Kapitel 32 ϟ Leave

In My Blood - Shawn Mendes ♪♫  

Ich saß gerade mit Shawn als eine der ersten beim Mittag, als mich gleich drei eher weniger gute Nachrichten erreichten.

Zwischen Shawn und mir war nun alles im Reinen. Nach seinen Worten hatten sich Dave und Flint eingekriegt und Dave hatte sogar aufgehört, mich böse anzusehen.

Fast eine Woche war es nun her, dass Shawn und ich uns ausgesprochen hatten. Seitdem hatte sich viel verändert.

Shawn ignorierte mich nicht mehr. Wenn wir uns auf den Gängen begegneten beachtete er mich, lächelte mir immer zu und hielt ab und zu sogar an, um sich kurz mit mir zu unterhalten oder mir einen Kuss auf die Wange zu drücken.

Gelegentlich liefen wir Hand in Hand zum Unterricht oder ich hockte auf seinem Schoß, wenn Shawn dann und wann bei uns in der Bibliothek saß.

Wir bekamen zwar Blicke zugeworfen, aber in dem Moment ignorierte ich sie. Nur wenn Shawn nicht an meiner Seite war, hatte ich mit meiner inneren Panik zu kämpfen.

Einzig allein Shawns ständiges Lächeln, was ich nun andauernd zu sehen bekam, beruhigte mich. Ich hörte auf Shawns Tipps: Die Anderen und ihre Meinungen waren egal. Shawn und ich, wir, und unsere Freunde waren alles, was zählte.

Doch die Ereignisse jetzt häuften sich und warfen mich innerhalb weniger Sekunden aus der Bahn.

Gerade, als die wenigen vereinzelten Eulen nach dem Abliefern der wichtigen Post wieder davon flogen, kam Alia auf mich zugeschlittert: "Kassy!"

Ich wandte mich von der Konversation mit Shawn, James und Clove ab und sah zu meiner Freundin. "Alia! Was ist los?"

Alia sah ganz aufgeregt aus, zitterte leicht und spielte nervös und außer Atmen an ihren Haaren.

"Teddy und Nate haben sich geprügelt!"

"Was?", schoss es aus mir heraus und Shawns Kopf drehte sich erschrocken um.

"Wer hat sich geprügelt?", hakte James nach und legte seinen Tagesproheten beiseite.

"Teddy und Nate?!", antwortete Shawn entsetzt.

"Nate Kennedy?", fügte Clove hinzu.

"Wieso das? Was ist passiert?", wollte ich jetzt endlich wissen.

"Nate ist ausgerastet!", erklärte Lil aufgeregt und fuchtelte mit den Armen rum. "Tori hat ihm das mit Teddy erzählt, was du ihr gesagt hast, und dass sie sich unsicher ist und mit ihm, also mit Teddy, reden will, aber Nate war sofort eifersüchtig und meinte, er will mit Teddy reden, aber Tori meinte nein, und Nate meinte doch, und das ist immer so weitergegangen, bis das alles lauter geworden ist und Nate hat dir vorgeworfen, dass das deine Schuld sei, dass du so eine Scheiße erzählst und du keine Ahnung hättest und dich um deine eigenen Probleme kümmern solltest und dann hat Tori ihn angeschrien, er soll sowas nicht über dich sagen und dann hat Nate sie angeschrien und dann kam Teddy zufällig vorbei und hat Nate gehört wie er Tori angeschrien hat und hat Nate gesagt er soll Tori nicht so anschreien und Nate ist noch mehr ausgerastet und hat Teddy gesagt er soll die Finger von seiner Freundin lassen und jemand anderen belästigen gehen und dann hat Teddy zurückgebrüllt, dass er sich nichts auf Toris Fehler mit ihm zusammen zu sein einbilden soll und dann hat Nate ihn geschlagen und dann hat Teddy zurückgeschlagen und dann ist Nate auf Teddy gesprungen und Tori hat gekreischt und Katie hat gekreischt und - "

"Jetzt hol mal Luft!", unterbrach ich sie und versuchte immer noch, ihr Gesagtes zu verarbeiten. "Was hat Katie denn jetzt damit zu tun?"

"Na Katie stand auch da. Und ich auch", führte Alia aus.

"Und dann habt ihr nicht eingegriffen?"

