lächeln reichte es nicht, doch Camila war dies wohl schon genug. "Das freut mich! Er schreibt mir ja nicht. Nie! Klar, man hört, was er gerade so macht, aber trotzdem! Und bei dir sieht es ähnlich aus, aber ich dachte, wenigstens du schreibst mal."

Enttäuscht blickten mich ihre braunen Augen an, die so anders als die waren, die ich gewohnt war, da ich sonst nur in ein einziges Paar braune Augen schaute, wenn ich nicht gerade vor dem Spiegel stand.

Luke Bell war schon eine Überraschung gewesen, aber dass Camila sich zu mir setzte und sich anscheinend noch an ihre und Shawns letzte Zugfahrt erinnert, übertraf meine Vorstellungen. Sie schien nicht vergessen zu haben, dass sie von uns verlangt hatte, sie auf dem Laufenden zu halten.

Noch weniger hätte ich gedacht, dass sie es anscheinen ernst gemeint hatte. Und es immer noch tat.

Merlin sei Dank erwartete sie in ihrem Rausch der Freude keine Antwort, sondern erzählte einfach weiter:" Ich hab gehört, du bist jetzt Praktikantin bei Ginny Potter!"

Ich muss wohl das Gesicht verzogen haben, denn Camila strich mich lachend über den Arm. "Guck nicht so verwirrt, ich bin auch beim Propheten und Trash verbreitet sich gerade unter Journalisten schnell." Sie streckte die Zunge aus dem Mundwinkel und zwinkerte mir zu. "Wir werden uns bestimmt häufiger sehen, wenn ..."

Ein kühler Luftzug pfiff durch das Fenster und ich wurde daran erinnert, dass ich noch lebte. Allmählich beruhigte ich mich wieder. Bis auf Ginger, Jusrus und Stella bemerkte natürlich keiner meine Existenz und auch diese drei schauten mich nicht wie einen zweihörnigen Erumpent an.

Ich wollte immer noch nach Hause, aber immerhin hatte sich der Strohhalm verabschiedet, ich konnte mich bewegen und vor allem stand ich nicht mehr eine Zauberstablänge vor einem Heulkrampf.

" ... also, letzte Woche. Oh, wir müssen unbedingt zusammen Mittagessen gehen!" Camila griff nach meinen verschränkten und von Fingernägeln markierten Händen und quetschte sie aufgeregt. "Und Shawn kann auch kommen, dann kann er sich nicht raus - warte mal." Sie stutzte und der Griff um meine Hände lockerte sich. "Wieso wohnst du gerade bei Teddy? Hat Shawn nicht seine Wohnung?"

"Sie haben ein Bundimun-Problem", schoss es sofort aus Ginger, froh, etwas beitragen zu können. Sie war sichtlich genervt von ihrem Bruder und Stella, die es sich zur neuen Aufgabe gemacht hatten, rumzuknutschen, und beleidigt, dass Camila ihren wie-ein-Wasserfall-reden-Part übernommen hatte.

"Ich bin für eine Weile ausgezogen. Wir ... klären momentan ein etwas wichtigeres Problem, was uns betrifft ..."

Fast unglaublich, dass Jusrus anscheinend noch zugehört hatte und seine Hand aus Stellas Haaren zog. Auch die Brünette drehte sich wieder zum Tisch.

Ich hatte nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, wieso ich gerade die Wahrheit gesagt hatte. Aber es fühlte sich nicht schlecht an.

"Nichts, was wir nicht wieder hinkriegen könnten", schob ich deshalb eine beruhigende Lüge hinterher. "Wir brauchen nur ... Zeit. und etwas Abstand."

"Hat es mit seinem Job zu tun?", fragte Camila auf einmal ganz ruhig.

Ich blinzelte die Tränen weg. "Könnte man so sagen ..."

Camila drehte sich zu den anderen Dreien um und Ginger verstand sofort. Sie drückte zuerst Stella, dann Jusrus von der Bank. "Ich hab Lust auf Tanzen", verkündete sie lustlos und war im nächsten Moment mit den anderen beiden verschwunden.

Jetzt würde Camila mich umbringen, keine Frage.

"Kassy", begann sie langsam und drehte ihren Körper zu mir, in dem sie ein Bein auf die Bank hob. "In ..."

