Kapitel 27 ϟ Affect
Heartless - Evaride ♪♫
Ivy riet mir, dass es das Beste sei, Shawn die Wahrheit zu offenbaren.
Sie hatte leicht reden, sie musste ihm es ja nicht sagen.
Doch gleichzeitig wusste ich, dass sie Recht hatte. Shawn hatte es nicht anders verdient und auch mir würde es helfen.
Die Frage war nur, wie.
Wie sollte ich Shawn sagen, dass ich glaubte, ihn zu mögen? Genau genommen hatte ich keine Ahnung, was ich glaubte oder fühlte.
Also nahm ich die Sache in Angriff, wie ich solche Dinge immer in Angriff nahm. Ich ging ihnen aus dem Weg, schob sie auf, versteckte mich.
So geschah es, dass es bereits Freitag war und Alia vor den letzten beiden Stunden, die uns vom Wochenende trennten, von der Toilette zurück gerannt kam.
Wir hatten eingewilligt, auf sie zu warte, bevor wir gemeinsam zu den Gewächshäusern laufen würden. Nun kam sie nach einer ungewöhnlich langen Zeit zurück und strahlte über das ganze Gesicht.
"Was ist diesmal passiert", fragte Olivia grinsend.
"Hat Myrte dir einen Antrag gemacht?", neckte Henry sie.
"Ich habe ein Weihnachtsgeschenk bekommen", überging Alia die Kommentare einfach und grinste noch breiter, wenn es denn noch möglich war.
"Aha, und von wem?" Tori war deutlich skeptisch.
Alia wurde rot. Jetzt grinste ich auch.
"Ein Junge?", erahnte ich und verstand es noch im selben Augenblick. "Lewis!"
"Nicht so laut!", zischte Alia sofort und sah sich erschrocken um.
"Was ist es?", freute Olivia sich.
"Es ist eine Eule! Hey, was ist los mit euch?"
Wir starrten sie sprachlos an. Olivia fand als erstes ihre Stimme wieder.
"Eine Eule?", wiederholte sie entgeistert.
"Ja! Sein Patenonkel ist Eulenzüchter und er ist aus dem Nest gefallen", erklärte Alia.
"Wer?", fragte Henry stutzig. "Lewis oder sein Onkel?"
"Die Eule", lachte ich. "Ich nehme an, er konnte sie nicht mehr verkaufen und hat sie Lewis geschenkt?"
"Der schon eine Eule hatte, weswegen er sie mir geschenkt hat", vervollständigte Alia begeistert. "Ich liebe meinen kleinen Schatz, er ist so knuffig! Lewis hat mir ein Bild gegeben, wollt ihr es sehen?"
Neugierig nickten wir und Alia zog das sich bewegende Bild einer kläglich aussehenden Schleiereule aus ihrem Umhang.
"Äh", begann Ivy vorsichtig und beäugte den zerzausten Vogel ebenso skeptisch wie wir anderen, "hat er schon einen Namen?"
"Ich werde ihn Chawaque taufen!"
Jetzt konnte Henry sich nicht mehr zusammenreißen und brach in Lachen aus.
"Findest du das etwa witzig?", giftete Alia halb wütend, halb beleidigt.
"Chiquawe?", lachte Henry.
"Chawaque! Scha-Wa-Kwe!", sprach Alia den Namen deutlich aus. "Das ist ein Spitzname!"
"Für was?", fragte Tori und der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben.
"Chauncy Waptiwa Quesnel Harrison."
Jetzt konnten auch Liv, Tori und ich nicht mehr. Wir hielten den Blicken der anderen Schüler stand und uns gegenseitig fest. Alia schaute ziemlich gekränkt, während wir uns schlapp lachten. Nur Ivy schien wie üblich Mitgefühl zu zeigen: "Ich finde den Namen schön, er ist sehr kreativ."