"Wir mischen uns nicht in Angelegenheiten der anderen ein", entgegnete Alia und ich warf ihr für die Provokation einen fiesen Blick zu. "Nein, Tori hat uns gesagt wir sollen uns nicht einmischen und ich schmeiße mich bestimmt nicht zwischen zwei eins neunzig Typen, die sich auf dem Flur die Köpfe einschlagen."

"Wo sind sie denn jetzt?", warf Shawn dazwischen.

"Beide im Krankenflügel. Tori ist außer sich und McGonagall ist auch im Krankenflügel, mit Professor Perks und Professor Longbottom. Katie versucht Tori davon abzuhalten, Nate die Augen auszukratzen und Olivia ist auf dem Weg. Ich dachte, ich sag dir auch Bescheid."

"Worauf wartest du noch, Kassy?", sprach Shawn mich an und stupste mir leicht gegen den Rücken. "Ich komme mit, wenn du willst."

"Ich ... weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist", stotterte ich und blickte Alia unsicher an. "Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass Tori mich sehen will."

"Ganz zu schweigen von Nate oder Teddy", warf Clove ein und schob sich ein großes Stück Schnitzel in den Mund.

Ich drehte die Gabel in meiner Hand und wartete auf eine Reaktion von Alia.

"Kassy, ich bin mir sicher, dass Tori das momentan nicht wirklich interessiert. Teddy ist auch dein Freund, und wenn Nate dich in der Erzählung erwähnt, will McGonagall dich garantiert eh sehen", überlegte Alia. "Und ... vielleicht ist es an der Zeit, dass du und Tori miteinander reden."

"Vielleicht solltest du echt gehen", stimmte Shawn Alia zu und ich beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Lil ihm zulächelte.

"Ja, vielleicht ..."

"Willst du, dass ich mitkomme?", fragte Shawn aufmerksam.

"Nein. Nein, danke, ich muss das alleine hinkriegen."

"Verstehe."

Shawn klang keinesfalls bitter oder enttäuscht, sondern eher verständnisvoll und ein kleines bisschen besorgt.

"Okay, dann komm", forderte Alia mich auf und streckte ihre Hand aus, um mich von der Bank hochzuziehen.

"Kassy!", brüllte nun jedoch eine andere Stimme hinter Alia. Eine mir sehr vertraute Stimme. Eine mir sehr vertraute junge Stimme.

"Saiph?"

"Mann, wegen dir hab ich heute Morgen 'nen Heuler gekriegt! Skye hält mich für voll weird jetzt und meine halbe Klasse hat mich ausgelacht! Ich schwöre dir, fix das wieder oder ich verhex' dich!"

Shawns Augen wanderten mit einem einzigen Blinzeln von meiner Schwester zu mir und seine Augenbrauen hoben sich in die Höhe.

"Einen Heuler?", wiederholte ich. "Meinetwegen?"

"Allerdings. Nur weil ich Dad gesagt hab, dass du nicht auf den Listen für die Osterferien stehst." 

"Du hast was?", rief ich aufgebracht und sprang auf. Mit der Gabel nach wie vor in der Hand trat ich einen Schritt auf meine Schwester zu. Sie zuckte bloß mit den Schultern.

"Er wollte halt wissen why, weil er meinte, dass du Mum ja gesagt hättest, dass du nicht mehr nach Hause kommst und dann hab ich halt gesagt, dass ich auch nicht weiß, wo du hin willst, außer, dass du jetzt halt mit Shawn zusammen bist. Der Heuler hat mir fast ins Face gerotzt! Er war an dich adressiert, ich weiß eh nicht, wieso er dann bei mir ankommt."

Alia blickte mich sofort fragend an.

"Ich hab mich selbst gegenüber Dad unortbar gemacht", erklärte ich ihr und während Shawns Augen sich vor Bewunderung weiteten, verzog Saiph nur das Gesicht zu einer fragenden Grimasse.

"Jedenfalls war Dad voll am ausrasten", fuhr Saiph ungehindert fort. "Hat gesagt, dass es ihm jetzt auch egal ist, wo du hingehst, solange du nicht wieder back kommst. Mum hat dazwischengeredet, aber you know Dad. Ist ja auch egal, gehst du denn wirklich mit zu Shawn? Wo wohnt der überhaupt? Und was willst du jetzt machen, damit meine Freunde mir glauben, dass der Heuler an dich ging?"

"Das hat dich gar nichts anzugehen, schlimm genug, dass du schon wieder Petze gespielt hast", meckerte ich sie an.