Sie fasste sich kurz an den Kopf. Es sah aus, als müsste sie sich stark konzentrieren.

"Der Rum ist ein Fehler gewesen ... In unserem vierten Jahr hatten wir ein Projekt in Verwandlung. Freie Partnerwahl. Shawn und ich hatten uns zu dieser Zeit gerade richtig kennengelernt und super verstanden, weswegen wir zusammen gearbeitet haben. Am Anfang war alles gut, aber nach ein paar Wochen hat er sich immer mehr in die Sache verwickelt. War richtig passioniert, fast sogar besessen. Es hat ihm so einen Spaß gemacht, dass er sich um nichts anderes mehr gekümmert hat, sich für nichts und niemanden interessiert hat. Du darfst. Das nicht. Persönlich nehmen."

Sie seufzte und zauberte sich Wasser in Gingers leeres Glas. Ohne abzusetzen trank sie alles aus. Ich starrte sie an, unfähig mich zu bewegen.

"Ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber er macht es nicht mit Absicht", fuhr sie mit trockener Stimme fort, obwohl das nicht möglich sein dürfte. "Was es nicht besser macht! Aber ich dachte, das solltest du wissen. Ich habe leider nie rausgefunden wie man ihn da raus bekommt. Als das Projekt fertig und abgegeben war, hatte Shawn die nächste Woche eine Art Breakdown, aber danach war alles wieder beim Alten und er hat nicht mal gemerkt, was eigentlich passiert ist. Weil alles gut war, zwischen uns und auch sonst, habe ich ihn nie drauf angesprochen. Aber jetzt bereue ich, es ihm nicht erklärt zu haben. Es tut mir so leid, ich ..."

Sie fing leise an zu schluchzen und tupfte sich mit einem Finger untern den Augen lang.

"Scheiße, meine Mascara ... Du musst verstehen, das ist einfach ein Teil von ihm. Ich kenne ihn jetzt schon so lange und habe mir fast gedacht, dass es wieder dazu kommen wird. Ich glaube, es sind Dinge, die er wirklich liebt."

Camila bemerkte meinen Blick und ihre Gesichtszüge wurden weich. "Bei dir war es nicht anders. Nachdem er dich das erste Mal beim Nachsitzen getroffen hat, hat er, wann immer wir alleine waren, über nichts anderes als dich gesprochen. Zumindest unterschwellig. Und glaub mir, das ist mit der Zeit nicht besser geworden."

"Wir haben uns nicht das erste Mal beim Nachsitzen getroffen." Mein Hals brannte und ich hatte das Gefühl, dass ich stank.

Camila blickte mich fragend an.

"Erinnerst du dich an das Zauberduell auf dem Gang, in das Shawn verwickelt war?"

"Klar", antwortete Camila und strich sich ihre Haare aus dem Gesicht. "Das mit Maddox. Deswegen war er ja beim Nachsitzen."

"Ich war dabei."

"Beim Nachsitzen."

"Nein, bei dem Duell. Wir sind ineinander gerannt ..." Ich stockte. Es schmerzte, sich an unsere zweite Begegnung zurückzuerinnern. "Und dann ist Maddox um die Ecke gekommen und hat angefangen, uns mit Flüchen abzuschießen."

"Was? Das ... oh, jetzt ergibt das alles viel mehr Sinn!"

Ich gab es nicht gerne zu, aber es kränkte mich, dass die Geschichte tatsächlich so verfälscht wurde, dass nicht mal Camila die Wahrheit kannte. War ich wirklich so ein Niemand gewesen? Ich fragte mich, was Shawn noch alles verschwiegen hatte.

"Und das ist auch nicht unsere erste Begegnung gewesen."

Camila öffnete den Mund und ließ sich gegen die Lehne fallen.

"Sag nichts!", verlangte sie und zeigte auf mich. "Du bist das Mädchen aus dem Zug. Ich hab es gewusst!" Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und fletschte die Zähne. "Ich wusste es. Dieser kleine Wichtel hat es nie zugegeben! Jetzt ergibt es auch alles Sinn! Weshalb er gleich so besessen gewesen ist! Und weswegen er sein Schulsprecheramt weggeworfen hat."