Doch wir blieben nicht die Einzigen. Weder Katie noch Teddy konnten den Namen Alias neuer Eule ernst nehmen. Alia ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und weigerte sich, den Namen zu ändern ("Jetzt erst recht nicht mehr!").
Am Samstagvormittag bekamen wir die Eule zu Gesicht und ich musste Alia in gewisser Weise zu ihrem Namensvorschlag zustimmen. Der Name war genauso krank wie diese Eule.
Die Federn standen zwar nicht mehr so ab wie auf dem Bild, was Alia uns gezeigt hatte, aber dafür verrenkte Chawaque die ganze Zeit seinen Kopf, schrie wie ein Irrer, wenn man ihn streichelte (Alia behauptete, aus Freude), und krachte mindestens zehn Mal gegen die Mauer, bei dem Versuch, eine Runde um die Eulerei zu fliegen.
Doch man sah deutlich, dass Alia ihn mit ganzem Herzen liebte und ihn mit all ihrer Kraft verteidigte, als er von Clove und Fleyara ausgelacht wurde, weil er bei der morgendlichen Post den Kürbissaft über sein Gefieder verteilt hatte und deswegen nicht mehr fliegen konnte.
Ich fand es sehr amüsant zu sehen, wie Lewis sich Alia anschloss und sie unterstützte, wobei er immer wieder versuchte, mit ihr zu flirten und Alia hilflos wie brennender Phönix und genauso rot glühend irgendwelche bescheuerten Antworten gab.
Das ließ mich mein Problem mit Shawn fast vergessen, wenn er nicht auch am Gryffindortisch gesessen hätte. Ich spürte, wie er immer wieder zu uns rüber sah. Zum Glück schienen es weder Katie, noch Fleyara oder Clove zu bemerken.
Wenn er gerade einen Blick zu uns warf, während ich ihn, Dave und Eve beobachtete, lächelte er mich breit an. Seinen Augen entwich ein Strahlen, doch ich lächelte jedes Mal nur leicht zurück und sah weg.
Um mich der ganzen Sache zu entziehen hatte ich schon am Mittwochabend beschlossen, Nachhilfe anzubieten. Ich wollte den Jüngeren helfen, so wie Jasmin uns damals geholfen hatte. Da diese das Angebot in gewisser Weise leitete und organisierte, hatte ich die Vertrauensschülerin angesprochen und schon am Donnerstag bekamen Olivia und ich eine Gruppe Drittklässler zugeteilt.
Das erste Lerngruppentreffen sollte heute Abend stattfinden und obwohl ich keinen der Drittklässler wirklich gut kannte, war ich nicht aufgeregt.
Es handelte sich nicht um das erste Mal, dass ich Jüngeren bei schulischen Dingen half. Meine letzte Erfahrung war zwar eher negativ ausgefallen, aber ich ließ mich nicht entmutigen, denn diesmal hatte ich Olivia anstatt Melody an meiner Seite.
"Bereit?", fragte Olivia mich fröhlich und schulterte ihre Tasche.
"Immer", grinste ich breit und folgte ihr aus dem Schlafsaal in den Gemeinschaftsraum.
"Davina und Henry sind mit Vince und Lian unterwegs", informierte Olivia mich auf den Treppen.
"Davina?", wiederholte ich verwundert. "Seit wann hängt sie mit den Jungs ab?"
"Keine Ahnung, das hab ich mich auch schon gefragt. Sie macht in letzter Zeit ständig was mit denen."
Unsere Gruppe bestand aus vier Dritt- und zwei Zweitklässlern. Zwei der Drittklässler kannte ich. Die eine war Sarah Hooper, eine Freundin meiner Schwester. Sie hatte uns in den Sommerferien besucht und sich mit Saiph und einer dritten Freundin, Jana, die Haare gefärbt. Während Saiphs Farbe nach nur drei Tagen von dem ursprünglichen hellblau in mattgrün umschlug und sie ihre Haare so oft gewaschen hatte, bis nichts mehr zu sehen war, leuchteten Sarahs Haarspitzen nach wie vor in einem kräftigen türkis.