"Ich hab nicht Petzte gespielt, du bist selber eine! Ich hab nur Dads Brief beantwortet, okay?! Und was ist jetzt wegen meinen Freunden?"

"Wegen deiner Freunde", wiederholte ich, um Saiph auf ihren grammatikalischen Fehler aufmerksam zu machen, was sie mit einem dunklen Blick quittierte. "Ist mir egal, macht das unter euch aus. Sie haben doch gehört, dass der Heuler nicht an dich ging."

"Haben sie nicht! Ich hab ihn mit aufs Klo genommen und versucht, ihn dort zu sprengen, aber er ist ausgerastet, hat mir den Text an den Kopf geschrien und ist dann explodiert! Was glaubst du sonst, wieso mein Gesicht so aussieht? Ich hab das Zeug nicht abbekommen!"

Erzürnt deutete sie auf ihr Gesicht, welches überall schwarze Flecken aufwies. Dass ich gedacht hatte, dass dies einer ihrer üblichen Make-up Unfälle gewesen war, verschwieg ich ihr.

Ich holte Luft, um zu antworten, doch bevor das erste Wort meine Lippen verließ, wurde Saiph zur Seite gestoßen.

"Ey!", beschwerte sie sich und riss die Fäuste nach oben, bereit, ihrem Angreifer ins Gesicht zu boxen.

"Oh, tut mir leid, Saiph", entschuldigte Sydney sich. "Das tut mir echt leid, aber ich muss ganz schnell zu Kassy. Kassy!"

Syd hätte mich wohl angestrahlt, wenn ihr Anliegen nicht so ernst gewesen wäre.

"Es ist was Schreckliches passiert, du musst sofort mitkommen! Hey, Alia, da bist du ja! Du auch! Ihr seid bis jetzt die einzigen beiden, die ich finden konnte!"

"Weil die anderen schon im Krankenflügel sind", beruhigte Lil sie.

"Genau", stimmte ich zu. "Wir wissen schon über Teddy und Nate Bescheid."

"Teddy und Nate?", fragte Sydney verblüfft. "Was ist passiert?"

"Sie haben sich geprügelt", fing Alia sofort wieder an. "Das war so, Tori hat Nate ..."

Ich hielt ihr den Mund zu. Alia riss meine Hand von ihrem Gesicht weg.

"Was soll das?"

Es war nicht nur der Fakt, dass ich wohl gemerkt hatte, wie Saiph beim Beginn Alias Erklärung die Ohren gespitzt hatte. Vielmehr, dass es etwas anderes, viel Schlimmes, sein musste, wenn Sydney nicht von Teddy redete.

"Syd, was meinst du?", fragte ich sie deshalb und jegliche Belustigung war aus meiner Stimme verschwunden.

"Ich war mit Henry auf dem Weg zum Mittag, als wir von Professor Flitwick abgefangen wurden. Er wollte Henry ganz dringend sprechen, seine Mum wurde bei einem Arbeitsunfall im Ministerium schwer verletzt!"

Die Gabel rutschte mir aus der Hand und viel mit einem Klirren zu Boden. Mir schwirrte nur ein erschreckender Gedanke durch den Kopf, von dem ich gedacht hatte, er wäre es mittlerweile nicht mehr wert, Zeit verschwendet zu bekommen.

Flint hatte seine Drohung wahr gemacht.

Langsam drehte ich mich zu Shawn um, der nach wie vor etwas überfordert mit der Situation auf der Bank saß und sein mittlerweile nur noch lauwarmes Mittagessen mit dem Ellbogen in die Mitte des Tisches schob.

Erneut öffnete ich den Mund, um etwas zu sagen, doch diesmal war ich es selbst, die mich zurückhielt.

Ich wollte es Shawn sagen. Ihm erzählen, was Flint getan hatte. Wie er mich schon von dem ersten Moment an provoziert und bedroht hatte. Wieso Henry und seine Mum nun leiden mussten. Dass sein ach so toller bester Freund ein großes hinterhältiges Arschloch war.

"Kassy?", murmelte Shawn leise, erhob sich und legte seine Hände um meine Oberarme. "Alles okay?"

Aber es fühlte sich falsch an. Ich war nicht die Petze, für die Saiph mich hielt.

"Syd, wo ist Henry jetzt?", fragte ich leise, ohne mich zu ihr umzudrehen.

Doch als Syd nicht antwortete, streifte ich sachte Shawns Hände ab, welcher sofort losließ, drehte mich zu der Vertrauensschülerin und bemerkte, dass sie haderte.