"Oh, das war nicht meinetwegen. Sag mal, war er eigentlich mit irgendeinem von euch richtig befreundet?"

Natürlich hatte ich meinen Freunden auch nicht alles erzählt, aber ich hatte sie zumindest nicht über so vieles angelogen.

Camilas Lächeln verschwand. "Schon, aber Shawn hat kaum über sich selbst geredet. Ich wusste auch erst nach der Schule, dass er eigentlich aus Kanada kommt. Mit den meisten von uns hat er Spaß gehabt und ich glaube wirklich, dass er sich um uns gesorgt und gekümmert hat. Aber die einzige Person, die er jemals richtig an sich rangelassen hat, war Dave. Na ja, bis er ... bis zu dem Vorfall mit Sally. Dann hast du seinen Platz eingenommen."

Hatte ich das? War ich ein Ersatz für Dave? Das konnte nicht sein. Ich liebte Shawn und ich liebte Alia, aber der eine könnte nie ein Ersatz für den anderen sein.

Trotzdem - wenn Camila so dachte ... Fühlte Dave sich, als hätte ich ihn ersetzt? Oder lag es an Shawn und er konnte sich immer nur auf eine Sache völlig einlassen?

Wurde ich langsam durch seinen Beruf ersetzt?

"Wieso hat Dave das damals gemacht? Das mit Sally?"

Camila zuckte mit den Schultern. "Ich glaube, nicht mal Shawn weiß das. Jedenfalls nicht, weil er sie geliebt hat oder Abenteuer wollte. Das ist überhaupt nicht Daves Art, sowas würde eher zu Lewis passen ... Ich meine, ich habe eine Vermutung ..."

Ihre dunklen Augen huschten über mein Gesicht, dann schüttelte sie den Kopf. "Aber wissen kann ich gar nichts. Tu ich auch nicht. Ich nicht. Dave schon, und ich denke Lewis auch. Der ist glaube ich sowieso der Einzige, der Überblick hatte und wusste, was genau passiert ist."

"Ja", murmelte ich und sah weg. "Hast du noch Kontakt zu ihm?"

Jetzt verdüsterte Camilas Blick sich erheblich. "Nein", sagte sie leise. "Auch zu Gree nicht. Zu keinem der Drei und ich will es auch erst mal nicht. Ich weiß nicht, wo sie sind und was sie machen, aber ich muss sagen, es stört mich nicht. Glaub mir, wenn ich dir sage, es ist besser, wenn du dich von ihnen fernhältst."

Ich hatte nie etwas anderes im Sinn gehabt.

"Aber was ich eigentlich sagen wollte", fuhr Camila ruhig fort und ihr Blick wurde wieder wärmer, "verurteile Shawn nicht. Glaub mir, er liebt dich. Vielleicht mehr, als du dir eingestehen willst, vielleicht sogar mehr, als gut für ihn ist. Du musst nur Geduld mit ihm haben. Aber."

Sie suchte Augenkontakt und blinzelte zweimal.

"Wenn er zu verbissen wird und du dich nicht wohlfühlst oder unglücklich bist, dann mach das, was für dich am besten ist. Für dich, hörst du? Shawn ist nicht Melody, er versteht das. Sollte er zumindest. Du hast dich schon genug für andere Leute aufgegeben. Ich will Shawn nicht auf dieser Liste sehen."

Es war bestimmt schon die siebte Träne, die mir die Wange runterlief. Camila redete wie eine Freundin und ich fragte mich, wie gut sie mich eigentlich kannte. Wie viel Shawn ihr über mich erzählt hatte. Wie stark ich sie eigentlich unterschätzt hatte.

Jahrelang hatte ich geglaubt, sie würde mich unterschätzen, doch nun stellte ich fest, dass es, wenn überhaupt, andersrum gewesen ist.

"Ich habe Melody lange Zeit beobachtet und sie immer wieder über dich reden hören, schon seit dem zweiten Jahr", gestand Camila. "Ich mische mich generell nicht in Angelegenheiten anderer ein und habe sie machen lassen. Außerdem kannte ich dich nicht, ich kannte ja nicht mal Shawn richtig. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung. Mich hat es nur genervt, wie Melody dich von vorne bis hinten ausgenutzt hat. Aber wie gesagt, ich lasse jeden so handeln, wie er es für richtig hält. Ich bin einfach froh, dass du es selbst geschafft hast und dass Shawn dich hat."