Bei dem zweiten mir bekannten Drittklässler handelte es sich um Richard Taylor-Watts, oder kurz auch RJ genannt. Er war der kleine Bruder von James Taylor-Watts, welcher allerdings Gryffindor angehörte und sich mit den anderen Siebtklässler den Schlafsaal teilte. Neben Shawn war James auch gut mit Elay und Evan befreundet, weswegen ich schon häufiger auf Geburtstagen oder an Weihnachten mit ihm oder RJ gesprochen hatte.
Wir setzten uns in eine Nische zwischen zwei Bücherregale, an einen großen Tisch, an dem wir ungestört arbeiten konnten. Olivia und ich verbrachten zwei Stunden damit, Aufsätze zu lesen, zu korrigieren und die Monde des Saturns abzufragen.
Dabei beobachtete ich, wie RJ Sarah immer wieder Blicke zuwarf, welche von letzterer hochrot erwidert wurden.
Als immer mehr junge Ravenclaws den Gemeinschaftsraum verließen, entschieden auch wir, die Lerngruppe für heute zu beenden, da wir viel geschafft hatten und Davina uns schon seit zehn Minuten nervte. Sie wollte uns unbedingt was Tolles erzählen.
"Geh du schon mal vor, ich komme gleich nach", ließ ich Olivia wissen und lief an Davina vorbei, welche mir empört etwas hinterher rief.
"Hey, Sarah!", stoppte ich die Drittklässlerin, die schon fast auf den Treppen zum Schlafsaal verschwunden war. "Warte mal!"
Verwundert drehte sie sich um und lächelte mich an. "Was gibt es, Kassy?"
"Ähm ... weißt du, du solltest es ihm sagen."
Sarah lief knallrot an. "Wem was sagen?", flüsterte sie verlegen.
"Du bist so gut, du brauchst gar keine Lerngruppe. Ich hab euch beobachtet, du machst das nur wegen RJ, oder?"
Betreten spielte sie an ihrer braun-türkisen Haarsträhne. "Er schaut mich schon länger so an, hat mich aber noch nie angesprochen", gab sie zaghaft zu.
"Ich glaube, er mag dich ziemlich gerne", überlegte ich laut. "Aber nur, weil er der Junge ist, heißt es nicht, dass du warten musst, bis er dich anspricht. Wenn du ihn magst, solltest du auf ihn zugehen. Sprich ihn darauf an, sag ihm, was du denkst."
"Sicher?" Sarah schaute mich befangen an.
"Ganz sicher", lächelte ich zurück.
Das entlockte auch ihr ein kleines Schmunzeln. Sie bedankte sich und wünschte mir eine Gute Nacht, die ich zurück gab.
Schließlich setzte ich mich zu Olivia und Davina, die schon genervt an ihren Fingernägeln kaute.
"Endlich", begrüßte sie mich. "Ich muss euch was erzählen!" Die Dunkelblonde senkte ihre Stimme ein wenig und beugte sich vor. "Ich bin jetzt mit Vince zusammen!"
Das machte mich fast so sprachlos wie die Taufe von Chauncy Waptiwa Quesnel Harrison. Auch Olivia schien kurz aus der Bahn geworfen zu sein, fing sich aber relativ schnell wieder.
"Das ist ja ... toll", verzog sie ihren Mund. "Seit wann das denn?"
"Schon seit drei Tagen, aber wir haben es noch niemandem erzählt. Na ja, jetzt schon", erklärte Davina überglücklich. "Aber sagt es erst mal nicht weiter, wir wollen es noch eine Weile geheim halten."
"Davina und Vince haben doch bis vor Halloween kaum ein Wort miteinander gewechselt", diskutierte ich mit Olivia eine Stunde später, nachdem auch Davina sich ins Bett verabschiedet hatte.
"Ich habe keine Ahnung, was da los ist", gab Liv zu. "Wir sollten Henry mal fragen."