"Sydney", sagte ich langsam und grollend. "Wo. Ist. Henry?"

"Ich weiß es nicht", stammelte sie. "Flitwick hat uns im Flur abgefangen und in ein Klassenzimmer im ersten Stock gezogen. Henry ist fast zusammengebrochen, ich hab sofort nach einem von euch gesucht. Ich glaube, Henry wollte in seinen Schlafsaal, um seine Sachen zu packen und dann mit Flitwick nach Hogsmeade, um von da aus ins St. Mungo zu reisen."

Nun ging ich auf Syd zu, legte einen Arm um ihre Schultern, die mir nur bis zur Brust reichten, zog sie etwas von den anderen weg, beugte mich leicht nach vorne und redete so leise, dass nur sie mich hören konnte: "Hast du irgendwo Flint gesehen, als Flitwick zu euch kam?"

Syds Stirn legte sich in Falten. "Lewis Flint?"

"Ja, Lewis Flint. Oder einen der anderen, Gree oder Laurent."

"Kassy, wieso - "

"Ich weiß, es ist eine komische Frage, aber wichtig. Hast du?"

"Ich ... äh ... ja, doch. Jetzt, wo du es sagst, natürlich. Flint stand auf dem Gang vor dem Klassenzimmer und Flitwick hat ihn als Vertrauensschüler gebeten, Henry bis in den Schlafsaal zu begleiten."

Jede Ader meines Körpers gefror.

Alles spielte sich in Zeitlupe ab. Ich sah Syd erschrocken an, ließ sie los und drehte mich um. Alia und Shawn erkannten den Blick auf meinem Gesicht und wussten sofort, dass etwas Schreckliches passiert sein musste.

Ich stieß Saiph zur Seite, da sie sich schon wieder vor mich stellte, und drängte mich zwischen Alia und Dominique, welche gerade vom Tisch aufstand, durch. Ich stolperte fast, fing mich aber ab, bevor ich in Luke krachte und bahnte mir den Weg durch die Massen an Schülern, die nun alle zum Essen erschienen.

Ich hörte, wie Alia mir etwas hinterher rief und mich verfolgte. Lil war schon immer die schnellere Läuferin von uns gewesen, allerdings hatte ich einen guten Vorsprung und kannte Abkürzungen zu meinem Gemeinschaftsraum, die Lil natürlich nicht bewusst waren.

Auch die Treppen schienen auf meiner Seite zu sein und bis auf eine ziemlich Beleidigte (ich war ausgerutscht und voll auf die Stufen geknallt (was mir wohl mehr wehgetan hatte als ihr)) wechselte keine die Richtung. Der Trickstufe im fünften Stock wich ich geschickt aus und hechtete schließlich die Wendeltreppe zum Gemeinschaftsraum hoch.

Henry kam mir auf halbem Weg entgegen.

"Henry!"

"Kassy! Ich kann jetzt nicht, ich erklär dir alles später", sprudelte es aus ihm und er drängte sich an mir vorbei, doch ich bekam seinen Arm zu fassen und hielt ihn zurück, sodass er fast ausrutschte und rücklings fiel.

"Ich weiß, was passiert ist. Ist mit dir alles okay?"

Henry sah mich verdutzt an. "Nein, natürlich nicht! Meine Mum ..."

"Das weiß ich doch, aber ich meine mit dir. Hat Flint dir irgendwie weh getan?"

"Nein, wieso sollte er?"

Wieso sollte er, äffte ich Henry in Gedanken nach. Weil es Flint ist, du zerstreuter Wichtel!

"Ist schon gut, dann beeil dich. Aber meide die Nordtreppe im dritten Stock, bei dem Gemälde von Ignotus dem Irren. Die ist beleidigt und wird dir nicht gerade behilflich sein!"

Henry befand sich schon mehrere Stufen unter mir und ich hörte nur das: "Danke!", durch den Turm schallen, während ich auf dem Weg nach oben war.

"Welches Wesen kann man nur durch die Brille des Todes sehen?"

"Thestral", antwortete ich ohne zu zögern und wurde in den Gemeinschaftsraum gelassen.

Alia hatte mir häufiger von Thestralen erzählt, da sie die Kreaturen, die man nur sehen konnte, wenn man den Tod gesehen hatte, in Pflege magischer Geschöpfe behandelt hatten.

Im Gemeinschaftsraum traf ich schneller auf die Situation, als ich gehofft hatte. Doch ich würde keinen Rückzieher machen.