Camila und ich waren uns gar nicht so unähnlich - auch sie schien viel zu beobachten und Menschen gut einschätzen zu können. Ich war all die Jahre so fies ihr gegenüber gewesen, dass ich mich nun richtig schämte.

"Es tut mir leid, dass ich immer so kalt und abweisend gewesen bin", platzte es aus mir heraus. "Ich bin es nicht gewohnt, dass mir Menschen nichts Böses wollen und ich habe von Flint auf euch alle geschlossen."

"Du warst schüchtern, daran ist doch nichts falsch! Genau wie Shawn, nur dass er es hinter seinem strahlenden Lächeln versteckt hat. Erfolgreich versteckt, wenn du mich fragst. Ich würde immer noch keine Ahnung haben, wenn er nicht wegen jedes kleinen Ratschlags zu mir gerannt wäre." Camila lachte leise und schüttelte ihre langen Locken. "Ich vermisse ihn wirklich. Er war gute Gesellschaft."

Sie hatte mich nie gehasst oder wollte mir Böses - sie war einfach nur eine sehr gute Freundin Shawns gewesen und wollte ihn, wie seine anderen Freunde es wollten, beschützen. Am liebsten hätte ich Camila umarmt, doch mein Selbsthass saß gerade so tief, dass ich ihr nicht länger in die Augen sehen konnte.

War ich schon immer so schnell so voreingenommen und beurteilend gewesen? Wem habe ich noch Unrecht getan?

Niedergeschlagen blickte ich vom Tisch auf die Menge, die nicht mehr ganz so dicht auf der Tanzfläche gebündelt war. Reflektierten Leute nur das Verhalten, welches sie in mir sahen? Hielten sie meine Schüchternheit für Arroganz? Wenn ich freundlicher und aufgeschlossener wäre, wären es dann auch die anderen?

Camila legte mir eine Hand auf den Arm. In diesem Moment öffnete sich eine Lücke zwischen zwei tanzenden Gruppen und ich hatte freie Sicht zur Tür, durch die Shawn lachend trat. Gefolgt von einer jungen Frau, Mitte zwanzig, einen guten Kopf kleiner als ich, mit langen blonden Haaren. Shawn legte einen Arm um sie, die Kleine lächelte ihn an und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Shawn beuge sich zu ihr und die Lücke schloss sich wieder.

Dies war der Moment, in dem ich verstand, wieso Teddy sich mit Nate geprügelt hatte. Wieso Foxie sich über mich lustig gemacht hatte. Wieso Thomas Macdonald sich ständig neue Namen für mich ausdachte. Die pure Eifersucht traf mich so stark, dass ich schlucken musste.

Ich wollte dieses fremde Mädchen in Stücke reißen. Wollte Shawn anschreien. Wollte, dass irgendjemand dafür bezahlte. Und dass es aufhörte. Ich war nicht eifersüchtig, weil ich mich ersetzt fühlte oder weil ich lieber an der Stelle der Fremden gewesen wäre.

Ich war eifersüchtig, weil ich mich fühlte, als würde sie jede meiner Erinnerungen mit Shawn, jedes positive Gefühl, jede Berührung an sich reißen und sich darin breitmachen.

Als hätte ich nie existiert.

Eifersucht war ein Gefühl, welches ich bisher in dieser Form noch nie erlebt hatte. Nicht so. Und das ließ ihn mir klar werden: den Unterschied zwischen den Leuten am anderen Ufer und Shawn.

Ich brauchte ihn vielleicht nicht, aber ich wollte ihn.

ϟ            ϟ             ϟ

*Dramatische Musik, jump cut to the next chapter*

Überraschuung, Camila is back! Was haltet ihr davon?

Wer könnte das blonde Mädchen sein, mit dem Shawn seinen Auftritt hingelegt hat?

Und Jusrus, Stella und Ginger waren dabei! Ich liebe die Drei und freue mich umso mehr, dass sie noch Platz gefunden haben.

Übrigens sind wir nicht mehr weit vom Ende entfernt *evil laughter*

Bis demnächst, Amelie :)

Next Update ⥋ 27.07.2020 (Monday)

[21.07.2020]

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