"Wo ist der eigentlich schon wieder?", wollte ich wissen.
"Auch keine Ahnung, wahrscheinlich immer noch mit Lian unterwegs", vermutete sie.
"Es ist halb elf, es ist dunkel draußen und sie werden sich wohl kaum irgendwo im Schloss betrinken", scherzte ich.
Liv schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Oder?", fragte ich leise.
Sie zuckte mit den Schultern und wir widmeten uns wieder unseren eigenen Hausaufgaben.
Henry und Lian tauchten an diesem Abend nicht mehr auf, zumindest nicht bis halb eins. Um diese Zeit schafften Olivia und ich unsere Sachen nach oben und legten uns auch schlafen.
Den Sonntag verbrachte ich mich Tori und Alia in der Bibliothek. Zwischendurch schauten Katie und Teddy mal vorbei, ebenso wie Olivia und Ivy, doch von Henry gab es keine Spur.
So richtig skeptisch wurde ich, als Teddy auf unsere Nachfrage erwähnte, dass er Sydney auch seit gestern Mittag nicht mehr gesehen hätte.
Am Montagmorgen, kurz bevor die Tür sich schloss, schlüpfte Henry schließlich in den Klassenraum und setzte sich schnell auf seinen Platz. Professor Flitwick schien nichts zu merken, ganz im Gegensatz zu Olivia und mir.
Henry jedoch schwieg wie ein Grab. Er hätte uns angeblich häufiger gesehen und wir hätten uns bei den Mahlzeiten wohl einfach verpasst. Zugegeben schien er völlig normal, sowohl in seiner Verhaltensweise als auch seinem Aussehen. Trotzdem wusste ich, dass er etwas verbarg.
Ging er uns bewusst aus dem Weg? In Verteidigung hatte ich in letzter Zeit häufiger beobachtet, wie er mich mal wieder musterte. Dieses Verbissene, Eifersüchtige blieb dabei nicht aus. Hatte ich was falsch gemacht?
Zusätzlich wurde ich auch noch an mein Problem mit Shawn erinnert. Auf dem Weg zum Mittag kamen mir Sarah und RJ entgegen, Hand in Hand, lachend und mit einander tuschelnd.
Sarah hatte wie es schien meinen Rat befolgt und tatsächlich den ersten Schritt gemacht. Sie und RJ waren nun glücklich. Konnte Shawn und mir das auch passieren?
Nein. Nein, das konnte es nicht, denn bei uns war es anders.
Er war ein so ziemlich erwachsener Mann, der eine große Karriere vor sich hatte und ich war ein unentschlossenes schüchternes dummes naives Schulmädchen ohne Plan vom Leben.
Und trotzdem spürte ich das Verlangen, Shawn nahe zu sein und ihm alles zu erzählen.
Doch das würde alles verändern. Alles, was wir zwischen uns aufgebaut hatten würde ins Wanken geraten und vermutlich umkippen. Das Risiko konnte ich nicht eingehen.
Am Dienstag war es dann so weit. Das Frühstück hatte ich ausfallen lassen, da ich wirklich keinen Hunger verspürte. Auf Hausaufgaben hatte ich jedoch auch keine Lust gehabt, weswegen ich mich für einen kleinen Spaziergang über das Schulgelände entschieden hatte. Ich erhoffte mir dadurch, den Kopf frei zu kriegen.
Es half. Die frische kalte Winterluft ließ zwar meine Ohren rot werden und meine Nase förmlich wegrennen, doch ich dachte zur Abwechslung mal an nichts und fühlte mich frei.
Solange, bis ich das Schloss wieder betrat.
Als hätte ich all meine Sorgen in diesen vier Mauern gelassen und sie sprängen mich nun wieder an. Was machte Shawn wohl gerade? Er müsste im Unterricht sitzen.
Instinktiv zog ich den Kompass aus meiner Umhangtasche. Ich trug sein Weihnachtsgeschenk immer bei mir, es war sogar schon mehrmals zum Einsatz gekommen.