Ich konnte nicht immer zu Shawn rennen und ihn alles für mich regeln lassen. Ich konnte es aber auch nicht auf mir sitzen lassen. Flint sollte erfahren, dass mit mir nicht zu spaßen war.

Flint saß mit Xavier und Pharrell an dem Tisch in der Nähe des Kamins. Er sah mich schon, als ich zur Tür rein kam. Ein fieses Lächeln schlich sich auf seine Lippen, doch es war nur so groß, dass man es erkennen konnte, wenn man es wusste.

Nervös, aber entschlossen, ging ich auf Flint zu.

"Ey, Flint, lass das."

Xavier und Pharrell schauten mich an und fingen dann an zu lachen. Flint zog nur die Augenbrauen hoch.

Es war zugegeben nicht der beste Start, doch ich spürte, wie Shawns Tipps mir halfen. Wenn ich den Siebtklässlern das Gefühl vermittelte, Selbstbewusst zu sein, würden sie mich auch so behandeln.

Wenn sie mich so behandelten, würde mein Selbstbewusstsein auch wirklich kommen und dann wäre Flint noch mehr am Arsch als so schon.

"Ich weiß nicht, was du meinst", log er und sein Fuß wippte auf und ab.

"Das sehe ich anders", sagte ich ruhig, aber meine Stimme bebte. Flint konnte ruhig merken, dass ich sauer war und nicht wegrennen würde.

"Ich schwöre dir, keine Ahnung, wovon du redest."

Um mein Selbstbewusstsein zu stärken, trat ich einen kleinen Schritt auf ihn zu und beugte mich leicht vor. Kontrolliertes Atmen, Schultern zurück, Kinn etwas anheben, nicht an den Fingern spielen.

"Ich schwöre dir, was du kannst, kann ich schon lange. Nochmal so 'ne Aktion und ich sage es nicht nur Shawn, verstanden?" 

Ich knurrte die Drohung und meinte es genau so, wie ich es sagte. Das nächste Mal würde ich petzen gehen und wir beide wussten, dass dies sein Aus sein würde. 

Flints Lächeln verschwand nicht, doch ich sah ein kleines Zucken in seinen Mundwinkeln.

"Ist klar."

Diese Worte waren ernst gemeint. Pharrell und Xavier sahen das eher weniger so und als ich mich schon umgedreht hatte, hörte ich sie sich über mich lustig machen. Doch auf die Frage, was "denn diese Tusse" gewollt hatte, antwortete Flint nur mit einem: "Geht euch gar nichts an, haltet die Fresse, und wehe ihr sagt jemandem was davon".

Da wusste ich, dass ich gewonnen hatte.

Henrys Mum passierte nichts weiter. Die mittelschweren Verbrennungen von der Feuersäure verheilten wieder und ihr Arbeitsplatz wartete nach drei Wochen schon sehnsüchtig auf sie. Ihr Bruder, Henrys Onkel, half ihr in den ersten Wochen, was sowohl den Alltag, als auch das Finanzielle anging.

Flint ließ mich tatsächlich in Ruhe. Er warf mir keine finsteren Blicke mehr zu, bedrohte mich nicht weiter und auch Henry hatte nichts Eigenartiges zu berichten.

Meine einzige Hürde bildete nun noch einzig und allein Tori.

Obwohl ich es nicht gerne Tat, konnte ich mich zu einem Gespräch überwinden. Es lag nicht an Tori, dass ich nicht reden wollte, sondern an der Situation allgemein. Es handelte sich sogar um das Gegenteil - sie erinnerte mich daran, dass ich nicht der Typ war, sofort aufzugeben.

Das lag nicht in meinem Blut, wie Shawn immer sagte.

Außerdem kannte Tori mich einfach viel zu gut und krempelte die ganze Sache um.

Wir entschuldigten uns bei einem Vieraugengespräch gegenseitig, erklärten unsere Reaktionen und erkannten, dass weder Toris noch mein Verhalten angemessen war. Im Endeffekt lagen wir uns weinend in den Armen und bereuten beide, was wir gesagt hatten.

Zwischen uns war alles wieder gut, was man in der Dreiecksbeziehung von Tori, Nate und Teddy eher weniger behaupten konnte.

Tori war stinksauer auf Nate, Nate war stinksauer auf Teddy und Teddy war auch stinksauer auf Nate. So war Nate der Angearschte und Tori und Teddy sich wenigstens in einer Sache einig - dass Nate einiges wieder gut zu machen hatte.

Und das nicht nur bei den beiden, sondern auch bei Professor McGonagall. Zwischen den Zeilen hat diese nämlich verkündet, dass sie sozusagen stolz auf Shawn, Maddox und mich war, dass wenigstens wir den Anstand besaßen, uns wie vernünftige Zauberer zu duellieren und nicht wie Muggel zu prügeln.

Als Tori nicht in der Nähe war, ließ Teddy uns wissen, dass Nate ihn nur wie ein Muggel angegriffen hatte, weil er selbst Muggelgeboren war.

Er hatte genau wie jeder andere gewusst, dass er mit Magie keine Chance gegen Teddy gehabt hätte.

Das war nicht rassistisch, sondern die Wahrheit. Denn Teddy war von Geburt an ein Ausnahmetalent gewesen und Nate einfach unter anderen Bedingungen aufgewachsen.

Die letzten Tage vor den Osterferien verstrichen wie im Besenflug und Shawn und ich fanden die perfekte Balance zwischen unseren eigenen Freunden und unserer Beziehung. Wir sahen uns häufig, aber nicht zu häufig, ließen dem anderen Freiraum und beteiligten uns doch an ihrem Leben.

Mittlerweile war es nicht selten, dass ich mich auch mal mit James oder Jace unterhielt, sogar ganz ohne Shawn. Auch Clove und ich sahen einander häufiger, was vor allem meine Freundschaft zu Katie stärkte.

Ein kleines bisschen auf mich selbst stolz war ich, als ich Shawn und Camila in der Bibliothek zusammen lachen sah. Das erste Mal spürte ich nicht das geringste außer die Liebe zu diesem Jungen. Da war nicht die Spur von Eifersucht.

Ja, ich hatte mich eiskalt verliebt und mir sogar selbst eingestanden, dass ich es schon eine ganze Weile gewesen war. Doch ich konnte es mir nicht übel nehmen, denn ich stellte schmunzelnd fest, dass ich einfach keine Ahnung gehabt hatte. Ich fühlte das erste Mal etwas anderes als freundschaftliche Liebe und es hatte seine Zeit gebraucht, damit ich dies verstand und akzeptiert hatte.

Shawn und ich vertrauten einander blind und das war jenes, was ich am meisten genoss. Er konnte Zeit mit Camila und Elise verbringen und ich konnte mit Teddy und Henry lachen, ohne, dass einer närrisch auf den anderen war.

Dem ganzen wurde die Krone aufgesetzt, als Alia mir erzählte, dass sie Lewis in den Ferien sehen würde. Die beiden hatten sich für den letzten Ferientag gemeinsamen in London verabredet und ein Hotelzimmer gemietet (mit getrennten Betten, aber ich sagte Lil, dass man nie wusste, worin das endete - mein Arm tat immer noch von ihrem Schlag weh), um dann am nächsten Morgen gemeinsam zum Gleis neundreiviertel zu reisen.

Schließlich war es soweit und ich ließ vor dem Frühstück meinen gepackten Rucksack auf dem Bett liegen, damit er abgeholt wurde. Meine Tasche schulterte ich und überprüfte sie noch einmal auf die wichtigsten Dinge.

Im Rucksack befanden sich die Anziehsachen, die Shawn und ich nach Silvester zusammen gekauft hatten. Ich wusste, dass sie nicht für zehn Tage reichen würden, weswegen ich mein gesamtes Geld einpackte, um in Kanada noch neue Kleidung zu kaufen.

Shawn hatte mir bereits am Dienstag vor zwei Wochen erklärt, wie wir reisen würden. Nachdem wir abends in London ankämen, würden wir für eine Nacht in seiner Wohnung schlafen. Danach apperierte er mit mir an die Küste, wo wir ungefähr drei Stunden Zeit hätten, bis ein Schiff ablegen würde.

Dieses Schiff war ein kleiner aber schneller Dampfer, der extra für transatlantische Reisen für Hexen und Zauberer eingerichtet wurde. Deswegen brauchte er auch nur dreißig Stunden, im Gegensatz zu den großen Frachtern, die mindestens fünf Tage unterwegs waren.

So wie geplant verlief es auch, mehr oder weniger. Am Bahnhof King's Cross verabschiedete ich mich von meinen Freunden und wünschte allen schöne Ferien. Shawn und ich nahmen erneut die U-Bahn zu seiner Wohnung, da er seine Kräfte sparen musste.