Vor allem in letzter Zeit starrte ich immer wieder auf die Kompassnadel. Meist zeigte sie regungslos in eine Richtung, nur ein einziges Mal habe ich sie in Bewegung gesehen.
So wirkte sie auch nun wie eingefroren und zeigte regungslos gen Südwesten, wo sich der UTZ-Klassenraum für Verteidigung befand.
Seufzend steckte ich den Kompass wieder ein und lief durch das ganze Schloss zum Gemeinschaftsraum, um mich aufzuwärmen.
Dort ging es für einen Dienstagmorgen drunter und drüber. Davina knutschte mit Vince in der Ecke. In Gedanken kommentierte ich Davinas "wir wollen es noch eine Weile geheim halten" und hielt Ausschau nach meinen Freunden, doch weder Liv, noch Ivy oder Henry waren irgendwo zu sehen.
Das war jedoch nicht schlimm, denn wie ich kurz darauf zu spüren bekam, hatte ich gar keine Zeit. Weena regte sich über einen Zettel gebeugt auf, und dies in einer wie für sie üblichen Lautstärke, sodass selbst die Gryffindors im anderen Turm sie hätten hören müssen.
"Bole!", blökte sie mich durch den ganzen Raum an und ich erstarrte. "Komm her!"
Es befanden sich zu meinem Glück nicht viele Schüler im Raum und fast alle schienen so beschäftigt wie Davina und Vince. Also lief ich nur unter Weenas strengem und Jusrus Golds genervtem Blick zu der Mannschaftskapitänin hinüber.
"Was ist los?", fragte ich in normaler Lautstärke, was neben Weenas Zetern wie ein Flüstern wirkte.
"Was los ist? Das ist los!", beschwerte sie sich und hielt mir den Zettel vor die Nase. "Die Slytherins haben die Aufstellung geändert! Nach dem letzten Spiel kein Wunder, wo alle, die mit den Zaubertränken schummeln wollten, aus dem Team geflogen sind. Aber ich habe alles bestens analysiert und jetzt haben sie zusätzlich drei ihrer ursprünglichen Spieler aus dem Team gekickt! Weißt du was das bedeutet?!"
Ich sah, wie Jusrus die Augen verdrehte und an seinem Fingernagel herum kratzte.
"Äh", stockte ich. "Extratraining?"
"Kassy! Das bedeutet, ich darf nochmal von vorne anfangen und diesmal alle möglichen Kombinationen durchgehen, einstufen und hoffen, dass uns in vier Wochen nichts Unerwartetes begegnet! Aber schön, dass du es trotzdem ansprichst! Heute Abend, sieben Uhr, Quidditchfeld! Sag das den Thornes! Oh, und bring deinen Kumpel Miller mit, ich brauche Ersatz für Turner, den Knallfrosch. Hat auch wegen der Zaubertränke von Thekla Quidditchverbot bekommen, also sag Miller er soll sich warm anziehen, er kommt nicht mehr aus der Sache raus. Wenn er nicht vernünftig spielen kann, kriege ich ihn dazu, mit allen Mitteln!"
Ich nickte nur heftig und verschwand dann schnell im Schlafsaal, bevor ich weiter angeschrien wurde. Ich verwettete meinen Kompass darauf, dass Weenas Patronus ein Drache war. Etwas anderes war gar nicht möglich.
Kurze Zeit später stand ich vor der Tür zum Alte Runen Klassenzimmer und biss wieder einmal die Innenseite meiner Unterlippe kaputt. Zögernd griff ich nach dem Türgriff, zog dann aber doch meine Hand zurück.
Shawn war bereits im Klassenraum, das hatte der Kompass mir verraten.
"Komm schon, Kassy. Eins", zählte ich und wippte auf der Stelle. "Zwei - "
Meine Hand legte sich um den Türgriff und ich wollte: "Drei", sagen, doch es kam nichts aus mir heraus und ich entfernte mich schnell von dem Eingang, als wäre die Klinke aus Feuer.