Deswegen kochten wir auch ganz ohne Magie. Er beantwortete mir weitere Fragen, zum Beispiel wie er diese Reise unternommen hatte, als er noch minderjährig war und wieso wir nicht einfach das Flugzeug nahmen.

"Meine Großtante ist sonst mit mir gereist und fliegen ist ziemlich teuer. Außerdem sind im Flugzeug die Kontrollen zu krass. Selbst mit einem guten Confundus lassen die uns nicht rein, da sind überall Kameras. Sag nichts - ja, die Zauberstäbe würden wir vielleicht noch so durch die Kontrolle kriegen, aber ohne einen Pass schaffst du es nie durch."

Wie erwähnt - mein Vater verbot uns alles, was mit Muggeln zu tun hatte. Deswegen besaß ich keinen Ausweis, doch ich nahm mir fest vor, mir einen in den Sommerferien ausstellen zu lassen.

Wir schafften es ohne Probleme auf den Dampfer. Die schriftliche Erlaubnis, da ich noch minderjährig war, allerdings in Begleitung eines Volljährigen, wurde mir schon von Mum zugeschickt. Shawn fragte mich, wie ich daran kam und wieso ich keine Unterschrift von Dad benötigte, doch ich weigerte mich, ihm zu antworten. Ich musste ihm nur schwören, dass ich sie nicht gefälscht hatte, und das konnte ich mit gutem Gewissen tun.

Dann folgte der Teil, den ich so nicht geplant hatte. Denn wenn ich eines aus dieser Reise mitnahm, war es diese eine neu gewonnene Erkenntnis:

Ich war seekrank.

Den ganzen Nachmittag lief ich auf dem Deck rum und erkundete mit Shawn das Schiff, bis ich mir kurz vor dem Essen die Seele aus dem Leib kotzte.

Der Seegang war nach Shawn nicht stark, lediglich mittelmäßig, aber meinem Magen schien das schon zu reichen. Ich verbrachte trotz verabreichtem Zaubertrank die restliche Zeit in meinem Bett und war mehr als froh, als ich um drei Uhr nachmittags des nächsten Tages endlich wieder festen Boden unter den Füßen spüren durfte.

Den Boden New York Citys.

Es war eine bombastische Stadt. Noch viel größer und lauter als London, überall blinkte es und egal wo man hin kam, es war voll.

Shawn führte mich zu seinem Lieblingsrestaurant, ganz in der Nähe des Hafens, wo wir eine Kleinigkeit aßen, da ich mich geweigert hatte, Mittag auf dem Dampfer einzunehmen.

Da aber Shawns Mutter mit einem riesigen Abendessen auf uns wartete, blieb es bei einem halben Burger für jeden und wir machten uns auf den Weg in eine kleine ruhige Gasse.

Von dort aus, nach mehrmaligem kontrollieren, ob uns auch kein Obdachloser beobachtete (das amerikanische Geheimhaltungsgesetz war streng), apparierte Shawn uns bis nach Toronto, oder genauer gesagt nach Pickering, wo er herkam.

Wir wurden in einem Waldstück neben einem Spielplatz ausgeworfen, was sich in der Nähe seiner alten Schule befand. Von dort aus liefen wir das restliche Stück. Es war nicht weit, aber die frische Luft, die nicht nach See oder Abgasen roch, tat mir gut. Shawn erzählte mir ein bisschen was, zeigte mir Häuser alter Freunde und schließlich kamen wir vor einem Einfamilienhaus zum Stehen.

"Hier sind wir", präsentierte Shawn sein Zuhause und beäugte das kleine Haus aufgeregt. Es war etwas kleiner als unseres, aber ich konnte kaum erwarten, es von innen zu sehen. "Ich weiß, es nicht das Größte, aber ..."

"Spinnst du? Es sieht perfekt aus!", lächelte ich ihn an. "So richtig schön amerikanisch."

"Mindestens so, wie deins britisch aussieht", grinste Shawn, nahm meine Hand wieder in seine und führte mich die breite Einfahrt hoch.

Shawn erklärte mir, dass er Magie zu Hause normalerweise nicht verwendete und erst recht nicht irgendwo einbrach, aber er wollte seine Mum überraschen und benutzte deswegen einen Alohomora zum Öffnen der Haustür.