Ich schaffte es, ganze zehn Minuten vor dieser Tür auf und ab zu laufen und flüchtete letztendlich doch in den Raum, da Maddox am Ende des Flurs auftauchte und mein Gehirn sofort verstand, dass eine Begegnung mit ihm weitaus schlimmer als ein weiteres peinliches Erlebnis mit Shawn ausgehen würde.
"Hi", versuchte ich meinen Stolperer zu überdecken. "Was geht ...!"
Shawn lachte über meine Ausdrucksweise und stand auf, um mich zu begrüßen. "Du bist zu spät."
"Ich weiß und ich gebe zu, dass es mich ziemlich wundert, dass ich nach einem halben Jahr das erste Mal zu spät komme. Normalerweise bin ich immer zu spät."
Shawn lächelte mich an, umarmte mich kurz und schlug dann vor, direkt zu starten. Ich stimmte zu, legte meine Tasche an dem üblichen Platz ab und stellte mich Gesicht zu Gesicht vor Shawn.
"Willst du heute anfangen? Wir haben letzte Woche bei dem stillen Stupor aufgehört, oder?"
Können wir kurz über was anderes reden?, formte mein Kopf, doch es kam nichts über meine Lippen. Ich versuchte es so sehr, doch wie schon vor der Tür schaffte ich es einfach nicht.
Schnell nickte ich und Shawn lächelte mich an. Da war er wieder. Dieser Blick, der mein Herz höher schlagen ließ. Er sah so perfekt aus und die Tatsache, dass er so nah und doch so unerreichbar war, stimmte mich traurig.
"Also gut, streck deinen Zauberstab aus", forderte er mich auf.
Ich tat wie mir geheißen und führte nur die Zauberstabbewegung aus.
"Das war super, hast du geübt?"
Shawn schien begeistert und seine Augen blitzten auf. Ich konnte so nicht weiter machen. Selbst wenn alles danach zerstört war, hielt ich keine Nachhilfestunden für besser als solche Nachhilfestunden. Es lenkte mich ab und machte mich verrückt.
"So, dann versuch es nochmal. Denk dran, du musst dir den Zauber vorstellen, aber nicht zu stark ..."
Er redete weiter, doch in meinen Ohren rauschte es nur. Du willst es zu sehr, hallte es in meinem Kopf wider. Das hatte Shawn damals zu mir gesagt, als ich versucht hatte, einen Patronus heraufzubeschwören. Ich sollte locker lassen.
Dies war auch der Tag gewesen, an dem er neben mir stand und das erste Mal überall Gänsehaut verursacht hatte. Der Tag, an dem es alles angefangen hatte, wie mir nun bewusst wurde.
An diesem Tag hatte er mir erzählt, dass er mich wiedererkannt hatte. Der Tag, an dem ich angefangen hatte, ihm restlos zu verfallen.
"Shawn, ich hab über uns nachgedacht", unterbrach ich ihn.
Er sah mich neugierig an.
"'Tschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen ..."
"Ist schon gut, red weiter", bat er mich.
Zuerst wollte ich einen Schritt auf ihn zu gehen, kam mir dann aber blöd vor. Also war ich im Begriff, mich etwas zu entfernen, doch das erschien mir noch blöder. Im Endeffekt tippelte ich auf der Stelle und wurde sofort wieder rot.
"Du weißt, dass du total süß aussiehst, wenn du rot wirst?", bemerkte Shawn und grinste.
Da. Er tat es wieder. Er flirtete schon wieder. Ivy hatte auch recht, was Shawn anging, oder? Sie musste recht haben, sonst würde ich mich jetzt bis auf die Knochen blamieren. Wenn sie sich irrte, dann war's das mit Shawn und mir, endgültig.
"Darum geht es, gewissermaßen ...", suchte ich immer noch nach dem passenden Anfang.