Leise schlichen wir uns durch den Flur, in welchem wir unsere Sachen ließen, bis zur Küche. Shawn legte ein Ohr an die geschlossene Tür und grinste mich an, als ich stumm über seinen Anblick lachte.

"Ich kann nichts hören", flüsterte er mir zu und drückte vorsichtig die Klinke nach unten.

Die Küche war nicht groß, sah aber wie ein Paradies für jeden Kochbegeisterten aus. Es passte zu der Vorstellung, die ich von Shawns Mum hatte und entsprach dem Stil des Hauses.

Weiter hinten an der Wand zu unserer Rechten führte ein Bogen in einen weiteren Raum, dem ich das Wohnzimmer zuordnete.

Man konnte bereits Stimmen vernehmen und Shawn begann zu strahlen. Meine Eltern sind beide da, formte er mit den Lippen und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter gegen die Wand hinter sich.

Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen. Es öffnete mein Herz, wie Shawn sich freute.

"Bereit?", hauchte er kaum hörbar und ich nickte aufgeregt.

Shawn richtete sich aus seiner leicht gebückten Position auf und lief um die Ecke.

Ich hörte seine Mum kreischen und Shawn, wie er sie lachen begrüßte. Ein letztes Mal atmete ich tief durch. Ich durfte mich nicht blamieren - dieser Gedanke ließ meinen Bauch nicht weniger Salti schlagen und ich fühlte mich so elend wie auf dem Dampfer. Nein, noch elender.

Schultern zurück, Kinn anheben, leicht lächeln, langsam Atmen, Hände auseinander - nicht vor, nicht hinter dem Körper verschränken.

Ich folgte Shawn um die Ecke und endete wie erwartet im Wohnzimmer.

Dort stand eine hübsche Frau mit langen braunen Haaren und blaugrauen Augen. Sie war ein wenig kleiner als ich und reichte Shawn bis zur Nase.

Shawn drehte sich begeistert zu mir um und gab den Blick auf einen Mann frei, der in etwa in dem gleichen Alter wie Shawns Mum war und vor Freude strahlte.

Mir blieb die Luft weg. Ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Klatscher voll in den Rücken geschlagen.

Egal, welchen Schock ich schon in meinem Leben erfahren hatte, dieser übertraf alles.

Das Gefühl war seltsam und ich wusste bisher nicht, dass man so viel auf einmal fühlen konnte. Da waren Neugier, Wut, Trauer, Aufregung und blankes Entsetzen.

Oft hatte ich mir diesen Moment ausgemalt, aber nie hätte ich damit gerechnet, dass er so verlaufen würde.

Und jetzt wusste ich, wieso ich mir diesen Moment so oft vorgestellt hatte - weil ich nie wollte, dass er wirklich eintrat.

Denn das Gefühl, was letztendlich herausstach, war bittere Enttäuschung.

Mein Leben ging schon den Bach runter und er würde es nicht besser machen.

Dieser Mann, der am anderen Ende des Raumes mit einem Glas Wasser in der Hand stand, nahm mir das letzte, was mir noch geblieben war.

Denn er hatte alles, was meiner Mutter fehlte - die Stupsnase, die dichten Wimpern, die lockigen Haare, das schiefe Lächeln, das spitze Kinn und die fülligen Wangen - es gab keine Zweifel.

Dies musste mein Vater sein.

ϟ          ϟ          ϟ

Hier wären wir auch beim miesesten Cliffhanger angelangt.

Meinungen?

Und wo soll ich Anfangen? Es ist viertel vor fünf am Morgen und ich update eine kleine Ausnahme, denn Shawn hat In My Blood rausgehauen.

Ich weiß nicht, wie so viel Perfektion in einen einzigen Jungen passen kann.

Jedenfalls bin ich ohne Wecker mitten in der Nacht um fünf nach vier aufgewacht. In My Blood ist nach meiner Zeit um vier rausgekommen. Ist es ein Zeichen? Ich weiß es nicht.

Anyway, der Song passt zu shy, als hätte Shawn das Buch gelesen. Und durch Zufall passt er auch zu diesem Kapitel. Also her ya go. Ich will ihn einfach nur umarmen.

Wie findet ihr, dass Kassy sich endlich gegen Flint gewehrt hat?

Und werden Teddy und Tori endlich zueinander finden?

WAS HALTET IHR VON IN MY BLOOD?

Ich denke, dass mich Shawn jetzt so krass motiviert hat, dass bald wieder was kommen wird.

Bis demnächst, Amelie :)

[22.03.2018]

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