Meine in der letzten Woche bereitgelegten Phrasen waren schon längst alle verschwunden und ich wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser. Jetzt gab es kein Zurück mehr und ich verfluchte mich, es angesprochen zu haben.
"Ich weiß, dass normalerweise die Jungs den ersten Schritt machen und so, aber ich bin nicht wirklich gut in solchen Sachen", plapperte ich einfach drauf los. "Also hoffe ich einfach, dass du mich nicht hasst oder für komplett bescheuert hältst. Eigentlich weiß ich auch gar nicht, was ich hier rede, was ich eigentlich nie weiß, wenn du in der Nähe bist ... aber ... Shawn, ich glaub, ich mag dich. Ziemlich gerne sogar."
Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte es gesagt. Scheiße, Merlin, ich hatte es tatsächlich gesagt. Ich war so naiv, Shawn würde mich abweisen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht. Ich war dumm und naiv, ich war genau so, wie Mel es immer gesagt hatte. Shawn stand nicht auf solche Mädchen wie mich. Ich wollte mich am liebsten verstecken oder wegrennen, aber den stummen Desillusionierungszauber beherrschte ich noch nicht gut genug.
Mein Herz hämmerte so stark gegen meine Brust, dass ich Angst bekam, es würde stehen bleiben. Es schmerzte regelrecht, ebenso wie mein Magen. Ich spürte den Schweiß sogar in meinem Gesicht. Mein Körper war total am austicken.
Shawn sah zuerst auf den Boden, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Ich wünschte mir, kleiner zu sein, denn dann hätte ich es noch sehen können.
Auch mein Kopf spielte verrückt, weswegen ich darüber nachdachte, wie lustig es war, dass ich früher immer zu den Kleinsten gehörte und nun die fast Größte meiner Freunde war. Ich schüttelte den Kopf. Wie konnte ich in so einer Lage über etwas so Banales nachdenken?
Dann hob Shawn den Kopf. Ohne es zu wollen, hielt ich die Luft an. Seine Augen strahlten, er lächelte breit und als sich unsere Blicke trafen, krachte es wieder.
Als wäre ein Feuerwerk ausgebrochen, kam ich nicht mehr von ihm los. Seine Augen sagten so viel aus, doch ich verstand nichts davon.
Shawn trat auf mich zu, legte beide Arme um meine Schultern und sah mir noch tiefer in die Augen.
Er muss deine Mauer nicht zerstören, du musst ihm nur die Tür öffnen, erinnerte ich mich. Öffne ihm die Tür.
Ich versuchte es. Ich versuchte ihn so ehrlich anzublicken, wie es mir nur möglich war. Ich hatte mich noch nie vor ihm verstecken müssen, oder? Nahm er mich so, wie ich war?
"Ich könnte dich nie, niemals, hassen, Kassy", sprach er sanft und ich spürte die Wärme seines Atems.
Überall auf meinem Körper verbreitete sich Gänsehaut, doch diesmal versuchte ich sie nicht, zu unterdrücken. Ich ließ es einfach geschehen.
"Du bist ein so wunderbarer Mensch", fuhr Shawn fort, ohne das Lächeln verschwinden zu lassen. "Du bringst mich zum Lachen, du weißt, wann du besser Schweigen solltest und du gibst dein Bestes, jeden Tag. Ich sehe das. Auch wenn du mir nicht glaube wirst, ich weiß, wie stark du bist."
Weißt du nicht, schoss es mir durch den Kopf. Ich bin nicht stark.
"Ich liebe es, wenn du lächelst. Das wirkt so ehrlich, so unbeschwert. Nicht so aufgesetzt, wie du sonst auf mich wirkst. Du versteckst dich hinter einer Maske, du versteckst einen Teil deines Charakters. Einen ziemlich tollen Teil. Die Maske habe ich kennen und lieben gelernt. Und ich glaube, dein wahres Ich, deinen ziemlich tollen Teil, kann ich noch viel mehr lieben."
Unser Augenkontakt bestand immer noch. Es begann sich gut anzufühlen. Als wäre ich in Sicherheit und niemand konnte mir was anhaben. Dennoch hatte ich keine Ahnung, was ich als nächstes tun sollte.
Shawn kam mir näher. Unsere Stirnen berührten sich fast und ich konnte sein Herz schlagen hören. Oder war es meins?
"Bei dir kann ich ich selbst sein", hauchte er. "Ich muss mich nicht verstellen und versuche dir nur zu zeigen, dass du es auch nicht musst. Weißt du, ich glaube, in unserer gemeinsamen Zeit nach Silvester habe ich endlich dein ganzes wahres Ich kennengelernt. Und ich glaube, ich habe mich eiskalt, völlig bedingungslos und unwiderruflich in dich verliebt."
Ich konnte jedes Haar auf meinen Armen spüren, jede Vene, die durch meinen Schädel pochte und jeden Herzschlag wie eine Flutwelle.
"Wieso ich, Shawn?", war alles, was ich raus bekam. "Wieso ich?"
Er lachte leicht, seine Brust bebte und ich mit ihm.
"Muss es immer für alles eine Erklärung geben?"
Der Blick löste sich, seine Augen sprangen zu meinen Lippen und er zog mich noch näher zu sich, wenn das möglich war.
Instinktiv schaute ich auf seine Lippen. Selbst die waren in meinen Augen perfekt. Erneut war ich eingeschüchtert. Wie konnte so jemand wie Shawn etwas wie mich gern haben?
Ich sah zurück in seine Augen und hätte vor Freude weinen können. So glücklich hatte ich ihn noch nie zuvor gesehen. Es wühlte mich emotional auf.
Fast automatisch nährten wir uns, bis sich unsere Köpfe berührten. Wer dabei auf wen zukam, konnte ich nicht sagen.
Ich war mir sicher, dass mein Herz nun endgültig aussetzten würde. Es war ein so heftiger Schmerz, dass ich mich am liebsten losgerissen hätte, doch um nichts in der Welt wollte ich jetzt abhauen.
"Dein Herz schlägt ja wie verrückt", grinste Shawn mich an und ich konnte nur lächeln und die Augen schließen. "Es gibt keinen Grund, aufgeregt zu sein."
Meine Augen schlugen auf und ich fand Shawns Nase an meiner wieder.
"Shawn", flüsterte ich ganz leise und hörte mich selbst kaum, da mein Herzschlag alles übertönte. "Du weißt, ich habe das noch nie - "
"Jetzt halt die Klappe und küss mich endlich."
Er grinste. Und dann küsste ich ihn.
ϟ ϟ ϟ
Da ist er nun endlich, der lang ersehnte shy-Kuss <3
Ich habe so unglaublich lange für dieses Kapitel gebraucht, denn es ist mir so schwer gefallen. Nicht der Kuss, sondern alles davor. Ich hoffe, es war nicht zu trocken oder langweilig.
Also, was glaubt ihr, wie es jetzt mit shy weitergeht?
Das Verhältnis hat sich auf jeden Fall um 180 Grad gedreht, es wird interessant, jetzt weiterzuschreiben, wenn sich plötzlich alles ändert.
Der erwähnte Gryffindor James Taylor-Watts dürfte einigen vielleicht bekannt vorkommen. Er ist endlich auch aufgetaucht. Ich persönlich hätte ihn eher Ravenclaw zugeordnet, allerdings hatte ich die Chance ihn zu fragen, und er ist nach eigenen Angaben eher "a Gryffindor dude".
Wie findet ihr es, dass Henry jetzt doch im Team spielen soll?
Und natürlich die wichtigste aller Fragen: Was haltet ihr von Chawaque?
Ich bin seehr gespannt auf eure Meinungen. Bis demnächst, Amelie :)
Next Update ⥋ 12.02.2018 (Monday)
[07.02.2018]
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